TE Vfgh Erkenntnis 2002/12/3 B1256/01

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Veröffentlicht am 03.12.2002
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
Nö BauO §20
Nö BauO §113 Abs2a, Abs2b
Nö BauO 1996 §70 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Anwendung einer vom Verfassungsgerichtshof als gleichheitswidrig aufgehobenen Bestimmung der Nö Bauordnung betreffend die Amnestie für Schwarzbauten auf einen vor der Aufhebung noch nicht verwirklichten Tatbestand; konstitutive Wirkung eines sogenannten Feststellungsbescheides über das Nichtbestehen eines Bauverbotes als Voraussetzung für den Entfall der Anordnung des Abbruchs eines nicht genehmigten Baues; Verwirklichung des Tatbestandes erst im Vorgang der behördlichen Entscheidung; keine Bindungswirkung der Ausführungen hinsichtlich der anzuwendenden Rechtslage in einem unbekämpft gebliebenen Vorstellungsbescheid in einem früheren Rechtsgang

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Niederösterreich ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihrer Rechtsvertreter die mit 2.143,68 €

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin eines Grundstückes, das an das als Grünland gewidmete Grundstück Nr. 1575/2, EZ 1220, KG Kierling, angrenzt. Der Eigentümer dieser Liegenschaft beantragte am 22. Dezember 1998 bei der Stadtgemeinde Klosterneuburg gemäß §113 Abs2b der Niederösterreichischen Bauordnung 1976 die Erlassung eines Feststellungsbescheides über den Entfall der Anordnung des Abbruches eines auf diesem Grundstück konsenslos errichteten Gebäudes.

Die Baubehörde führte am 11. Februar 1999 eine mündliche Verhandlung durch, anlässlich derer die Beschwerdeführerin mehrere Einwendungen gegen die Erlassung eines derartigen Feststellungsbescheides vorbrachte.

Mit Bescheid vom 17. November 1999 stellte das Stadtamt der Stadtgemeinde Klosterneuburg antragsgemäß fest, dass die Anordnung über den Abbruch des Gebäudes auf dem Grundstück Nr. 1575/2, EZ 1220, KG Kierling, entfalle.

Die Beschwerdeführerin erhob gegen diesen Bescheid Berufung, welche der Gemeinderat der Stadtgemeinde Klosterneuburg mit Bescheid vom 30. Juni 2000 mit der Begründung als unzulässig zurückwies, die Beschwerdeführerin habe keine zulässigen Einwendungen erhoben und daher ihre Parteistellung verloren.

Aufgrund einer dagegen von der Beschwerdeführerin eingebrachten Vorstellung behob die Niederösterreichische Landesregierung diesen Berufungsbescheid mit Bescheid vom 20. Oktober 2000 und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat zurück, da die Parteistellung der Beschwerdeführerin von der Berufungsbehörde zu Unrecht verneint worden sei. Zur Frage der in diesem Verfahren anzuwendenden Rechtslage führt sie in diesem Zusammenhang aus, die Bestimmungen des §113 Abs2a bis 2c der NÖ Bauordnung 1976 in Verbindung mit §77 Abs1 2. Satz der NÖ Bauordnung 1996 gehörten durch ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes sowie dessen Kundmachung im Landesgesetzblatt für Niederösterreich seit dem 30. April 1999 nicht mehr dem Rechtsbestand an. Da der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis nichts anderes ausgeführt habe, seien Anträge auf Erlassung eines Feststellungsbescheides, die vor dem 30. April 1999 eingebracht worden seien, zu behandeln und dürften nicht wegen fehlender Rechtsgrundlage als unzulässig zurückgewiesen werden. Das gegenständliche Verfahren sei daher aufgrund der vorgenannten Bestimmungen nach der NÖ Bauordnung 1976 durchzuführen. Nach §118 Abs8 der NÖ Bauordnung 1976 habe die Zustellung einer Bescheidausfertigung an alle Parteien, sohin auch an die Anrainer, zu erfolgen, selbst wenn sie trotz Ladung zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen seien. Die Begründung des von der Beschwerdeführerin angefochtenen Bescheides, wonach diese ihre Parteistellung mangels Erhebung subjektiv-öffentlicher Anrainerrechte verloren habe, sei somit unrichtig. Der Gemeinderat hätte eine Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides vom 17. November 1999 an die Beschwerdeführerin veranlassen müssen und sich mit ihrem Berufungsvorbringen in der Sache selbst auseinanderzusetzen gehabt.

Mit Bescheid vom 27. April 2001 wies der Gemeinderat der Stadtgemeinde Klosterneuburg die Berufung der Beschwerdeführerin als unbegründet ab und begründete diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass durch die Erteilung des von der mitbeteiligten Partei beantragten Feststellungsbescheides keine subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte der Beschwerdeführerin verletzt seien.

Die Beschwerdeführerin erhob gegen diesen Bescheid wiederum Vorstellung an die Aufsichtsbehörde, welche von dieser mit Bescheid vom 23. Juli 2001 schließlich als unbegründet abgewiesen wurde. Die belangte Behörde führt dazu aus, das gegenständliche Gebäude dürfe entgegen dem Vorstellungsvorbringen zu Wohnzwecken verwendet werden; unzumutbare Lärmbelästigungen aus dem Wohnhaus könnten nur auf dem Zivilrechtsweg geltend gemacht werden; bezüglich der behaupteten Gewässerverunreinigung sei nicht die Baubehörde, sondern die Wasserrechtsbehörde zuständig. Das Gebäude sei nicht an den Grundgrenzen errichtet worden, sodass Baumaßnahmen für den Brandschutz nicht - wie behauptet - zu Grenzverletzungen führen könnten. Ein Feststellungsbescheid nach §113 Abs2b der NÖ Bauordnung 1976 ersetze nicht eine Baubewilligung; nach der Aktenlage und laut Zeugenaussagen sei das Gebäude am 29. Juni 1995 so weit fertig gestellt gewesen, dass der beabsichtigte Verwendungszweck erkennbar gewesen sei. Die Zufahrtsstraße sei nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens gewesen, Grenzverletzungen bei deren Bau seien zivilrechtlich geltend zu machen. Im Übrigen schloss sich die Aufsichtsbehörde den rechtlichen Ausführungen der Berufungsbehörde betreffend die Einwendungen der Beschwerdeführerin im angefochtenen Bescheid vollinhaltlich an. Die Beschwerdeführerin sei in keinem subjektiv-öffentlichen Nachbarrecht verletzt worden.

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Beschwerdeführerin die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG), die "Verletzung im Recht auf Aufhebung eines Bescheides durch die Aufsichtsbehörde, wenn Rechte des Einschreiters durch ihn verletzt werden, gemäß Art119 Abs5 B-VG", sowie die Verletzung in Rechten durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt. Die Beschwerdeführerin bringt dazu vor, der Verfassungsgerichtshof habe in VfSlg. 15.441/1999 ausgesprochen, dass §113 Abs2a und 2b der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200-13, verfassungswidrig war; in demselben Erkenntnis habe er §77 Abs1 2. Satz der NÖ Bauordnung 1996 als verfassungswidrig aufgehoben. Im hier bekämpften Bescheid werde §113 Abs2a NÖ Bauordnung 1976 in denkunmöglicher Gesetzesanwendung weiterhin angewendet. Es könne nicht der Fall sein, dass sich die Wirkung des genannten Verfassungsgerichtshoferkenntnisses ausschließlich auf den Anlassfall erstrecke. Sofern der Verfassungsgerichtshof nicht anderes ausspreche, sei eine wegen Verfassungswidrigkeit aufgehobene Gesetzesbestimmung gemäß Art140 Abs7 2. Satz B-VG grundsätzlich lediglich auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände anzuwenden. §77 Abs1 2. Satz NÖ Bauordnung 1996 sei jedoch per se bereits eine gesetzliche Bestimmung gewesen, die die Anwendbarkeit von verfassungswidrigen Bestimmungen über den Umfang des Art140 Abs7 B-VG hinaus perpetuiert habe. Würde man daher wie die belangte Behörde unterstellen, dass der vorliegende Fall ein solcher sei, der von der Anlassfallwirkung nicht umfasst sei, so habe es der Landesgesetzgeber durch eine derartige Bestimmung in der Hand, auch diejenigen Sachverhalte, die nach der Aufhebung der die Verfassungswidrigkeit "einfrierenden" Bestimmung und der verfassungswidrigen Bestimmung selbst bzw. der Feststellung von deren Verfassungswidrigkeit, erfolgten, einem verfassungswidrigen Regime zu unterwerfen.

Die Beschwerde bringt weiter vor, die belangte Behörde habe sich möglicherweise ohne nähere Ausführung auf §77 Abs1 2. Satz der NÖ Bauordnung 1996 idgF gestützt, welcher bestimme, dass sämtliche baubehördliche Bescheide bestehen blieben. Diese Bestimmung sei ihrem Wortlaut nach nicht auf rechtskräftige Bescheide eingegrenzt, weshalb sie zum einen gleichheitswidrig sei und zum anderen gegen Art140 Abs7 B-VG verstoße. Sachverhalte, die nach der Wirkung des aufhebenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes weder beendet noch rechtskräftig entschieden seien, könnten von vornherein nicht unter die Beschränkung des Art140 Abs7 B-VG hinsichtlich der Wirkung eines aufhebenden Erkenntnisses auf den Anlassfall fallen.

Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sieht die Beschwerde in einem erheblichen Verkennen der Rechtslage und einer willkürlichen Vorgangsweise durch die belangte Behörde. Diese habe sich mit den zahlreichen Einwendungen der Beschwerdeführerin inhaltlich nicht befasst und den angefochtenen Bescheid im Hinblick auf die geltend gemachten Vorstellungsgründe nicht überprüft und infolgedessen nicht aufgehoben. Darin liege auch eine "Verletzung im Recht auf Aufhebung eines Bescheides durch die Aufsichtsbehörde, wenn Rechte des Einschreiters durch ihn verletzt werden". Die Behörde habe lediglich die Begründung des bekämpften Berufungsbescheides übernommen; sie sei ihrer eigenen Begründungspflicht in einem besonders augenfälligen Maß nicht nachgekommen. Außerdem habe sie das Gebot verfassungskonformer Interpretation hinsichtlich des §77 Abs1

2. Satz NÖ Bauordnung 1996 missachtet und sich mit der Frage der Anwendbarkeit des §113 Abs2a NÖ Bauordnung 1976 in keiner Weise auseinandergesetzt.

3. Die Niederösterreichische Landesregierung als belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Argumenten der Beschwerdeführerin entgegentritt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Begründend bringt sie dazu vor, das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 15.441/1999 vom 3. März 1999 sei am 30. April 1999, LGBl. 8200/14-0, kundgemacht worden. Da der Gerichtshof darin keine Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmungen bestimmt habe, trete die Aufhebung gemäß Art140 Abs5 B-VG am Tag der Kundmachung in Kraft. Nach Art140 Abs7 B-VG sei eine aufgehobene gesetzliche Bestimmung jedoch auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme der Anlassfälle anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht anderes ausspreche. Das genannte Erkenntnis enthalte keinen Ausspruch, dass die aufgehobene Bestimmung des §113 Abs2a und 2b der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200-13, auch auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden seien. Somit dürfte diese in den noch anhängigen Fällen noch angewendet werden.

Der Antrag auf Erlassung eines Feststellungsbescheides sei von der mitbeteiligten Partei am 22. Dezember 1998 eingebracht worden. Der obligatorische Ortsaugenschein habe am 11. Februar 1999 stattgefunden, der erstinstanzliche Feststellungsbescheid vom 17. November 1999 sei den Bauwerbern Ende November zugestellt worden. Die Bestimmung des §77 Abs1 2. Satz NÖ Bauordnung 1996, LGBl. 8200-6, komme im gegenständlichen Fall nicht zum Tragen, da das Verfahren bereits im Jahr 1998 durch den Antrag auf Erlassung eines Feststellungsbescheides eingeleitet worden und dieser im November 1999, somit innerhalb der Jahresfrist des §113 Abs2a 3. Unterpunkt der NÖ Bauordnung 1976 erlassen worden sei.

Zu dem von der Beschwerdeführerin erhobenen Vorwurf der Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz weist die belangte Behörde schließlich darauf hin, dass die Erledigung der vorgebrachten Einwendungen aufgrund der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfolgt sei. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin sei geprüft und im angefochtenen Bescheid auch behandelt worden, sodass dem Vorwurf eines Begründungsmangels keine Berechtigung zukomme.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Den vorgelegten Verwaltungsakten ist zu entnehmen, dass die mitbeteiligte Partei am 22. Dezember 1998 bei der Stadtgemeinde Klosterneuburg den Antrag auf Erlassung eines Feststellungsbescheides gemäß §113 Abs2b der Niederösterreichischen Bauordnung 1976 über den Entfall der Anordnung des Abbruches eines sich auf der als Grünland gewidmeten Liegenschaft, Grst. Nr. 1575/2, EZ 1220, KG Kierling, befindlichen Gebäudes stellte. Die Baubehörde erster Instanz führte am 11. Februar 1999 einen Ortsaugenschein durch, am 17. November 1999 erließ sie den beantragten Bescheid. Das Verwaltungsgeschehen nahm daraufhin seinen eingangs geschilderten Verlauf.

2. Mit dem vorliegenden Verfahren nicht in Zusammenhang stehend, leitete der Verfassungsgerichtshof mit amtswegigem Beschluss vom 25. Juni 1998, B787/98, das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §113 Abs2a und 2b der Niederösterreichischen Bauordnung 1976, LGBl. 8200-13 (in der Folge: NÖ BauO 1976), sowie der Übergangsbestimmung des §77 Abs1 der Niederösterreichischen Bauordnung 1996, LGBl. 8200-0 (in der Folge: NÖ BauO 1996), ein. Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich sowie der Verwaltungsgerichtshof hatten weiters aufgrund mehrerer dort anhängiger Verfahren beim Verfassungsgerichtshof ebenfalls die Anträge auf Aufhebung der mit Einleitungsbeschluss zu B787/98 in Prüfung gezogenen Bestimmungen gestellt.

Mit Erkenntnis VfSlg. 15.441/1999 vom 3. März 1999 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass §113 Abs2a und 2b der NÖ BauO 1976 wegen Widerspruchs zum Gleichheitssatz verfassungswidrig war; gleichzeitig hob er die Übergangsbestimmung des §77 Abs1 zweiter Satz der NÖ BauO 1996 als verfassungswidrig auf. Diese Aussprüche des Verfassungsgerichtshofes wurden am 30. April 1999 im Landesgesetzblatt für das Land Niederösterreich, LGBl. 8200-2 bzw. LGBl. 8200/14-0, kundgemacht.

Da der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 15.441/1999 keine Frist für das Außerkrafttreten der in Rede stehenden Gesetzesstellen bestimmt hatte, trat die Aufhebung gemäß Art140 Abs5 B-VG am Tag ihrer Kundmachung, d.h. am 30. April 1999, in Kraft. Die Anlassfallwirkung des genannten Erkenntnisses wurde gemäß Art140 Abs7 B-VG nur auf zwei beim Verwaltungsgerichtshof anhängig gewesene Verfahren erstreckt, welche die Grundlage für zwei Anträge des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung der Bestimmungen beim Verfassungsgerichtshof dargestellt hatten.

3. Ist ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben worden oder hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass ein Gesetz verfassungswidrig war, so sind nach Art140 Abs7 B-VG alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Das Gesetz ist jedoch auf die vor Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht.

3.1. Die Niederösterreichische Landesregierung stützt den nunmehr angefochtenen Bescheid vom 23. Juli 2001 weiterhin auf die aufgehobenen bzw. als verfassungswidrig erkannten Bestimmungen. Dies mit der Begründung, dass der dem Verfahren zugrunde liegende Antrag auf Erlassung eines Feststellungsbescheides nach §113 Abs2b der NÖ BauO 1976 von der mitbeteiligten Partei bereits am 22. Dezember 1998 gestellt worden sei und gemäß Art140 Abs7 B-VG eine aufgehobene gesetzliche Bestimmung auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme der Anlassfälle weiterhin anzuwenden sei.

3.2. Die belangte Behörde übersieht mit dieser Argumentation allerdings, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um einen "vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestand" im Sinne des Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG handelt:

§113 Abs2a und 2b NÖ BauO 1976, LGBl. 8200-13, lautete:

"(2a) Die Anordnung des Abbruches eines wegen Widerspruches zum Flächenwidmungsplan nicht genehmigungsfähigen Gebäudes hat zu entfallen, wenn

* das Gebäude vor dem 29. Juni 1995 soweit

fertiggestellt wurde, daß der Grundriß und der beabsichtigte Verwendungszweck erkennbar war;

* die Ausführung gemäß dem beabsichtigten

Verwendungszweck den im Zeitpunkt des Baubeginns geltenden bautechnischen Vorschriften entspricht oder

* das Gebäude innerhalb angemessener Frist jedoch

längstens innerhalb eines Jahres fertiggestellt bzw. den bautechnischen Vorschriften ohne Durchführung eines Zubaues angepaßt wird;

* für das Grundstück kein Bauverbot gemäß §20 Abs2

Z3 besteht und

* bis zum 31. Dezember 1999 ein Antrag gemäß Abs2b

gestellt wird.

(2b) Das Zutreffen dieser Voraussetzungen ist von der Baubehörde mittels Feststellungsbescheid über Antrag festzustellen. Diesem Antrag sind die erforderlichen Antragsbeilagen (§§96 und 97) anzuschließen.

Der Zeitpunkt des Baubeginns ist der Baubehörde nachzuweisen. Dem Feststellungsbescheid hat die Durchführung eines Ortsaugenscheines unter Beiziehung von Sachverständigen und Anrainern voranzugehen. Anrainer haben Parteistellung im Rahmen des §118 Abs8 und 9.

Dieser Bescheid berechtigt zur Benützung des Gebäudes und gilt nicht als baubehördliche Bewilligung. Eine zukünftige Instandsetzung solcher Gebäude ist nur im Rahmen des §92 Abs1 Z4, sonstige Veränderungen sind nur im Rahmen des §95 zulässig."

Die Übergangsbestimmung des §77 Abs1 NÖ BauO 1996, LGBl. 8200-0, lautete (der aufgehobene Teil ist hervorgehoben):

"(1) Die am Tage des Inkrafttretens dieses Gesetzes anhängigen Verfahren sind nach der bisherigen Rechtslage zu Ende zu führen.

Anträge nach §113 Abs2b der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200-14, dürfen bis zum 31. Dezember 1999 gestellt werden und sind nach der bisherigen Rechtslage zu behandeln.

Sämtliche baubehördliche Bescheide bleiben bestehen."

Die als verfassungswidrig erkannte Bestimmung des §113 Abs2a NÖ BauO 1976 sieht also hinsichtlich der Erlassung eines Feststellungsbescheides gemäß Abs2b mehrere Voraussetzungen vor; gemäß §113 Abs2a vierter Unterpunkt leg. cit. ist ua. Voraussetzung für den Entfall der Anordnung des Abbruches eines wegen Widerspruches zum Flächenwidmungsplan nicht genehmigungsfähigen Gebäudes, dass für das Grundstück kein Bauverbot gemäß §20 Abs2 Z3 NÖ BauO 1976 besteht.

Diese Bestimmung lautete:

"§20

Bauverbote

[...]

(2) Im Grünland besteht, unbeschadet der Regelung der Zulässigkeit von Neu-, Zu-, und Umbauten im NÖ Raumordnungsgesetz, LGBl. 8000, auf Grundstücken Bauverbot, wenn

[...]

3. eine Gefährdung durch Hochwasser, Steinschlag, Rutschungen, Grundwasserstand, ungenügende Tragfähigkeit des Untergrundes, Lawinen, ungünstiges Kleinklima u. dgl. gegeben ist."

§113 Abs2a vierter Unterpunkt NÖ BauO 1976 knüpft damit den Entfall der Anordnung des Abbruches des betreffenden Gebäudes durch den Verweis auf ein etwaiges Bauverbot in bestimmten Gefährdungsfällen an eine erst im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung beurteilbare Voraussetzung; eine Verwirklichung des gesamten Tatbestandes des §113 Abs2a NÖ BauO 1976 kann daher offenkundig erst mit der behördlichen Feststellung vorliegen, dass für das betreffende Grundstück kein Bauverbot gemäß §20 Abs2 Z3 NÖ BauO 1976 besteht; ein von der Behörde gemäß §113 Abs2b NÖ BauO 1976 zu erlassender Bescheid hat insofern - ungeachtet seiner Bezeichnung als Feststellungsbescheid durch den Gesetzgeber - konstitutive Wirkung. Da der Tatbestand in diesem Fall erst im Vorgang der behördlichen Entscheidung verwirklicht wird, sind erst damit alle Voraussetzungen für die Erlassung des Bescheides gegeben (vgl. auch VfSlg. 4596/1963).

4. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. z.B. VfSlg. 9186/1981, 9727/1983, 10.516/1985) durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde nur verletzt werden, wenn dieser auf einer mit dem Gleichheitsgebot in Widerspruch stehenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde den angewendeten Rechtsvorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides Willkür geübt hat.

Der Zeitpunkt der behördlichen Beurteilung des Vorliegens aller durch §113 Abs2a NÖ BauO 1976 geforderten Voraussetzungen für die Erlassung eines Bescheides nach §113 Abs2b leg. cit. durch die Baubehörde erster Instanz am 17. November 1999 lag jedenfalls erst nach der Kundmachung des die Regelung als gleichheitswidrig erkennenden Erkenntnisses VfSlg. 15.441/1999 am 30. April 1999. Die belangte Behörde wendete somit bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als gleichheitswidrig erkannte Gesetzesbestimmung unrichtigerweise auf einen vor der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof noch nicht verwirklichten Tatbestand an. Der angefochtene Bescheid beruht daher auf einer mit dem Gleichheitsgebot in Widerspruch stehenden Rechtsgrundlage.

Der Verfassungsgerichtshof übersieht dabei nicht, dass die belangte Behörde bereits in ihrer ersten, unbekämpft gebliebenen Vorstellungsentscheidung vom 20. Oktober 2000 die Rechtsansicht vertreten hat, Anträge auf Erlassung eines Feststellungsbescheides, die vor dem 30. April 1999 eingebracht worden seien, seien in der Sache selbst zu behandeln. Nach der ständigen Rechtsprechung sowohl des Verfassungs- als auch des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 11.719/1988, VwSlg. 8091A - verst. Sen., VwGH vom 25.2.1994, Z92/17/0019) sind jedoch - nur - die den Spruch tragenden Aufhebungsgründe eines aufhebenden Bescheides der Gemeindeaufsichtsbehörde für das fortgesetzte Verfahren vor der Gemeindebehörde, der Aufsichtsbehörde und vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes bindend. Nachdem der Gemeinderat der Stadtgemeinde Klosterneuburg die Berufung der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 30. Juni 2000 mangels Parteistellung als unzulässig zurückgewiesen hatte, bestand der Prozessgegenstand der im ersten Rechtsgang erlassenen Vorstellungsentscheidung vom 20. Oktober 2000 nun nicht in der Sache des Entfalles der Anordnung des Abbruches, sondern ausschließlich in der aufsichtsbehördlichen Überprüfung der Entscheidung des Gemeinderates über die Parteistellung der Beschwerdeführerin im Hinblick auf eine mögliche Verletzung in ihren Rechten. Der Ausspruch der belangten Behörde hinsichtlich der anzuwendenden Rechtslage kann daher Bindungswirkung im Sinne der oben genannten Judikatur jedenfalls nur insoweit entfalten, als es dabei um die anzuwendende Rechtslage in Bezug auf die Beurteilung der Parteistellung der Beschwerdeführerin geht. Die darüber hinausgehende, in der Begründung des Vorstellungsbescheides "zur Klarstellung" geäußerte Rechtsauffassung hinsichtlich der zur Erledigung des verfahrenseinleitenden Antrages der mitbeteiligten Parteien heranzuziehenden Rechtslage zählt jedenfalls nicht zu den den Spruch dieses aufsichtsbehördlichen Bescheides vom 20. Oktober 2000 tragenden Gründen, zumal der Gemeinderat über die Angelegenheit noch nicht meritorisch entschieden hatte und der Aufsichtsbehörde daher eine diesbezügliche nachprüfende Kontrolle im ersten Rechtsgang gar nicht zukam.

Aus den oben angeführten Gründen war der Bescheid daher aufzuheben, ohne dass auf das übrige Beschwerdevorbringen einzugehen war.

5. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 abgesehen werden.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den zuerkannten Kosten sind Umsatzsteuer in der Höhe von 327,- €

und eine Eingabegebühr in Höhe von 181,68 € enthalten.

Schlagworte

Baurecht, Baubewilligung, Feststellungsbescheid, Bindung (der Verwaltungsbehörden an Bescheide), Übergangsbestimmung, VfGH / Aufhebung Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B1256.2001

Dokumentnummer

JFT_09978797_01B01256_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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