TE OGH 2005/12/20 1Ob189/05h

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Veröffentlicht am 20.12.2005
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Unterbringungssache der Prof. Rosa H*****, vertreten durch den Patientenanwalt Mag. Michael H*****, dieser vertreten durch Dr. Friedrich Schwarzinger und Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwälte in Wels, wegen Überprüfung der Zulässigkeit der Unterbringung, über den Revisionsrekurs des Abteilungsleiters der Universitätsklinik für Psychiatrie I in der Christian Doppler-Klinik Salzburg, Prim. Univ. Prof. Dr. Christoph S*****, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 14. Juni 2005, GZ 21 R 154/05a-17, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 12. Jänner 2005, GZ 35 Ub 282/04y-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Frau Prof. H***** (in der Folge: Patientin) kam am Nachmittag des 8. Mai 2004 um etwa 14 Uhr - die genaue Uhrzeit ist nicht mehr feststellbar - in Begleitung einer Bekannten in alkoholisiertem Zustand und unter Medikamenteneinfluss in die Ambulanz der Landesklinik für Psychiatrie I in S*****. An diesem Tag (Samstag) herrschte Wochenenddienst. Die diensthabende Ärztin nahm etwa eineinhalb Stunden nach Einlieferung der Patientin die Erstuntersuchung vor. Da sie wegen des depressiven Zustandsbildes der Patientin eine Suizidgefahr nicht ausschloss, hielt sie telefonisch Rücksprache mit dem diensthabenden Facharzt Primarius Dr. L*****. Dieser ordnete die Aufnahme der Patientin in den geschlossenen Bereich an. Bei der Aufnahme um 15.45 Uhr erfolgte das Erstgespräch mit der zuständigen Pflegeperson. Ein ausführliches „Pflegegespräch" lehnte die Patientin ab. Sie wollte auf das Gespräch mit dem Arzt warten. Nach weiteren eineinhalb Stunden kam es zu einem (ersten) Gespräch mit dem diensthabenden Facharzt. Dieser hielt die Unterbringung der Patientin, die sich nicht freiwillig in stationäre Behandlung begeben wollte, für angezeigt. Er schrieb das erste fachärztliche Zeugnis, wonach sich die Patientin von ihrer Suizidalität nicht habe eindeutig distanzieren können, sie sei und auf Grund der Einnahme von Valium und Alkohol ernstlich und erheblich selbstgefährlich.

Um 19 Uhr, also nach weiteren etwa eineinhalb Stunden, ordnete der diensthabende Facharzt nach einem nochmaligen kurzen Gespräch mit der Patientin deren Entlassung an. Weil der Grad der Alkoholisierung deutlich abgesunken gewesen sei, bestand für den Facharzt keine akute Selbstgefährdung mehr.

Ob der zweite Facharzt, der damals Rufbereitschaft hatte und das zweite Zeugnis mit Datum 9. 5. 2004, also erst am nächsten Tag und nach der Entlassung erstellte, überhaupt ein persönliches Gespräch mit der Patientin hatte, konnte nicht festgestellt werden.

Die Patientin erachtete sich durch die Anhaltung gegen ihren Willen beschwert und beantragte eine nachträgliche Überprüfung. Am Vormittag des 8. 5. 2004 habe sie zwar 10 mg Valium genommen und 2 Dosen Bier getrunken, sie habe auch Ärger mit einer Bekannten, aber nie Selbstmordgedanken oder gar -absichten gehabt.

Das Erstgericht erachtete die Anhaltung als zulässig. In formeller Hinsicht sei die unverzügliche Untersuchung durch zwei Fachärzte notwendig gewesen. Diese müsste ergeben, dass die Unterbringungsvoraussetzungen im Sinn des UbG vorliegen, was zugetroffen habe. Unter Berücksichtigung des Wochenenddienstes und weil es sich bei der Patientin um keinen Notfall gehandelt habe, sei das Warten von etwa eineinhalb Stunden auf die Erstuntersuchung gerade noch akzeptabel. Die festgestellte zeitliche Abfolge entspreche bei den konkreten Umständen noch der Anforderung der Unverzüglichkeit. Es schade nicht, dass die zweite Untersuchung ebenfalls der diensthabende Facharzt vorgenommen habe, da die Patientin auf Grund dieses Gesprächs nicht weiter angehalten, sondern entlassen worden sei.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss im Sinn der Unzulässigerklärung der Anhaltung ab. Ein Patient dürfe nur untergebracht werden, wenn bestimmte formelle und materielle Voraussetzungen erfüllt seien. Die formellen Voraussetzungen regle § 10 UbG. Danach hätten der Abteilungsleiter und ein weiterer Facharzt die betroffene Person unverzüglich zu untersuchen. Sie dürfe nur aufgenommen werden, wenn nach übereinstimmenden, unabhängig voneinander erstellten ärztlichen Zeugnissen die - in § 3 UbG geregelten - Voraussetzungen für die Unterbringung vorliegen. Ohne dass auf das Tatbestandsmerkmal der Unverzüglichkeit näher eingegangen werden müsse, sei das Vorliegen der formellen Voraussetzungen nach § 10 UbG und damit die Zulässigkeit der Unterbringung zu verneinen, weil die zweite fachärztliche Untersuchung nach der Aktenlage erst nach Aufhebung der Unterbringung durch den Anstaltsleiter erfolgt sei. Da die Patientin nach der Rechtsprechung bereits vor Abschluss der fachärztlichen Untersuchung als untergebracht zu gelten habe, andererseits jedoch die Aufhebung der Unterbringung und Entlassung „der Kranken" bereits vor der zweiten fachärztlichen Untersuchung erfolgt sei, bleibe selbst dann kein Raum für eine Zulässigerklärung der Anhaltung, wenn man vom Vorliegen der materiellrechtlichen Voraussetzungen nach § 3 UbG ausginge. Werde die Unterbringung bereits vor der zweiten fachärztlichen Untersuchung aufgehoben, sei die Unterbringung im Zeitraum zwischen der Einlieferung in die Krankenanstalt und der Aufhebung der Unterbringung jedenfalls unzulässig.

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach dargelegt, dass der Abteilungsleiter nach richtigem Verständnis seiner Stellung und seiner Aufgaben im Verfahren nach dem UbG ebenso wie der Patientenanwalt ausschließlich die Interessen des Kranken zu verfolgen habe, die einerseits auf eine wirksame ärztliche Behandlung und andererseits auf die bestmögliche Wahrung der persönlichen Freiheit des Kranken gerichtet seien und einander insoferne widersprechen könnten. Sowohl der Patientenanwalt als auch der Abteilungsleiter hätten nur die Interessen der Patienten zu wahren. Dem Abteilungsleiter komme im Verfahren nach dem UbG nicht etwa die Wahrung der Interessen des Krankenhausträgers oder der behandelnden Ärzte zu. Es wurde daher vom Obersten Gerichtshof in vergleichbaren Fällen das Rechtsschutzinteresse des Abteilungsleiters an der sachlichen Klärung der Zulässigkeit der Unterbringung nach Beendigung der freiheitsbeschränkenden Maßnahme im Zuge der Behandlung des Patienten verneint (2 Ob 566/92; 1 Ob 600/92; 6 Ob 568/92; 3 Ob 501/93; 1 Ob 518/93; 8 Ob 537/93; 7 Ob 537/94; SZ 67/230 ua). An dieser Rechtsprechung wurde - trotz der Kritik der Lehre (Hopf/Aigner, UbG § 28 Anm 8a; Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts2, Rz 352) festgehalten (7 Ob 17/97v; 6 Ob 198/02i). Die - wenngleich in anderem Zusammenhang - in EvBl 1992/145 und JBl 1993, 455 geäußerte Ansicht, das Rekursrecht des Abteilungsleiters diene der Abwehr des durch eine gerichtliche Sachentscheidung gegen die Anstalt gerichteten Vorwurfs gesetzwidriger Vorgangsweise gegenüber einem Kranken, wurde schon in 8 Ob 537/93 abgelehnt (SZ 67/230). An dieser ständigen Rechtsprechung ist festzuhalten.

Der Revisionsrekurs ist daher mangels Beschwer des Abteilungsleiters zurückzuweisen.

Textnummer

E79440

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2005:0010OB00189.05H.1220.000

Im RIS seit

19.01.2006

Zuletzt aktualisiert am

13.12.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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