TE Vwgh Erkenntnis 2007/8/30 2006/21/0101

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Veröffentlicht am 30.08.2007
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §24 Abs2;
AsylG 2005 §27 Abs1 Z1;
AsylG 2005 §27 Abs1 Z2;
AsylG 2005 §27 Abs1;
AsylG 2005 §27 Abs4;
AsylG 2005 §27;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 30. März 2006, Zl. VwSen-400783/4/Gf/Ga, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: A, vertreten gewesen durch Dr. Walter Eisl, Rechtsanwalt in 3300 Amstetten, Ardaggerstraße 14), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit am selben Tag in Vollzug gesetztem Bescheid vom 27. März 2006 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck gegen die Mitbeteiligte, eine aus dem Kosovo stammende Staatsangehörige von "Serbien und Montenegro", gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 iVm § 80 Abs. 5 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG sowie gemäß § 57 AVG die Schubhaft zur Sicherung "des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung" sowie der Abschiebung an.

In ihrer Begründung führte sie aus, die Mitbeteiligte sei am 17. März 2006 in das Bundesgebiet eingereist und habe am selben Tag die Gewährung von Asyl beantragt. Ihre Identität sei jedoch nicht gesichert, weil sie zu deren Nachweis eine gefälschte Geburtsurkunde vorgelegt habe, weshalb Strafanzeige wegen des Verdachtes der Urkundenfälschung erstattet worden sei. Obgleich sie völlig mittellos sei, habe sie sich am 24. März 2006 aus der ihr zur Verfügung gestellten bundesbetreuten Unterkunft entfernt, verfüge seither "über keinen polizeilich gemeldeten Wohnsitz im Bundesgebiet" und sei "in die Illegalität" abgetaucht.

Mit Schreiben des Bundesasylamtes vom 23. März 2006, nachweislich ausgefolgt am 24. März 2006, sei der Mitbeteiligten gemäß § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG 2005 mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, ihren Asylantrag gemäß § 5 leg. cit. zurückzuweisen. Gleichzeitig sei ihr zur Kenntnis gebracht worden, dass Konsultationen gemäß dem Dubliner Abkommen mit Ungarn und Slowenien geführt würden. Ebenso sei die Fremdenpolizeibehörde davon verständigt worden, dass gegen die Mitbeteiligte ein Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 leg. cit. eingeleitet worden sei.

Dazu komme, dass die Mitbeteiligte in der Vergangenheit mehrmals illegal die Grenze "zwischen Serbien/Montenegro und Österreich" überschritten habe. Sie sei volljährig, ledig und habe keine Sorgepflichten. Zudem sei sie im Bundesgebiet nicht an eine Örtlichkeit gebunden, also flexibel in ihrer Lebensgestaltung. Es sei somit auf Grund ihres bisher gezeigten Verhaltens zu befürchten, dass sie sich - auf freiem Fuß belassen - dem weiteren Zugriff der Behörde entziehen werde. Ihre Anhaltung in Schubhaft sei daher zur Sicherung der genannten Verfahren dringend geboten. Die dargestellten Tatsachen rechtfertigten auch keine Ermessensentscheidung dahin, anstelle der Schubhaft gelindere Mittel zu verhängen.

Mit dem angefochtenen Bescheid erklärte die belangte Behörde in Erledigung der von der Mitbeteiligten erhobenen Schubhaftbeschwerde die Anhaltung der Mitbeteiligten in Schubhaft seit dem 27. März 2006 gemäß § 83 FPG sowie § 67c Abs. 3 und § 79a AVG als rechtswidrig.

In ihrer Begründung führte sie aus, das Bundesasylamt habe der Mitbeteiligten zwar mit Schreiben vom 23. März 2006 gemäß § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG 2005 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihren Asylantrag zurückzuweisen. Eine auf Einstellung lautende Entscheidung des unabhängigen Bundesasylsenates - wie dies § 27 Abs. 1 AsylG 2005 als zusätzliche Voraussetzung fordere - sei jedoch ebenso wenig vorgelegen wie ein besonderes öffentliches Interesse an einer beschleunigten Durchführung des Verfahrens iSd § 27 Abs. 2 und 3 leg. cit. Im Ergebnis sei daher jedenfalls zum Zeitpunkt der Inschubhaftnahme kein Ausweisungsverfahren iSd § 27 AsylG 2005 eingeleitet worden. Die explizit auf § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG gestützte Anordnung der Schubhaft erweise sich daher schon aus diesem Grund als rechtswidrig, ohne dass die Möglichkeit einer Anwendung gelinderer Mittel geprüft werden müsste.

Über die dagegen erhobene Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

§ 76 Abs. 2 Z. 2 FPG lautet:

"Schubhaft

...

(2) Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde kann über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

1.

...

2.

gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde; ..."

Die §§ 24, 27 Abs. 1 und 4 sowie 29 Abs. 3 AsylG 2005 lauten auszugsweise:

"Einstellung des Verfahrens und ungerechtfertigtes Entfernen aus der Erstaufnahmestelle

§ 24. (1) Ein Asylwerber entzieht sich dem Asylverfahren, wenn

1. der Behörde sein Aufenthaltsort wegen Verletzung seiner Mitwirkungspflichten (§ 15) weder bekannt noch sonst durch die Behörde leicht feststellbar ist oder

2. er das Bundesgebiet freiwillig verlässt, und das Verfahren nicht als gegenstandslos abzulegen ist (§ 25 Abs. 1).

(2) Asylverfahren sind einzustellen, wenn sich der Asylwerber dem Verfahren entzogen hat (Abs. 1) und eine Entscheidung ohne eine allenfalls weitere Einvernahme oder Verhandlung nicht erfolgen kann. Ein eingestelltes Verfahren ist von Amts wegen fortzusetzen, sobald die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes möglich ist. Mit Fortsetzung des Verfahrens beginnt die Entscheidungsfrist nach § 73 Abs. 1 AVG zu laufen. Nach Ablauf von zwei Jahren nach Einstellung des Verfahrens ist eine Fortsetzung des Verfahrens nicht mehr zulässig. Ist das Verfahren vor dem Bundesasylamt einzustellen, ist nach § 26 vorzugehen.

Einleitung eines Ausweisungsverfahrens

§ 27. (1) Ein Ausweisungsverfahren nach diesem Bundesgesetz gilt als eingeleitet, wenn

1. im Zulassungsverfahren eine Bekanntgabe nach § 29 Abs. 3 Z 4 oder 5 erfolgt und

2. das Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat einzustellen (§ 24 Abs. 2) war und die Entscheidung des Bundesasylamtes in diesem Verfahren mit einer Ausweisung (§ 10) verbunden war.

...

(4) Ein gemäß Abs. 1 Z 1 eingeleitetes Ausweisungsverfahren ist einzustellen, wenn das Verfahren zugelassen wird. Ein gemäß Abs. 1 Z 2 eingeleitetes Ausweisungsverfahren ist einzustellen, wenn die bisher vorliegenden Ermittlungen die Annahme rechtfertigen, dass der Antrag auf internationalen Schutz weder im Hinblick auf die Gewährung des Status eines Asylberechtigten noch des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab- oder zurückzuweisen sein wird oder wenn der Asylwerber aus eigenem dem unabhängigen Bundesasylsenat seinen Aufenthaltsort bekannt gibt und nicht auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, er werde sich wieder dem Verfahren entziehen.

Verfahren in der Erstaufnahmestelle

§ 29. ...

(3) Nach Durchführung der notwendigen Ermittlungen hat die Behörde je nach Stand des Ermittlungsverfahrens

...

4. dem Asylwerber mit Verfahrensanordnung (§ 63 Abs. 2 AVG) mitzuteilen, dass beabsichtigt ist, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (§§ 4, 5 und § 68 Abs. 1 AVG) oder

5. dem Asylwerber mit Verfahrensanordnung (§ 63 Abs. 2 AVG) mitzuteilen, dass beabsichtigt ist, seinen Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen."

Die Regierungsvorlage zum Fremdenrechtspaket 2005 (952 BlgNR 22. GP 47 und 49) führt zu § 24 Abs. 2 AsylG 2005 aus, dass das Verfahren nach dieser Bestimmung eingestellt werde, wenn sich der Asylwerber dem Verfahren entzogen habe und sein Antrag - auch trotz einer Befragung oder einer Einvernahme - noch nicht entscheidungsreif sei. In diesen Fällen habe das Bundesasylamt einen Festnahmeauftrag (§ 26) zu erlassen und das Verfahren einzustellen, bei einzustellenden Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat werde ex lege ein Ausweisungsverfahren eingeleitet, das die Festnahme und gegebenenfalls die Schubhaft des wieder aufgegriffenen Asylwerbers ermögliche.

Zu § 27 AsylG 2005 erläutert die Regierungsvorlage, ein Ausweisungsverfahren sei ex lege eingeleitet, wenn dem Asylwerber im Zulassungsverfahren mitgeteilt werde, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag abzuweisen oder zurückzuweisen (§ 29 Abs. 3 Z. 4 und 5). Es handle sich hierbei um Zurückweisungsentscheidungen - also Entscheidungen, den Antrag wegen Unzuständigkeit Österreichs oder den Antrag wegen Vorliegens von res iudicata zurückzuweisen - oder um gänzlich abweisende Entscheidungen. In diesen Fällen sei nach dem vorliegenden Ermittlungsstand die Ausweisung des Asylwerbers wahrscheinlich, daher sei es sachgerecht, die Einleitung eines Ausweisungsverfahrens anzuordnen.

Der Gesetzgeber verfolgte somit entgegen dem Verbindungswort "und" zweifellos die Absicht, die - gänzlich unterschiedliche Anforderungen voraussetzenden und jeweils ein anderes Asylverfahrensstadium betreffenden - Tatbestände der Z. 1 und der Z. 2 des § 27 Abs. 1 AsylG 2005 jeweils für sich allein ausreichen zu lassen, um die in dieser Gesetzesstelle normierten Rechtsfolgen der ex lege - Einleitung eines Ausweisungsverfahrens eintreten zu lassen (so auch Frank/Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 20053, K 2 bis K 4 zu § 27 sowie Putzer/Rohrböck, Leitfaden Asylrecht (2007) Rz. 308 (arg.: "weiters")). Dafür spricht - neben der systematischen Aufzählung der beiden Tatbestände - auch, dass § 27 Abs. 4 AsylG 2005 Ausweisungsverfahren nach Abs. 1 Z. 1 bzw. Z. 2 des § 27 Abs. 1 leg. cit. unterscheidet und für ihre Einstellung unterschiedliche Erfordernisse normiert. Dies wäre nicht nachvollziehbar, könnte nur ihre kumulative Erfüllung die Rechtsfolgen nach § 27 Abs. 1 leg. cit. auslösen.

Die von der belangten Behörde vertretene Ansicht, ein Ausweisungsverfahren im Sinn des § 27 Abs. 1 AsylG 2005 sei schon deshalb nicht eingeleitet worden, weil die Voraussetzungen der Z. 2 dieser Bestimmung nicht vorlägen, erweist sich somit als verfehlt, sodass der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Wien, am 30. August 2007

Schlagworte

Besondere RechtsgebieteAuslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006210101.X00

Im RIS seit

16.10.2007

Zuletzt aktualisiert am

31.03.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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