TE Vwgh Erkenntnis 2007/8/30 2006/21/0144

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Veröffentlicht am 30.08.2007
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §36 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
MRK Art7 impl;
VStG §1 Abs1 impl;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des C, vertreten durch Dr. Walter Eisl, Rechtsanwalt in 3300 Amstetten, Ardaggerstraße 14, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 2. Mai 2006, Zl. Fr 2411/04, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 86 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 1 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Der Beschwerdeführer sei am 21. April 2003 illegal nach Österreich eingereist und habe einen Asylantrag gestellt. Dieser sei mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid vom 22. März 2004 abgewiesen worden. Zugleich sei die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei für zulässig erklärt worden.

Der Beschwerdeführer habe am 13. Juli 2004 die österreichische Staatsangehörige Andrea Gertrude K. lediglich zu dem Zweck geheiratet, um in den Genuss einer Aufenthaltsberechtigung zu kommen. Dabei sei von vornherein nicht geplant gewesen, ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK zu führen.

Diese Feststellung ergebe sich aus der Aussage der Andrea Gertrude K., die bestätigt habe, dass es sich um eine "Scheinehe" handle. Sie wäre bereits in Haft gewesen und deshalb nicht zu einer falschen Zeugenaussage bereit. In die Ehe habe sie eingewilligt, weil ihr der Beschwerdeführer leid getan hätte und sie ihm mit der Heirat zu einer Aufenthaltsgenehmigung habe verhelfen wollen. "Bezüglich möglicher Fragen bei der Fremdenpolizei" seien Absprachen getroffen worden. Selbst der Beschwerdeführer, der das Vorliegen einer "Scheinehe" pauschal in Abrede gestellt habe, habe ausgesagt, "es sei dann rasch wegen des drohenden Aufenthaltsverbotes geheiratet worden".

Einem Bericht der Bundespolizeidirektion St. Pölten (BPD) vom 23. Mai 2005 sei zu entnehmen, dass bei einer Nachschau in der Wohnung der Andrea Gertrude K., in der auch der Beschwerdeführer vom 2. September 2004 bis zum 28. November 2005 - zum Schein - gemeldet gewesen sei, lediglich Karl P. anwesend gewesen sei, der angegeben habe, hier regelmäßig und auch zusammen mit Andrea Gertrude K. aufhältig zu sein. Er hätte einen Staatsangehörigen der Türkei noch nie in dieser Wohnung gesehen. Die Befragung einer Wohnungsnachbarin habe ergeben, dass Karl P. und Frau K. dort wohnhaft seien; einen Türken bzw. einen anderen Mann hätte die Nachbarin dort nie gesehen. Der Briefkasten sei mit K. und P. beschriftet gewesen. Der Beschwerdeführer sei auch bei zahlreichen weiteren Versuchen nicht in der Wohnung angetroffen worden.

In seinen Stellungnahmen habe sich der Beschwerdeführer darauf konzentriert, das Vorliegen einer "Scheinehe" an sich, wofür das Motiv des Mitleids auf Seiten der Ehefrau an sich kein ausreichendes Indiz biete, und die Leistung von Vermögensvorteilen für den Abschluss der Ehe in Abrede zu stellen.

Der erwiesene Abschluss einer Ehe mit einer österreichischen Staatsangehörigen lediglich deshalb, um in den Genuss eines Aufenthaltstitels zu gelangen, rechtfertige - so die belangte Behörde weiter - die Annahme, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung gefährde und stelle einen evidenten Rechtsmissbrauch dar. Auf Grund des festgestellten bisherigen Verhaltens des Beschwerdeführers sei keine günstige Prognosebeurteilung möglich und daher "die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch unter Zugrundelegung von § 86 Abs. 1 FPG 2005 zulässig und geradezu geboten".

Der Beschwerdeführer halte sich seit April 2003 in Österreich auf, wo sich auch seine Schwester und deren Kinder befänden. Er habe mit seiner Schwester im gemeinsamen Haushalt gelebt, was jedoch überwiegend auf finanzielle Gründe zurückzuführen sei, weil er keiner regelmäßigen Arbeit nachgegangen sei. Die Beziehung zu seiner Schwester sei somit nicht über das bei erwachsenen Seitenverwandten dieses Grades übliche Maß hinausgegangen. Die Zeit des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich werde "auf Grund der Täuschungs- und Umgehungshandlungen gegenüber der österreichischen Rechtsordnung nicht besonders gewichtet". Auch seine Integration sei auf Grund dieser Umstände deutlich geschmälert. Sie verlange nämlich die Bereitschaft, die Rechtsordnung des Aufenthaltsstaates, und zwar auch die fremdenrechtlichen Bestimmungen, zu respektieren.

Wenn das Aufenthaltsverbot auch in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers eingreife, werden doch die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und die seiner Familie gemäß § 66 FPG als nicht schwer wiegender beurteilt als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes. Allfällige private Interessen an einem Weiterverbleib in Österreich hätten eindeutig hinter die genannten öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens zurückzutreten.

Diese Überlegungen hätten auch für den Ermessensspielraum nach § 60 Abs. 1 FPG zu gelten. Über die Beurteilung des § 66 FPG hinaus könne die Behörde "keine günstigen Parameter erblicken, wonach die Kannbestimmung des § 60 Abs. 1 FPG" zu Gunsten des Beschwerdeführers anzuwenden gewesen wäre. Auf Grund dieser Umstände und der Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer nach wie vor rechtsmissbräuchlich in Österreich aufhalte, sei "die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes für die Dauer von fünf Jahren dringend geboten und daher vertretbar".

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Nach der Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 1 FPG sind Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung, die bei In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes anhängig sind, nach dessen Bestimmungen weiterzuführen. Dem entsprechend hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall zutreffend die Bestimmungen des FPG angewendet.

Der Beschwerdeführer war als Ehemann Familienangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z. 12 FPG) einer Österreicherin. Gemäß § 87 zweiter Satz FPG gelten für diese Personengruppe die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 85 Abs. 2 und 86 FPG.

Der im vorliegenden Zusammenhang maßgebliche § 86 Abs. 1 FPG lautet (auszugsweise) samt Überschrift:

"Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsberechtigung und für verfahrensfreie Maßnahmen

§ 86. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig."

Bei der Beurteilung, ob die dargestellten Voraussetzungen der zitierten Bestimmung gegeben sind, kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden. Gemäß § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat. Für die Erfüllung des zitierten Tatbestandes kommt es darauf an, dass eine Scheinehe bzw. Aufenthaltsehe missbräuchlich zur Erlangung von sonst nicht zustehenden Berechtigungen eingegangen wurde (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 24. April 2007, Zl. 2007/21/0106 mwN.).

Der Beschwerdeführer bekämpft die behördlichen Feststellungen, dass er mit Andrea Gertrude K. am 13. Juli 2004 nur deshalb die Ehe eingegangen sei, um in den Genuss einer Aufenthaltsberechtigung zu kommen, wobei von vornherein nicht geplant gewesen sei, ein gemeinsames Familienleben zu führen. Dabei verweist er auf seine eigene Aussage, in der er das Vorliegen einer "Scheinehe" in Abrede gestellt habe.

Dazu ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer selbst im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof (auf Seite 4 der Beschwerdeschrift) einräumt, dass es tatsächlich zu einer Ehegemeinschaft nicht gekommen sei. Unter Berücksichtigung vor allem der eindeutigen Aussage der Zeugin Andrea Gertrude K. und der wiedergegebenen Berichte der BPD, wonach diese nur (zeitweise) mit Karl P., nicht aber mit dem Beschwerdeführer, zusammengelebt habe, obgleich dieser (demnach zum Schein) an ihrer Adresse gemeldet gewesen sei, ist die von der belangten Behörde daraus gefolgerte Unglaubwürdigkeit entgegenstehender Aussagen des Beschwerdeführers im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof obliegenden Schlüssigkeitsprüfung nicht zu beanstanden.

Ausgehend von den behördlichen Feststellungen hegt der Verwaltungsgerichtshof keine Bedenken gegen die Ansicht der belangten Behörde, dass der - wie erwähnt als Orientierungsmaßstab für die Prognose nach § 86 Abs. 1 FPG heranzuziehende - Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG erfüllt sei. Soweit der Beschwerdeführer hervorhebt, dass er Andrea Gertrude K. keine (nennenswerten) Vermögensvorteile zugewendet habe, ist dem zu entgegnen, dass das vorliegende - bei In-Kraft-Treten des FPG am 1. Jänner 2006 im Berufungsstadium anhängige - Aufenthaltsverbotsverfahren gemäß § 125 Abs. 1 FPG nach diesem Gesetz fortzuführen war. Anders als nach dem (bis zum 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) § 36 Abs. 2 Z. 9 des Fremdengesetzes 1997 (FrG) wird von § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG eine Geldleistung durch den Fremden nicht gefordert. Auch kommt bei den Aufenthaltsverbotstatbeständen ein Rückwirkungsverbot nicht zum Tragen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. März 2007, Zl. 2006/21/0334, mwN).

Im Blick auf das fremdenrechtliche Fehlverhalten des Beschwerdeführers hat der Gerichtshof keine Bedenken gegen die behördliche Ansicht, dass die im § 86 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei (vgl. neuerlich das hg. Erkenntnis vom 24. April 2007, Zl. 2007/21/0106).

Die Beschwerde bekämpft nicht die - auf Grund der wiedergegebenen Feststellungen zutreffende - Ansicht der belangten Behörde, dass das Aufenthaltsverbot nach § 66 iVm § 60 Abs. 6 FPG dringend geboten und im Sinn einer Interessenabwägung zulässig sei.

Da dem angefochtenen Bescheid somit die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 30. August 2007

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006210144.X00

Im RIS seit

11.10.2007

Zuletzt aktualisiert am

22.08.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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