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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §5 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des G, vertreten durch Dr. Matthias Paul Hagele, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kaiserjägerstraße 30, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. Juli 2005, Zl. 261.768/0-IX/25/04, betreffend Zurückweisung einer Berufung gegen einen auf §§ 5 und 5a Asylgesetz 1997 gestützten Bescheid (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Armenien, gelangte am 2. Mai 2005 in das Bundesgebiet und beantragte Asyl.
Bei seiner ersten Einvernahme vor dem Bundesasylamt in St. Georgen ("Erstaufnahmestelle West") am 4. Mai 2005 räumte er über Vorhalt ein, er habe im Juli 2003 in England Asyl beantragt, behauptete aber, sich danach in Russland aufgehalten zu haben. Seine Eltern und sein Bruder seien in Österreich und er sei nach Österreich gekommen, weil er dies auf der Suche nach seinem Bruder, von dem er in Russland getrennt worden sei, herausgefunden habe. Er sei "nach Österreich gekommen, damit ich mit meiner Familie zusammen kommen kann".
Bei den Angaben zur Person finden sich in der Niederschrift über diese Einvernahme die Namen und Geburtsdaten der Eltern und des Bruders des Beschwerdeführers sowie deren genaue Anschrift in Tirol. Einem Aktenvermerk vom selben Tag zufolge handelte es sich bei ihnen um Asylwerber.
Bei der Zweiteinvernahme am 13. Mai 2005 gab der Beschwerdeführer an, er sei von England aus nach Österreich gekommen, ohne zuvor nach Russland zurückzukehren, wo er von seinem Bruder getrennt worden sei, bevor er nach England gelangt sei. In England sei sein Asylverfahren abgeschlossen und er sei aufgefordert worden, das Land zu verlassen. Würde er jetzt nach England zurückgebracht, so drohe ihm die Abschiebung nach Armenien. Seine Familie befinde sich in Österreich und er wolle mit ihr zusammen sein. Eine telefonische Kontaktaufnahme mit seinen Angehörigen sei ihm bisher noch nicht gelungen, weil das Telefon jeweils von Personen abgehoben worden sei, die ihn nicht verstanden hätten. Die Rechtsberaterin gab an dieser Stelle zu Protokoll, sie habe die Telefonnummer für den Beschwerdeführer ausfindig gemacht.
Am 20. Mai 2005 wurde der Beschwerdeführer von seinem Unterkunftgeber, European Homecare, von der Betreuungseinrichtung in St. Georgen abgemeldet. Einem darüber am 23. Mai 2005 angelegten Aktenvermerk zufolge war er "lt. EHC ... unbek. Aufenthalt".
Mit Bescheid vom 30. Mai 2005 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 5 Abs. 1 des Asylgesetzes 1997 in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) als unzulässig zurück. Es erklärte das "Vereinigte Königreich Großbritannien" für zuständig und wies den Beschwerdeführer gemäß § 5a AsylG dorthin aus.
Dieser Bescheid wurde - nach Einholung einer Meldeauskunft, aus der sich keine aktuelle Meldeadresse ergab - am 2. Juni 2005 im Akt hinterlegt.
Am 3. Juni 2005 teilte der Beschwerdeführer - einem darüber angelegten Vermerk im Akt und der Eintragung im Asylwerberinformationssystem zufolge - dem Bundesasylamt in St. Georgen ("Erstaufnahmestelle West") telefonisch mit, er halte sich bei seinen Eltern in Tirol auf. Nähere Einzelheiten über das Zustandekommen und weitere Inhalte dieses Telefonates - im Besonderen darüber, was dem Beschwerdeführer in Bezug auf die Zustellung des Bescheides mitgeteilt wurde - gehen aus den vorgelegten Akten nicht hervor.
Das Bundesasylamt verfügte noch am selben Tag die Zustellung des Bescheides an die Adresse in Tirol, wo er am 8. Juni 2005 hinterlegt und in der Folge behoben wurde.
Am 22. Juni 2005 wurde in Innsbruck die Berufung dagegen zur Post gegeben. Ein weiterer Berufungsschriftsatz, in dem als nunmehrige "Zustelladresse" ein Verein in Wien angegeben war, langte von dort aus am 1. Juli 2005 beim Bundesasylamt ein.
Die belangte Behörde holte am 4. Juli 2005 eine neue - für den Zeitraum ab dem 20. Mai 2005 weiterhin negative - Meldeauskunft und einen Speicherauszug aus dem "Betreuungsinformationssystem" ein, der für den Zeitraum ab dem 20. Mai 2005 keine Angaben über den Aufenthalt des Beschwerdeführers enthielt, und richtete am 5. Juli 2005 einen Verspätungsvorhalt an den Beschwerdeführer. Darin wurde ihm mitgeteilt, die belangte Behörde gehe von der Wirksamkeit der Hinterlegung im Akt am 2. Juni 2005 aus. Dieser an die Zustelladresse in Wien gerichtete Vorhalt blieb unbeantwortet.
Mit dem angefochtenen, an dieselbe Adresse zugestellten Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als verspätet zurück.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der im Wesentlichen geltend gemacht wird, der Beschwerdeführer habe beim Verlassen der Unterkunft in St. Georgen im Mai 2005 mitgeteilt, dass er sich zu seinen Eltern nach Tirol begebe. Es sei ihm die Nachsendung der Post zugesagt worden und in der Folge auch erfolgt. Darüber hinaus habe auch die Leitung des Flüchtlingsheimes in Tirol, in dem seine Eltern und sein Bruder untergebracht gewesen seien, dem Flüchtlingsheim in St. Georgen per Fax mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer seinen nunmehrigen Aufenthaltsort in Tirol habe.
Der Beschwerdeführer wurde am 7. November 2005 beim Versuch, sich beim Bundesasylamt in St. Georgen ("Erstaufnahmestelle West") nach dem Verfahrensstand zu erkundigen und um Wiederaufnahme in die Bundesbetreuung zu ersuchen, festgenommen und am 11. November 2005 nach London abgeschoben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Entscheidung der belangten Behörde setzt in rechtlicher Hinsicht voraus, dass die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides durch Hinterlegung im Akt am 2. Juni 2005 wirksam und die nachfolgende Hinterlegung des Bescheides in Tirol daher ohne rechtliche Bedeutung war. Dies war nur der Fall, wenn das Bundesasylamt nicht in der Lage war, "ohne Schwierigkeiten" eine Abgabestelle des Beschwerdeführers - der seine bisherige Abgabestelle ohne Bekanntgabe einer neuen gegenüber dem Bundesasylamt verlassen hatte - festzustellen (§ 8 Abs. 2 Zustellgesetz).
Das Bundesasylamt hatte zu diesem Zweck eine polizeiliche Meldeauskunft eingeholt, der keine aktuelle Meldeadresse des Beschwerdeführers zu entnehmen war, und sich im Übrigen auf die am 23. Mai 2005 festgehaltene Mitteilung von "European Homecare" verlassen, wonach nicht bekannt sei, wohin sich der Beschwerdeführer begeben habe.
Auf den Wahrheitsgehalt dieser Mitteilung oder zwischenzeitliche Informationsflüsse zwischen den beiden Flüchtlingsunterkünften in St. Georgen und Tirol - und somit auch darauf, ob die Beschwerdebehauptungen darüber angesichts des unbeantworteten Verspätungsvorhaltes der belangten Behörde gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot verstoßen - kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des beschriebenen Vorgehens des Bundesasylamtes im vorliegenden Fall nicht an. Das Bundesasylamt selbst wusste nämlich aus den beiden Einvernahmen des Beschwerdeführers, dass dieser seinem wiederholten und ausdrücklichen Vorbringen zufolge überhaupt nur nach Österreich gekommen war, um hier wieder mit seiner Familie zusammen zu kommen. Angesichts dieses Vorbringens und der aktenkundigen Adresse der Angehörigen des Beschwerdeführers hätte es für das Bundesasylamt daher keine "Schwierigkeit" bedeutet, sich davon zu überzeugen, dass der Beschwerdeführer bei ihnen Aufenthalt genommen hatte. Dies dürfte beim Bundesasylamt selbst auch - zutreffend - so gesehen worden und die Erklärung dafür sein, dass einerseits die Zustellung an die Adresse in Tirol vorgenommen und andererseits im Akt keine Belehrung des Beschwerdeführers über die am Vortag erfolgte Hinterlegung des seinen Asylantrag zurückweisenden und seine Ausweisung verfügenden Bescheides im Zuge des Telefonates mit ihm festgehalten wurde.
Da die belangte Behörde dies offenbar verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 30. August 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006190565.X00Im RIS seit
04.10.2007