TE OGH 2006/1/25 9ObA71/05i

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Veröffentlicht am 25.01.2006
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Carl Hennrich und ADir. Reg.Rat Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Herbert L*****, Verschieber, *****, vertreten durch Mag. Dominik Maringer, Rechtsanwalt in Vöcklabruck, gegen die beklagte Partei Österreichische Bundesbahnen, Elisabethstraße 9, 1010 Wien, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte KEG in Wien, wegen EUR 215,88 brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. Jänner 2005, GZ 12 Ra 117/04v-21, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 27. Juli 2004, GZ 19 Cga 240/03x-15, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 166,66 (darin EUR 27,78 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist seit 2. 11. 1992 bei der Beklagten als Verschieber (Hemmschuhleger) beschäftigt. Er ist nicht Mitglied der Gewerkschaft der Eisenbahner.

Am 11. 11. 2003 gab die Gewerkschaft der Eisenbahner bekannt, dass ab 12. 11. 2003, 0.00 Uhr, ein unbefristeter Warnstreik der Mitglieder der Gewerkschaft der Eisenbahner aller Bereiche stattfinde. Der Streik erfolgte wegen der geplanten Veränderungen des Dienstrechts der ÖBB-Bediensteten, von denen auch der Kläger betroffen gewesen wäre.

Der Kläger war für den 12. 11. 2003 zu einer Dienstschicht mit Dienstbeginn 6.30 Uhr und Dienstende 17.30 Uhr und für den 13. 11. 2003 zu einer Dienstschicht mit Dienstbeginn 17.30 Uhr und planmäßigem Dienstende am 14. 11. 2003 um 6.30 Uhr eingeteilt. Er hätte Verschubarbeiten zu verrichten gehabt. Der Kläger fand sich am 12. 11. 2003 an seinem Arbeitsplatz ein und übergab dem Bahnhofsvorstand eine schriftliche Erklärung, dass er sich mit dem Streik der Gewerkschaft der Eisenbahner nicht solidarisch erkläre und arbeitsbereit sei. Wegen des Streiks sei es ihm aber leider nicht möglich, seine Tätigkeiten zu verrichten.

Auf Grund des Streiks war es der Beklagten während des gesamten Streikzeitraums faktisch unmöglich, personen- oder güterbefördernde Züge zu führen oder Verschubarbeiten verrichten zu lassen. Der Kläger konnte keine Dienstleistungen als Verschieber (Hemmschuhleger) verrichten. Ihm wurden keine dienstlichen Arbeitsaufträge erteilt.

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage EUR 215,88 brutto sA. Die Beklagte habe zu Unrecht einen Lohnabzug wegen des Streiks vorgenommen. Er habe ausdrücklich erklärt, nicht mit dem Vorhaben der Gewerkschaft einverstanden zu sein, und habe sich an den Streiktagen arbeitsbereit gemeldet. Es sei ihm jedoch keine Arbeit zugeteilt worden, obwohl er während der gesamten Arbeitszeit am Arbeitsplatz anwesend gewesen sei. Die Dienstverhinderung falle in die Sphäre der Beklagten als Arbeitgeberin. Die kollektive Aktion der Gewerkschaft könne ihm nicht zugerechnet werden.

Die Beklagte wendet ein, dass die Streikmaßnahmen im Streikzeitraum zu einem völligen Erliegen des Zugverkehrs geführt haben. Ihr sei es daher nicht möglich gewesen, den Kläger zu beschäftigen. Die Umstände, die zum Nichtzustandekommen der Dienstleistungen an den Streiktagen führten, seien nicht auf ihrer Seite gelegen. Der Kläger habe nachweislich vom Streik profitiert. Die Streikmaßnahmen haben tatsächlich bewirkt, dass die Bundesregierung von ihren geplanten Eingriffen in das Dienstrecht Abstand genommen habe. Der von der Gewerkschaft initiierte rechtswidrige „politische Streik", der zur Unmöglichkeit der Beschäftigung des Klägers geführt habe, sei nicht der Sphäre der Beklagten zuzurechnen.

Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren statt. Es ging auf der Grundlage der wiedergegebenen Außerstreitstellungen und Feststellungen in rechtlicher Hinsicht zusammenfassend davon aus, dass dem arbeitswilligen Kläger gemäß § 1155 ABGB ein Entgeltanspruch zustehe, weil es beim gegenständlichen Streik der weitaus überwiegenden Zahl der Arbeitnehmer möglich gewesen sei, den Betrieb zu erreichen. Es sei daher kein „die Allgemeinheit" treffendes Ereignis vorgelegen, das einem Anspruch nach § 1155 ABGB entgegenstünde.Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren statt. Es ging auf der Grundlage der wiedergegebenen Außerstreitstellungen und Feststellungen in rechtlicher Hinsicht zusammenfassend davon aus, dass dem arbeitswilligen Kläger gemäß Paragraph 1155, ABGB ein Entgeltanspruch zustehe, weil es beim gegenständlichen Streik der weitaus überwiegenden Zahl der Arbeitnehmer möglich gewesen sei, den Betrieb zu erreichen. Es sei daher kein „die Allgemeinheit" treffendes Ereignis vorgelegen, das einem Anspruch nach Paragraph 1155, ABGB entgegenstünde.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung nur hinsichtlich des die gesetzlichen Zinsen von 4 % übersteigenden Zinsenbegehrens Folge; im Übrigen bestätigte es das klagestattgebende Ersturteil. Das Berufungsgericht billigte die Rechtsauffassung des Erstgerichts. Es sei kein echter Teilstreik vorgelegen, bei dem nur bestimmte Schlüsselpositionen bestreikt worden seien und die Parität der Kampfmittel nicht mehr gewährleistet gewesen sei. Vielmehr sei bloß ein „schlichter" Teilstreik vorgelegen, bei dem einzelne Arbeitnehmer dem Streikaufruf nicht gefolgt seien. Die Arbeitsbereitschaft des Klägers sei nicht bloß eine scheinbare gewesen. Der Streik sei ohne Einfluss auf das öffentliche Leben geblieben. Der Lohnfortzahlungsanspruch des Klägers sei nach § 1155 ABGB zu bejahen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage des Entgeltanspruchs arbeitswilliger Arbeitnehmer im Fall eines schlichten Teilstreiks eine neuere Rechtsprechung fehle.Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung nur hinsichtlich des die gesetzlichen Zinsen von 4 % übersteigenden Zinsenbegehrens Folge; im Übrigen bestätigte es das klagestattgebende Ersturteil. Das Berufungsgericht billigte die Rechtsauffassung des Erstgerichts. Es sei kein echter Teilstreik vorgelegen, bei dem nur bestimmte Schlüsselpositionen bestreikt worden seien und die Parität der Kampfmittel nicht mehr gewährleistet gewesen sei. Vielmehr sei bloß ein „schlichter" Teilstreik vorgelegen, bei dem einzelne Arbeitnehmer dem Streikaufruf nicht gefolgt seien. Die Arbeitsbereitschaft des Klägers sei nicht bloß eine scheinbare gewesen. Der Streik sei ohne Einfluss auf das öffentliche Leben geblieben. Der Lohnfortzahlungsanspruch des Klägers sei nach Paragraph 1155, ABGB zu bejahen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage des Entgeltanspruchs arbeitswilliger Arbeitnehmer im Fall eines schlichten Teilstreiks eine neuere Rechtsprechung fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Beklagten erhobene Revision ist zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

In der zu 8 ObA 23/05y ergangenen Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof zur grundsätzlichen Frage, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber auch nicht streikenden arbeitswilligen Arbeitnehmern das Entgelt verweigern kann, unter ausführlicher Darstellung des Meinungsstands der Lehre Stellung genommen. Der erkennende Senat schließt sich diesen Ausführungen an, sodass es ausreicht, darauf zu verweisen. Es gehört zu den Organisationspflichten des Arbeitgebers, mit denen auch die arbeitsvertragliche Fürsorgepflicht einher geht, dafür Sorge zu tragen, dass die am Streik nicht beteiligten Arbeitnehmer, die ihre Arbeitsbereitschaft ernstlich und ausdrücklich erklären, darüber informiert werden, dass ihre Dienste streikbedingt nicht in Anspruch genommen werden. Den Arbeitgeber trifft somit grundsätzlich die Obliegenheit, den Arbeitnehmer unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass er die angebotene Arbeitsleistung nicht annehmen will oder kann. Er kann sich daher nicht erst im Nachhinein darauf berufen, die Arbeitsbereitschaft des im Betrieb anwesenden Arbeitnehmers sei für ihn deshalb nicht von Vorteil gewesen, weil wegen des Streiks des Großteils der Belegschaft der gesamte Betrieb stillgestanden sei.

Im vorliegenden Fall ist der Kläger jeweils zum planmäßigen Dienstbeginn im Betrieb erschienen, hat seine Arbeitsbereitschaft bekundet und die gesamte planmäßige Dienstzeit in den Betriebsräumlichkeiten verbracht. Damit hat er seine Arbeitsbereitschaft angeboten, ohne dass es zu deren Zurückweisung durch die Beklagte gekommen wäre, die ihm insbesondere auch nicht die Möglichkeit eröffnet hat, mit ihrem Einverständnis den Betrieb zu verlassen und die vorgesehene Dienstzeit anderweitig zu nutzen. Die schon in 8 ObA 23/05y geforderte (ernstliche und ausdrückliche) Erklärung, die Dienste des Klägers (streikbedingt) nicht in Anspruch zu nehmen, hat die Beklagte somit nicht abgegeben. Hat sie aber die Entgegennahme der angebotenen Arbeitsleistungen nicht abgelehnt, kann sie die Zahlung des auf die Streiktage entfallenden Lohns schon aus diesem Grund nicht verweigern.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den Paragraphen 41, Absatz eins,, 50 Absatz eins, ZPO.

Textnummer

E79875

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2006:009OBA00071.05I.0125.000

Im RIS seit

24.02.2006

Zuletzt aktualisiert am

19.01.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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