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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrG 1997 §61 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Glawitsch, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 6. Oktober 2005, Zl. VwSen-400730/7/WEI/An, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der seit 1993 in Österreich aufhältige Beschwerdeführer, ein marokkanischer Staatsangehöriger, wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 23. September 2003 wegen mehrerer Vergehen zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt; gleichzeitig wurde die in vorangegangen Urteilen ausgesprochene bedingte Nachsicht von Freiheitsstrafen im Ausmaß von insgesamt 15 Monaten widerrufen.
Im Hinblick darauf wurde gegen den sich damals in der Justizanstalt Suben in Strafhaft befindlichen Beschwerdeführer mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schärding (im Folgenden: BH) vom 8. August 2005 gemäß § 36 Abs. 1 und 2 Z 1 des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen und einer Berufung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt I.). Unter einem wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 FrG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung "mit Wirkung ab Beendigung der gerichtlichen Haft" angeordnet (Spruchpunkt II.). Die Begründung dieses Bescheides bezog sich nur auf das Aufenthaltsverbot.
Die Schubhaft wurde im Anschluss an die Gerichtshaft ab 12. August 2005 bis zur Entlassung des Beschwerdeführers am 23. August 2005 vollzogen.
Am 25. August 2005 erhob der Beschwerdeführer an den Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Oberösterreich (die belangte Behörde) eine Schubhaftbeschwerde, die mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 6. Oktober 2005 als unbegründet abgewiesen wurde.
Begründend führte die belangte Behörde aus, die Vorgangsweise der BH möge zwar ungewöhnlich und unzweckmäßig sein, erscheine aber nicht unzulässig. Dass die BH in der Begründung "zwischen den Spruchpunkten nicht näher unterschieden" und "in der Hauptsache" zum Aufenthaltsverbot ausgeführt habe, bedeute entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers "noch keine vollkommen 'begründungslose Haftverhängung', sondern bloß einen formellen Begründungsmangel". Da die Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht auch der Begründung des Schubhaftbescheides dienten, sei dieser Begründungsmangel nicht wesentlich. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes in dem Erkenntnis vom 24. Februar 1995, Zl. 95/02/0019, sei ein Schubhaftbescheid nicht schon deshalb rechtswidrig, weil seine Begründung nicht den Erfordernissen des § 60 AVG genüge.
In der Sache führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, sie habe nur zu prüfen, ob das für die Festnahme und Anhaltung in Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung eine mittelbare Tatbestandswirkung erzeugende Aufenthaltsverbot nach wie vor aufrecht sei. Da der gegen das Aufenthaltsverbot eingebrachten Berufung die aufschiebende Wirkung aberkannt worden sei, habe im Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot bestanden. Daran sei die belangte Behörde gebunden.
Wie sich aus den fremdenbehördlichen Akten ergebe, habe der Beschwerdeführer - so führte die belangte Behörde unter Wiedergabe seiner Stellungnahme vom 19. April 2005 näher aus - weiterhin in Österreich leben und einer Beschäftigung nachgehen wollen. Demnach stehe "außer Zweifel", dass der Beschwerdeführer nicht bereit gewesen wäre auszureisen. Die BH habe "nach den aktenkundigen Umständen" von vornherein davon ausgehen können, dass der Beschwerdeführer seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nicht nachgekommen wäre. Es sei nach dem gesamten bisherigen Fehlverhalten des Beschwerdeführers auch nicht anzunehmen, dass er sich den angeordneten fremdenrechtlichen Maßnahmen "beugen" werde. Die Schwere der begangenen Straftaten, die Außerachtlassung der Resozialisierungschance nach den ersten beiden (teil)bedingten Verurteilungen trotz Hafterfahrung sowie der rasche Rückfall nach knapp einem halben Jahr ließen befürchten, dass sich der bisher unbelehrbare Beschwerdeführer auf freiem Fuß dem Zugriff der Fremdenbehörden entziehen werde. Ausreiseunwilligkeit rechtfertige aber jedenfalls die Verhängung der Schubhaft.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 28. Februar 2006, B 3405/05-3, ablehnte und sie in der Folge dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die auftragsgemäß ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
1. Gemäß § 61 Abs. 1 erster Satz FrG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um (u.a.) die Abschiebung zu sichern. Grundlage für die - noch vor Erlassung des angefochtenen Bescheides wieder beendete - Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung war der Bescheid der BH vom 8. August 2005. Dieser enthält in Bezug auf das Vorliegen der Voraussetzungen für die Schubhaft jedoch keine Begründung. Insbesondere sind ihm überhaupt keine argumentativen Überlegungen zum Sicherungsbedarf und zur Verhältnismäßigkeit zu entnehmen. Das kritisiert der Beschwerdeführer - wie schon in der Schubhaftbeschwerde - im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu Recht.
2. In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass ein die Schubhaft anordnender Bescheid einer den Erfordernissen der §§ 58, 60 AVG entsprechenden Begründung bedarf. Soweit die Ausführungen der belangten Behörde Gegenteiliges zu unterstellen scheinen, hat das keine gesetzliche Grundlage. In dem von der belangten Behörde zitierten Erkenntnis wurde vielmehr fallbezogen nur die Relevanz eines allfälligen Begründungsmangels verneint.
3. Entgegen der Meinung der belangten Behörde genügt diesen Anforderungen nicht, dass "die Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht auch der Begründung des Schubhaftbescheides dienen", weil dem Bescheid der BH weder zu entnehmen ist, welchen Sachverhaltselementen auch für die Schubhaftanordnung maßgebliche Bedeutung zukommen soll, noch erkennbar ist, welche rechtlichen Schlüsse daraus zu folgern wären. Vielmehr bewirkt das gänzliche Fehlen nachvollziehbarer Begründungselemente zur Rechtfertigung des angeordneten Freiheitsentzuges dessen Rechtswidrigkeit. Das wäre von der belangten Behörde wahrzunehmen gewesen, was sie in Verkennung der Rechtslage unterlassen hat.
4. Überdies ist auch die im angefochtenen Bescheid vertretene Auffassung rechtlich verfehlt, die bloße Ausreiseunwilligkeit erlaube jedenfalls die Schubhaftverhängung. Demgegenüber vermag nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die fehlende Ausreisewilligkeit eines Fremden für sich allein die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nicht zu rechtfertigen. Es ist nämlich in einem zweiten Schritt die Frage des Bestehens eines Sicherungsbedarfes zu prüfen, der insbesondere im Fall mangelnder sozialer Verankerung im Inland, die allerdings in einem mängelfreien Verfahren abzuklären und nachvollziehbar zu begründen wäre, bejaht werden könnte (vgl. das Erkenntnis vom 27. März 2007, Zl. 2005/21/0381, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 8. September 2005, Zl. 2005/21/0301). Schließlich hat der Verwaltungsgerichtshof auch schon mehrfach betont, dass in Bezug auf die Annahme eines Sicherungsbedarfes aus Überlegungen zu dem den strafgerichtlichen Verurteilungen zugrundeliegenden Fehlverhalten allein nichts zu gewinnen ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22. Juni 2006, Zl. 2006/21/0081; siehe zum Ganzen zuletzt das ebenfalls zum FrG ergangene Erkenntnis vom 28. Juni 2007, Zl. 2004/21/0003).
5. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 30. August 2007
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006210107.X00Im RIS seit
16.10.2007