TE Vfgh Erkenntnis 2002/12/5 G227/02

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Veröffentlicht am 05.12.2002
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Index

L3 Finanzrecht
L3400 Abgabenordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
BAO §311
WAO §185 Abs3
WAO §243 Abs3

Leitsatz

Keine sachliche Rechtfertigung sowie Widerspruch der generellen Verlängerung der Devolutionsfrist für Rückzahlungsanträge in der Wiener Abgabenordnung zum Grundsatz der Effizienz des Rechtsschutzes; Rechtfertigung allenfalls für einzelne Massenverfahren wie der Erstattung der Getränkesteuer

Spruch

§243 Abs3 des Gesetzes vom 21. September 1962, betreffend allgemeine Bestimmungen und das Verfahren für die von den Abgabenbehörden der Stadt Wien verwalteten Abgaben (Wiener Abgabenordnung - WAO), LGBl. Nr. 21, in der Fassung LGBl. Nr. 9/2000, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. März 2003 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Landeshauptmann von Wien ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Zur Rechtslage:

1.1. Mit ArtI des Gesetzes LGBl. 9/2000 hat der Wiener Landesgesetzgeber (u.a.) jene Bestimmung (§185) der Wiener Landesabgabenordnung (im folgenden: WAO), LGBl. 21/1962, novelliert, die die Rückzahlung von Guthaben der Abgabepflichtigen zum Gegenstand hat; §185 Abs3 leg.cit. wurde durch die Novelle LGBl. 7/2001 nochmals geändert. Die Vorschrift hat nunmehr folgenden Wortlaut:

"(1) Der Abgabepflichtige kann die Rückzahlung von Guthaben (§162 Abs2) beantragen. Die Rückzahlung kann auch von Amts wegen erfolgen.

(2) Gegen den Rückzahlungsbetrag können der Höhe nach festgesetzte Abgabenschuldigkeiten aufgerechnet werden, die der Abgabepflichtige nicht später als drei Monate nach der Stellung des Rückzahlungsantrages zu entrichten haben wird.

(3) Ein Rückzahlungsanspruch steht insoweit nicht zu, als die Abgabe wirtschaftlich von einem Anderen als dem Abgabepflichtigen getragen wurde; insoweit führt die Herabsetzung der Abgabenfestsetzung durch Selbstbemessung oder Abgabenbescheid auch nicht zu einer Gutschrift. Soweit eine derart überwälzte Abgabe noch nicht entrichtet wurde, hat die Abgabenbehörde diese mit gesondertem Bescheid vorzuschreiben.

(4) Abs3 ist nicht anzuwenden auf Abgabepflichtige, soweit ihnen die Anlassfallwirkung für eine vom Verfassungsgerichtshof als rechtswidrig erkannte Abgabenvorschrift zukommt."

1.2. §243 WAO, der unter der Überschrift "Entscheidungspflicht" steht, hatte in der Fassung vor der Novelle LGBl. 9/2000 folgenden Wortlaut:

"(1) Die Abgabenbehörden sind verpflichtet, über die in Abgabenvorschriften vorgesehenen Anbringen (§59) der Parteien ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden.

(2) Werden Bescheide der Abgabenbehörden erster Instanz mit Ausnahme solcher Bescheide, die auf Grund von Abgabenerklärungen zu erlassen sind, der Partei nicht innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen der Anbringen zugestellt, so geht auf schriftliches Verlangen der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz über. Ein solcher Antrag ist unmittelbar bei der Abgabenbehörde zweiter Instanz einzubringen; er ist abzuweisen, wenn die Verspätung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Abgabenbehörde erster Instanz zurückzuführen ist."

Mit ArtI des bereits oben zitierten Gesetzes, mit dem die WAO geändert wird, LGBl. 9/2000, wurde dem §243 ein dritter Absatz - die in Prüfung gezogene Bestimmung - mit folgendem Wortlaut angefügt:

"(3) Für Verfahren nach §185 verlängert sich der in Abs2 genannte Zeitraum von sechs Monaten auf zwei Jahre."

Art II der Novelle LGBl. 9/2000 zur WAO bestimmt, daß ArtI "auch auf vor der Kundmachung dieses Gesetzes entstandene Steuerschuldverhältnisse anzuwenden" ist.

2. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu Zl. B1551/01 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde gegen einen Bescheid der Abgabenberufungskommission Wien vom 21. September 2001 anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

2.1. Der Beschwerdeführer betreibt in Wien einen Gastronomiebetrieb und hatte für das Kalenderjahr 1999 Getränkesteuer iHv 10 vH der Bemessungsgrundlage für alkoholische Getränke und 5 vH der Bemessungsgrundlage für nicht alkoholische Getränke zu leisten. Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2000 beantragte er die Rückzahlung der für das Jahr 1999 - seiner Meinung nach - zu Unrecht entrichteten Getränkesteuer auf alkoholische Getränke. Über diesen Antrag wurde von der Abgabenbehörde erster Instanz nicht entschieden, sodaß der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 24. April 2001 an die Abgabenbehörde zweiter Instanz einen Devolutionsantrag richtete.

Mit dem (nunmehr) angefochtenen Bescheid vom 21. September 2001 wies die Abgabenbehörde zweiter Instanz den am 26. April 2001 eingelangten Devolutionsantrag als unzulässig zurück, da der Antrag, der ein Verfahren nach §185 WAO betreffe, vor Ablauf der zweijährigen Devolutionsfrist eingebracht worden sei.

2.2. Bei der Behandlung der Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §243 Abs3 WAO, in der Fassung LGBl. 9/2000, entstanden. Der Gerichtshof hat daher das Beschwerdeverfahren mit Beschluß vom 28. Juni 2002 unterbrochen und von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich der eben genannten Bestimmung eingeleitet.

2.3. Die Erwägungen, die den Gerichtshof zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens veranlaßt hatten, legte er in seinem Prüfungsbeschluß wie folgt dar:

"2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in dem an seine ständige Rechtsprechung zum rechtsstaatlichen Prinzip anknüpfenden Erkenntnis VfSlg. 11.196/1986 betreffend §254 BAO ausgesprochen hat, müssen Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen, womit nicht nur die Erlangung einer Entscheidung rechtsrichtigen Inhalts, sondern auch die Umsetzung einer solchen Entscheidung in den Tatsachenbereich zu verstehen sei. Der Verfassungsgerichtshof vertrat in diesem Erkenntnis die Auffassung, daß es nicht angehe, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange zu belasten, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt sei. Zu berücksichtigen seien in diesem Zusammenhang nicht nur die Position des Rechtsschutzwerbers, sondern auch Zweck und Inhalt der Regelung, ferner die Interessen Dritter sowie das öffentliche Interesse. Der Gesetzgeber habe unter diesen Gegebenheiten einen Ausgleich zu schaffen, wobei aber dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfes der Vorrang zukäme und dessen Einschränkung nur aus sachlich gebotenen, triftigen Gründen zulässig sei; auf welche Weise dieser Ausgleich vom Gesetzgeber vorgenommen werde, lasse sich nicht allgemein sagen (vgl. hiezu außerdem VfSlg. 12.409/1990, 12.683/1991, 13.003/1992, 13.182/1992, 13.305/1992, 13.493/1993, 14.039/1995, 14.374/1995, 14.548/1996, 14.765/1997, 15.218/1998 sowie das hg. Erkenntnis vom 1. März 2002, G319/01).

2.2. Die österreichische Bundesverfassung hat durch das Instrument der Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (Art130 Abs1 litb iVm Art132 B-VG) die Voraussetzungen dafür geschaffen, Parteien eines Verwaltungsverfahrens vor einer Rechtsverweigerung oder einer ungebührlichen Rechtsverzögerung durch die Verwaltungsbehörde zu schützen. Sie gewährt somit - als Ausfluß des rechtsstaatlichen Prinzips - Rechtsschutz auch gegen Untätigkeit von Behörden, gibt somit dem, der Anspruch auf eine behördliche Entscheidung hat, auch das Instrument zur Erzwingung dieser Entscheidung in die Hand (vgl. dazu Winkelhofer, Säumnis von Verwaltungsbehörden, Wien 1991, 15 ff.). Bei der Ausgestaltung dieses Rechtsschutzinstrumentes besitzt der einfache Gesetzgeber im Rahmen des verfassungsrechtlich Gebotenen freilich einen Gestaltungsspielraum.

Der Wiener Landesgesetzgeber hat diesen Spielraum so genutzt, daß er in §243 WAO zunächst die Abgabenbehörden allgemein zur Entscheidung 'ohne unnötigen Aufschub' verpflichtet und im übrigen der Abgabenbehörde erster Instanz für bescheidmäßige Erledigungen (mit Ausnahme solcher, die aufgrund von Abgabenerklärungen zu erlassen sind) eine sechsmonatige Frist einräumt. (Der Gerichtshof geht dabei - in Übereinstimmung mit seiner Rechtsprechung zur früheren Fassung des §311 Abs2 BAO - davon aus, daß bei Bescheiden, die aufgrund von Abgabenerklärungen zu erlassen sind, keine Devolutionsmöglichkeit besteht, sondern binnen sechs Monaten Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art132 B-VG iVm §27 VwGG erhoben werden kann; vgl. das hg. Erkenntnis VfSlg. 12.167/1989.)

Anträge auf Rückerstattung von im Wege der Selbstbemessung entrichteten Abgaben mit der Begründung, die Abgabenentrichtung habe sich - etwa im Hinblick auf eine Gemeinschaftsrechtswidrigkeit oder eine Verfassungswidrigkeit der zugrundeliegenden Norm - als unrichtig erwiesen, haben zum Ziel, die Rechtswirkung der Abgabenfestsetzung durch Selbstbemessung zu beseitigen, tragen somit Rechtsbehelfscharakter. Die aufgrund solcher Anträge ergehenden Bescheide sind daher nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. den dg. Beschluß vom 26. April 1999, Zl. 99/17/0173), der der Verfassungsgerichtshof beipflichtet, nicht solche, die aufgrund von Abgabenerklärungen zu ergehen haben. Der Ausschluß der Devolution nach §243 Abs2 WAO umfaßt daher Anträge auf Festsetzung und Rückerstattung von Selbstbemessungsabgaben nicht (vgl. wiederum den eben zitierten Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. April 1999). Für solche Anträge würde - mangels abweichender Regelung - daher die allgemeine Devolutionsfrist von sechs Monaten gelten.

2.3. Wenn nun §243 Abs3 WAO für Verfahren nach §185 leg.cit.

- somit für Verfahren, bei denen es um die Rückzahlung von Guthaben geht - die Devolutionsfrist für die Entscheidung der Abgabenbehörde erster Instanz von sechs Monaten auf zwei Jahre verlängert, so dürfte dies - nach der vorläufigen Annahme des Gerichtshofes - dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfes widersprechen, kann doch der Abgabepflichtige, sollte die Behörde erster Instanz die Entscheidung über einen Rückzahlungsantrag, dem inhaltlich anscheinend der Charakter eines Rechtsbehelfes zukommt, aus welchen Gründen auch immer nicht treffen, den Übergang der Entscheidungspflicht auf die Oberbehörde erst nach Ablauf von zwei Jahren erreichen. Für eine solche Regelung, die anscheinend das zur Bekämpfung von Behördenuntätigkeit bei Rechtsbehelfen bereit gestellte Rechtsschutzinstrumentarium in seiner Effizienz beeinträchtigt, bedürfte es, wie der Gerichtshof in VfSlg. 11.196/1986 dargelegt hat, triftiger sachlicher Gründe. Zum selben Ergebnis dürfte die Überlegung führen, daß es vor dem Hintergrund des aus dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz abzuleitenden Sachlichkeitsgebotes anscheinend hinreichender sachlicher Gründe bedürfte, warum für Anträge über Abgabenrückzahlungen eine Devolutionsfrist vorgesehen ist, die das Vierfache der normalen Frist ausmacht.

2.4. Der Gerichtshof kann solche Gründe - jedenfalls vorläufig - nicht erkennen. Wenn die belangte Behörde in diesem Zusammenhang darauf hinweist, daß die Vorschrift 'ausschließlich deshalb zwingend erforderlich' gewesen sei, um unter Anspannung sämtlicher verfügbarer Ressourcen eine den rechtsstaatlichen Prinzipien entsprechende Abwicklung der sich aufgrund des EuGH-Urteiles vom 9. März 2000, Rs. C-437/97, ergebenden Abgabenverfahren zu ermöglichen, so scheint dem Gerichtshof dies - vorläufig - schon deswegen nicht überzeugend, weil es grundsätzlich nicht möglich sein dürfte, Beeinträchtigungen des Rechtsschutzes mit mangelhafter personeller Ausstattung zu rechtfertigen (vgl. dazu im Zusammenhang mit Art6 EMRK auch das hg. Erkenntnis vom 5. Dezember 2001, B4/01, mwN). Im übrigen gilt die getroffene Regelung generell für alle Rückzahlungsverfahren, somit nicht nur für solche, die bloß indirekte Steuern (bei denen evt. Überwälzungsvorgänge strittig sein können) oder bloß Selbstbemessungsabgaben betreffen. Auch Abs3 des §185 WAO bezieht sich zumindest dem Wortlaut nach nicht bloß auf Fälle, in denen über Rückzahlungsansprüche aufgrund von Normprüfungsverfahren und Normaufhebungen zu entscheiden ist.

Selbst wenn es daher zutreffen sollte, daß die Abgabenbehörden der Länder weder personell noch organisatorisch dafür eingerichtet sind, die im Gefolge der zitierten EuGH-Entscheidung zu erledigende große Zahl von Rückzahlungsanträgen jeweils innerhalb der normalen Devolutionsfrist zu bewältigen, dürfte dies die in §243 Abs3 WAO vorgesehene generelle Verlängerung der Devolutionsfrist auf das Vierfache nicht rechtfertigen. Dem Gerichtshof scheint in diesem Zusammenhang auch von Bedeutung, daß die Abgabenordnungen der anderen Bundesländer vergleichbare Regelungen nicht vorsehen, die dortigen Landesgesetzgeber somit eine Bewältigung der Getränkesteuer-Rückzahlungsanträge offenbar innerhalb der allgemeinen Frist für möglich erachtet haben, wobei wohl nicht davon ausgegangen werden kann, daß dort die personell/organisatorische Ausstattung der Behörden im Verhältnis zu der Zahl der zu bewältigenden Anträge ungleich besser ist.

2.5. Soweit die belangte Behörde zu den in der Beschwerde behaupteten Zinsennachteilen (sinngemäß) vorbringt, daß ein Zinsennachteil gar nicht bestehe, weil die Abgabe in der Regel ohnehin überwälzt worden sei, so daß der Zinsenentgang den Letztverbraucher treffe, so ist dieses Argument für den Gerichtshof wenigstens vorderhand nicht nachvollziehbar: Wesentlicher Gegenstand der hier in Rede stehenden, auf §185 Abs3 WAO gestützten Rückzahlungsverfahren ist anscheinend die Frage, ob die Abgabe wirtschaftlich von einem anderen getragen wurde. Ist dies der Fall, dann steht der Rückzahlungsanspruch nicht zu; die Frage der Verzinsung stellt sich also gar nicht. Zu einer positiven Erledigung des Rückzahlungsantrages dürfte es hingegen nur kommen, wenn die Abgabe vom Antragsteller selbst getragen, somit nicht überwälzt wurde. In diesem Fall dürften aber auch die Zinsennachteile beim Antragsteller - und nicht beim Letztverbraucher - gegeben sein."

3. Die Wiener Landesregierung erstattete im Gesetzesprüfungsverfahren auf Grund ihres Beschlusses vom 10. September 2002 eine Äußerung, in der sie den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes entgegentritt und beantragt, die in Prüfung gezogene Regelung nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Für den Fall der Aufhebung stellt sie den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen, um die erforderlichen legistischen und organisatorischen Vorkehrungen treffen zu können.

3.1. In ihrer Äußerung vertritt die Wiener Landesregierung die Auffassung, daß hinreichend sachliche Gründe vorhanden seien, die die Verlängerung der Devolutionsfrist auf das Vierfache der normalen Frist rechtfertigen könnten, und legt diese Gründe sodann im einzelnen dar:

3.1.1. Nach Auffassung der Wiener Landesregierung bestehe ein Spannungsverhältnis zwischen der grundsätzlichen Anordnung des §243 Abs1 WAO und den Devolutionsmöglichkeiten der folgenden Absätze dieses Paragraphen. Die in §243 Abs1 leg.cit. normierte Verpflichtung ("Die Abgabenbehörden sind verpflichtet, über die in Abgabenvorschriften vorgesehenen Anbringen ... der Parteien ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden.") werde sowohl durch die individuellen Probleme des einzelnen Verwaltungsaktes als auch durch die Berücksichtigung der notwendigen und zeitgleichen Erledigung gleichartiger Verwaltungsakte determiniert.

Wörtlich führt sie hiezu folgendes aus:

"Wenn daher z.B. innerhalb kurzer Zeit Rückzahlungsanträge in großer Zahl eingebracht werden, kann eine sachgerechte Erledigung insgesamt nur so erfolgen, dass nicht einzelne Antragsteller zulasten anderer bevorzugt werden, sondern die entscheidungsreifen Fälle insgesamt in einer vertretbaren bestmöglichen Zeitspanne erledigt werden. Andererseits wirkt dieses Spannungsverhältnis auch dahingehend, dass ungeachtet der Länge der Devolutionsfrist die Erledigung im Einzelfall unter Umständen auch wesentlich früher bzw. unverzüglich zu erfolgen hat."

3.1.2. Die Wiener Landesregierung weist daraufhin, daß bereits die belangte Behörde die Auffassung vertreten habe, daß die in Prüfung gezogene Vorschrift erforderlich gewesen sei, "um unter Anspannung sämtlicher verfügbarer Ressourcen eine den rechtsstaatlichen Prinzipien entsprechende Abwicklung der sich auf Grund des EuGH-Urteils vom 9. März 2000, Rs. C-437/97, ergebenden Abgabenverfahren zu ermöglichen".

Nach Auffassung der Wiener Landesregierung sei diese Aussage nicht so zu verstehen, daß damit eine Beeinträchtigung des Rechtsschutzes mit mangelhafter personeller Ausstattung gerechtfertigt würde. Im Rahmen seines - auch vom Verfassungsgerichtshof anerkannten - Gestaltungsspielraumes habe aber der Wiener Landesgesetzgeber eine Lösung gefunden, die sowohl die Schwierigkeiten der neuen Rechtslage (Überwälzungsprüfung) als auch die faktischen Gegebenheiten (Massenverfahren durch Beseitigung von Normen) adäquat berücksichtige.

Wörtlich wird hiezu folgendes ausgeführt:

"Auszugehen ist bei der Rückerstattung von Selbstbemessungsabgaben von den allgemeinen Anforderungen an eine vorherige bescheidmäßige Festsetzung der Abgabe. Hinzu kommt, dass im Zuge von derart systematischen Revisionen auch Steuerhinterziehungen und Steuerverkürzungen aufgedeckt werden und allein die Abwicklung dieser Steuerfestsetzungen (als Voraussetzung für die Erledigung des Rückzahlungsantrages) mehr als sechs Monate Bearbeitungszeit erfordert.

Mit der im Punkt 1. dargestellten Einführung der Überwälzungsprüfung - als weiterer Voraussetzung für die Erledigung eines Rückzahlungsantrages - waren neue und zusätzliche komplexe Anforderungen verbunden.

Zur Neuheit ist festzustellen, dass explizite abgabenrechtliche Sonderbestimmungen zur Verhinderung ungerechtfertigter Bereicherungen von Abgabepflichtigen bis zur Änderung der Landesabgabenordnungen in den Jahren 1999/2000 im österreichischen Abgabenrecht nicht effektuiert wurden. Es war daher zum Zeitpunkt der Einführung der Überwälzungsprüfung noch nicht gesichert, welche Methoden, Argumentationslinien und Beweise vor den Höchstgerichten Anerkennung finden werden.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 29. November 2000, Zahl B1735/00 Punkt III. 3.2.a), dazu ausgeführt:

'Dem Verfassungsgerichtshof ist durchaus bewusst, dass die Überwälzung einer Abgabe ein tatsächlicher Vorgang ist, dessen Gelingen im Einzelfall von wirtschaftlichen Umständen abhängt, aber auch von rechtlichen Regelungen beeinflusst wird und dass es - unter Umständen erheblichen - Schwierigkeiten begegnen kann, die Überwälzung oder Nichtüberwälzung festzustellen.'

...

Außerdem ist bei der neuen Überwälzungsprüfung auch die 'Gemeinschaftsrechtliche Dimension' zu beachten. Die Europäische Kommission hat in der Rechtssache C-147/01 in ihrer Stellungnahme vom 6. August 2001 dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften eine zusätzliche Vertiefung der Prüfung bei Rückzahlungsanträgen vorgeschlagen; in ihren Ausführungen unter den Randnummern 39 bis 41 regt sie eine Klarstellung dahingehend an, dass im Zuge der Rückerstattungsverfahren bei der Kalkulation einer allfälligen Bereicherung der wegen der rechtswidrigen Getränkesteuer verminderte Gewinn berücksichtigt werden müsste. Aus Gründen der Authentizität erlaubt sich die Wiener Landesregierung eine Kopie dieser Stellungnahme ihrer Äußerung als Beilage anzuschließen.

Obwohl zu diesen Kommissionsvorschlägen noch keine Entscheidung ergangen ist, zeigt die geforderte differenzierte Behandlung der Erstattungsanträge doch signifikant sowohl die zunächst bestehenden Unsicherheiten als auch den möglicherweise enormen Prüfungsumfang auf.

Die zweite Wurzel für die angefochtene Bestimmung liegt in der Erkenntnis, dass mit der Aufhebung und Rückerstattung einer Abgabe - unabhängig davon, ob der Anlass im innerstaatlichen Recht oder im Gemeinschaftsrecht begründet ist - zwangsläufig Massenverfahren ausgelöst werden, da sich einerseits Abgaben in der Regel an einen großen Adressatenkreis richten und andererseits kein Abgabepflichtiger auf einen möglichen finanziellen Vorteil verzichten wird. Im Fall der Getränkesteuer z.B. existieren in Wien allein rund 10.000 Steuerkonten, bei der Kommunalsteuer sind es über 50.000 Steuerkonten und bei den Wasser- und Abwassergebühren rund 100.000 Konten.

Es liegt in der Natur der Sache, dass die massenhaften Rückzahlungsanträge bei Aufhebung von Normen innerhalb einer relativ kurzen Zeit vor und nach dem Zeitpunkt der Entscheidung gestellt werden und der Abgabenbehörde somit in zeitlicher Hinsicht eine in sechs Monaten nicht zu bewältigende Leistung aufgebürdet würde."

3.1.3. Die Wiener Landesregierung weist überdies darauf hin, daß der "Wettlauf der Abgabepflichtigen um eine möglichst rasche Rückerstattung und die daraus resultierenden Devolutionen" die Abgabenbehörde erster Instanz durch Interventionen, Vorlageberichte und Aktenübermittlungen derart belasteten, daß die Erledigungskapazität für die materielle Erledigung der Anträge insgesamt erheblich absinke. Hinzu käme, daß die notwendigen Erhebungen und Prüfungen bis hin zur Feststellung einer ziffernmäßig bestimmten Rückzahlungssumme in der Realität weder von der zweiten Instanz noch vom Verwaltungsgerichtshof geleistet werden könnten und daher auch nach einem Übergang der Entscheidungspflicht die Erstbehörde beauftragt werde, die entsprechenden Ermittlungen durchzuführen. "Bei einem massierten Auftreten von Devolutionen würde daher auf Grund der damit verbundenen Versendung von Akten und Erhebungsaufträgen für alle Antragsteller nur eine vermeidbare Verzögerung aber keine tatsächliche Beschleunigung der Rückzahlung herbeigeführt werden."

3.1.4. Dem Argument des Verfassungsgerichtshofes, es sei grundsätzlich nicht möglich, Beeinträchtigungen des Rechtsschutzes mit mangelhafter personeller Ausstattung zu rechtfertigen, hält die Wiener Landesregierung folgendes entgegen:

"Wenn man diese Aussage so versteht, dass bei Massenverfahren im Zuge der Aufhebung einer Abgabe auf Grund des erheblichen Mehraufwandes primär die personelle Ausstattung der Abgabenbehörde zu verbessern ist, so muss man einkalkulieren, dass schon die Rekrutierung von qualifiziertem Personal für eine auslaufende Tätigkeit jedenfalls Zeit erfordert und die anschließende Einschulung einerseits das vorhandene Personal bindet und anderseits einen mehrmonatigen Vorbereitungszeitraum erfordert. Unter diesen Prämissen ist die Wiener Landesregierung jedenfalls der Auffassung, dass zwei Jahre Devolutionsschutz bis zur erstinstanzlichen Entscheidung sachgerecht und vertretbar sind."

3.2. Die Wiener Landesregierung verweist sodann auf §311 BAO, in der Fassung BGBl. 312/1987, der für auf Grund von Abgabenerklärungen zu erlassende Bescheide eine Devolutionsfrist von einem Jahr und für Bescheide über die Feststellung der Einheitswerte des Grundbesitzes anläßlich einer Hauptfeststellung sogar eine Devolutionsfrist von drei Jahren normiere. Die Erläuterungen führten hiezu - im wesentlichen - aus, daß die Verlängerung der Devolutionsfrist deshalb vorgenommen worden sei, weil im Zuge der von den Abgabenbehörden des Bundes durchzuführenden Massenverfahren eine Häufung von Abgabenerklärungen festzustellen sei, alle drei Jahre die Hauptfeststellung der Einheitswerte des Betriebsvermögens sowie die Hauptveranlagung zur Vermögensteuer durchzuführen sei und diese Aufgaben von der Finanzverwaltung zusätzlich - ohne Personalvermehrung - bewältigt werden müßten. Für Bescheide über die Feststellung der Einheitswerte des Grundbesitzes (land- und forstwirtschaftliches Vermögen, Grundvermögen und Betriebsgrundstücke) anläßlich der Hauptfeststellung sei eine Frist von drei Jahren vorgeschlagen worden, weil allein im Bereich des Grundvermögens ca. 1,7 Millionen Einheitswertbescheide und ebenso viele Grundsteuermeßbescheide zu erlassen seien.

"Aus dieser bundesrechtlichen Argumentation zur Verlängerung der Entscheidungspflicht ergibt sich einerseits die grundsätzliche Vertretbarkeit einer Verlängerung bis zu drei Jahren und andererseits die Tatsache, dass dabei auch Machbarkeitsüberlegungen zur Bewältigung von Massenverfahren einfließen können."

3.3. Dem vom Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluß geäußerten Bedenken, daß die getroffene Regelung generell für alle Rückzahlungsverfahren gelte und nicht nur für solche, die bloß indirekte Steuern (bei denen Überwälzungsvorgänge strittig seien) oder bloß Selbstbemessungsabgaben betreffen, hält die Wiener Landesregierung wörtlich folgendes entgegen:

"Zu diesem Punkt ist jedoch gerade auf den weitgespannten Anwendungsbereich der Wiener Abgabenordnung (vgl. §1) zu verweisen, der unter anderem auch die bundesrechtlich normierte Kommunalsteuer und die Gebühren für kommunale Leistungen umfasst.

Gerade diese Bandbreite von unterschiedlichen Abgaben bewirkt ein enormes Potential von Rückerstattungsproblemen, sofern deren Rechtsgrundlagen aus gemeinschaftsrechtlichen oder verfassungsrechtlichen Gründen aufgehoben würden. Getränkesteuer und Kommunalsteuer sind Selbstbemessungsabgaben; den strittigen Überwälzungsvorgängen bei der Getränkesteuer stünde bei der Kommunalsteuer der Revisionsaufwand für die Feststellung der Bemessungsgrundlagen (z.B. Entgelte der Gesellschafter-Geschäftsführer) und die fünffache Zahl der Abgabenkonten gegenüber.

Bei den Wasser-/Abwassergebühren gibt es andererseits bescheidmäßige Festsetzungen, und ebenfalls Überwälzungsvorgänge (auf die Mieter der Wohnungseinheiten) sowie einen potentiellen Kreis von 100.000 Abgabenkonten (Antragstellern).

Diese typischen Beispiele zeigen, dass eine Einschränkung der zweijährigen Devolutionsfrist auf bestimmte Abgabentypen keine zukunftsträchtige Lösung dargestellt hätte und die Frist in Wahrheit bereits eine Untergrenze darstellt, die durch die Möglichkeiten der Personal-Rekrutierung und Ausbildung abgesteckt wird.

Die unter dem Schutz des §243 Abs3 WAO stehenden Rückzahlungsverfahren beziehen sich bei systematischer Interpretation und lebensnaher Betrachtung nur auf Fälle, in denen über Rückzahlungsansprüche auf Grund von Normprüfungsverfahren und Normaufhebungen zu entscheiden ist.

Nur in diesen Fällen kommt es nämlich zu potentiellen Rückzahlungsbeträgen, die nicht mit nachfolgenden Fälligkeiten (vgl. §185 Abs2 WAO) ausgeglichen werden können. Im Übrigen ist es eine Erfahrungstatsache, dass Steuerpflichtige in zweifelhaften Randbereichen die Frage des Umfanges der Steuerpflicht nicht zu Gunsten des Steuergläubigers lösen oder zumindest den Zeitpunkt der tatsächlichen Entrichtung in zulässiger Weise hinausschieben."

3.4. Zum - vom Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluß angestellten - Vergleich der in Prüfung gezogenen Regelung mit den Abgabenordnungen der anderen Bundesländer und der Frage, ob die anderen Landesgesetzgeber nicht offenbar eine Bewältigung der Getränkesteuer-Rückzahlungsanträge innerhalb der allgemeinen Frist für möglich erachtet haben, führt die Wiener Landesregierung aus, daß "die Wiener Regelung" nicht nur für die aktuellen Getränkesteuer-Rückzahlungsanträge, sondern generell für den Fall von Normaufhebungen geschaffen worden sei; sie diene dazu, den unterschiedlichen Anforderungen aller in Betracht kommenden abgabenrechtlichen Konstruktionen (z.B. großer Ermittlungsaufwand, große Anzahl an Abgabenkonten) gerecht zu werden. Auch in den anderen Bundesländern sei - bei gleicher Prüfungsintensität - eine weit über einem Jahr liegende Bearbeitungsdauer notwendig gewesen. Die Wiener Landesregierung verweist in diesem Zusammenhang auf die Schriftlichen Erklärungen der Republik Österreich, die im Vorabentscheidungsverfahren in der Rechtssache C-147/01 am 1. August 2001 dem EuGH vorgelegt worden seien.

3.5. Zur Frage des Zinsennachteiles führt die Wiener Landesregierung wörtlich folgendes aus:

"Nach Auffassung der Wiener Landesregierung sollte die Verzinsungsfrage auch in einem größeren Zusammenhang gesehen werden. Im Wiener Abgabenrecht ist nämlich bisher aus guten Gründen kein generelles Verzinsungsregime für Guthaben und Rückstände eingeführt worden. Es wurde im Gegenteil z.B. im §44 Abs2 des Wiener Garagengesetzes bei sehr hohen Beträgen und längeren Betrachtungszeiträumen normiert, dass nur ein Anspruch auf zinsenfreie Erstattung der entrichteten Ausgleichsabgabe zusteht. Eine gleichartige Bestimmung findet sich auch für die Ausgleichsabgabe im §9 Abs5 des Wiener Baumschutzgesetzes. In Ansehung dieser Rechtslage wäre die Einführung einer Anspruchsverzinsung bei Rückzahlungsanträgen keine ausgewogene Lösung; es wäre auch fraglich, ob die Verzinsung erst ab dem sechsten Monat und nur bis zur Erlassung des Abgabenbescheides in der ersten Instanz gelten könnte oder ob auch für die nachfolgenden Zeiträume bei der Abgabenbehörde zweiter Instanz und eventuell bei den Höchstgerichten vergleichbare Regelungen getroffen werden müssten. Nach Auffassung der Wiener Landesregierung sollten die Abgabenbehörden nicht mit bankmäßigen Zinsenberechnungen belastet werden, sondern ihre Kapazitäten darauf konzentrieren, dass Verwaltungsabläufe ohne Qualitätsverlust bestmöglich beschleunigt werden."

4. Die im Anlaßverfahren beschwerdeführende Partei erstattete im Gesetzesprüfungsverfahren eine Äußerung, in der sie mit ins einzelne gehender Begründung den Argumenten der Wiener Landesregierung entgegentritt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Das Gesetzesprüfungsverfahren hat nicht ergeben, daß die vorläufige Annahme des Gerichtshofes, er habe die in Prüfung gezogene Bestimmung anzuwenden, unzutreffend wäre. Da auch sonst keine Prozeßhindernisse hervorgekommen sind, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. Auch die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes gegen die in Prüfung gezogene Norm haben sich als gerechtfertigt erwiesen und konnten von den Argumenten der Wiener Landesregierung nicht zerstreut werden:

Der Gerichthof hat in seinem Prüfungsbeschluß die Auffassung vertreten, daß die in §243 Abs3 WAO für Rückzahlungsanträge vorgesehene Verlängerung der Devolutionsfrist auf das Vierfache der normalen Frist anscheinend dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfes widerspreche und eine solche Regelung triftiger sachlicher Gründe bedürfe. Die Wiener Landesregierung ist der Meinung, daß hinreichende Gründe dieser Art vorlägen.

2.1. Die Wiener Landesregierung erläutert selbst einleitend, daß die Verlängerung der Devolutionsfrist als "flankierende Maßnahme" zur "Rückzahlungssperre" nach §185 WAO zu sehen sei und daß die in Prüfung gezogene Vorschrift erforderlich gewesen sei, um unter Anspannung sämtlicher verfügbarer Ressourcen eine den rechtsstaatlichen Prinzipien entsprechende Abwicklung der sich auf Grund des EuGH-Urteils vom 9. März 2000, Rs. C-437/97, Slg. 2000, I-1157, ergebenden Abgabenverfahren zu ermöglichen. Zugleich wird unterstrichen, daß es sich um eine Maßnahme handle, die einerseits die Schwierigkeiten einer neuen Rechtslage (Überwälzungsprüfung), andererseits faktische Gegebenheiten (Massenverfahren infolge Normaufhebung) berücksichtige.

Es liegt auf der Hand, daß diese Argumentation allenfalls eine Verlängerung der Devolutionsfrist für die Abwicklung der Getränkesteuer-Erstattungsanträge rechtfertigen kann. Die geprüfte Norm bezieht sich ihrem Wortlaut nach aber auf alle Rückzahlungsanträge, gleichgültig welche Abgabe sie betreffen und aus welchem Grund sie gestellt werden. Wenn die Wiener Landesregierung in diesem Zusammenhang darauf hinweist, daß es auch bei Rückzahlungsverfahren im Bereich anderer Gemeindeabgaben (genannt werden die Kommunalsteuer und bestimmte Benützungsgebühren) im Gefolge von Normaufhebungen zu Massenverfahren kommen könne, so mag dies unter bestimmten Voraussetzungen zutreffen, rechtfertigt aber für sich allein nicht eine generelle Verschlechterung des Rechtsschutzes. Nichts spricht nämlich für die Auffassung der Wiener Landesregierung, daß die geprüfte Norm auch nur typischerweise Massenverfahren im Gefolge von Normaufhebungen mit schwierigen Rechtsfragen betrifft. Abgesehen davon, daß Normaufhebungen auch im Bereich von Selbstbemessungsabgaben keinesfalls notwendigerweise massenhafte Rückzahlungsanträge auslösen (entsprechende Aussprüche des Verfassungsgerichtshofes sind in der Regel nur pro futuro wirksam), beschränkt sich die Norm weder ihrem Wortlaut noch ihrem Sinn nach auf Rückzahlungsanträge im Gefolge von Normaufhebungen.

Aber selbst wenn man davon ausgehen könnte, daß von §243 Abs3 WAO nur oder zumindest typischerweise solche Massenverfahren mit schwierigen Rechtsfragen betroffen sind, wären die Bedenken des Gerichtshofes nicht entkräftet. Wohl mag es zutreffen, daß bei der Abwicklung von Massenverfahren, bei denen - wie bei der erstmaligen Anwendung der "Rückzahlungssperre" des §185 Abs3 WAO - neue Rechts- und Tatsachenfragen zu bewältigen sind, eine Rekrutierung und Einschulung von neuem Personal zeitaufwendig ist, vorhandene Kapazitäten für die Schulung bindet und daher nur bedingt Abhilfe schaffen kann. Die Wiener Landesregierung konnte damit freilich nicht belegen, warum die Bewältigung eines solchen, ja nur vorübergehend auftretenden Arbeitsanfalles nicht durch eine intensivere Nutzung der vorhandenen Personalkapazitäten möglich ist, zumal die anderen Bundesländer, in denen - was auch von der Wiener Landesregierung nicht bestritten wird - sowohl im Hinblick auf die Rechtslage als auch im Hinblick auf die Zahl der Verfahren vergleichbare Verhältnisse bestehen, diese Probleme ohne eine derartige Verlängerung der Devolutionsfrist lösen konnten.

2.2. Wenn die Wiener Landesregierung - zu Recht - darauf hinweist, daß eine zu kurze Devolutionsfrist zur Folge haben könnte, daß infolge der daraus resultierenden Devolutionen die Erledigungskapazität der ersten Instanz insgesamt absinken werde, weil sie sich auch noch mit den Devolutionen auseinandersetzen müsse, so ist zu erwidern, daß die Devolution einen Antrag des Abgabepflichtigen voraussetzt, den dieser ohnehin nur stellen wird, wenn er eine Beschleunigung der Erledigung erwarten kann. Der Gerichtshof bleibt daher dabei, daß auch eine solche Situation die Verlängerung der Devolutionsfrist in dem hier vorgenommenen Ausmaß, nämlich auf das Vierfache der normalen Frist, nicht zu rechtfertigen vermag.

2.3. Wenn die Wiener Landesregierung auf die verlängerten Devolutionsfristen des §311 BAO verweist, so ist ihr zu entgegnen, daß der Verweis auf eine Spezialfälle betreffende Norm eines anderen Gesetzgebers (deren Verfassungsmäßigkeit im übrigen nicht feststeht) nicht geeignet ist, eine Rechtfertigung für die hier in Rede stehende Norm abzugeben.

2.4. Was schließlich die Frage der Zinsennachteile des Antragstellers betrifft, so begnügt sich die Wiener Landesregierung mit dem Hinweis, daß die Abgabenberufungskommission eine nachvollziehbare und realitätsnahe Argumentation vorgetragen habe. Diese Argumentation lautete - im wesentlichen -, daß die Abgabe in der Regel ohnehin überwälzt werde und somit ein Zinsennachteil des Abgabepflichtigen nicht gegeben sei. Der Gerichtshof hat hiezu im Prüfungsbeschluß ausgeführt, daß im Falle der Überwälzung ein Rückzahlungsanspruch ohnehin nicht bestehe, sodaß ein Zinsennachteil gar nicht zur Diskussion stehe. Die positive Abwicklung des Rückzahlungsverfahrens setze gerade den Nachweis voraus, daß die Abgabe nicht überwälzt worden sei. Warum in diesem Fall bei ungebührlich langer Verfahrensdauer kein Zinsennachteil bestehen soll, wurde von der Abgabenberufungskommission nicht erläutert und wird auch von der Wiener Landesregierung nicht aufgeklärt. Statt dessen weist sie darauf hin, daß der Wiener Landesgesetzgeber die Einführung einer Anspruchsverzinsung bei Rückzahlungsanträgen nicht als ausgewogene Lösung betrachte und sie daher nicht eingeführt habe. Für das Prüfungsverfahren ist dieser Umstand nur insofern von Bedeutung, als der Gerichtshof damit auf die Frage, ob eine solche Verzinsungsregelung allenfalls geeignet wäre, die Bedenken des Gerichtshofes gegen die zweijährige Devolutionsfrist zu zerstreuen, nicht eingehen muß.

3. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich daher als zutreffend erwiesen, weshalb §243 Abs3 WAO, LGBl. 21/1962, in der Fassung LGBl. 9/2000, als verfassungswidrig aufzuheben war.

4. Die Setzung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Vorschrift beruht auf Art140 Abs5 dritter Satz B-VG. Die Fristsetzung soll die Möglichkeit geben, allfällige organisatorische Vorkehrungen auf administrativer Ebene zu treffen.

5. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz

B-VG.

6. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Wien zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG iVm §§64 f. VfGG.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Finanzverfahren, Entscheidungspflicht, Rückzahlung, Rechtsschutz, Devolution

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:G227.2002

Dokumentnummer

JFT_09978795_02G00227_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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