TE Vwgh Beschluss 2007/9/6 2007/08/0103

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Veröffentlicht am 06.09.2007
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ABGB §1297;
AlVG 1977 §10;
AlVG 1977 §49 Abs2;
AlVG 1977 §8;
AVG §39 Abs2;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2007/08/0104 2007/08/0161 2007/08/0160

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi,

Spruch

I. über die Anträge des A S in S, vertreten durch Dr. Klaus-Dieter Strobach, Rechtsanwalt in 4710 Grieskirchen, Stadtplatz 5, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der Beschwerden gegen die auf Grund von Beschlüssen des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheide der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich

1. vom 21. März 2006, Zl. LGSOÖ/Abt.4/05660159/2006-0 (protokolliert zur Zl. 2007/08/0103 WE), und

2. vom 5. April 2006, Zl. LGSOÖ/Abt.4/05660215/2006-11 (protokolliert zur Zl. 2007/08/0104 WE), jeweils betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe, den Beschluss gefasst:

Den Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.

II. über die Beschwerden des A S in S, vertreten durch Dr. Klaus-Dieter Strobach, Rechtsanwalt in 4710 Grieskirchen, Stadtplatz 5, gegen die zu I. 1. (Beschwerde protokolliert zur Zl. 2007/08/0160) und 2. (Beschwerde protokolliert zur Zl. 2007/08/0161) genannten Bescheide, zu Recht erkannt:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.982,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Die Mehrbegehren werden abgewiesen.

Begründung

Zu I.: Der Antragsteller wurde in den Verfahren 2006/08/0180 und 2006/08/0188 jeweils mit Verfügung vom 7. Dezember 2006 gemäß § 34 Abs. 2 VwGG zur Behebung diverser Mängel aufgefordert. Zudem wurde dem Antragsteller aufgetragen, die zurückgestellten Beschwerden (einschließlich der gesetzlich vorgeschriebenen Beilagen) auch dann wieder vorzulegen, wenn zur Ergänzung neue Schriftsätze eingebracht würden.

Der Antragsteller legte in den genannten Verfahren fristgerecht die erforderliche Anzahl der Beschwerden vor, verabsäumte es jedoch, die zurückgestellten Originalbeschwerden sowie die angefochtenen Bescheide wieder vorzulegen.

Mit Beschlüssen vom 25. April 2007 hat der Verwaltungsgerichtshof die Verfahren über die zu den Zlen. 2006/08/0180 und 2006/08/0188 protokollierten Beschwerden gemäß §§ 33, 34 Abs. 2 VwGG eingestellt. Nach der Begründung ist der Antragsteller den Mängelbehebungsaufträgen nicht vollständig nachgekommen, weil die zunächst eingebrachten und zum Zweck der Ergänzung zurückgestellten Beschwerdeschriftsätze nicht wieder vorgelegt bzw. die angefochtenen Bescheide nicht vorgelegt wurden.

Mit den vorliegenden Schriftsätzen wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Vorlage der dem Antragsteller zurückgestellten Beschwerdeschriftsätze beantragt; gleichzeitig wurden die zurückgestellten Beschwerden sowie die angefochtenen Bescheide vorgelegt.

Zur Begründung bringt der Antragsteller in beiden Anträgen gleichlautend vor, eine Konzipientin des für den Antragsteller bestellten Verfahrenshelfers habe die vom Antragsteller selbst eingebrachten und zurückgestellten Beschwerden den Verbesserungsaufträgen entsprechend verbessert und auf der ersten Seite der von ihr erstellten verbesserten Bescheidbeschwerden als angeschlossene Unterlagen "die verbesserte Bescheidbeschwerde 3- fach, eine Rubrik, Bescheidkopie 3-fach und die zurückgestellte Beschwerde" aufgelistet und samt diesen angeschlossenen Unterlagen einer angestellten Rechtsanwältin der Kanzlei des Verfahrenshelfers zur Kontrolle vorgelegt. Diese habe nach einer inhaltlichen Kontrolle der verbesserten Bescheidbeschwerden und nach einer Kontrolle der angefügten Unterlagen, welche der verbesserten Bescheidbeschwerden mit einer großen Büroklammer angeheftet gewesen seien, dem Verfahrenshelfer zur Unterschriftsleistung vorgelegt. Der Verfahrenshelfer habe die von seiner angestellten Rechtsanwältin vorgelegten Bescheidbeschwerden "mit Interesse" durchgelesen, um sich von der Arbeitsleistung seiner seit 2. Jänner 2007 bei ihm beschäftigten Konzipientin zu überzeugen, und habe in weiterer Folge die den verbesserten Bescheidbeschwerden angeschlossenen Unterlagen kontrolliert, die verbesserten Bescheidbeschwerden unterschrieben und seiner seit 12. August 1996 bei ihm tätigen und sehr zuverlässigen Sekretärin B. zur Kuvertierung und Postaufgabe übergeben. Diese äußerst zuverlässige Kanzleikraft, der in ihrer mehr als zehnjährigen Dienstzeit bis dato noch kein derartiger Fehler in der Kanzlei des Verfahrenshelfers passiert sei, habe beim Fertigmachen der Post und Kuvertieren der verbesserten Bescheidbeschwerden die Büroklammer gelöst und die dreifachen Bescheidkopien sowie die zurückgestellten Beschwerden ob ihres Umfangs "hinten anschließen" wollen. Bei Einlegen in das von ihr vorbereitete Kuvert habe sie irrtümlich nicht das gesamte im Akt obenauf liegende Bündel an einzubringenden Unterlagen genommen, sondern habe nur jeweils die drei Ausfertigungen der verbesserten Bescheidbeschwerden, sowie die Rubrik "erwischt". Dem Antragsteller sei daher durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis ein Rechtsnachteil entstanden, es handle sich um ein Versehen leichten Grades. Die Wiedereinsetzungsanträge seien rechtzeitig, zumal die ansonsten äußerst zuverlässige Sekretärin B. den gesamten Akt - wie in der Kanzlei üblich - nach Absendung der verbesserten Bescheidbeschwerden eingelegt habe. Erst durch die dem Verfahrenshelfer am 9. Mai 2007 zugestellten Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. April 2007 habe der Verfahrenshelfer von der Versäumnis erfahren.

Zur Bescheinigung dieses Vorbringens wurden den Anträgen eidesstättige Erklärungen der im Vorbringen genannten Personen beigelegt.

Wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges wurden die Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Wenn eine Frist versäumt wurde, muss sich die Partei das Verschulden des sie vertretenden Rechtsanwaltes zurechnen lassen. Ein Verschulden, das den Bevollmächtigten einer Partei trifft, ist so zu behandeln, als wenn es der Partei selbst unterlaufen wäre (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, E 72 ff zu § 71 AVG wiedergegebene Rechtsprechung).

Das Verschulden eines Kanzleiangestellten des Rechtsanwaltes ist der Partei hingegen nicht unmittelbar zurechenbar; entscheidend ist ausschließlich, ob den Rechtsanwalt ein Verschulden trifft. Es schließt selbst ein weisungswidriges Verhalten von Kanzleiangestellten eine Wiedereinsetzung aus, wenn den Rechtsanwalt selbst ein eigenes relevantes Verschulden bei der Kanzleiorganisation, insbesondere bei der Überwachung seiner Mitarbeiter, trifft (vgl. die bei Mayer, B-VG3, auf Seite 778 wiedergegebene Judikatur).

Die anwaltliche Sorgfaltspflicht umfasst die Überwachung der Fristvormerkung und des Umstandes, ob die Schriftstücke in gesetzmäßiger Anzahl und Form zur Post gegeben werden, nicht aber die näheren Umstände der Postaufgabe solcher Schriftstücke oder die Kuvertierung von Beilagen (Walter/Thienel, aaO E 214).

In Anbetracht dieses rechtlichen Hintergrundes liegen in den vorliegenden Fällen jeweils die Voraussetzungen für die beantragte Bewilligung der Wiedereinsetzung vor, ist doch der zur Fristversäumung führende Fehler beim Kuvertieren unterlaufen, das der Rechtsvertreter des Antragstellers aber einer erfahrenen Sekretärin in Alleinverantwortung übertragen durfte.

Den Wiedereinsetzungsanträgen war daher gemäß § 46 VwGG Folge zu geben.

Da die versäumten Prozesshandlungen (Vorlage der Urbeschwerde und des angefochtenen Bescheides) unter einem nachgeholt wurden, gelten die Beschwerden demnach als ordnungsgemäß verbessert wieder eingebracht.

Zu II.:

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid vom 21. März 2006 hat die belangte Behörde in Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides den Verlust des Anspruchs des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe für die Zeit vom 14. bis zum 19. Februar 2006 ausgesprochen, weil der Beschwerdeführer einen Kontrollmeldetermin am 14. Februar 2006 nicht wahrgenommen habe.

2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid vom 5. April 2006 hat die belangte Behörde in Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides den Verlust des Anspruchs des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe für die Zeit vom 21. Februar bis zum 17. April 2006 ausgesprochen, weil sich dieser geweigert habe, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt (Intakt) teilzunehmen.

Gegen beide Bescheide hat der Beschwerdeführer Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhoben.

Der Verwaltungsgerichtshof gab gemäß § 35 Abs. 2 VwGG mit Verfügung vom 17. Juli 2007 der belangten Behörde in den verbundenen Verfahren Gelegenheit, innerhalb einer dreiwöchigen Frist ein Vorbringen zu erstatten, welches geeignet wäre, das Vorliegen der vom Beschwerdeführer behaupteten Rechtsverletzungen als nicht gegeben erkennen zu lassen. Die belangte Behörde hat in beiden Verfahren Schriftsätze eingebracht, in denen sie in der Sache Vorbringen erstattet hat.

Wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges wurden beide Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zu 1.: In dem den Beschwerdeführer betreffenden Erkenntnis vom 20. Dezember 2006, Zl. 2004/08/0247 hat der Verwaltungsgerichtshof mit näherer Begründung, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgeführt, die belangte Behörde hätte im Fall des Beschwerdeführers von Amts wegen seine Arbeitsfähigkeit bzw. seine Vermittelbarkeit einer Prüfung unterziehen müssen. Für den Fall, dass nach der Prüfung der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers weiterhin die Verhängung einer Sanktion in Betracht komme, müsse die belangte Behörde zudem berücksichtigen, dass bei Personen, bei denen - wie im Beschwerdefall - das Vorliegen von Geschäftsfähigkeit fraglich ist, die Vermutung des Vorhandenseins der gewöhnlich vorauszusetzenden Fähigkeiten im Sinne des § 1297 ABGB nicht zum Tragen komme. Sie werde darum festzustellen haben, ob der Beschwerdeführer trotz seines Leidenszustandes in der Lage gewesen sei, den richtigen Sachverhalt zu erkennen und - entsprechend dieser Kenntnis - zu handeln, das heißt, ob er deliktsfähig war und ob ihm daher eine vorsätzliche Vereitelung oder Verweigerung einer Maßnahme im Sinne des § 10 AlVG vorgeworfen werden könne.

Das Gesagte gilt auch für die Versäumung eines Kontrolltermins, die die belangte Behörde im vorliegenden Fall zum Anlass für die Verhängung einer Sanktion genommen hat. Auch in diesem Fall hätte sich die belangte Behörde damit auseinander zu setzen gehabt, ob Beschwerdeführer in der Lage gewesen ist, den richtigen Sachverhalt zu erkennen und - entsprechend dieser Kenntnis - zu handeln, ob er also im konkreten Fall deliktsfähig war.

Da sich somit schon aus dem zur Zl. 2007/08/0160 angefochtenen Bescheid ergibt, dass die in der Beschwerde behauptete Rechtsverletzung vorliegt, ist er ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Das Vorbringen der belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe bei seiner Vorsprache orientiert gewirkt, ist nicht geeignet, das Vorliegen dieser Rechtsverletzung als nicht gegeben erkennen zu lassen, weil es für die Beantwortung der Frage nach der Geschäfts- bzw. Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers der Beiziehung eines Sachverständigen bedarf.

Zu 2.: Die vorliegende Beschwerdesache gleicht in den für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten - sowohl hinsichtlich des Sachverhaltes, nämlich der Zuweisung des Beschwerdeführers zur Wiedereingliederungsmaßnahme Intakt, als auch hinsichtlich der zu beurteilenden Rechtsfrage der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers - jenen, die den hg. Erkenntnissen vom 20. Dezember 2006, Zlen. 2004/08/0247 und 2005/08/0187, zu Grunde lagen.

Aus den in den zitierten Erkenntnissen genannten Gründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, war daher auch der zur Zl. 2007/08/0161 angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben, wobei an diesem Ergebnis auch in diesem Fall das Vorbringen der belangte Behörde nichts zu ändern vermag.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abzusehen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333, 2003. Die jeweils auf den Ersatz von Umsatzsteuer gerichteten Begehren waren abzuweisen, weil die Umsatzsteuer im pauschalierten Aufwandersatz bereits enthalten ist. Wien, am 6. September 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2007080103.X00

Im RIS seit

14.01.2008

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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