TE Vfgh Erkenntnis 2002/12/6 B1532/01

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.12.2002
beobachten
merken

Index

58 Berg- und Energierecht
58/02 Energierecht

Norm

StGG Art5 / Verwaltungsakt
BStG 1971 §28 Abs1
GaswirtschaftsG §57 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Eigentumsrecht durch zwangsweise Einräumung von Dienstbarkeiten zu Lasten der Grundstücke der Beschwerdeführerin für die Errichtung einer Erdgasleitung; keine prinzipielle Unzulässigkeit der Verlegung von Erdgasleitungen im Straßenkörper von Bundesstraßen im Freilandbereich

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Der Bescheid wird daher aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.143,68 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit wird u.a. die Berufung der nunmehrigen Beschwerdeführerin gegen die zwangsweise Einräumung von Dienstbarkeiten zu Lasten ihrer Grundstücke und zu Gunsten der "TIGAS - Erdgas Tirol GmbH" für die Errichtung und den Betrieb der Erdgashochdruckleitung Wörgl - St. Johann in Spruchpunkt I abgewiesen, weil öffentliches Gut, in concreto die B 178 "Loferer Bundesstraße", nicht zur Verfügung stünde. Spruchpunkt II betrifft geringfügige Änderungen des erstinstanzlichen Bescheides des Landeshauptmannes von Tirol, Spruchpunkt III Kostenerstattungspflichten der Enteignungswerberin als Antragstellerin.

2. Dagegen wendet sich die vorliegende Beschwerde, die die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Unversehrtheit des Eigentums durch denkunmögliche Anwendung des §57 Abs1 Gaswirtschaftsgesetz (GWG), BGBl. I 121/2000, behauptet. Dies wird wie folgt begründet:

Wenn man mit der belangten Behörde das "Zur-Verfügung-Stehen" von öffentlichem Gut von der Beurteilung bzw. Zustimmung der Bundesstraßenverwaltung abhängig mache, führe dies dazu, dass die Enteignung die Regel wäre und sämtliche Vorkehrungen zum Schutz des Privateigentums unanwendbar würden: Im Zuge der Verlegung von Erdgasleitungen seien Schäden an der Straße nicht zu vermeiden und damit im Sinne des §28 Bundesstraßengesetz 1971 (BStG) zu befürchten, sodass mangels Erzielbarkeit der Zustimmung der Bundesstraßenverwaltung ausnahmslos Privateigentum in Anspruch genommen werden müsste. Im Gegensatz dazu formuliere der Gesetzgeber aber in §57 Abs1 GWG das Ziel, die Verlegung von Leitungssystemen auf das öffentliche Gut zu konzentrieren.

Bei der Beurteilung der maßgebenden Frage der Zustimmung der Bundesstraßenverwaltung zur Nutzung der Bundesstraße für die Erdgasleitung, deren Verweigerung zur zwangsweisen Einräumung von Dienstbarkeiten zu Lasten der Grundstücke der Beschwerdeführerin geführt habe, sei kein rechtsstaatliches Verfahren durchgeführt worden, weil die Beschwerdeführerin diesbezüglich keine Parteistellung und daher auch kein rechtliches Gehör genossen habe, sodass sie den allgemeinen Überlegungen des Bezirksbauamtes (wonach die Verlegung einer Erdgasleitung im Straßengrund eine Verschlechterung der Leistungsfähigkeit der Bundesstraße bedeute, Erschwernisse durch das Versetzen der Verkehrszeichen und zusätzliche Baustellen bei Erhaltungsarbeiten der Erdgasleitung zu befürchten seien) nicht gehörig entgegentreten konnte. Es sei daher auch die enteignungsrechtlich gebotene Interessenabwägung unterlassen worden.

Weiters habe sich die belangte Behörde in keiner Weise mit der wirtschaftlichen Zumutbarkeit des Eigentumseingriffes auseinandergesetzt, zumal die Enteignungswerberin nach Ansicht der Beschwerdeführerin keine ernsthaften Verhandlungen im Hinblick auf den privatrechtlichen Erwerb der Nutzungsrechte geführt habe, sondern nach einem völlig unzureichenden Angebot unverzüglich den Enteignungsantrag gestellt habe.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt:

Nach Ansicht der belangten Behörde müsse die Überprüfung des "Zurverfügungstehens" öffentlichen Gutes iSd §57 GWG in Zusammenschau mit den maßgeblichen Bestimmungen des BStG sinnvollerweise dadurch geschehen, dass die Verwaltung des öffentlichen Gutes zu seiner Verfügbarkeit befragt werde. Die Beschwerde übersehe, dass die Verwaltung des öffentlichen Gutes nicht in ihrem eigenen Interesse tätig werde, sondern im öffentlichen Interesse. Wenn daher die Zustimmung der Bundesstraßenverwaltung verweigert werde, sei von der belangten Behörde festzustellen, dass das öffentliche Gut "Bundesstraße" nicht zur Verfügung stehe und daher, sofern kein anderes öffentliches Gut zur Verfügung steht, im betreffenden Gebiet die Enteignung von Privatgrundstücken nicht mehr ausgeschlossen sei.

Im vorliegenden Fall habe die mitbeteiligte Partei, die TIGAS, der Beschwerdeführerin mehrfach ein verbindliches Entschädigungsangebot unterbreitet, das annähernd doppelt so hoch gewesen sei wie die im erstinstanzlichen Enteignungsverfahren von einem allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen nach den Bestimmungen und Berechnungsmethoden des hier anzuwendenden Liegenschaftsbewertungsgesetzes als angemessen ermittelte Entschädigung, zu deren Nachbesserung sich die TIGAS im Falle einer wertsteigernden Umwidmung verpflichtet habe. Auf Grund dieses Entschädigungsangebotes sei der Einwand der Beschwerde der mangelnden Ernsthaftigkeit der Verhandlungen des Enteignungswerbers unter Verweis auf VfSlg. 13.579/1993 nicht begründet.

Entgegen den Beschwerdeausführungen habe die Beschwerdeführerin sowohl in ihrer Berufungsschrift als auch im Berufungsverfahren die Möglichkeit gehabt, zur im erstinstanzlichen Enteignungsbescheid abgedruckten Äußerung der Bundesstraßenverwaltung Stellung zu nehmen.

Auf Grund des noch zunehmenden Verkehrsaufkommens auf der Loferer Bundesstraße würden Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten deutlich häufiger anfallen als bei in "normalen" Grundstücken verlegten Erdgasleitungen. Müsste die stark frequentierte Straße zu diesem Zweck gesperrt werden, würde dies einen unverhältnismäßigen Eingriff in den bestimmungsgemäßen Zweck dieser Verkehrsverbindung darstellen.

Schließlich habe das durch die Verlegung der Gasleitung bedingte Bauverbot im maßgeblichen Bereich praktisch keine Auswirkung, weil für Baumaßnahmen in einem solcherart straßennahen Bereich eine Sonderbewilligung der Bundesstraßenverwaltung notwendig wäre. In seiner Äußerung stelle das Baubezirksamt Kufstein aber klar, dass eine solche Sonderbewilligung nicht erteilt werden würde.

4. Aus den von der belangten Behörde vorgelegten Akten ergibt sich folgendes Verwaltungsgeschehen:

Mit Schriftsatz vom 11. August 2000 stellte die TIGAS beim Landeshauptmann für Tirol einen Antrag auf Einräumung von näher bezeichneten Dienstbarkeiten zu Lasten der in Rede stehenden Grundstücke der Beschwerdeführerin für die Errichtung und den Betrieb der Erdgashochdruckleitung Wörgl - St. Johann.

In der Verhandlungsschrift vom 1. Februar 2001 wird festgehalten, dass von Seiten der Behörde der Versuch eines zivilrechtlichen Erwerbs unternommen wurde; diesbezüglich bestehe ein Anbot der TIGAS für eine finanzielle Entschädigung, das aber von der Beschwerdeführerin als unzureichend angesehen wurde.

In einer Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 2. Mai 2001 weist jene darauf hin, dass nach dem GWG eine Enteignung nur für den Fall zulässig sei, dass kein öffentliches Gut zur Verfügung stehe. Eine Bundesstraße grenze im konkreten Fall aber unmittelbar an die zu enteignenden Flächen an.

Mit Schreiben vom 6. Juni 2001 übermittelt die Landesbaudirektion beim Amt der Tiroler Landesregierung der Abteilung Wasser- und Energierecht eine Stellungnahme des Baubezirksamtes Kufstein vom 22. März 2001 zur beabsichtigten Verlegung der in Rede stehenden Erdgashochdruckleitung. In dieser Stellungnahme wird Folgendes ausgeführt:

Die nunmehrige Beschwerdeführerin habe die gänzliche Verlegung der Erdgashochdruckleitung in die B 178 Loferer Bundesstraße verlangt, "was natürlich in Widerspruch zu den Planungs-, Bau- und Erhaltungsgrundsätzen der Bundesstraße" stehe.

Dafür seien folgende Ablehnungsgründe maßgeblich: Das Verlegen von Gasleitungsanlagen im Straßenkörper habe dessen Schwächung hinsichtlich der Standfestigkeit zur Folge und bei der Wiederherstellung der Straßenanlage seien Einschränkungen für den Straßenverkehr zu erwarten. Weiters seien durch das Vorhandensein von derartigen Erdgasleitungsanlagen im Böschungskörper und im Straßenbankett wesentliche Erschwernisse durch das Versetzen von Verkehrszeichen udgl. gegeben. Neben der Erschwerung der verkehrssicheren Straßenerhaltung gehe mit der Verlegung der Erdgasleitung im Straßenkörper auch eine Verschlechterung der Leistungsfähigkeit der Bundesstraße einher, zumal derartige Arbeiten ausschließlich nach Gewährleistung einer verkehrssicheren Baustellengestaltung mit Geschwindigkeitsbeschränkungen und demzufolge auch mit einer Reduktion der Leistungsfähigkeit der Bundesstraße durchgeführt werden könnten. Die B 178 Loferer Bundesstraße weise ein sehr hohes Verkehrsaufkommen mit einem täglichen Durchschnittsverkehr von ca. 15.000 Fahrzeugen auf. Zusätzliche Baustellen würden den Verkehr in unzumutbarer Weise für die Verkehrsteilnehmer einschränken und Staus vorprogrammieren.

        Schließlich findet sich im Akt ein Aktenvermerk über eine

Besprechung in der Landesbaudirektion Innsbruck am 10. März 1993 über

"Grundsätzliche Festlegungen zur Lage von Gasleitungen zur

Flächenversorgung ... soweit eine Inanspruchnahme von öffentlichem

Gut (Bundes- und Landesstraßen) erforderlich ist". Dem angeschlossen

ist ein "Übereinkommen", abgeschlossen zwischen der "Republik

Österreich, Bundesstraßenverwaltung ... und dem Fachverband der

Gaswerke Österreich ...". Nach Pkt. IV dieses Übereinkommens dürfen im Kunstkörper der Bundesstraßen in der Längsrichtung keine Leitungsrohre verlegt werden. Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen könne die Entlangführung von Leitungsrohren unmittelbar neben der Fahrbahn oder im Kunstkörper der Bundesstraßen nach vorheriger Zustimmung des örtlich zuständigen Landeshauptmannes (Bundesstraßenverwaltung) erfolgen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Der die Kostenerstattungsverpflichtung der mitbeteiligten Partei betreffende Spruchpunkt III bildet einen unselbständigen Bestandteil des angefochtenen Bescheides, weshalb die Beschwerde, die dessen Aufhebung in vollem Umfang begehrt, auch hinsichtlich dieses Bescheidteiles zulässig ist.

Da auch andere Prozesshindernisse nicht hervorgekommen sind, ist die Beschwerde zulässig.

2. a) Der angefochtene Bescheid greift durch die zwangsweise Einräumung von Dienstbarkeiten in das Eigentumsrecht der Beschwerdeführerin ein. Dieser Eingriff ist nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.356/1985, 10.482/1985, 11.650/1988) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat, ein Fall, der auch dann vorliegt, wenn die einfachgesetzliche Rechtsgrundlage des Eigentumseingriffs entgegen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an zwangsweise Eigentumseingriffe ausgelegt und angewendet wurde.

Für Eigentumseingriffe in Gestalt von Enteignungen hat der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 3666/1959 ausgeführt, dass diese von Verfassungs wegen nur zulässig sind, wenn die Enteignung durch das vffentliche Interesse geboten ist; dies ist nur dann der Fall, wenn ein konkreter Bedarf vorliegt, dessen Deckung im öffentlichen Interesse liegt, das Objekt der Enteignung überhaupt geeignet ist, den Bedarf unmittelbar zu decken, und es unmöglich ist, den Bedarf anders als durch Enteignung zu decken. Ist eine Enteignung nicht im Sinne eines derart verstandenen öffentlichen Interesses notwendig, so liegt eine denkunmögliche Gesetzesanwendung und damit eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrechtes vor (so auch die in VfSlg. 13.579/1993, 13.587/1993, 13.964/1994 und 15.096/1998 gesicherte Judikatur des Gerichtshofs).

In der Literatur [Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und Menschenrechte, 1963, S 152 f.; Aicher, Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz und Enteignung, 9. ÖJT, I/1, 1985, S 45 f.; zusammenfassend Korinek, Rz 32 ff. zu Art5 StGG, in:

Korinek/Holoubek (Hrsg.), Bundesverfassungsrecht, 2002] wurde daraus der Verfassungsgrundsatz der Subsidiarität der Enteignung abgeleitet. Dieses aus dem jeder Enteignung vorausgesetzten öffentlichen Interesse abgeleitete Erfordernis der Notwendigkeit der Enteignung gebietet von Verfassungs wegen insbesondere zu prüfen, ob das (im öffentlichen Interesse gelegene) Projekt auch ohne Enteignung verwirklicht werden könnte (VfSlg. 7553/1975). Der Verfassungsgerichtshof hat dazu ausgeführt, "daß es dem Gegner der beantragten Enteignung offensteht, im Enteignungsverfahren den Mangel der Notwendigkeit der Enteignung einzuwenden; Notwendigkeit in diesem Zusammenhang bedeutet einerseits, daß die zu enteignenden Grundstücke für die Durchführung ... [des Projekts] erforderlich sind, andererseits daß der für das Projekt erforderliche Grund nicht auf andere Weise als durch Enteignung zu beschaffen ist" (VfSlg. 7553/1975 unter Hinweis auf VfSlg. 7469/1974).

Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Subsidiarität der Enteignung ist daher u.a. auch dann verletzt, wenn es an der Notwendigkeit der Enteignung mangelt, wenn und weil privates Eigentum enteignet wird, obwohl in der Dispositionsbefugnis der öffentlichen Hand stehendes (und auch sonst geeignetes) Gut ohne unverhältnismäßigen Kostenaufwand den angestrebten Zweck erfüllen kann [ähnlich Aicher, aaO, S 46; vgl. auch Pauger, in:

Korinek/Pauger/Rummel (Hrsg.), Handbuch des Enteignungsrechts, 1994, S 70, der die Notwendigkeit einer Enteignung als Gebot der Eingriffsminimierung deutet und daraus in praxi den "Vorrang des Einsatzes eigener Ressourcen (oder) die Verschaffung der benötigten Güter auf dem Markt" entnimmt].

b) Vor den dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen ist die Vorschrift des mit "Enteignungsvoraussetzung" überschriebenen §57 Abs1 GWG auszulegen und zu vollziehen.

Sie lautet:

"§57. (1) Eine Enteignung durch die Entziehung oder die Beschränkung von Grundeigentum oder Rechten ist zulässig, wenn dies für die Errichtung der Fern- oder Verteilerleitung erforderlich und im öffentlichen Interesse gelegen ist. Ein öffentliches Interesse liegt jedenfalls nicht vor, wenn bereits eine Erdgasleitungsanlage in dem betreffenden Gebiet rechtmäßig besteht oder in Planung ist und die bestehenden oder geplanten Kapazitäten nicht ausgelastet sind. Der Bewilligungswerber ist verpflichtet, für die Trassenführung der Erdgasleitungsanlage nach Möglichkeit öffentliches Gut vorzusehen, es sei denn, der Bewilligungswerber hat bereits vor Antragstellung mit allen betroffenen privaten Grundstückseigentümern Vereinbarungen über die Trassenführung geschlossen und dies der Behörde nachgewiesen. Erst wenn öffentliches Gut in dem betreffenden Gebiet nicht zur Verfügung steht, können private Grundstücke für die Erdgasleitungsanlage enteignet werden."

Die beiden letzten Sätze des §57 Abs1 GWG bilden ein Ergebnis der Beratungen des Wirtschaftsausschusses des Nationalrates und sind im Ausschussbericht wie folgt begründet (AB 210 BlgNR, 21. GP, S 3):

"Der Ausschuß geht davon aus, daß eine Enteignung in jedem Fall nur eine 'ultima ratio' darstellen kann und vom Bewilligungswerber zunächst alle Anstrengungen unternommen werden müssen, eine Erdgasleitungsanlage auf öffentlichem Gut, welches in dem betreffenden Gebiet zur Verfügung steht oder im Einvernehmen mit den betroffenen privaten Grundstückseigentümern zu errichten. Der Ausschuß ist daher der Ansicht, daß erst nach Erschöpfung dieser Möglichkeiten vom Rechtsinstitut der Enteignung Gebrauch gemacht werden darf."

c) Angesichts der verfassungsrechtlichen Anforderung der "Notwendigkeit" der Enteignung leidet der angefochtene, im Berufungsweg ergangene Enteignungsbescheid an einem in die Verfassungssphäre reichenden Vollzugsfehler:

Die belangte Behörde begründet die vom Bewilligungswerber beantragte und von ihr ausgesprochene Enteignung der Grundstücke der Beschwerdeführerin damit, dass die für die Verlegung der Erdgasleitung räumlich unbestritten in Betracht kommende Loferer Bundesstraße (die mit §1 lita des am 1. April 2002 in Kraft getretenen Art5 des Bundesstraßen-Übertragungsgesetzes, BGBl. I 50/2002, als Bundesstraße aufgelassen und gemäß §4 leg.cit. auf das Land Tirol übertragen wurde) zwar "öffentliches Gut in dem betreffenden Gebiet" sei, aber "nicht zur Verfügung" stünde. Dies wird mit der mangelnden Zustimmung der Bundesstraßenverwaltung belegt, die wiederum damit begründet wird, dass die Verlegung der gegenständlichen Erdgasleitung "im Straßenkörper ... sowohl im Zuge der Errichtungsarbeiten als auch bei allenfalls notwendig werdenden Erhaltungs- und Reparaturarbeiten den ordnungsgemäßen Betrieb der Loferer Bundesstraße so stark beeinträchtigen [würde], dass der Straßenerhalter die Benützung des öffentlichen Gutes für die Errichtung der gegenständlichen Leitungen ... [unter Hinweis auf §28 BStG] abgelehnt hat".

§28 Abs1 BStG lautet:

"§28. Benützung der Bundesstraßen

(1) Die Benützung der unmittelbar dem Verkehr dienenden Flächen der Bundesstraßen steht jedermann im Rahmen der straßenpolizeilichen und kraftfahrrechtlichen Vorschriften offen. Jede Benützung der Bundesstraßen für einen anderen als ihren bestimmungsgemäßen Zweck bedarf, unbeschadet der straßenpolizeilichen und kraftfahrrechtlichen Bestimmungen, der Zustimmung des Bundes (Bundesstraßenverwaltung). Diese ist zu versagen, wenn Schäden an der Straße zu befürchten sind oder künftige Bauvorhaben an der Straße erheblich erschwert würden. Insoweit solche Benützungsrechte an einer Straße vor ihrer Erklärung als Bundesstraße begründet worden sind, bleiben sie im gleichen Umfang bestehen. Der Bund (Bundesstraßenverwaltung) kann - sofern dies nicht den Bedingungen der Zustimmung zur Benützung widerspricht - jederzeit, ohne Entschädigung zu leisten, eine entsprechende Abänderung der hergestellten Einrichtungen verlangen, falls dies wegen einer baulichen Umgestaltung der Straße oder aus Verkehrsrücksichten notwendig wird. Bei Bundesstraßen in Ortsgebieten kann der Bund (Bundesstraßenverwaltung) durch Bau- oder Erhaltungsmaßnahmen an der Bundesstraße notwendig werdende Abänderungen an öffentlichen Ver- und Entsorgungsanlagen auf seine Kosten durchführen oder einen angemessenen Kostenbeitrag leisten."

Wie das unter Pkt. I.4. dargestellte Verwaltungsgeschehen zeigt und auch dem zwischen der Bundesstraßenverwaltung und dem Fachverband der Gaswerke Österreichs abgeschlossenen Übereinkommen zu entnehmen ist, steht die Bundesstraßenverwaltung auf dem Standpunkt, dass jedenfalls im Freiland die Verlegung einer Erdgasleitung in der Längsachse der Straße ganz allgemein ausgeschlossen ist.

Eine derartige, allgemein die Verlegung von Erdgasleitungen im Straßenkörper von Bundesstraßen hindernde Rechtsauffassung widerspricht dem durch §57 Abs1 dritter und vierter Satz GWG aus Gründen der verfassungsrechtlichen Subsidiarität der Enteignung angeordneten, grundsätzlichen Vorrang ("nach Möglichkeit") der Trassenführung einer Erdgasleitungsanlage über das öffentliche Gut. Die Nutzung der öffentlichen Straße für eine Erdgasleitungsanlage steht entsprechend dem letzten Satz des §57 Abs1 GWG nur dann "nicht zur Verfügung", wenn im Enteignungsverfahren - unter Umständen bzw. gegebenenfalls unter Heranziehung entsprechender Sachverständiger - konkreter begründet wird, dass und welche "Schäden an der Straße zu befürchten sind oder künftige Bauvorhaben an der Straße erheblich erschwert würden" (§28 Abs1 BStG), falls immer unter Berücksichtigung der in den §§44 ff. GWG angeordneten Kriterien für die Errichtung und den Verlauf einer Erdgasleitung diese in dem in Betracht kommenden Straßenteil verlegt würde. Daher widerspricht die von der belangten Behörde vertretene Rechtsmeinung, derzufolge die Verweigerung der Zustimmung zur Verlegung einer Erdgasleitung von vornherein aus allgemeinen Gründen für die gesamte Bundesstraße zu gelten habe, dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Subsidiarität der Enteignung. Steht diese Rechtsauffassung doch im Gegensatz zum Vorrang öffentlichen Gutes für die Trassenführung von Erdgasleitungsanlagen, wie sie in §57 Abs1 GWG auf Grund der und im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen festgelegt ist. Dabei ist davon auszugehen, dass nicht nur die Enteignungsbehörde, sondern auch die - kraft Willkürverbots bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen gemäß §28 Abs1 BStG zustimmungspflichtige - Bundesstraßenverwaltung nicht von einer allgemeinen Ablehnung der Benützung von Bundesstraßen für Erdgasleitungen ausgehen darf, weil eine derartige Verweigerung der Nutzung der Bundesstraßen für die Trassenführung von Erdgasleitungsanlagen in Widerspruch zu den geschilderten Vorschriften des GWG und darüber hinaus in Widerspruch zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Enteignung privater Grundstücke für Zwecke einer Erdgasleitung gerät.

Dass auch der Bundesstraßengesetzgeber - anders als von der belangten Behörde im Verein mit der Bundesstraßenverwaltung im vorliegenden Enteignungsverfahren angenommen - mit Ver- und Entsorgungsanlagen, also auch mit Gasleitungsanlagen, in Bundesstraßen rechnete, beweist auch der letzte Satz des §28 Abs1 BStG. Diese Vorschrift trifft für die durch Bau- oder Erhaltungsmaßnahmen an einer Bundesstraße im Ortsgebiet notwendig werdenden Abänderungen an den geschilderten Anlagen eine Kostenregelung und rechnet demgemäß selbst im Ortsbereich mit Gasleitungen in Bundesstraßen, wo die Verkehrsfrequenz sicherlich dem Freilandbereich viel befahrener Bundesstraßen vergleichbar ist.

Dadurch, dass die belangte Behörde von der prinzipiellen Unzulässigkeit der Verlegung von Erdgasleitungen in Bundesstraßen im Freilandbereich ausging und schon aus diesem Grund die Notwendigkeit einer Enteignung privater Grundstücke für diesen Zweck bejahte, hat sie §57 Abs1 GWG denkunmöglich und damit in verfassungswidriger Weise angewendet.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums aufzuheben.

3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Energierecht, Gasrecht, Enteignung, Straßenverwaltung, Bundesstraße

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B1532.2001

Dokumentnummer

JFT_09978794_01B01532_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten