TE OGH 2006/4/25 11Os26/06t

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Veröffentlicht am 25.04.2006
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Der Oberste Gerichtshof hat am 25. April 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Westermayer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Assan A***** wegen des Vergehens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen (AZ 31 Ur 11/05w des Landesgerichtes Innsbruck; AZ 8 U 49/05v des Bezirksgerichtes Innsbruck) über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen 1. die Nichtermittlung des gesetzlichen Vertreters des jugendlichen Beschuldigten und 2. die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit eines Verteidigers nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Sperker, zu Recht erkannt:Der Oberste Gerichtshof hat am 25. April 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Westermayer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Assan A***** wegen des Vergehens der Verleumdung nach Paragraph 297, Absatz eins, StGB und anderer strafbarer Handlungen (AZ 31 Ur 11/05w des Landesgerichtes Innsbruck; AZ 8 U 49/05v des Bezirksgerichtes Innsbruck) über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen 1. die Nichtermittlung des gesetzlichen Vertreters des jugendlichen Beschuldigten und 2. die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit eines Verteidigers nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Sperker, zu Recht erkannt:

Spruch

Es verletzen das Gesetz:

1. der Vorgang, dass es die Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes Innsbruck zum AZ 31 Ur 11/05w sowie (nach Abtretung des Verfahrens) der Richter des Bezirksgerichtes Innsbruck zum AZ 8 U 49/05v unterließen, den gesetzlichen Vertreter des jugendlichen Beschuldigten zu ermitteln bzw für die Bestellung eines solchen zu sorgen (§ 187 ABGB), sodass am gesamten Verfahren kein gesetzlicher Vertreter mitwirkte, in der Bestimmung des § 38 JGG;1. der Vorgang, dass es die Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes Innsbruck zum AZ 31 Ur 11/05w sowie (nach Abtretung des Verfahrens) der Richter des Bezirksgerichtes Innsbruck zum AZ 8 U 49/05v unterließen, den gesetzlichen Vertreter des jugendlichen Beschuldigten zu ermitteln bzw für die Bestellung eines solchen zu sorgen (Paragraph 187, ABGB), sodass am gesamten Verfahren kein gesetzlicher Vertreter mitwirkte, in der Bestimmung des Paragraph 38, JGG;

2. im Verfahren AZ 8 U 49/05v des Bezirksgerichtes Innsbruck die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung in Abwesenheit des (bestellten Verfahrenshilfe-)Verteidigers in der Bestimmung des § 39 Abs 1 Z 2 JGG.2. im Verfahren AZ 8 U 49/05v des Bezirksgerichtes Innsbruck die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung in Abwesenheit des (bestellten Verfahrenshilfe-)Verteidigers in der Bestimmung des Paragraph 39, Absatz eins, Ziffer 2, JGG.

Das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 27. September 2005, GZ 8 U 49/05v-39, das im Freispruch unberührt bleibt, wird im Übrigen (einschließlich des Adhäsionserkenntnisses und des Widerrufsbeschlusses) aufgehoben und die Sache insoweit zur Verfahrenserneuerung an das Bezirksgericht Innsbruck verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem auch einen Teilfreispruch umfassenden Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 27. September 2005, GZ 8 U 49/05v-39, wurde der am 1. Dezember 1988 geborene jugendliche Beschuldigte Assan A***** zweier Vergehen schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Gleichzeitig fasste dieses Gericht den Beschluss, die A***** zum AZ 71 BE 158/04x des Landesgerichtes Innsbruck als Vollzugsgericht gewährte bedingte Entlassung aus dem Vollzug einer restlichen Freiheitsstrafe von sechs Monaten zu widerrufen. Die dieser Entscheidung vorangegangene Hauptverhandlung sowie die Urteilsfällung und Beschlussfassung erfolgten in Abwesenheit des im Rahmen von ursprünglich beim Landesgericht Innsbruck zum AZ 31 Ur 11/05w geführten Vorerhebungen bestellten (ON 6), zur Hauptverhandlung jedoch nicht geladenen (Verfahrenshilfe-)Verteidigers.

Auch ein gesetzlicher Vertreter des jugendlichen Beschuldigten wirkte am Strafverfahren nicht mit. Nach dem Akteninhalt wurde im gesamten Verfahren kein Versuch unternommen, einen solchen zu ermitteln. Eine Verständigung des Pflegschaftsgerichtes erfolgte nur hinsichtlich der Verfahrenseinleitung (S 3 verso); ein Ersuchen, Vorsorge nach § 187 ABGB zu treffen, weil der gesetzliche Vertreter nicht oder nur mit erheblichem zeitlichen Aufwand feststellbar ist, unterblieb. Das vom Bezirksgericht Innsbruck am 27. September 2005 verkündete Urteil und der Beschluss gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO blieben jeweils unbekämpft.Auch ein gesetzlicher Vertreter des jugendlichen Beschuldigten wirkte am Strafverfahren nicht mit. Nach dem Akteninhalt wurde im gesamten Verfahren kein Versuch unternommen, einen solchen zu ermitteln. Eine Verständigung des Pflegschaftsgerichtes erfolgte nur hinsichtlich der Verfahrenseinleitung (S 3 verso); ein Ersuchen, Vorsorge nach Paragraph 187, ABGB zu treffen, weil der gesetzliche Vertreter nicht oder nur mit erheblichem zeitlichen Aufwand feststellbar ist, unterblieb. Das vom Bezirksgericht Innsbruck am 27. September 2005 verkündete Urteil und der Beschluss gemäß Paragraph 494, a Absatz eins, Ziffer 4, StPO blieben jeweils unbekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Die Führung des Strafverfahrens ohne Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters des jugendlichen Beschuldigten sowie die Verhandlung und Urteilsfällung in Abwesenheit eines Verteidigers stehen - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend geltend macht - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Da die Verfahrensbeteiligung des gesetzlichen Vertreters gemäß § 38 JGG ein tragender Grundsatz des Strafverfahrens gegen Jugendliche ist, sind seitens des Strafgerichtes (§ 3 StPO) Erhebungen über die gesetzliche Vertretung anzustellen, die sich bei einem ausländischen Beschuldigten gemäß § 27 IPRG nach dessen Personalstatut richten. Gelingt die Ermittlung eines gesetzlichen Vertreters nicht oder nur mit erheblichem zeitlichen Aufwand, so ist bei akuter Gefährdung vom Strafgericht selbst (§ 2 JGG), sonst aber vom (durch das Strafgericht darüber zu verständigenden) Pflegschaftsgericht eine Vorsorge nach § 187 ABGB zu treffen (Schroll in WK² § 38 JGG Rz 2 f). Die Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes Innsbruck sowie - nach Abtretung des Strafverfahrens gemäß §§ 9, 51 StPO - der Richter des Bezirksgerichtes Innsbruck sind dieser Verpflichtung nicht nachgekommen. Die bloße Bestellung eines Verteidigers „nach § 41 Abs 2 StPO (§ 39 Abs 1 JGG) für das ganze Verfahren" (S 31) mit Beschluss der Untersuchungsrichterin vom 12. Jänner 2005 (S 1) reichte nicht hin, hat § 38 Abs 5 JGG doch ersichtlich subsidiären Charakter (vgl WK² JGG § 38 Rz 4, 21).Da die Verfahrensbeteiligung des gesetzlichen Vertreters gemäß Paragraph 38, JGG ein tragender Grundsatz des Strafverfahrens gegen Jugendliche ist, sind seitens des Strafgerichtes (Paragraph 3, StPO) Erhebungen über die gesetzliche Vertretung anzustellen, die sich bei einem ausländischen Beschuldigten gemäß Paragraph 27, IPRG nach dessen Personalstatut richten. Gelingt die Ermittlung eines gesetzlichen Vertreters nicht oder nur mit erheblichem zeitlichen Aufwand, so ist bei akuter Gefährdung vom Strafgericht selbst (Paragraph 2, JGG), sonst aber vom (durch das Strafgericht darüber zu verständigenden) Pflegschaftsgericht eine Vorsorge nach Paragraph 187, ABGB zu treffen (Schroll in WK² Paragraph 38, JGG Rz 2 f). Die Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes Innsbruck sowie - nach Abtretung des Strafverfahrens gemäß Paragraphen 9,, 51 StPO - der Richter des Bezirksgerichtes Innsbruck sind dieser Verpflichtung nicht nachgekommen. Die bloße Bestellung eines Verteidigers „nach Paragraph 41, Absatz 2, StPO (Paragraph 39, Absatz eins, JGG) für das ganze Verfahren" (S 31) mit Beschluss der Untersuchungsrichterin vom 12. Jänner 2005 (S 1) reichte nicht hin, hat Paragraph 38, Absatz 5, JGG doch ersichtlich subsidiären Charakter vergleiche WK² JGG Paragraph 38, Rz 4, 21).

Darüber hinaus unterblieb seitens des Richters des Bezirksgerichtes Innsbruck (vgl Verfügungen vom 16. Juni 2005 und vom 26. August 2005 auf dem unvollständig journalisierten Antrags- und Verfügungsbogen) eine Ladung des bereits im Rahmen der beim Landesgericht Innsbruck anhängig gewesenen Vorerhebungen beigegebenen Verteidigers. Die Hauptverhandlung und Urteilsfällung erfolgten in dessen Abwesenheit, obwohl die Beiziehung eines Rechtsbeistandes gerade in diesem bezirksgerichtlichen Verfahren gegen einen ohne Schulbildung in Österreich als Asylwerber aufhältigen (S 13 in ON 30), der deutschen Sprache nicht mächtigen, einkommens- und vermögenslosen jugendlichen Beschuldigten ohne gesetzlichen Vertreter, bei dem der Widerruf eines sechsmonatigen Sanktionsrestes nach bedingter Entlassung aus einer einjährigen Freiheitsstrafe beantragt war (ON 3 in ON 30), zur Wahrung dessen Rechte und somit im Interesse der Rechtspflege zweckmäßig gewesen wäre (§ 39 Abs 1 Z 2 zweiter Fall JGG - vgl WK² JGG § 39 Rz 12).Darüber hinaus unterblieb seitens des Richters des Bezirksgerichtes Innsbruck vergleiche Verfügungen vom 16. Juni 2005 und vom 26. August 2005 auf dem unvollständig journalisierten Antrags- und Verfügungsbogen) eine Ladung des bereits im Rahmen der beim Landesgericht Innsbruck anhängig gewesenen Vorerhebungen beigegebenen Verteidigers. Die Hauptverhandlung und Urteilsfällung erfolgten in dessen Abwesenheit, obwohl die Beiziehung eines Rechtsbeistandes gerade in diesem bezirksgerichtlichen Verfahren gegen einen ohne Schulbildung in Österreich als Asylwerber aufhältigen (S 13 in ON 30), der deutschen Sprache nicht mächtigen, einkommens- und vermögenslosen jugendlichen Beschuldigten ohne gesetzlichen Vertreter, bei dem der Widerruf eines sechsmonatigen Sanktionsrestes nach bedingter Entlassung aus einer einjährigen Freiheitsstrafe beantragt war (ON 3 in ON 30), zur Wahrung dessen Rechte und somit im Interesse der Rechtspflege zweckmäßig gewesen wäre (Paragraph 39, Absatz eins, Ziffer 2, zweiter Fall JGG - vergleiche WK² JGG Paragraph 39, Rz 12).

Den festgestellten Gesetzesverletzungen war konkrete Wirkung zuzuerkennen, weil ein daraus entstandener Nachteil für den Verurteilten nicht auszuschließen ist (§ 292 letzter Satz StPO).Den festgestellten Gesetzesverletzungen war konkrete Wirkung zuzuerkennen, weil ein daraus entstandener Nachteil für den Verurteilten nicht auszuschließen ist (Paragraph 292, letzter Satz StPO).

Anmerkung

E80917 11Os26.06t

Schlagworte

Kennung XPUBL Diese Entscheidung wurde veröffentlicht in Jus-Extra OGH-St 3920 = Jus-Extra OGH-St 3921 = RZ 2007,26 EÜ22, 23 - RZ 2007 EÜ22 - RZ 2007 EÜ23 = RZ 2007/10 S 125 - RZ 2007,125 = SSt 2006/34 XPUBLEND

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2006:0110OS00026.06T.0425.000

Dokumentnummer

JJT_20060425_OGH0002_0110OS00026_06T0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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