TE OGH 2006/5/11 2R114/06i

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Veröffentlicht am 11.05.2006
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Beschluss

Das Landesgericht Feldkirch als Berufungsgericht hat durch die Richter des Landesgerichtes Dr. Höfle als Vorsitzenden sowie Dr. Müller und Dr. Flatz als weitere Senatsmitglieder in der Rechtssache der klagenden Partei ***** vertreten durch Dr. Hans Widerin, Mag. Bernd Widerin, Rechtsanwälte in Bludenz, gegen die beklagten Parteien

1. ***** 2. ***** 3. W***** alle vertreten durch Dr. Johann Meier, Rechtsanwalt in Bludenz, wegen EUR 332,52 sA, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Bludenz vom 01.03.2006, 3 C 821/05 p-6, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil als nichtig aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Am 09.02.2005 ereignete sich in N***** ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker seines PKW mit dem Kennzeichen BZ-***** BE und der Erstbeklagte als Lenker des von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten PKW mit dem Kennzeichen BZ-***** AI beteiligt waren.

Mit der am 23.12.2005 bei Gericht eingelangten Klage machte der Kläger Schadenersatzansprüche geltend und brachte dazu vor, der Erstbeklagte habe mit seinem Fahrzeug den vom Kläger gelenkten PKW beim Passieren gestreift und dabei den Außenspiegel des Klägers beschädigt.

Die Beklagten beantragten Klagsabweisung und wendeten ein, der Kläger habe den Unfall selbst verschuldet, indem er gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen habe, über die gedachte Fahrbahnmitte gelangt sei und mit seinem Außenspiegel den Spiegel am Beklagtenfahrzeug beschädigt habe. Einer allenfalls zu Recht bestehenden Klagsforderung werde der auf Beklagtenseite entstandene Schaden aufrechnungsweise entgegengehalten.

Mit dem angefochtenen Urteil stellte das Erstgericht die Klagsforderung mit EUR 166,26 und die eingewendete Gegenforderung der Beklagten mit EUR 100,-- als zu Recht bestehend fest, verpflichtete dementsprechend die Beklagten zur Zahlung von EUR 66,26 sA an den Kläger und wies das darüber hinausgehende Mehrbegehren von EUR 266,26 sA ab.

Es traf dazu folgende Feststellungen:

„Am 09.02.2005 ereignete sich im Gemeindegebiet von ***** N***** ein Verkehrsunfall, an dem der Erstbeklagte mit dem Fahrzeug der Zweitbeklagten, haftpflichtversichert bei der Drittbeklagten, amtliches Kennzeichen BZ-***** AI, sowie der Kläger mit seinem Fahrzeug, amtliches Kennzeichen BZ-***** BE, beteiligt waren. Bei diesem Unfall wurden beide Fahrzeuge im Bereich der linken Außenspiegel beschädigt.

Weitere Feststellungen zum Unfallshergang können nicht getroffen werden.

Der Beginn des Zinsenlaufes mit 14.06.2005 sowie die Höhe der Klagsforderung (Betrag EUR 332,52) wurde der Höhe nach außer Streit gestellt.“

Ausgehend von diesem Sachverhalt erachtete das Erstgericht in Anwendung der Bestimmungen des § 273 Abs 2 ZPO die Klagsforderung mit EUR 166,26 und die Gegenforderung der Beklagten mit EUR 100,-- für „angemessen“.Ausgehend von diesem Sachverhalt erachtete das Erstgericht in Anwendung der Bestimmungen des Paragraph 273, Absatz 2, ZPO die Klagsforderung mit EUR 166,26 und die Gegenforderung der Beklagten mit EUR 100,-- für „angemessen“.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die rechtzeitige Berufung des Klägers aus den Berufungsgründen der Nichtigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Ersturteil im Sinne einer vollständigen Klagsstattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten bestreiten in ihrer ebenfalls rechtzeitigen Berufungsbeantwortung das Vorliegen der geltend gemachten Berufungsgründe und beantragen, dem Rechtsmittel des Klägers keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Berufung kommt im Sinne einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung Berechtigung zu.

Der Berufungswerber macht den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO geltend und erklärt dazu, dass die Entscheidung des Erstgerichts hinsichtlich Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung so mangelhaft sei, dass ihre Überprüfung nicht vorgenommen werden könne. Der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Begründung ist nur dann verwirklicht, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt. Das ist nach ständiger Rechtsprechung dann der Fall, wenn im Urteil - wie hier - eine Beweiswürdigung vollständig fehlt oder wenn es sich um eine Scheinbegründung handelt (EF 67.046).Der Berufungswerber macht den Nichtigkeitsgrund des Paragraph 477, Absatz eins, Ziffer 9, ZPO geltend und erklärt dazu, dass die Entscheidung des Erstgerichts hinsichtlich Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung so mangelhaft sei, dass ihre Überprüfung nicht vorgenommen werden könne. Der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Begründung ist nur dann verwirklicht, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt. Das ist nach ständiger Rechtsprechung dann der Fall, wenn im Urteil - wie hier - eine Beweiswürdigung vollständig fehlt oder wenn es sich um eine Scheinbegründung handelt (EF 67.046).

Das Ersturteil enthält überhaupt keine Beweiswürdigung, sodass es in Stattgebung der Berufung als nichtig aufzuheben ist. Was die in der Berufung ebenfalls relevierte Anwendung der Bestimmungen des § 273 Abs 2 ZPO anlangt, ist Folgendes anzumerken:Das Ersturteil enthält überhaupt keine Beweiswürdigung, sodass es in Stattgebung der Berufung als nichtig aufzuheben ist. Was die in der Berufung ebenfalls relevierte Anwendung der Bestimmungen des Paragraph 273, Absatz 2, ZPO anlangt, ist Folgendes anzumerken:

Die Entscheidung, ob § 273 ZPO anzuwenden ist, ist eine rein verfahrensrechtliche. Würden die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 273 ZPO vom Erstgericht zu Unrecht angenommen, läge ein Verfahrensmangel vor, der jedoch im Hinblick auf die Rechtsmittelbeschränkung des § 501 Abs 1 ZPO im hier zu beurteilenden Fall vom Berufungsgericht nicht aufgegriffen werden könnte (2 Ob 196/05 w). Ausgehend von der ständigen Rechtsprechung, wonach zwar die Entscheidung des Gerichtes über die Tatsache der Anwendung des § 273 ZPO eine rein verfahrensrechtliche und daher - in gleicher Weise wie das Übergehen eines Beweisanbots - nach § 501 Abs 1 ZPO nicht mehr überprüfbare Frage zum Gegenstand hat, das Ergebnis der Anwendung (hier also auch die Entscheidung über Bestehen oder Nichtbestehen der gegenseitigen Forderungen) jedoch eine Frage der - auch nach § 501 Abs 1 ZPO überprüfbaren - rechtlichen Beurteilung darstellt, ist nach Ansicht des Gesetzgebers, der anlässlich der Einführung dieser Bestimmung in seinen Erläuterungen zum Gesetzestext so argumentierte, damit auch kein Rechtsschutzverlust in zweiter Instanz verbunden.Die Entscheidung, ob Paragraph 273, ZPO anzuwenden ist, ist eine rein verfahrensrechtliche. Würden die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Paragraph 273, ZPO vom Erstgericht zu Unrecht angenommen, läge ein Verfahrensmangel vor, der jedoch im Hinblick auf die Rechtsmittelbeschränkung des Paragraph 501, Absatz eins, ZPO im hier zu beurteilenden Fall vom Berufungsgericht nicht aufgegriffen werden könnte (2 Ob 196/05 w). Ausgehend von der ständigen Rechtsprechung, wonach zwar die Entscheidung des Gerichtes über die Tatsache der Anwendung des Paragraph 273, ZPO eine rein verfahrensrechtliche und daher - in gleicher Weise wie das Übergehen eines Beweisanbots - nach Paragraph 501, Absatz eins, ZPO nicht mehr überprüfbare Frage zum Gegenstand hat, das Ergebnis der Anwendung (hier also auch die Entscheidung über Bestehen oder Nichtbestehen der gegenseitigen Forderungen) jedoch eine Frage der - auch nach Paragraph 501, Absatz eins, ZPO überprüfbaren - rechtlichen Beurteilung darstellt, ist nach Ansicht des Gesetzgebers, der anlässlich der Einführung dieser Bestimmung in seinen Erläuterungen zum Gesetzestext so argumentierte, damit auch kein Rechtsschutzverlust in zweiter Instanz verbunden.

Obwohl - wie ausgeführt - die Entscheidung, ob § 273 ZPO anzuwenden ist, vom Berufungsgericht nicht überprüft werden kann, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die vom Erstgericht dafür gelieferte Begründung in keiner Weise überzeugt. Auch wenn die mit der Einholung eines verkehrstechnischen Gutachtens, das im übrigen von keiner der Parteien angeboten wurde, verbundenen Kosten tatsächlich in einem Missverhältnis zum Streitwert stehen, ist nicht nachvollziehbar, weshalb eine Einvernahme der beiden Unfalllenker als Parteien und der vom Kläger angebotenen Zeugin zu einer relevanten Erhöhung der Verfahrenskosten geführt hätte. Die vorbereitende Tagsatzung am 01.03.2006 dauerte nur eine Viertelstunde. Mit der dafür vorgesehenen Entlohnung nach RATG ist eine Verhandlungsdauer bis zu einer Stunde abgegolten. Wenn das Erstgericht die bis zu einer Erhöhung der Verfahrenskosten zur Verfügung stehenden 45 Minuten dazu genutzt hätte, die Fahrzeuglenker und die Zeugin zu dem sehr eingeschränkten Beweisthema einzuvernehmen, wären im konkreten Fall gar keine Mehrkosten entstanden.Obwohl - wie ausgeführt - die Entscheidung, ob Paragraph 273, ZPO anzuwenden ist, vom Berufungsgericht nicht überprüft werden kann, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die vom Erstgericht dafür gelieferte Begründung in keiner Weise überzeugt. Auch wenn die mit der Einholung eines verkehrstechnischen Gutachtens, das im übrigen von keiner der Parteien angeboten wurde, verbundenen Kosten tatsächlich in einem Missverhältnis zum Streitwert stehen, ist nicht nachvollziehbar, weshalb eine Einvernahme der beiden Unfalllenker als Parteien und der vom Kläger angebotenen Zeugin zu einer relevanten Erhöhung der Verfahrenskosten geführt hätte. Die vorbereitende Tagsatzung am 01.03.2006 dauerte nur eine Viertelstunde. Mit der dafür vorgesehenen Entlohnung nach RATG ist eine Verhandlungsdauer bis zu einer Stunde abgegolten. Wenn das Erstgericht die bis zu einer Erhöhung der Verfahrenskosten zur Verfügung stehenden 45 Minuten dazu genutzt hätte, die Fahrzeuglenker und die Zeugin zu dem sehr eingeschränkten Beweisthema einzuvernehmen, wären im konkreten Fall gar keine Mehrkosten entstanden.

Nach Ansicht des Berufungsgerichtes dürfen die Bestimmungen des § 273 ZPO iVm der Rechtsmittelbeschränkung des § 501 ZPO nicht dazu führen, dass Beweismittel, deren Aufnahme keine oder im Verhältnis zum Streitgegenstand vertretbare Mehrkosten verursachen, nicht aufgenommen werden. Gerade in den Bereichen, in denen der Gesetzgeber eine Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht nicht zulässt, ist im Interesse eines fairen Verfahrens eine sorgfältige Vorgangsweise des Erstgerichts unumgänglich. Die eingeschränkte Überprüfbarkeit darf keinesfalls bewirken, dass aus sachlich nicht zu rechtfertigenden Gründen Beweismittel nicht aufgenommen werden. Wird - wie hier - faktisch gar kein Beweisverfahren durchgeführt - stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien sich die freie Überzeugung über das Bestehen eines Anspruches richten soll. Auch wenn im Hinblick auf die Bestimmungen des § 273 ZPO ökonomische Überlegungen bei der Entscheidung, welche Beweismittel aufzunehmen sind, eine Rolle spielen dürfen, würde der vom Erstgericht eingenommene Standpunkt dazu führen, dass speziell Verkehrsunfallverfahren mit Streitwerten bis zu EUR 1.000,-- ohne Beweisaufnahme „nach freier Überzeugung“ des Erstgerichts entschieden werden. Da der Anspruch auf ein faires Verfahren im Sinne des Art 6 Abs 1 EMRK nicht erst bei einem Streitwert von über EUR 1.000,-- beginnt, ist eine solche Vorgangsweise jedenfalls abzulehnen.Nach Ansicht des Berufungsgerichtes dürfen die Bestimmungen des Paragraph 273, ZPO in Verbindung mit der Rechtsmittelbeschränkung des Paragraph 501, ZPO nicht dazu führen, dass Beweismittel, deren Aufnahme keine oder im Verhältnis zum Streitgegenstand vertretbare Mehrkosten verursachen, nicht aufgenommen werden. Gerade in den Bereichen, in denen der Gesetzgeber eine Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht nicht zulässt, ist im Interesse eines fairen Verfahrens eine sorgfältige Vorgangsweise des Erstgerichts unumgänglich. Die eingeschränkte Überprüfbarkeit darf keinesfalls bewirken, dass aus sachlich nicht zu rechtfertigenden Gründen Beweismittel nicht aufgenommen werden. Wird - wie hier - faktisch gar kein Beweisverfahren durchgeführt - stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien sich die freie Überzeugung über das Bestehen eines Anspruches richten soll. Auch wenn im Hinblick auf die Bestimmungen des Paragraph 273, ZPO ökonomische Überlegungen bei der Entscheidung, welche Beweismittel aufzunehmen sind, eine Rolle spielen dürfen, würde der vom Erstgericht eingenommene Standpunkt dazu führen, dass speziell Verkehrsunfallverfahren mit Streitwerten bis zu EUR 1.000,-- ohne Beweisaufnahme „nach freier Überzeugung“ des Erstgerichts entschieden werden. Da der Anspruch auf ein faires Verfahren im Sinne des Artikel 6, Absatz eins, EMRK nicht erst bei einem Streitwert von über EUR 1.000,-- beginnt, ist eine solche Vorgangsweise jedenfalls abzulehnen.

Im Zuge des weitere Verfahrens wird das Erstgericht im Rahmen der neuerliche Entscheidung die von ihm getroffenen Feststellungen im Rahmen einer Beweiswürdigung zu begründen haben. Auf die Ausführungen des Berufungswerbers in seiner Rechtsrüge ist vorerst nicht einzugehen, da das Erstgericht seiner neuerlichen Entscheidung andere Feststellungen zu Grunde legen könnte.

Der Ausspruch über den Kostenvorbehalt im Rechtsmittelverfahren stützt sich auf die Bestimmung des § 52 Abs 1 letzter Satz ZPO. Landesgericht FeldkirchDer Ausspruch über den Kostenvorbehalt im Rechtsmittelverfahren stützt sich auf die Bestimmung des Paragraph 52, Absatz eins, letzter Satz ZPO. Landesgericht Feldkirch

Anmerkung

EFE00149 02r01146

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LG00929:2006:00200R00114.06I.0511.000

Dokumentnummer

JJT_20060511_LG00929_00200R00114_06I0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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