Index
E3R E02100000;Norm
31992R2913 ZK 1992 Art203;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):2004/16/0257 2004/16/0258 2004/16/0259 2004/16/0264 2004/16/0261 2004/16/0262 2004/16/0263 2004/16/0260Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pfau, über die Beschwerden der S AG in W, vertreten durch die Doralt Seist Csoklich Rechtsanwalts-Partnerschaft in 1090 Wien, Währinger Straße 2-4, gegen die Bescheide des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, 1. vom 4. März 2004, Zl. ZRV/0262-Z2L/02, 2. vom 7. Juni 2004, Zl. ZRV/0170-Z2L/02, 3. vom 7. Juni 2004, Zl. ZRV/0263-Z2L/02,
4. vom 7. Juni 2004, Zl. ZRV/0264-Z2L/02, 5. vom 7. Juni 2004, Zl. ZRV/0265-Z2L/02, 6. vom 7. Juni 2004, Zl. ZRV/0267-Z2L/02,
7. vom 7. Juni 2004, Zl. ZRV/0269-Z2L/02, 8. vom 7. Juni 2004, Zl. ZRV/0270-Z2L/02, und 9. vom 7. Juni 2004, Zl. ZRV/0271-Z2L/02, jeweils betreffend Eingangsabgaben, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin betrieb ein Zolllager, das auch als Verwahrungslager nach den Art. 185 bis 187 ZK-DVO zugelassen war.
Anlässlich einer am 30. August 1999 durch das Hauptzollamt Wien durchgeführten Lagerbestandsaufnahme wurde festgestellt, dass in neun Fällen näher bestimmte Nichtgemeinschaftswaren fehlten.
In ihren Schreiben vom 2. bzw. 3. September 1999 teilte die Beschwerdeführerin dem Hauptzollamt Wien mit, diese Waren seien in den Jahren 1997 bis 1999 in verschiedene Drittländer ausgeführt worden. Dabei seien die Waren versehentlich überwiegend zur Ausfuhr als Gemeinschaftswaren angemeldet worden. Anschließend seien die Waren in das interne Versandverfahren (T2 mit Bestimmungsstelle im jeweiligen Drittland) bzw. im Carnet TIR Verfahren nach Slowenien oder unmittelbar (ohne Versandverfahren) aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht worden. In einem Fall seien die Waren ohne Zollverfahren nach Ungarn ausgeführt worden. Zum Nachweis ihrer Ausführungen legte die Beschwerdeführerin diverse Unterlagen (Lagerblätter, Ladelisten, Kopien der Ausfuhranmeldungen bzw. Versandscheine usw.) vor.
Im Zeitraum vom 31. Jänner bis 4. Februar 2000 erließ das Hauptzollamt Wien in dieser Angelegenheit neun Bescheide, in welchen der Beschwerdeführerin gemäß Art. 221 Abs. 1 ZK eine für die jeweils näher angeführten Waren gemäß Art. 203 Abs. 3 ZK (Art. 213 ZK) iVm § 2 Abs. 1 ZollR-DG entstandene und in der Folge gemäß Art. 217 Abs. 1 ZK buchmäßig erfasste Eingangsabgabenschuld (Zoll, Einfuhrumsatzsteuer und in sechs Fällen auf Abgabenerhöhung) mitgeteilt wurde. Begründend wurde jeweils ausgeführt, dass für die gegenständlichen Waren infolge deren "Abfertigung mit einer freien Ausfuhr" die Zollschuld gemäß Art. 203 ZK iVm Art. 865 ZK-DVO entstanden sei. Die Bemessungsgrundlagen seien jeweils geschätzt worden.
In ihren dagegen erhobenen Berufungen brachte die Beschwerdeführerin vor, es sei nicht zur Entziehung der Waren nach Art. 203 ZK gekommen, sondern allenfalls zu sonstigen Verfehlungen nach Art. 204 ZK, die sich überdies nicht wirklich ausgewirkt hätten. Die Waren hätten nachweislich das Gemeinschaftsgebiet verlassen und seien in den Drittstaaten einfuhrverzollt worden. Dadurch hätten die Waren den Status von Nichtgemeinschaftswaren erhalten, sodass eine abgabenfreie Wiedereinfuhr nicht möglich sei. Da die Waren im Inland nicht in den Verkehr gebracht worden seien, könne auch keine Einfuhrumsatzsteuer vorgeschrieben werden, zumal die jeweiligen Empfänger zum Vorsteuerabzug berechtigt seien.
Gleichzeitig stellte die Beschwerdeführerin Anträge auf Erstattung der Eingangsabgabenschuld.
Mit neun Berufungsvorentscheidungen vom 14. Februar 2001 bzw. 15. Februar 2001 wurden die Berufungen als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin erhob dagegen Beschwerden.
Mit dem sechstangefochtenen Bescheid (dem der Fall der Ausfuhr von eingelagerten Drittlandswaren nach Ungarn ohne Ausfuhrverfahren zu Grunde gelegen ist) wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde nach Wiedergabe des jeweiligen Verfahrensganges und der gesetzlichen Bestimmungen im Wesentlichen ausgeführt, für die im Anschluss an ein externes Versandverfahren in vorübergehender Verwahrung befindlichen Nichtgemeinschaftswaren, welche nach den Bestandsaufzeichnungen der Beschwerdeführerin in das Zolllagerverfahren übergeführt worden seien, sei im Beschwerdefall die Zollschuld gemäß Art. 203 Abs. 1 ZK in Verbindung mit § 2 Abs. 1 ZollR-DG entstanden, weil mit deren Entfernen der Zugang zu den unter zollamtlicher Überwachung stehenden Waren verhindert worden sei und die Zollbehörde diese nicht mehr überprüfen habe können. In weiterer Folge sei das Zolllagerverfahren nicht gemäß Art. 89 Abs. 1 ZK ordnungsgemäß beendet worden. Unerheblich sei, dass die Waren aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft ausgeführt und gegebenenfalls im Drittland einfuhrverzollt worden seien. Die Zollschuld entstehe nämlich im Zeitpunkt des Entziehens, also in dem Zeitpunkt, in dem die konkret begonnene zollamtliche Überwachung den Zollbehörden nicht mehr möglich sei, im Beschwerdefall somit im Zeitpunkt des tatsächlichen Entfernens der Waren aus dem Zolllager. Der Umstand, dass eine Ware in der Folge in einem Drittland einfuhrverzollt worden sei, lasse die Entstehung der Zollschuld nicht entfallen.
Hinsichtlich der Einfuhrumsatzsteuer wurde ausgeführt, die Anwendbarkeit der zollrechtlichen Vorschriften auf die Einfuhrumsatzsteuer ergebe sich aus § 2 Abs. 1 ZollR-DG und § 26 Abs. 1. Die Detailregelungen des materiellen und formellen Rechts der Einfuhrumsatzsteuer erfolge weitgehend durch die Vorschriften über die Zölle, die sinngemäß heranzuziehen seien. Dies gelte vor allem für die Frage der Entstehung des Umfanges der Steuerschuld. In § 26 UStG habe der Gesetzgeber Einschränkungen im Hinblick auf die sinngemäße Anwendung der Zollvorschriften, z.B. die Vorschriften über den aktiven Veredelungsverkehr nach dem Verfahren der Zollrückvergütung und über den passiven Veredelungsverkehr ausdrücklich ausgenommen. Bezüglich der Vorschriften über das Entstehen der Zollschuld, insbesondere Art. 203 ZK, habe der Gesetzgeber keine Veranlassung gesehen, die Anwendung der Zollvorschriften zu begrenzen. Hätte er den Standpunkt vertreten, dass zentrale Regelungen des Zollkodex über das Entstehen der Zollschuld dem Sinn und Zweck der Einfuhrumsatzsteuer widersprächen, hätte er eine solche begrenzte Anwendung aber vorgesehen.
Die Einfuhrumsatzsteuerschuld entstehe bei jedem Vorgang, der als Einfuhr zu werten sei. Als solche seien nicht nur die Überführung in den freien Verkehr, sondern auch Unregelmäßigkeiten im Sinne der Art. 202 ff ZK, somit auch ein Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung anzusehen. Ohne Bedeutung sei, auf welcher Rechtsgrundlage die Einfuhr erfolge, ob der Gegenstand nur zur Durchfuhr bestimmt sei oder später wieder ausgeführt werden solle. Der Umstand, dass sich eine Ware nicht mehr im Zollgebiet der Gemeinschaft befinde, lasse die Entstehung der Zollschuld und damit der Einfuhrumsatzsteuerschuld nicht entfallen. Zur Beurteilung der Einfuhrumsatzsteuerschuld könne der Umstand einer allfälligen Vorsteuerabzugsberechtigung nicht herangezogen werden. Da die Waren nicht für ein in Österreich ansässiges Unternehmen eingeführt worden seien, sei das Vorbringen, die Vorschreibung der Einfuhrumsatzsteuer sei aus diesem Grund nicht rechtmäßig, nicht nachvollziehbar.
Mit den übrigen angefochtenen Bescheiden wurde der Spruch der jeweiligen Berufungsvorentscheidungen um den Tatbestand des Art. 865 ZK-DVO ergänzt und sprachlich berichtigt. Jene Spruchteile, welche die buchmäßige Erfassung, Mitteilung, Fälligkeit und Zahlungsfrist sowie Art und Höhe der Eingangsabgaben betrafen, blieben unverändert. Begründend wurde in diesen Bescheiden im Wesentlichen übereinstimmend nach der Wiedergabe des jeweiligen Verfahrensganges und der gesetzlichen Bestimmungen ausgeführt, die Zollschuld sei für die in vorübergehender Verwahrung befindlichen Nichtgemeinschaftswaren gemäß Art. 203 Abs. 1 ZK iVm 865 ZK-DVO entstanden, weil diese zur Ausfuhr als Gemeinschaftswaren angemeldet worden seien. Daher könnten sie - unbeschadet einer allfälligen Einfuhrverzollung im Drittland - theoretisch als solche wieder zollfrei in das Zollgebiet der Gemeinschaft eingeführt worden sein, wenn ihre Rückwareneigenschaft (Art. 185 ZK) belegt worden wäre, zumal die Ausfuhranmeldung mit dem Verfahrenscode 1000 0 als Rückwarennachweis diene.
Hinsichtlich der Einfuhrumsatzsteuer entspricht die Begründung dieser Bescheide jener des sechstangefochtenen Bescheides.
Gegen sämtliche angefochtene Bescheide wurden Beschwerden vor dem Verfassungsgerichtshof erhoben. Mit Beschluss vom 4. Oktober 2004, B 499/04-3 und B 921-928/04-3, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerden ab. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof aus, spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beurteilung der durch die Beschwerden aufgeworfenen Fragen, speziell zur Frage, ob in den vorliegenden Fällen zu Recht Einfuhrumsatzsteuer vorgeschrieben worden sei, nicht anzustellen. Soweit die Beschwerden insofern verfassungsrechtliche Fragen berührten, als die Verfassungswidrigkeit der den angefochtenen Bescheid tragenden Gesetzesvorschriften behauptet werde, sei ihnen zu entgegnen, dass aus verfassungsrechtlicher Sicht der sinngemäße Anwendung zollrechtlicher Vorschriften auf die Einfuhrumsatzsteuer im gegebenen Zusammenhang im Hinblick auf die in Art. 235 ff ZK (Art. 877 ff ZK-DVO) vorgesehenen Möglichkeit der Erstattung und des Erlasses von Einfuhr- bzw. Eingangsabgaben keine Bedenken begegneten. Ihr Vorbringen lasse daher die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hätten. Auf Antrag der Beschwerdeführerin trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerden mit Beschluss vom 30. November 2004, B 499/04-5 und B 921-928/04- 5, an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
In ihrer vor dem Verwaltungsgerichtshof erstatteten
Beschwerdeergänzung machte die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit
des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von
Verfahrensvorschriften geltend. Die Beschwerdeführerin erachtet
sich durch die angefochtenen Bescheide "insbesondere in ihrem
Recht auf
- Nichtvorschreibung der EUSt, insbesondere mangels
einer Einfuhr von Waren in das Inland bzw. in das EU-Zollgebiet,
- Nichtvorschreibung von Abgaben, insbesondere Zöllen
und EUSt gemäß Artikel 203 ZK,
- Nichtvorschreibung von Einfuhrabgaben (Zölle, EUSt)
nach Artikel 204 Abs. 1 ZK, insbesondere weil sich die
Verfehlungen nachweislich nicht auf die ordnungsgemäße Abwicklung
ausgewirkt haben,
- ..."
verletzt.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Verbindung der Beschwerden zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung erwogen:
Gemäß Art. 4 Z 13 Zollkodex (ZK) sind unter dem Begriff der "zollamtlichen Überwachung" allgemeine Maßnahmen der Zollbehörden, um die Einhaltung des Zollrechts und gegebenenfalls der sonstigen für Waren unter zollamtlicher Überwachung geltenden Vorschriften zu gewährleisten, zu verstehen.
Nach Art. 4 Z 14 ZK bedeutet der Begriff der "zollamtlichen Prüfung" besondere Amtshandlungen zur Gewährleistung der Einhaltung des Zollrechts und gegebenenfalls der sonstigen für Waren unter zollamtlicher Überwachung geltenden Vorschriften, wie Beschau der Waren, Überprüfung des Vorhandenseins und der Echtheit von Unterlagen, Prüfung von Unternehmensbuchführung oder sonstiger Schriftstücke, Kontrolle der Beförderungsmittel, Kontrolle des Gepäcks und sonstiger Waren, die von oder an Personen mitgeführt werden, Durchführung von behördlichen Nachforschungen und dergleichen.
Die "zollrechtliche Bestimmung einer Ware umfasst nach Art. 4 Z 15 ZK u.a. die Wiederausfuhr aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft.
Art. 4 Z 16 ZK nennt als Zollverfahren u.a. das Versandverfahren (lit. b), das Zolllagerverfahren (lit. c) und das Ausfuhrverfahren (lit. h).
Waren, die in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht werden, unterliegen gemäß Art. 37 Abs. 1 ZK vom Zeitpunkt des Verbringens an der zollamtlichen Überwachung. Sie können nach dem geltenden Recht zollamtlich geprüft werden.
Sie bleiben so lange unter zollamtlicher Überwachung, wie es für die Ermittlung ihres zollrechtlichen Status erforderlich ist, und, im Fall von Nichtgemeinschaftswaren unbeschadet des Art. 82 Abs. 1, bis sie ihren zollrechtlichen Status wechseln, in eine Freizone oder ein Freilager verbracht, wiederausgeführt oder nach Art. 182 vernichtet oder zerstört werden (Art. 37 Abs. 2 ZK).
Nach Art. 101 ZK ist der Lagerhalter u. a. dafür verantwortlich, dass die Waren während ihres Verbleibs im Zolllager nicht der zollamtlichen Überwachung entzogen werden.
Wenn es die Umstände rechtfertigen, können gemäß Art. 110 ZK die in das Zolllagerverfahren übergeführten Waren vorübergehend aus dem Zolllager entfernt werden. Das Entfernen bedarf der vorherigen Bewilligung durch die Zollbehörden, die die Einzelheiten dieses Entfernens festlegen.
Art. 203 Abs. 1 und 2 ZK lautet:
"(1) Eine Einfuhrzollschuld entsteht,
- wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der
zollamtlichen Überwachung entzogen wird.
(2) Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird."
Art. 204 Abs. 1 ZK lautet:
"(1) Eine Einfuhrzollschuld entsteht, wenn in anderen als den
in Artikel 203 genannten Fällen
a) eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei
einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehender
Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das
sie übergeführt worden ist, ergeben, oder
b) eine der Voraussetzungen für die Überführung einer
Ware in das betreffende Verfahren oder für die Gewährung eines ermäßigten Einfuhrabgabensatzes oder einer Einfuhrabgabenfreiheit auf Grund der Verwendung der Ware zu besonderen Zwecken nicht erfüllt wird,
es sei denn, dass sich diese Verfehlungen nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben."
Art. 865 Zollkodex-Durchführungsverordnung (ZK-DVO) lautet:
"Die Zollanmeldung einer Ware oder jede andere Handlung mit den gleichen Rechtswirkungen sowie die Vorlage eines Dokuments zur Bescheinigung durch die zuständigen Behörden stellen ein Entziehen der Ware aus der zollamtlichen Überwachung im Sinne des Artikels 203 Absatz 1 des Zollkodex dar, wenn dieses Vorgehen zur Folge hat, dass der Ware fälschlicherweise der zollrechtliche Status einer Gemeinschaftsware zuerkannt wird."
Unstrittig ist, dass die gegenständlichen Waren zu den Zeitpunkten, als sie aus dem von der Beschwerdeführerin betriebenen Zolllager entfernt wurden, den Status als Drittlandswaren innehatten und dass sie unter unrichtiger Anwendung von Verfahren, welche sie jeweils als Gemeinschaftswaren auswiesen (bzw. hinsichtlich des sechstangefochtenen Bescheides ohne Zollverfahren), in das Drittlandsgebiet verbracht wurden.
Die Beschwerdeführerin vertritt zunächst die Auffassung, es sei keine Zollschuld nach § 203 ZK entstanden, weil die Waren jeweils durch die Einfuhrverzollung in den Drittländern den unrichtigen Status als Gemeinschaftsware verloren hätten.
Das Gemeinschaftsrecht definiert nicht, in welchen Fällen davon auszugehen ist, dass eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung iSd Art. 203 Abs. 1 ZK entzogen wurde. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes umfasst der Begriff der Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung nach Art. 203 Abs. 1 ZK jede Handlung oder Unterlassung, die dazu führt, dass die zuständige Zollbehörde auch nur zeitweise am Zugang zu einer unter zollamtlicher Überwachung stehenden Ware und der Durchführung der in Art. 37 Abs. 1 ZK vorgesehenen Prüfungen gehindert wird (vgl. das Urteil des EuGH vom 12. Februar 2004, Rs. C-337/01, "Hamann International GmbH Spedition + Logistik", mwN).
Art. 865 ZK-DVO enthält Beispiele für das Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung (vgl. das Urteil des EuGH vom 1. Februar 2001, Rs. C-66/99, "D. Wandel GmbH"). Die Regelung beinhaltet drei verschiedene Handlungen, die zur Folge haben, dass der Ware fälschlicherweise der Status einer Gemeinschaftsware zuerkannt wird, darunter auch die Zollanmeldung. Es ist dies "eine besonders intelligente Form des Entziehens", die nicht nur bewirkt, dass die konkrete zollamtliche Überwachungstätigkeit eingestellt wird, sondern auch, dass eine Ware ausgeführt wird, die als angemeldete Gemeinschaftsware das Rückwarenprivileg genießt und jederzeit abgabenfrei in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht und in den freien Verkehr übergeführt werden kann. Die Ausfuhranmeldung mit dem Verfahrenscode 1000 dient sogar als Rückwarennachweis (vgl. Witte, Zollkodex4, Rz 14 zu Art. 203).
Im Sonderfall des Art. 865 ZK-DVO entsteht die Zollschuld nach Art. 203 Abs. 1 ZK mit dem Zeitpunkt des Zuerkennens des zollrechtlichen Status der Gemeinschaftsware (Witte, a. a.O., Rz 15 zu Art. 203). Daraus folgt, dass nachfolgende Ereignisse, wie die tatsächliche Ausfuhr oder die Einfuhrverzollung im Drittland keine Auswirkungen mehr auf die bereits entstandene Zollschuld haben. Anders als Art. 204 ZK sieht Art. 203 ZK nämlich keine Heilung von Pflichtverletzungen vor (vgl. Witte, a.a.O, Rz 1 zu Art. 203, mwN).
Die Beschwerdeführerin behauptet, eine abgabenfreie Wiedereinfuhr sei in den Beschwerdefällen nicht möglich, weil sie sämtliche "Original-Zollanmeldungen" einem "Antrag auf Ungültigerklärung" vom 6. November 1999 beigelegt habe.
Bei der Entstehung der Zollschuld nach Art. 203 ZK kommt es aber nicht darauf an, ob von der Möglichkeit der Rückwarenbefreiung tatsächlich Gebrauch gemacht wurde oder werden konnte. Eine Abstandnahme von der Rückwarenbefreiung kann nach den obigen Ausführungen auch keinen nachträglichen Wegfall der bereits entstandenen Steuerschuld bewirken. Im Übrigen verweist die Gegenschrift zu Recht auf den Umstand, dass zum Nachweis der Rückwarenbegünstigung auch andere geeignete Nachweise iSd Art. 848 ZK-DVO vorgelegt werden könnten.
Wenn sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Nichtvorschreibung der Einfuhrabgaben nach Art. 204 ZK verletzt erachtet, genügt es darauf hinzuweisen, dass in den Beschwerdefällen keine Abgabenvorschreibung nach Art. 204 ZK, sondern nach Art. 203 ZK erfolgt ist. Es ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 204 Abs. 1 ZK, dass diese Bestimmung von der Spezialbestimmung des Art. 203 ZK verdrängt wird, sodass auch nicht beide Tatbestände gleichzeitig vorliegen können (vgl. Witte, a.a.O, Rz 23 zu Art. 203, mwN).
Zum sechstangefochtenen Bescheid, dem der Sachverhalt zu Grunde liegt, dass Waren ohne weiteres Zollverfahren aus dem Zolllager entfernt und nach Ungarn befördert worden sind, erstattet die Beschwerdeführerin kein eigenes Vorbringen. Es ist in diesem Zusammenhang auch auf die obigen Ausführungen (mit Ausnahme jener zu Art. 865 ZK-DVO) zu verweisen.
Wenn die Beschwerdeführerin die Auffassung vertritt, dass jedenfalls die Einfuhrumsatzsteuer mangels Einfuhr zu Unrecht vorgeschrieben worden sei, ist ihr wie folgt entgegenzutreten:
Gemäß § 1 Abs. 1 Z 3 UStG 1994 unterliegt die Einfuhr von Gegenständen der Umsatzsteuer. Eine Einfuhr liegt nach dieser Bestimmung vor, wenn ein Gegenstand aus dem Drittlandsgebiet in das Inland, ausgenommen die Gebiete Jungholz und Mittelberg, gelangt.
Nach § 1 Abs. 2 UStG 1994 ist Inland das Bundesgebiet.
Gemäß § 19 Abs. 5 UStG 1994 gilt für die Entstehung der Steuerschuld bei der Einfuhrumsatzsteuer § 26 Abs. 1.
Nach § 26 Abs. 1 UStG 1994 gelten - soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt ist - für die Einfuhrumsatzsteuer die Rechtsvorschriften für Zölle sinngemäß; ausgenommen sind die Vorschriften über den aktiven Veredlungsverkehr nach dem Verfahren der Zollrückvergütung und über den passiven Veredlungsverkehr.
Nach § 2 Abs. 1 ZollR-DG gelten das in § 1 ZollR-DG genannte gemeinschaftliche Zollrecht, das ZollR-DG, in dessen Durchführung ergangene Verordnungen sowie die allgemeinen abgabenrechtlichen Vorschriften und das in Österreich anwendbare Völkerrecht, soweit sie sich auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben beziehen, weiters in allen nicht vom Zollkodex erfassten gemeinschaftsrechtlich und innerstaatlich geregelten Angelegenheiten des Warenverkehrs über die Grenzen des Anwendungsgebietes, einschließlich der Erhebung von Abgaben (sonstige Eingangs- oder Ausgangsabgaben) und anderen Geldleistungen, soweit im ZollR-DG oder in den betreffenden Rechtsvorschriften die Vollziehung der Zollverwaltung übertragen und nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist.
Das Verbringen von Gegenständen aus dem Drittlandsgebiet in ein österreichisches Zolllager erfüllt an sich bereits den Tatbestand der Einfuhr, weil die Waren in das Inland gelangen. Die Steuerschuld entsteht jedoch vorderhand noch nicht (Ruppe, UStG 19943, Tz 443 zu § 1). Der Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld richtet sich vielmehr nach zollrechtlichen Vorschriften (vgl. Ruppe, Tz 67 zu § 19). In sinngemäßer Anwendung der Zollvorschriften entsteht die Steuerschuld bei der Einfuhrumsatzsteuer, wenn beispielsweise Gegenstände aus der zollamtlichen Überwachung entzogen werden (vgl. Kolacny/Mayer, UStG2, Anm. 3 zu § 26).
Daraus ergibt sich, dass auch in den vorliegenden Beschwerdefällen davon auszugehen ist, dass der Tatbestand der Einfuhr nach § 1 Abs. 1 Z 3 UStG 1994 bereits anlässlich des körperlichen Verbringens der Waren in das Bundesgebiet verwirklicht wurde, die Steuerschuld aber erst durch das Entziehen dieser Waren aus der zollamtlichen Überwachung entstanden ist. Ob die Waren in der Folge in Österreich in den Wirtschaftskreislauf gebracht wurden, ob also im Anschluss an das Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung mit diesen Waren weitere im Inland steuerbare Umsätze (Lieferungen, Eigenverbrauch) getätigt worden sind, ist für die Beurteilung des Vorliegens von Einfuhren ohne Belang. Das Beschwerdevorbringen war somit auch in dieser Hinsicht nicht geeignet, den Beschwerden zu einem Erfolg zu verhelfen.
Da die Beschwerden keine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide aufzuzeigen vermochten, waren sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 18. September 2007
Gerichtsentscheidung
EuGH 62001J0337 Hamann International VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2004160256.X00Im RIS seit
23.10.2007Zuletzt aktualisiert am
20.07.2012