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82 GesundheitsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerordnungLeitsatz
Gesetzwidrigkeit bzw Gleichheitswidrigkeit von Umlagenordnungen der Ärztekammer für Wien teils zur Gänze mangels ordnungsgemäßer Kundmachung teils hinsichtlich einiger Bestimmungen und Wortfolgen; Mindestmaß an Publizität der nicht ordnungsgemäß kundgemachten Verordnungen gegeben zur Begründung eines tauglichen Prüfungsobjektes; keine sachliche Rechtfertigung der erheblichen Benachteiligung freiberuflich tätiger Ärzte mit Kassenvertrag im Vergleich zu solchen ohne Kassenvertrag bei Festsetzung der KammerumlageSpruch
I. In der Umlagenordnung der Ärztekammer für Wien für das Jahr 2000, beschlossen von der Vollversammlung der Ärztekammer für Wien am 14. Dezember 1999, genehmigt von der Wiener Landesregierung mit Beschluss vom 6. Juni 2000, Pr.Zl. 0413/00 (MA 15-II-106/2000), kundgemacht in der Fachzeitschrift "Wiener Arzt", Heft 12/2000, werden
1. die Wortfolge ", die in keinem Vertragsverhältnis zu den Sozialversicherungsträgern stehen," in Abschnitt I.A. Abs1,
2. der Abs1, die Wortfolge "in Abs1 genannten" in Abs2 erster Satz, die Wortfolge "nach Abs1" in Abs4, die Wortfolge "unbeschadet der Bestimmungen der Abschnitte I A Abs1 und 2 und I B Abs1, 2 und 4" in Abs5 in Abschnitt I.B. und
3. die Wortfolge "gemäß Abschnitt I B Abs1" in Abschnitt I.C.
Abs1
als gesetzwidrig aufgehoben.
II. Die aufgehobenen Bestimmungen sind nicht mehr anzuwenden.
III. Die Wiener Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine zu B1081/02 protokollierte Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG eines in Wien niedergelassenen Arztes anhängig; die Beschwerde richtet sich gegen den im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Vorstands der Ärztekammer für Wien vom 21. Mai 2002, mit dem die dem Beschwerdeführer auferlegte Umlage zur Ärztekammer für Wien für das Jahr 2000 mit
S 22.513,78 sowie die Umlage zur Österreichischen Ärztekammer für das Jahr 2000 mit S 2.470,-- festgesetzt wurden.
2. Aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der Umlagenordnung der Ärztekammer für Wien für das Jahr 2000 insoweit entstanden, als diese hinsichtlich der Höhe der Kammerumlage zur Ärztekammer für Wien zwischen freiberuflich tätigen Ärzten mit und solchen ohne Vertragsverhältnis zu einem Krankenversicherungsträger differenziert. In seinem Prüfungsbeschluss verwies der Gerichtshof auch auf sein Erkenntnis vom 27. November 2001, V100-102/01, mit dem er Teile der Umlagenordnungen der Ärztekammer für Wien für die Jahre 1998 und 1999 aus demselben Grund als gesetzwidrig aufgehoben hatte.
3. Die Ärztekammer für Wien teilte mit Schreiben vom 29. November 2002 mit, "unter Hinweis auf die Vorjudikatur zu den Umlagenordnungen von einer Stellungnahme im konkreten Fall Abstand" zu nehmen.
Die dem Verfahren als beteiligte Partei beigezogene Wiener Landesregierung erstattete innerhalb der gesetzten Frist keine Äußerung.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Zur Zulässigkeit:
Es hat sich nichts ergeben, was an der Zulässigkeit des Verfahrens zweifeln ließe. Insbesondere haben sich die - zunächst vorläufig getroffenen - Präjudizialitätsannahmen des Verfassungsgerichtshofs als zutreffend erwiesen.
2. In der Sache:
2.1. Gemäß §91 Abs1 des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1998 - ÄrzteG 1998), BGBl. I Nr. 169/1998, heben die Ärztekammern zur Bestreitung der finanziellen Erfordernisse von sämtlichen Kammerangehörigen die Kammerumlage ein.
Die Höhe der Kammerumlage determiniert §91 Abs3 ÄrzteG 1998; diese Bestimmung lautet:
"(3) Die Umlagen sind unter Bedachtnahme auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und unter Berücksichtigung der Art der Berufsausübung der Kammerangehörigen festzusetzen. Die Höchstgrenze der Kammerumlage beträgt 3 vH der Einnahmen aus ärztlicher Tätigkeit. Die Umlagenordnung kann einen Mindestsatz für die Kammerumlage vorsehen."
Teil I der Umlagenordnung der Ärztekammer für Wien für das Jahr 2000 lautet (die in Prüfung gezogenen Bestimmungen sind unterstrichen):
"I. Ärztekammer für Wien
A. Kammerumlage für Ärzte mit Privatpraxis
(1) Die Kammerumlage beträgt für in freier Praxis niedergelassene Ärzte, die in keinem Vertragsverhältnis zu den Sozialversicherungsträgern stehen, sowie für Ärzte, die eine Tätigkeit gemäß §47 ÄG ausüben, 1,75 v.H. des Umsatzes aus ärztlicher Tätigkeit pro Kalenderjahr, höchstens jedoch S 10.000,-- pro Kalenderjahr.
(2) Die Bestimmungen des Abschnittes IV, Abs5, 6 und 7 der Beitragsordnung für den Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien sind auf die vorläufige und endgültige Festsetzung der Umlage sinngemäß anzuwenden. Dabei sind allerdings nur diejenigen Umsätze aus ärztlicher Tätigkeit zur Bemessungsgrundlage heranzuziehen, die im Bereich des Bundeslandes Wien erzielt wurden. Ergibt die endgültige Festsetzung eine Nachzahlungsverpflichtung, so ist der Nachzahlungsbetrag vorzuschreiben. Ein sich allfällig ergebendes Guthaben ist dem Arzt binnen angemessener Frist zurückzuzahlen.
(3) Die Kammerumlage beträgt für Ärzte, die die Altersversorgung aus dem Wohlfahrtsfonds beziehen S 5.000,-- pro Kalenderjahr. Diese Umlage ist gemeinsam mit den Umlagen gemäß Abschnitt II. Abs4 am Beginn des Jahres im vorhinein vorzuschreiben.
B. Prozentuelle Kammerumlage
(1) Die prozentuelle Kammerumlage wird von den Sozialversicherungsträgern einbehalten und beträgt für in freier Praxis niedergelassene Ärzte, die zu einem oder mehreren der nachstehend angeführten Sozialversicherungsträger[n] in einem Vertragsverhältnis stehen (einschließlich Gesundenuntersuchungen):
a) ASVG-Krankenkasse des Gesamtvertrages, Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen, Krankenfürsorgeanstalt der Bediensteten der Stadt Wien, Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, sowie
b) bei der Bezirks- und TBC-Fürsorge, je 1,75 v.H.
des bezogenen Bruttohonorars.
(2) Ergibt sich, aus welchen Gründen immer, die Unmöglichkeit des Einbehalts der Umlage durch Abzug eines Hundertsatzes vom Bruttohonorar, ist der Einbehalt durch Abzug eines festen Schillingbetrages vom Bruttohonorar durchzuführen, der den in Abs1 genannten Sozialversicherungsträgern und sonstigen Rechtsträgern von der Ärztekammer für Wien zum Zweck des Einbehalts und der Abführung der Umlage an die Ärztekammer für Wien bekanntgegeben wird.
Die Höhe der bekanntgegebenen Abzugsbeträge hat sich an den jeweils im abgelaufenen Kalenderjahr eingehobenen Umlagen zu orientieren; die Festsetzung der Höhe des Abzugsbetrages als vorläufige Umlage erfolgt durch das Kammeramt.
Bei Beginn einer kassenvertragsärztlichen Tätigkeit als niedergelassener Arzt ist für den Zeitraum eines Jahres der Betrag gemäß Abschnitt I A Abs1 als Umlage festzusetzen. Im übrigen sind die Bestimmungen des Abschnitts IV der Beitragsordnung für den Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien auf die vorläufige und endgültige Festsetzung der Umlage sinngemäß anzuwenden.
(3) Bei Ärzten, die ihre Tätigkeit ausschließlich im Rahmen eines Dienstverhältnisses ausüben, beträgt die prozentuelle Kammerumlage 0,6 v.H. vom laufenden monatlichen Bruttogrundgehalt (12mal pro Kalenderjahr). Dies gilt sinngemäß auch für Teilnehmer an zahnärztlichen Lehrgängen.
(4) Die Umlage nach Abs1 wird für Fachärzte für Radiologie nur von den Honoraren unter Ausschluss der Sachauslagen, bei den Honoraren der Fachärzte für medizinische und chemische Labordiagnostik und der Fachärzte für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde sowie der Zahnärzte von 70 Prozent, bei allen übrigen Ärzten von 85 Prozent der Bruttohonorarsumme errechnet.
(5) Die Kammerumlage für in freier Praxis niedergelassene Ärzte, sowie für Ärzte, die eine Tätigkeit gemäß §47 ÄG ausüben, darf unbeschadet der Bestimmungen der Abschnitte I A Abs1 und 2 und I B Abs1, 2 und 4 den Betrag von S 1.800,-- pro Kalenderjahr nicht unterschreiten. In diesem Fall wird der Differenzbetrag im darauffolgenden Kalenderjahr von der Ärztekammer für Wien vorgeschrieben.
Bei Einhebung der Umlage gemäß Abs2 ist bei der Festsetzung des bekanntgegebenen Abzugsbetrages der Abzug gemäß lita zu berücksichtigen.
C. Sonstige Umlagen
(1) Unbeschadet der Umlage gemäß Abschnitt I B Abs1 wird von den Fachärzten für Radiologie mit Verträgen zu den ASVG-Krankenkassen des Gesamtvertrages im Jahre 2000 eine einmalige Umlage in der Höhe von S 1000,-- eingehoben."
2.2. Wie der Umlagenordnung der Ärztekammer für Wien für das Jahr 2000 entnommen werden kann, bemisst sich die von den freiberuflich tätigen Ärzten zu leistende Kammerumlage zur Ärztekammer für Wien einheitlich mit 1,75 vH des Umsatzes aus ärztlicher Tätigkeit bzw. des bezogenen Bruttohonorars. Im übrigen differenziert die Umlagenordnung allerdings danach, ob der umlagepflichtige Arzt in einem "Vertragsverhältnis zu einem Sozialversicherungsträger" steht (dh. einen kurativen Einzelvertrag mit einem Krankenversicherungsträger abgeschlossen hat) oder nicht:
Freiberuflich tätige Ärzte, die in keinem solchen Vertragsverhältnis stehen, haben nämlich höchstens S 10.000,-- Kammerumlage pro Kalenderjahr zu leisten, wohingegen für Vertragsärzte keine derartige "Deckelung" des Betrags der zu entrichtenden Kammerumlage vorgesehen ist.
3.1. In seinem Prüfungsbeschluss nahm der Verfassungsgerichtshof - vorläufig - an, dass für die in der Umlagenordnung getroffene Differenzierung zwischen freiberuflich tätigen Ärzten mit und ohne Einzelvertrag zu einem Krankenversicherungsträger eine gesetzliche Grundlage im ÄrzteG 1998 nicht besteht. Im Verordnungsprüfungsverfahren hat sich nichts ergeben, was dieses Bedenken entkräftet hätte:
Gemäß §91 Abs3 ÄrzteG 1998 hat die Festsetzung der Kammerumlage "unter Bedachtnahme auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und unter Berücksichtigung der Art der Berufsausübung der Kammerangehörigen" zu erfolgen. Bei gleichheitskonformem Verständnis dieser Bestimmung entspricht es dem Kriterium der "Bedachtnahme auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit" der Kammerangehörigen jedoch nicht, Kassenvertragsärzten ohne weiteres eine im Vergleich zu freiberuflich tätigen Ärzten ohne Kassenvertrag schlechthin höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zuzumessen: Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 16.188/2001 betreffend die in allen relevanten Punkten vergleichbare Umlagenordnung der Ärztekammer für Wien für das Jahr 1997 ausgeführt, dass es dem Gleichheitssatz widerspreche, innerhalb der Gruppe der freiberuflich tätigen Ärzte eine Differenzierung derart zu treffen, dass eine Teilgruppe - nämlich jene der Kassenvertragsärzte - herausgegriffen und in einem unverhältnismäßig höheren Maß als andere Gruppen von Umlagepflichtigen mit Kammerumlage belastet wird (vgl. ebenso VfGH vom 27. November 2001, V100-102/01, betreffend die Umlagenordnungen für die Jahre 1998 und 1999). Wie der Gerichtshof in dem oben zitierten Erkenntnis weiters ausgeführt hat, ist es auch kein Merkmal für das Kriterium der "Art der Berufsausübung", ob ein freiberuflich tätiger Arzt in einem Vertragsverhältnis zu einem Sozialversicherungsträger steht; es ist in diesem Zusammenhang also irrelevant, aus welcher Quelle jene Honorare freiberuflich tätiger Ärzte stammen, die der Bemessung der Kammerumlage zugrunde zu legen sind.
3.2. Das im Prüfungsbeschluss dargelegte Bedenken hat sich somit als zutreffend erwiesen.
Die in Prüfung gezogenen - eine untrennbare Einheit bildenden - Teile der Umlagenordnung der Ärztekammer für Wien für das Jahr 2000 waren daher als gesetzwidrig aufzuheben.
3.3. Der Verfassungsgerichtshof hat schon in seinem Prüfungsbeschluss in Aussicht gestellt, für den Fall, dass das Bedenken zutreffen sollte, von der Ermächtigung des Art139 Abs6 B-VG Gebrauch zu machen und die Anlassfallwirkung auch auf noch nicht rechtskräftig entschiedene anhängige Verwaltungsverfahren zu erstrecken, zumal zahlreiche gleichartige weitere Verfahren betreffend die Kammerumlage für das Jahr 2000 bei den Behörden anhängig zu sein scheinen.
Es war daher auszusprechen, dass die aufgehobenen Bestimmungen auch auf die Sachverhalte nicht mehr anzuwenden sind, die vor der Aufhebung verwirklicht worden waren.
4. Der Ausspruch über die der Wiener Landesregierung auferlegte Kundmachungspflicht gründet sich auf Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §60 Abs2 (iVm §61) VfGG sowie §138 Abs2 Z8 Wiener Stadtverfassung (idF LGBl. für Wien Nr. 26/2001).
5. Dies konnte ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs4 erster Satz VfGG).
Schlagworte
Ärzte Kammer, Verordnungsbegriff, Verordnung Kundmachung, VfGH / VerwerfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:V80.2002Dokumentnummer
JFT_09978789_02V00080_00