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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §23 Abs2 Z1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2006/08/0277Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde des M M in Wien, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 7. April 2006, Zl. LGSW/Abt.3-AlV/05661/2006-622, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
In einer am 31. Oktober 2005 von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Währinger Gürtel mit dem im Bezug von Notstandshilfe stehenden Beschwerdeführer wegen der Nichtannahme einer zugewiesenen Beschäftigung aufgenommenen Niederschrift wurde unter anderem festgehalten, dass er über die Vorschreibung einer Kontrollmeldung für den 21. November 2005 und die Rechtsfolgen des § 49 AlVG bei Nichteinhaltung informiert worden sei. In der Niederschrift heißt es weiter, der Beschwerdeführer nehme derzeit unter ärztlicher Aufsicht Antidepressiva.
In einer weiteren mit dem Beschwerdeführer am 2. Dezember 2005 wegen der Nichteinhaltung der Kontrollmeldung vom 21. November 2005 aufgenommenen Niederschrift gab der Beschwerdeführer an, er habe am 16. November 2005 einen Antrag auf Berufsunfähigkeitspension gestellt und eine Kopie davon am Informationsschalter des Arbeitsmarktservice abgegeben. Durch die Sperre der Notstandshilfe seien seine früheren psychischen Probleme (Depressionen) wieder akut geworden, weshalb ein Erscheinen beim Arbeitsmarktservice nicht möglich gewesen sei. Der finanzielle Entzug seiner Lebensgrundlage habe zur Handlungsunfähigkeit geführt.
In einem als "Stellungnahme des Beraters" überschriebenen Text heißt es in dieser Niederschrift weiter, es habe sich um keine "richtige" Antragstellung gehandelt, die Pensionsversicherungsanstalt habe auf den Brief des Beschwerdeführers mit der Zusendung eines "richtigen" Antragsformulars reagiert. Akute Depressionen mit Symptomen wie eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit, Vermeiden von Entscheidungen, negative Prognosen für den Ausgang von "Anfechtungen" seien nicht zu bemerken gewesen, vielmehr seien Handlungen und Entscheidungen des Arbeitsmarktservice als Frechheit bezeichnet worden. Die Handlungsunfähigkeit habe sich in eigenartiger Weise nur auf den Tag des vorgeschriebenen Kontrolltermins beschränkt, es seien vom Beschwerdeführer in dieser Zeit Mails an die Landesgeschäftsstelle geschickt worden, die Spontanvorsprache (Wiedermeldung) sei mit der Begleitung von vier Vertrauenspersonen inszeniert worden.
Im weiteren Text der Niederschrift wurde festgehalten, dass am 12. Dezember 2005 der Regionalbeirat angehört bzw. nachträglich informiert worden sei und dieser dahin Stellung genommen habe, dass die Rechtsfolgen des § 49 AlVG mangels triftiger Gründe eintreten sollten.
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2005 teilte der Beschwerdeführer dem Arbeitsmarktservice unter anderem mit, er habe am 16. November 2005 bei der Pensionsversicherungsanstalt einen Antrag auf Berufsunfähigkeitspension eingebracht.
Das Arbeitsmarktservice Wien Währinger Gürtel sprach mit Bescheid vom 14. Dezember 2005 aus, dass der Beschwerdeführer für die Zeit vom 21. November bis zum 1. Dezember 2005 keine Notstandshilfe erhalte, weil er den für den 21. November 2005 vorgeschriebenen Kontrollmeldetermin nicht eingehalten und sich erst wieder am 2. Dezember 2005 bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle gemeldet habe.
Mit Schreiben vom 15. Dezember 2005 teilte die Pensionsversicherungsanstalt dem Arbeitsmarktservice Wien Währinger Gürtel mit, dass der Beschwerdeführer am 16. November 2005 einen formlosen Antrag auf Berufsunfähigkeitspension eingebracht habe. In einem Brief vom 21. Dezember 2005 teilte die Pensionsversicherungsanstalt dem Beschwerdeführer mit, dass sein Antrag vom 14. Dezember 2005 auf Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension bei der Pensionsversicherungsanstalt eingelangt und der weiteren Erledigung zugeleitet worden sei. Dieses Schreiben wurde dem Arbeitsmarktservice weitergeleitet.
In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, dass ihm einer Mitteilung vom 23. Dezember 2005 folgend ein Pensionsvorschuss von EUR 21,85 täglich zuerkannt worden sei. Während des Bezuges von Pensionsvorschuss müsse er nicht arbeitsfähig, nicht arbeitswillig und auch nicht arbeitsbereit sein. Ein Kontrolltermin müsse daher von ihm nicht wahrgenommen werden. Der Beschwerdeführer habe im Schreiben vom 13. Dezember 2005 darauf hingewiesen, dass er bereits per 16. November 2005 eine Kopie seines Antrages auf Berufsunfähigkeitspension dem Arbeitsmarktservice zur Kenntnis gebracht habe. Auf Grund des psychischen Drucks durch die ungesetzliche Sperre der Notstandshilfe wegen angeblicher Verweigerung einer unzumutbar niedrig bezahlten Beschäftigung und erneuten Aufbrechens von im Frühjahr therapierten psychosomatischen Beschwerden sei ihm die Wahrnehmung des Kontrolltermins nicht zumutbar gewesen. Die psychische Gesundheit eines Menschen gehöre zu den berücksichtigungswürdigen Gründen.
Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung keine Folge gegeben.
In der Begründung hat sie das Verwaltungsgeschehen wiedergegeben und die Rechtslage dargestellt. Die belangte Behörde führte aus, der Beschwerdeführer habe nach der Aktenlage am 16. November 2005 ein formloses Schreiben in der Infostelle des Arbeitsmarktservice Währinger Gürtel abgegeben, wonach er am 16. November 2005 einen Antrag auf Berufsunfähigkeitspension an die Pensionsversicherungsanstalt gestellt habe. Die Pensionsversicherungsanstalt habe daraufhin dem Beschwerdeführer das entsprechende Antragsformular übermittelt, das am 14. Dezember 2005 bei der Pensionsversicherung eingelangt sei. Dies sei der Tag der Antragstellung auf Berufsunfähigkeitspension. Ab dem 1. Jänner 2006 erhalte der Beschwerdeführer daher Notstandshilfe als Bevorschussung einer Leistung aus der Pensionsversicherung. Der Beschwerdeführer habe keinesfalls davon ausgehen können, dass ab dem 16. November 2005 keine weiteren persönlichen Vorsprachen beim Arbeitsmarktservice mehr erforderlich gewesen seien. Nach der Aktenlage bestehe erst ab dem 1. Jänner 2006 ein Anspruch auf Notstandshilfe als Bevorschussung einer Leistung aus der Pensionsversicherung, weshalb die Kontrollmeldung am 21. November 2005 wahrgenommen hätte werden müssen. Ein triftiger Grund für eine Entschuldigung für die Versäumung des Termins liege nicht vor, der Beschwerdeführer habe zu den behaupteten psychischen Problemen keine ärztlichen Bestätigungen übermittelt. Da der Beschwerdeführer den Vorsprachetermin bei der belangten Behörde nicht wahrgenommen habe, seien weitere Feststellungen dazu nicht möglich gewesen. Die Versäumung der Kontrollmeldung habe daher nicht entschuldigt werden können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 49 AlVG lautet:
"§ 49. (1) Zur Sicherung des Anspruches auf den Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe hat sich der Arbeitslose wöchentlich mindestens einmal bei der nach seinem Wohnort zuständigen regionalen Geschäftsstelle unter Vorweisung der Meldekarte persönlich zu melden. Je nach der Situation auf dem Arbeitsmarkt kann die regionale Geschäftsstelle die Einhaltung von Kontrollmeldungen gänzlich nachsehen, die Zahl der einzuhaltenden Kontrollmeldungen herabsetzen oder öftere Kontrollmeldungen vorschreiben. Die regionale Geschäftsstelle kann auch öftere Kontrollmeldungen vorschreiben, wenn der begründete Verdacht besteht, daß das Arbeitslosengeld bzw. die Notstandshilfe nicht gebührt. Die näheren Bestimmungen über die Kontrollmeldungen trifft die Landesgeschäftsstelle. Die Landesgeschäftsstelle kann auch andere Stellen als Meldestellen bezeichnen.
(2) Ein Arbeitsloser, der trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine Kontrollmeldung unterlässt, ohne sich mit triftigen Gründen zu entschuldigen, verliert vom Tage der versäumten Kontrollmeldung an bis zur Geltendmachung des Fortbezuges den Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Liegen zwischen dem Tag der versäumten Kontrollmeldung und der Geltendmachung mehr als 62 Tage, so erhält er für den übersteigenden Zeitraum kein Arbeitslosengeld bzw. keine Notstandshilfe. Der Zeitraum des Anspruchsverlustes verkürzt sich um die Tage einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung, die er in diesem Zeitraum ausgeübt hat. Ist die Frage strittig, ob ein triftiger Grund für die Unterlassung der Kontrollmeldung vorliegt, so ist der Regionalbeirat anzuhören."
Unter dem Aspekt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass er am Tag des vorgeschriebenen Kontrolltermins vom Bezug der Notstandshilfe gesperrt worden sei, weshalb die Vorschreibung nicht rechtmäßig gewesen sei.
Dabei geht der Beschwerdeführer aber entgegen den Feststellungen im angefochtenen Bescheid und entgegen der Aktenlage davon aus, dass der Kontrolltermin für den 16. November 2005 vorgeschrieben worden sei, für welchen Tag aber tatsächlich mit Bescheid vom 29. November 2005 (mittlerweile aufgehoben durch den Bescheid der belangten Behörde vom 11. Dezember 2006) eine Sperrfrist verhängt worden war (vgl. das hg. Verfahren Zl. 2006/08/0277); ein Kontrolltermin wurde hingegen für den 21. November 2005 vorgeschrieben, für welchen Tag keine Bezugssperre verhängt worden war. Insoweit geht auch die Verfahrensrüge ins Leere, die entsprechende Feststellungen über eine verhängte Sperre am 16. November 2005 einmahnt bzw. deren Fehlen rügt.
Der angefochtene Bescheid sei nach Meinung des Beschwerdeführers auch deshalb inhaltlich rechtswidrig, weil der Bezieher eines Pensionsvorschusses nicht zur Einhaltung von Kontrollterminen verpflichtet werden könne, außer es seien Fragen zum Stand des Pensionsverfahrens zu erörtern. Selbst wenn man - wie die Pensionsversicherungsanstalt - von einer Antragstellung am 14. Dezember 2005 ausginge, habe sich der Beschwerdeführer hinsichtlich des Kontrollmeldetermins in einem jedenfalls vertretbaren Rechtsirrtum befunden, weshalb eine Nachsicht von den Rechtsfolgen gerechtfertigt wäre.
Auch damit ist der Beschwerdeführer nicht im Recht:
Kontrollmeldungen sind als Instrument der Arbeitsvermittlung zu verstehen (vgl. das Erkenntnis vom 15. Dezember 1988, Zl. 87/08/0169); ein Kontrolltermin iSd § 49 Abs. 1 AlVG dient in erster Linie der Betreuung des Arbeitslosen (vgl. das Erkenntnis vom 20. Dezember 2006, Zl. 2005/08/0159); mit der Kontrollmeldung wird insbesondere die Kontrolle des Vorliegens der Voraussetzungen für den Leistungsbezug, also insbesondere der Arbeitsfähigkeit, der Arbeitswilligkeit und der Arbeitsbereitschaft, bezweckt (vgl. Krapf/Keul, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz I, Rz 820 zu § 49).
Zwar ist gemäß § 23 Abs. 2 Z. 1 AlVG für die vorschussweise Gewährung von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe nicht erforderlich, dass Arbeitsfähigkeit, Arbeitswilligkeit und Arbeitsbereitschaft vorliegen. § 49 AlVG sieht aber nicht vor, dass Kontrollmeldungen Beziehern von vorschussweisen Leistungen nicht vorgeschrieben werden dürften, zumal der Pensionsvorschuss nur eine Variante des Arbeitslosengeldes bzw. der Notstandshilfe ist und keines gesonderten Antrages bedarf, weil ein Antrag auf Arbeitslosengeld (Notstandshilfe) auch diese Variante einschließt (vgl. das Erkenntnis vom 17. Oktober 1996, Zl. 96/08/0050).
Die Antragstellung auf die Gewährung eines Pensionsvorschusses macht demnach weder den während des Bezuges von Notstandshilfe vorgeschriebenen Kontrolltermin hinfällig, noch ist es dem Arbeitsmarktservice nach erfolgter Antragstellung untersagt, Kontrolltermine vorzuschreiben.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund steht im Beschwerdefall fest, dass sich an der Verpflichtung des Beschwerdeführers, den vorgeschriebenen Kontrolltermin einzuhalten - wobei er über die Rechtsfolgen der Versäumung des Kontrolltermins belehrt worden ist - durch die Antragsstellung auf eine Berufsunfähigkeitspension nichts geändert hat. Inwiefern bei dieser klaren Rechtslage beim Beschwerdeführer ein Rechtsirrtum herbeigeführt werden konnte, der Anlass für die Gewährung der Nachsicht von den Rechtsfolgen der Versäumung des Kontrolltermins sein könnte, wird nicht näher dargestellt.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Im vorliegenden Fall ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung aus folgenden Gründen jedenfalls nicht erforderlich: Gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und wenn Art. 6 Abs. 1 EMRK dem nicht entgegensteht.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat u. a. in seiner Entscheidung vom 2. September 2004, Hofbauer gegen Österreich, unter Hinweis auf weitere Rechtsprechung dargelegt, dass die Anforderungen von Art. 6 EMRK auch bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung oder überhaupt jeglicher Anhörung erfüllt wären, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "technische" Fragen betrifft. Der EGMR verwies im erwähnten Zusammenhang auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige.
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist im vorliegenden Zusammenhang geklärt. In der Beschwerde wurden keine Rechts- oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Art. 6 EMRK steht somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen. Die Entscheidung konnte daher im Sinne des § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 19. September 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006080278.X00Im RIS seit
29.10.2007