TE OGH 2006/6/21 7Ob47/06x

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Veröffentlicht am 21.06.2006
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Jasmin D*****, in Obsorge des Vaters Mustafa D*****, vertreten durch Dr. Johann Meier, Rechtsanwalt in Bludenz, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Deniz D*****, vertreten durch Mag. Dr. Surena Ettefagh, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgericht vom 7. November 2005, GZ 1 R 260/05a-S4, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Bludenz vom 14. September 2005, GZ 5 P 143/00m-S1, infolge Rekurses der Mutter bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Pflegschaftssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die nun 7-jährige Jasmin entstammt der am 16. 11. 2000 geschiedenen Ehe ihrer Eltern. Sie hat wie der Vater die österreichische Staatsbürgerschaft, während die Mutter türkische Staatsangehörige ist. Anlässlich der Ehescheidung vereinbarten die Eltern, dass die Obsorge für Jasmin dem Vater alleine zukomme.

Am 19. 6. 2001 beantragte die Mutter, dem Vater die Obsorge zu entziehen und ihr zu übertragen, weil Jasmin von den väterlichen Großeltern geschlagen werde. Sie sei nun in der Lage, sich selbst um das Kind zu kümmern, das auch den Wunsch habe, zu ihr zu kommen. Sie verfüge über eine Wohnung und ausreichendes Einkommen. Fallweise könnten auch ihr Bruder oder ihre Mutter auf das Kind aufpassen. Später brachte die Mutter noch vor, dass Jasmin auch vom Vater geschlagen worden sei. Dieser und die väterlichen Großeltern versuchten sie, die Mutter, als Bezugsperson auszugrenzen und das Kind gegen sie zu beeinflussen. Zum Wohle Jasmins sei es geboten, sie der schädlichen Beeinflussung durch den Vater und dessen Familie zu entziehen. Beim Vater handle es sich um einen chronischen Gewalttäter, der auch gegen seine jetzige Frau gewalttätig sei. Der Vater beantragte, den Antrag der Mutter abzuweisen. Während er die Obsorge ordnungsgemäß ausübe, sei die Mutter subjektiv und objektiv nicht in der Lage, das Kind zu erziehen.

Das Erstgericht wies den Antrag der Mutter auf Übertragung der Obsorge an sie ab. Es stellte im Wesentlichen fest:

Bis zur Trennung der Eltern im Juli 2000 lebte Jasmin in deren gemeinsamen Haushalt. Seit der Scheidung lebt Jasmin beim Vater und den väterlichen Großeltern im gemeinsamen Haushalt in N*****. Vor der Trennung der Eltern kam es anlässlich eines gemeinsamen Türkeiurlaubes zu einem Konflikt, der bis heute nicht aufgearbeitet erscheint. Ende Juli 2002 verheiratete sich der Vater wieder. Jasmin hat sich in seinem Familienverband gut eingelebt und hat sowohl zu ihm als auch zu den väterlichen Großeltern ein gutes Verhältnis. Der Vater und seine Familie standen einem Besuchskontakt der Mutter zunächst ablehnend gegenüber und haben Jasmin manipuliert und sie ihrer Mutter gegenüber negativ beeinflusst. Bei einem ersten begleitenden Besuchskontakt im April 2003 spielte Jasmin sehr zufrieden und entspannt mit ihrer Mutter und verabschiedete sich von ihr mit einer Umarmung; sie genoss den Kontakt zu ihrer Mutter. Bei den folgenden zwei Kontakten war sie der Mutter gegenüber abweisend und wiederholte immer wieder, dass sie eine andere Mutter habe. Die drei folgenden Besuchskontakte im Dezember 2004 und Jänner 2004 verliefen zufriedenstellend. Beim vierten wirkte Jasmin eingeschüchtert und zurückhaltend. Sie lehnte einen Kontakt mit der Mutter ab und wirkte psychisch von ihrem Vater und dessen Familie manipuliert und unterdrückt. Im Mai und Juni 2005 fanden weitere begleitete Besuchskontakte statt. Während der ersten beiden dieser Besuchskontakte war das Kind der Mutter gegenüber zurückhaltend und wenig gesprächig. Beim dritten Termin war es kontaktfreudig und zutraulich und genoss die Zeit mit der Mutter. Nunmehr scheint auch der Vater bereit zu sein, die Kontakte von Jasmin mit der Mutter gutzuheißen und regelmäßigen Besuchskontakten zuzustimmen. Anhaltspunkte für eine psychische oder physische Gewalt gegen Jasmin durch den Vater und dessen Familie gibt es keine. Ein gegen den Vater eingeleitetes Verfahren wegen des Verdachtes nach § 92 StGB wurde am 13. 7. 2005 eingestellt.Bis zur Trennung der Eltern im Juli 2000 lebte Jasmin in deren gemeinsamen Haushalt. Seit der Scheidung lebt Jasmin beim Vater und den väterlichen Großeltern im gemeinsamen Haushalt in N*****. Vor der Trennung der Eltern kam es anlässlich eines gemeinsamen Türkeiurlaubes zu einem Konflikt, der bis heute nicht aufgearbeitet erscheint. Ende Juli 2002 verheiratete sich der Vater wieder. Jasmin hat sich in seinem Familienverband gut eingelebt und hat sowohl zu ihm als auch zu den väterlichen Großeltern ein gutes Verhältnis. Der Vater und seine Familie standen einem Besuchskontakt der Mutter zunächst ablehnend gegenüber und haben Jasmin manipuliert und sie ihrer Mutter gegenüber negativ beeinflusst. Bei einem ersten begleitenden Besuchskontakt im April 2003 spielte Jasmin sehr zufrieden und entspannt mit ihrer Mutter und verabschiedete sich von ihr mit einer Umarmung; sie genoss den Kontakt zu ihrer Mutter. Bei den folgenden zwei Kontakten war sie der Mutter gegenüber abweisend und wiederholte immer wieder, dass sie eine andere Mutter habe. Die drei folgenden Besuchskontakte im Dezember 2004 und Jänner 2004 verliefen zufriedenstellend. Beim vierten wirkte Jasmin eingeschüchtert und zurückhaltend. Sie lehnte einen Kontakt mit der Mutter ab und wirkte psychisch von ihrem Vater und dessen Familie manipuliert und unterdrückt. Im Mai und Juni 2005 fanden weitere begleitete Besuchskontakte statt. Während der ersten beiden dieser Besuchskontakte war das Kind der Mutter gegenüber zurückhaltend und wenig gesprächig. Beim dritten Termin war es kontaktfreudig und zutraulich und genoss die Zeit mit der Mutter. Nunmehr scheint auch der Vater bereit zu sein, die Kontakte von Jasmin mit der Mutter gutzuheißen und regelmäßigen Besuchskontakten zuzustimmen. Anhaltspunkte für eine psychische oder physische Gewalt gegen Jasmin durch den Vater und dessen Familie gibt es keine. Ein gegen den Vater eingeleitetes Verfahren wegen des Verdachtes nach Paragraph 92, StGB wurde am 13. 7. 2005 eingestellt.

In seiner rechtlichen Beurteilung dieses Sachverhaltes vertrat das Erstgericht die Auffassung, Jasmin habe sich bei ihrem Vater und dessen Familie gut eingelebt und es bestünden keine Anhaltspunkte für eine Gewaltanwendung ihr gegenüber. Es lägen auch sonst keine Anhaltspunkte vor, dass der Vater seine elterlichen Pflichten vernachlässigen würde. Stetigkeit und Dauer der Erziehung des Kindes sei der Vorzug zu geben. Ein Wechsel des Erziehungsberechtigten bzw der Hauptbezugspersonen solle vermieden werden. Von einer Übertragung der Obsorge an die Mutter sei keine wesentliche Verbesserung der Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten Jasmins zu erwarten. Die Übertragung der Obsorge an die Mutter entspreche nicht dem Wohl des Kindes.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz. Die Anwendung von Gewalt und die Zufügung körperlichen oder seelischen Leides sei in der Erziehung von Kindern gemäß § 146a ABGB grundsätzlich unzulässig. Auf Grund eines Berichtes der IfS-Familienarbeit sei davon auszugehen, dass dieses Gewaltverbot vom Vater und seiner Familie verletzt worden sei. Dieser schwerwiegende Umstand, der unabhängig von der strafrechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes grundsätzlich geeignet sei, einen Obsorgewechsel herbeizuführen, rechtfertige bei einer Gesamtschau der Lebensumstände des Kindes im vorliegenden Fall jedoch eine Übertragung der Obsorge an die Mutter nicht, da den Gewaltvorwürfen entschieden entgegengetreten worden sei und mehrere Maßnahmen gesetzt worden seien, um diese zu stoppen und sicherzustellen, dass es in Zukunft zu keiner Gewaltanwendung gegenüber dem Kind komme. Das Amt für Jugend und Familie habe nach Bekanntwerden der Gewaltvorwürfe geprüft, ob eine unmittelbare Intervention in Form der Herausnahme des Kindes aus dem Familienverband des Vaters erforderlich sei und sei zu der Beurteilung gelangt, dass eine solche Maßnahme nicht im Interesse des Kindes läge und nicht sinnvoll wäre. Es habe allerdings veranlasst, dass auch im Kindergarten im besonderen Maße darauf geachtet werde, ob bei Jasmin Anzeichen körperlicher oder seelischer Misshandlung festzustellen seien. In der Verhandlung am 21. 3. 2005 seien im Einvernehmen mit dem Vater auch weitere Kontrollmaßnahmen festgelegt worden, die jedenfalls nach den bislang vorliegenden Kontrollberichten ergeben hätten, dass keine neuerlichen Anhaltspunkte für eine negative Beeinflussung des Kindes oder für die Ausübung physischer und psychischer Gewalt festgestellt worden seien. Auf Grund dieser Maßnahmen sei es daher nicht erforderlich, das Kind zum Schutz vor weiterer körperlicher oder seelischer Gewalt aus dem vertrauten Umfeld herauszunehmen und einen Obsorgewechsel herbeizuführen. Jasmin habe festgestelltermaßen ein gutes und inniges Verhältnis zum Vater und zu den elterlichen Großeltern und sei in deren Familienverband gut integriert. Es aus diesem herauszunehmen wäre mit Nachteilen für die weitere Entwicklung des Kindes verbunden, sodass der Antrag auf Übertragung der Obsorge zu Recht abgewiesen worden sei.Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz. Die Anwendung von Gewalt und die Zufügung körperlichen oder seelischen Leides sei in der Erziehung von Kindern gemäß Paragraph 146 a, ABGB grundsätzlich unzulässig. Auf Grund eines Berichtes der IfS-Familienarbeit sei davon auszugehen, dass dieses Gewaltverbot vom Vater und seiner Familie verletzt worden sei. Dieser schwerwiegende Umstand, der unabhängig von der strafrechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes grundsätzlich geeignet sei, einen Obsorgewechsel herbeizuführen, rechtfertige bei einer Gesamtschau der Lebensumstände des Kindes im vorliegenden Fall jedoch eine Übertragung der Obsorge an die Mutter nicht, da den Gewaltvorwürfen entschieden entgegengetreten worden sei und mehrere Maßnahmen gesetzt worden seien, um diese zu stoppen und sicherzustellen, dass es in Zukunft zu keiner Gewaltanwendung gegenüber dem Kind komme. Das Amt für Jugend und Familie habe nach Bekanntwerden der Gewaltvorwürfe geprüft, ob eine unmittelbare Intervention in Form der Herausnahme des Kindes aus dem Familienverband des Vaters erforderlich sei und sei zu der Beurteilung gelangt, dass eine solche Maßnahme nicht im Interesse des Kindes läge und nicht sinnvoll wäre. Es habe allerdings veranlasst, dass auch im Kindergarten im besonderen Maße darauf geachtet werde, ob bei Jasmin Anzeichen körperlicher oder seelischer Misshandlung festzustellen seien. In der Verhandlung am 21. 3. 2005 seien im Einvernehmen mit dem Vater auch weitere Kontrollmaßnahmen festgelegt worden, die jedenfalls nach den bislang vorliegenden Kontrollberichten ergeben hätten, dass keine neuerlichen Anhaltspunkte für eine negative Beeinflussung des Kindes oder für die Ausübung physischer und psychischer Gewalt festgestellt worden seien. Auf Grund dieser Maßnahmen sei es daher nicht erforderlich, das Kind zum Schutz vor weiterer körperlicher oder seelischer Gewalt aus dem vertrauten Umfeld herauszunehmen und einen Obsorgewechsel herbeizuführen. Jasmin habe festgestelltermaßen ein gutes und inniges Verhältnis zum Vater und zu den elterlichen Großeltern und sei in deren Familienverband gut integriert. Es aus diesem herauszunehmen wäre mit Nachteilen für die weitere Entwicklung des Kindes verbunden, sodass der Antrag auf Übertragung der Obsorge zu Recht abgewiesen worden sei.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, da keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG zu lösen gewesen seien. Gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass ihrem Antrag auf Übertragung der Obsorge stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, da keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Paragraph 62, Absatz eins, AußStrG zu lösen gewesen seien. Gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass ihrem Antrag auf Übertragung der Obsorge stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Vater hat eine ihm freigestellte Revisionsrekursbeantwortung nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichtes, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (RIS-Justiz RS0107859), zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt. Grundsätzlich ist zwar die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, welchem Elternteil die Obsorge für ein Kind zukommen soll, eine Frage des Einzelfalles (vgl RIS-Justiz RS0007101) und berührt daher keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG, es sei denn, es wäre auf das Kindeswohl nicht ausreichend Bedacht genommen worden (RIS-Justiz RS0115719). Ob eine Gefährdung des Kindeswohles bei Verbleib der Minderjährigen im Familienverband des Vaters auszuschließen ist, lässt sich hier noch nicht abschließend beurteilen, weil die Vorinstanzen den aktenkundigen Hinweisen auf Verstöße gegen das Gewaltverbot (§ 146a ABGB) nicht entsprechend nachgegangen sind. Eine einmal getroffene Regelung, welchem Elternteil alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten (§ 144 ABGB) allein zustehen sollen, soll nicht bereits bei geringfügigen Veränderungen der Interessenlage, sondern nur dann geändert werden, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist (RIS-Justiz RS0047916 mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen). Das Gericht darf die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise entziehen, wenn das Wohl des Minderjährigen gefährdet ist (§ 176 Abs 1 ABGB), wenn also im Interesse des Kindes ein Wechsel in den Pflege- und Erziehungsverhältnissen dringend geboten ist, wobei bei der Beurteilung dieser Frage ein strenger Maßstab anzulegen ist (RIS-Justiz RS0048699; RS0047841), da die Änderung der Obsorgeverhältnisse nur als Notmaßnahme angeordnet werden darf (SZ 65/84; 10 Ob 92/01d; 7 Ob 79/05a; 7 Ob 74/06t uva). Der Obsorgeberechtigte muss demnach die elterlichen Pflichten subjektiv gröblich vernachlässigt oder objektiv nicht erfüllt und durch sein Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährdet haben (RIS-Justiz RS0048633). Nach ständiger Rechtsprechung darf bei der Entscheidung über die Obsorge für ein Kind nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden, sondern sind auch Zukunftsprognosen zu stellen (RIS-Justiz RS0048632); nach Möglichkeit ist ein Wechsel in der Obsorge zu vermeiden (Stabentheiner in Rummel3 ErgBd § 176 ABGB Rz 3 mwN). Die Entziehung der Obsorge ist demnach nur dann geboten, wenn der das Kind betreuende Elternteil seine Erziehungspflichten vernachlässigt, seine Erziehungsgewalt missbraucht oder den Erziehungsaufgaben nicht gewachsen ist (1 Ob 172/01b ua). Wiederholt hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass der die Übertragung der Obsorge an den anderen Elternteil erfordernde Tatbestand der Gefährdung des Kindeswohles etwa bei nachhaltiger Verletzung des Gewaltverbotes nach § 146a ABGB vorliegt (1 Ob 573/92, JBl 1992, 639 = EvBl 1993, 85/13 = ÖVA 1993, 26; RIS-Justiz RS0047973). Dabei kann eine Gefährdung des Kindeswohles auch dann vorliegen, wenn der Obsorgeberechtigte nicht selbst Gewalt gegen sein Kind ausübt, sondern diese Gewaltausübung durch einen Dritten - etwa den Ehegatten oder Lebensgefährten - duldet (1 Ob 2078/96m, RIS-Justiz RS0106311).Der Revisionsrekurs ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichtes, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (RIS-Justiz RS0107859), zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt. Grundsätzlich ist zwar die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, welchem Elternteil die Obsorge für ein Kind zukommen soll, eine Frage des Einzelfalles vergleiche RIS-Justiz RS0007101) und berührt daher keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des Paragraph 62, Absatz eins, AußStrG, es sei denn, es wäre auf das Kindeswohl nicht ausreichend Bedacht genommen worden (RIS-Justiz RS0115719). Ob eine Gefährdung des Kindeswohles bei Verbleib der Minderjährigen im Familienverband des Vaters auszuschließen ist, lässt sich hier noch nicht abschließend beurteilen, weil die Vorinstanzen den aktenkundigen Hinweisen auf Verstöße gegen das Gewaltverbot (Paragraph 146 a, ABGB) nicht entsprechend nachgegangen sind. Eine einmal getroffene Regelung, welchem Elternteil alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten (Paragraph 144, ABGB) allein zustehen sollen, soll nicht bereits bei geringfügigen Veränderungen der Interessenlage, sondern nur dann geändert werden, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist (RIS-Justiz RS0047916 mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen). Das Gericht darf die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise entziehen, wenn das Wohl des Minderjährigen gefährdet ist (Paragraph 176, Absatz eins, ABGB), wenn also im Interesse des Kindes ein Wechsel in den Pflege- und Erziehungsverhältnissen dringend geboten ist, wobei bei der Beurteilung dieser Frage ein strenger Maßstab anzulegen ist (RIS-Justiz RS0048699; RS0047841), da die Änderung der Obsorgeverhältnisse nur als Notmaßnahme angeordnet werden darf (SZ 65/84; 10 Ob 92/01d; 7 Ob 79/05a; 7 Ob 74/06t uva). Der Obsorgeberechtigte muss demnach die elterlichen Pflichten subjektiv gröblich vernachlässigt oder objektiv nicht erfüllt und durch sein Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährdet haben (RIS-Justiz RS0048633). Nach ständiger Rechtsprechung darf bei der Entscheidung über die Obsorge für ein Kind nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden, sondern sind auch Zukunftsprognosen zu stellen (RIS-Justiz RS0048632); nach Möglichkeit ist ein Wechsel in der Obsorge zu vermeiden (Stabentheiner in Rummel3 ErgBd Paragraph 176, ABGB Rz 3 mwN). Die Entziehung der Obsorge ist demnach nur dann geboten, wenn der das Kind betreuende Elternteil seine Erziehungspflichten vernachlässigt, seine Erziehungsgewalt missbraucht oder den Erziehungsaufgaben nicht gewachsen ist (1 Ob 172/01b ua). Wiederholt hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass der die Übertragung der Obsorge an den anderen Elternteil erfordernde Tatbestand der Gefährdung des Kindeswohles etwa bei nachhaltiger Verletzung des Gewaltverbotes nach Paragraph 146 a, ABGB vorliegt (1 Ob 573/92, JBl 1992, 639 = EvBl 1993, 85/13 = ÖVA 1993, 26; RIS-Justiz RS0047973). Dabei kann eine Gefährdung des Kindeswohles auch dann vorliegen, wenn der Obsorgeberechtigte nicht selbst Gewalt gegen sein Kind ausübt, sondern diese Gewaltausübung durch einen Dritten - etwa den Ehegatten oder Lebensgefährten - duldet (1 Ob 2078/96m, RIS-Justiz RS0106311).

Wendet man diese in ständiger Judikatur vertretenen Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so erweist sich die Sache als noch nicht entscheidungsreif. Das Rekursgericht geht - der Stellungnahme der IfS-Familienarbeit gem. GmbH folgend - zwar davon aus, dass der Vater und „seine Familie" das gemäß § 146a ABGB bestehende Gewaltverbot bei der Erziehung von Jasmin verletzt haben. Weiters wird auch erkannt, dass dies ein schwerwiegender Umstand ist, der grundsätzlich geeignet sein könnte, einen Obsorgewechsel herbeizuführen. Das Rekursgericht glaubt aber, ohne weiteres eine für den Vater günstige Zukunftsprognose stellen zu können, weil Kontrollmaßnahmen festgelegt worden seien und nach zwei Kontrollberichten keine neuerlichen Anhaltspunkte für eine Ausübung physischer und psychischer Gewalt festgestellt worden sei. Die Vorinstanzen haben sich insgesamt der Meinung des Amtes für Jugend und Familie, ein Obsorgewechsel läge nicht im Interesse des Kindes, angeschlossen, ohne weitere Erhebungen zu pflegen und insbesondere auch ohne exakte Feststellungen über Häufigkeit und Intensität der gegen Jasmin ausgeübten körperlichen Gewalt zu treffen und auch ohne dem Vorwurf der Mutter nachzugehen, der Vater neige grundsätzlich zu Gewalttätigkeiten. Auf dieser Grundlage kann weder eine allfällige Gefährdung des Kindeswohles noch die momentane Familiensituation ausreichend sicher beurteilt, geschweige denn eine taugliche Zukunftsprognose erstellt werden. Eine Obsorgeentscheidung kann nur dann sachgerecht sein, wenn sie auf einer aktuellen, bis in die jüngste Gegenwart reichenden Tatsachengrundlage beruht (EFSlg 68.806; 1 Ob 2078/96m ua). Es erscheint daher unumgänglich, im fortzusetzenden Verfahren die Feststellungsgrundlage zu verbreitern, wobei insbesondere auch die Einholung eines aktuellen Gutachtens aus dem Bereich der (Jugend-)Psychologie zu erwägen sein wird. Dies ist notwendig, um das (aktuelle) Verhältnis zwischen Jasmin und den beiden Elternteilen, als auch die Erziehungs- und Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes zu objektivieren. Die im Akt erliegende fachliche Stellungnahme eines Psychotherapeuten datiert vom 12. 11. 2001, während die Stellungnahme einer Mitarbeiterin der JfS-Familienarbeit gem. GmbH, die mit der Besuchsbegleitung betraut war, vom 18. 1. 2005 stammt und von Misshandlungen und massiven psychischen Druck des Vaters und der väterlichen Großmutter auf das Kind in Zusammenhang mit seinen Kontakten zur Mutter berichtet. Erst nach Einbeziehung dieses Berichtes in den aktuellen Befund wird ausreichend sicher beurteilt werden können, ob das Wohl des Kindes bei einem Verbleib im Familienverband des Vaters gefährdet ist oder nicht. Nur für den Fall einer Gefährdung wäre dann auch noch die vom Vater ja bezweifelte Eignung der Mutter zur Erziehung zu untersuchen.Wendet man diese in ständiger Judikatur vertretenen Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so erweist sich die Sache als noch nicht entscheidungsreif. Das Rekursgericht geht - der Stellungnahme der IfS-Familienarbeit gem. GmbH folgend - zwar davon aus, dass der Vater und „seine Familie" das gemäß Paragraph 146 a, ABGB bestehende Gewaltverbot bei der Erziehung von Jasmin verletzt haben. Weiters wird auch erkannt, dass dies ein schwerwiegender Umstand ist, der grundsätzlich geeignet sein könnte, einen Obsorgewechsel herbeizuführen. Das Rekursgericht glaubt aber, ohne weiteres eine für den Vater günstige Zukunftsprognose stellen zu können, weil Kontrollmaßnahmen festgelegt worden seien und nach zwei Kontrollberichten keine neuerlichen Anhaltspunkte für eine Ausübung physischer und psychischer Gewalt festgestellt worden sei. Die Vorinstanzen haben sich insgesamt der Meinung des Amtes für Jugend und Familie, ein Obsorgewechsel läge nicht im Interesse des Kindes, angeschlossen, ohne weitere Erhebungen zu pflegen und insbesondere auch ohne exakte Feststellungen über Häufigkeit und Intensität der gegen Jasmin ausgeübten körperlichen Gewalt zu treffen und auch ohne dem Vorwurf der Mutter nachzugehen, der Vater neige grundsätzlich zu Gewalttätigkeiten. Auf dieser Grundlage kann weder eine allfällige Gefährdung des Kindeswohles noch die momentane Familiensituation ausreichend sicher beurteilt, geschweige denn eine taugliche Zukunftsprognose erstellt werden. Eine Obsorgeentscheidung kann nur dann sachgerecht sein, wenn sie auf einer aktuellen, bis in die jüngste Gegenwart reichenden Tatsachengrundlage beruht (EFSlg 68.806; 1 Ob 2078/96m ua). Es erscheint daher unumgänglich, im fortzusetzenden Verfahren die Feststellungsgrundlage zu verbreitern, wobei insbesondere auch die Einholung eines aktuellen Gutachtens aus dem Bereich der (Jugend-)Psychologie zu erwägen sein wird. Dies ist notwendig, um das (aktuelle) Verhältnis zwischen Jasmin und den beiden Elternteilen, als auch die Erziehungs- und Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes zu objektivieren. Die im Akt erliegende fachliche Stellungnahme eines Psychotherapeuten datiert vom 12. 11. 2001, während die Stellungnahme einer Mitarbeiterin der JfS-Familienarbeit gem. GmbH, die mit der Besuchsbegleitung betraut war, vom 18. 1. 2005 stammt und von Misshandlungen und massiven psychischen Druck des Vaters und der väterlichen Großmutter auf das Kind in Zusammenhang mit seinen Kontakten zur Mutter berichtet. Erst nach Einbeziehung dieses Berichtes in den aktuellen Befund wird ausreichend sicher beurteilt werden können, ob das Wohl des Kindes bei einem Verbleib im Familienverband des Vaters gefährdet ist oder nicht. Nur für den Fall einer Gefährdung wäre dann auch noch die vom Vater ja bezweifelte Eignung der Mutter zur Erziehung zu untersuchen.

In Stattgebung des Revisionsrekurses waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und es war dem Erstgericht aufzutragen, das Verfahren im aufgezeigten Umfang zu ergänzen und sodann über den Antrag der Mutter neuerlich zu entscheiden.

Anmerkung

E812307Ob47.06x

Schlagworte

Kennung XPUBL - XBEITRDiese Entscheidung wurde veröffentlicht inZak 2006/524 S 312 - Zak 2006,312 = FamZ 2006/75 S 202(Thoma-Twaroch) - FamZ 2006,202 (Thoma-Twaroch) = ÖA 2006,332 K53 -ÖA 2006 K53 = ÖA 2007,116 K60 - ÖA 2007 K60 = EFSlg 113.811 = EFSlg113. 812 = EFSlg 113.813 = EFSlg 113.822 = EFSlg 113.825 = EFSlg113.834 = EFSlg 113.836 = EFSlg 113.839XPUBLEND

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2006:0070OB00047.06X.0621.000

Zuletzt aktualisiert am

17.06.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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