Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Helmut Brandl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Reg.Rat Winfried Kmenta (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Norbert S*****, Gendarmeriebeamter, *****, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Josefstädter Straße 80, 1081 Wien, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Jänner 2006, GZ 23 Rs 64/05s-29, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Teil- und Zwischenurteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 19. August 2005, GZ 33 Cgs 121/04b-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der am 5. 12. 1958 geborene Kläger, ein Gendarmeriebeamter, erlitt am 12. Juni 2003 auf der Heimfahrt von seiner Dienststelle einen Verkehrsunfall. Er geriet als Lenker seines PKW ohne Fremdverschulden über den rechten Fahrbahnrand hinaus und stieß gegen einen Baum, wodurch er schwer verletzt wurde. Auslöser des Unfalles war mit hoher Wahrscheinlichkeit ein im Rahmen eines Alkoholentzugssyndroms aufgetretener epileptischer Anfall. Der Kläger hatte bereits in den Jahren 1988 und 2000 jeweils einen epileptischen Anfall mit Bewusstseinsverlust - jeweils in Zusammenhang mit erhöhtem Alkoholkonsum - erlitten. Vor dem Unfall vom 12. Juni 2003 war der Kläger zwar weitgehend, aber nicht vollständig alkoholabstinent. Zum Unfallszeitpunkt war er nicht alkoholisiert.
Mit Bescheid vom 31. 3. 2004 hat die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter den Unfall vom 12. Juni 2003 nicht als Dienstunfall anerkannt und ausgesprochen, dass Leistungen gemäß den Bestimmungen der §§ 88 ff B-KUVG nicht gewährt werden. Dies wurde damit begründet, dass Ursache des Unfalls ein anlagebedingtes, mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers nicht zusammenhängendes Leiden gewesen sei.Mit Bescheid vom 31. 3. 2004 hat die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter den Unfall vom 12. Juni 2003 nicht als Dienstunfall anerkannt und ausgesprochen, dass Leistungen gemäß den Bestimmungen der Paragraphen 88, ff B-KUVG nicht gewährt werden. Dies wurde damit begründet, dass Ursache des Unfalls ein anlagebedingtes, mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers nicht zusammenhängendes Leiden gewesen sei.
Der Kläger begehrte, die Beklagte schuldig zu erkennen,
1) den Unfall vom 12. 6. 2003 als Dienstunfall gemäß § 90 B-KUVG anzuerkennen,1) den Unfall vom 12. 6. 2003 als Dienstunfall gemäß Paragraph 90, B-KUVG anzuerkennen,
2) ihm für die Folgen des Dienstunfalls vom 12. 6. 2003 ab diesem Zeitpunkt eine Versehrtenrente in gesetzlichem Ausmaß zu gewähren, und
3) für die Folgen des Dienstunfalls vom 12. 6. 2003 sowie für die Folgen seines früheren Dienstunfalls vom 6. 6. 1986 eine Gesamtrente in gesetzlichem Ausmaß zu gewähren.
Mit „Teil- und Zwischenurteil" vom 19. 8. 2005 hat das Erstgericht „festgestellt, dass es sich beim Unfall, den der Kläger am 12. Juni 2003 auf dem Weg von der Dienststelle zu seinem Wohnort erlitten hat, um einen Dienstunfall im Sinne des § 90 Abs 2 Z 1 B-KUVG handelt."Mit „Teil- und Zwischenurteil" vom 19. 8. 2005 hat das Erstgericht „festgestellt, dass es sich beim Unfall, den der Kläger am 12. Juni 2003 auf dem Weg von der Dienststelle zu seinem Wohnort erlitten hat, um einen Dienstunfall im Sinne des Paragraph 90, Absatz 2, Ziffer eins, B-KUVG handelt."
Seiner rechtlichen Beurteilung legte das Erstgericht zugrunde, dass die Körperschädigung des Klägers eine typische Folge eines Verkehrsunfalles gewesen sei, der deshalb in einem örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung gestanden sei, weil er sich auf dem Heimweg von der Dienststelle zum ständigen Wohnort des Versicherten ereignet habe. Auch wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer inneren Ursache - dem Epilepsieleiden des Klägers - auszugehen sei, sei das Ereignis dennoch unfallversicherungsgeschützt, weil ein wesentlicher Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bestehe, zumal die Heimfahrt die wesentliche betriebs- und dienstbedingte Ursache des Unfalles gewesen sei. Das unfallversicherungsgeschützte Risiko der Heimfahrt mit einem Kraftfahrzeug überwiege die im vorliegenden Fall mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als Auslöser des Verkehrsunfalles aufgetretene innere Ursache. Gegenüber dieser anderen Ursache würden die betrieblichen Umstände nicht erheblich in den Hintergrund treten. Die beim Kläger eingetretenen Verletzungen seien nicht die unmittelbare Folge der inneren Ursache, also des epileptischen Anfalles, sondern die Folgen des Wegunfalls. Auch wenn der Unfall mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durch die erwähnte innere Ursache ausgelöst worden sei, sei die mit der Zurücklegung des Arbeitsweges verbundene Gefahrenlage eine wesentliche Bedingung für die beim Kläger eingetretenen Verletzungen gewesen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Da eine auch zur Unfallszeit bestehende Alkoholisierung des Klägers nicht unterstellt werden könne, sei der von der beklagten Partei hervorgehobene „Aspekt Alkohol" nicht entscheidungswesentlich. Der Umstand, dass der Kläger in den Jahren 1998 und 2000 im Zusammenhang mit erheblichem Alkoholkonsum jeweils einen epileptischen Anfall erlitten habe und er in der Zeit vor dem Unfall zwar weitgehend, aber nicht vollständig alkoholabstinent gewesen sei, sei nicht geeignet, den ursächlichen Zusammenhang des (Weg-)Unfalls mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers zu lösen. Das Argument der beklagten Partei, ein derartiger ursächlicher Zusammenhang sei zu verneinen, weil der Kläger bei einem durch vorbestehenden Alkoholmissbrauch bedingten Epilepsieleiden weiterhin in erheblichem Ausmaß Alkoholmissbrauch betrieben habe, sei nicht stichhaltig, zumal der mit hoher Wahrscheinlichkeit den Unfall auslösende epileptische Anfall des Klägers nicht im Rahmen eines aktuellen Alkoholmissbrauchverhaltens, sondern eines Alkoholentzugssyndroms aufgetreten sei. Die Folgen des Unfalls seien nicht typische Folgen des anlagebedingten Epilepsieleidens, sondern des während der Heimfahrt erlittenen Verkehrsunfalls. Ein solcher wiederum gehöre zu den üblichen Gefahren eines Arbeitsweges, den ein Versicherter - wie der Kläger - mit seinem PKW zurücklege.
Mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO sei die ordentliche Revision nicht zulässig.Mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd Paragraph 502, Absatz eins, ZPO sei die ordentliche Revision nicht zulässig.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsabweisenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist schon deshalb zulässig, weil der vom Berufungsgericht bestätigte Spruch des Ersturteils in der vorliegenden Fassung dem Gesetz widerspricht. Sie ist auch im Sinne einer Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen berechtigt.
1. Die beklagte Partei geht in ihrer Revision - in Abweichung vom festgestellten Sachverhalt - erneut davon aus, dass als alleinige Unfallursache gänzliche Lenkuntauglichkeit infolge Bewusstlosigkeit als Folge einer Alkoholbeeinträchtigung wegen eines kurz vorangegangenen Alkoholexzesses anzusehen sei. Auf dieser Grundlage wird dem Berufungsgericht vorgehalten, es habe zu Unrecht „den wesentlichen Aspekt Alkohol" als nicht entscheidungswesentlich angenommen.
Nach den Feststellungen wurde der Verkehrsunfall, bei dem der Kläger von der Straße abkam und gegen einen Baum stieß, mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem im Rahmen eines Alkoholentzugssyndroms aufgetretenen epileptischen Anfall ausgelöst. Im Gegensatz zur Ansicht der beklagten Partei ist diese Konstellation mit der der Entscheidung 10 ObS 297/98v = SSV-NF 12/125 zugrunde liegenden durchaus vergleichbar, als bei einem Versicherten auf der Heimfahrt von der versicherten Tätigkeit aus physiologischen Gründen ein extremer Harndrang verbunden mit Schmerzen auftrat, was letztlich dazu führte, dass er die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor, von der Straße abkam und verunfallte.
Wenn die erlittenen Verletzungen nicht die unmittelbare Folge der inneren Ursache (Harndrang bzw epileptischer Anfall im Rahmen eines Alkoholentzugssyndroms), sondern des Verkehrsunfalls sind, ist die mit der Zurücklegung des Arbeitsweges verbundene Gefahrenlage eine wesentliche Bedingung für die Verletzungen, auch wenn der zu den Verletzungen führende Unfall durch die innere Ursache ausgelöst wurde. Die Vorinstanzen haben daher zu Recht die Voraussetzungen für das Bestehen des Versicherungsschutzes bejaht.
2. Dennoch ist die Sache noch nicht zur Entscheidung reif. Berechtigterweise wirft die beklagte Partei in der Revision auf, dass die Vorinstanzen trotz erhobenen Leistungsbegehrens über das gleichzeitig erhobene Feststellungsbegehren entschieden haben, obwohl dieses gegebenenfalls durch einen Leistungsanspruch erschöpft werde. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 10 ObS 48/03m (SVSlg 49.979) darauf hingewiesen, dass ein Klagebegehren wie das vorliegende erörterungsbedürftig ist, wenn es einen „Feststellungsteil" und einen „Leistungsteil" enthält. Nach § 65 Abs 2 ASGG gilt als Feststellung eines Rechtsverhältnisses oder Rechts auch diejenige, dass eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeits(Dienst)unfalls ist (§ 367 Abs 1 ASVG). In einem solchen Feststellungsbegehren sind demnach die unfallbedingten Gesundheitsstörungen zu nennen, auch wenn es nicht erforderlich ist, einen bestimmten Grad anzuführen (§ 82 Abs 3 Z 2 ASGG; 10 ObS 204/93 = SSV-NF 7/97). Ein Begehren auf Feststellung, dass es sich bei einem Unfall um einen Dienstunfall handle, entspricht ebenso wenig dem Gesetz (vgl 10 ObS 2437/96x = SSV-NF 10/136) wie ein entsprechendes Feststellungsurteil (10 ObS 221/01z = SSV-NF 16/33; RIS-Justiz RS0084069), auch wenn es als „Zwischenurteil" oder „Teil- und Zwischenurteil" erlassen wird (10 ObS 2437/96x = SSV-NF 10/136). Überdies würde eine Feststellungsentscheidung entsprechend § 228 ZPO - auch in Sozialrechtssachen - ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung eines Rechts oder Rechtsverhältnisses voraussetzen, das fehlt, wenn bereits ein Leistungsanspruch besteht (10 ObS 171/91 = SSV-NF 5/78; 10 ObS 46/01i; RIS-Justiz RS0085925, RS0039021 [T16]), was hier noch immer offen ist.2. Dennoch ist die Sache noch nicht zur Entscheidung reif. Berechtigterweise wirft die beklagte Partei in der Revision auf, dass die Vorinstanzen trotz erhobenen Leistungsbegehrens über das gleichzeitig erhobene Feststellungsbegehren entschieden haben, obwohl dieses gegebenenfalls durch einen Leistungsanspruch erschöpft werde. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 10 ObS 48/03m (SVSlg 49.979) darauf hingewiesen, dass ein Klagebegehren wie das vorliegende erörterungsbedürftig ist, wenn es einen „Feststellungsteil" und einen „Leistungsteil" enthält. Nach Paragraph 65, Absatz 2, ASGG gilt als Feststellung eines Rechtsverhältnisses oder Rechts auch diejenige, dass eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeits(Dienst)unfalls ist (Paragraph 367, Absatz eins, ASVG). In einem solchen Feststellungsbegehren sind demnach die unfallbedingten Gesundheitsstörungen zu nennen, auch wenn es nicht erforderlich ist, einen bestimmten Grad anzuführen (Paragraph 82, Absatz 3, Ziffer 2, ASGG; 10 ObS 204/93 = SSV-NF 7/97). Ein Begehren auf Feststellung, dass es sich bei einem Unfall um einen Dienstunfall handle, entspricht ebenso wenig dem Gesetz vergleiche 10 ObS 2437/96x = SSV-NF 10/136) wie ein entsprechendes Feststellungsurteil (10 ObS 221/01z = SSV-NF 16/33; RIS-Justiz RS0084069), auch wenn es als „Zwischenurteil" oder „Teil- und Zwischenurteil" erlassen wird (10 ObS 2437/96x = SSV-NF 10/136). Überdies würde eine Feststellungsentscheidung entsprechend Paragraph 228, ZPO - auch in Sozialrechtssachen - ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung eines Rechts oder Rechtsverhältnisses voraussetzen, das fehlt, wenn bereits ein Leistungsanspruch besteht (10 ObS 171/91 = SSV-NF 5/78; 10 ObS 46/01i; RIS-Justiz RS0085925, RS0039021 [T16]), was hier noch immer offen ist.
Die Fassung des Klagebegehrens ist daher mit dem Kläger zu erörtern und klar zu stellen. Wenn der Kläger - wie sein Begehren nahe legt - nicht auf eine Feststellung, sondern auf die Gewährung einer Versehrtenrente abzielt, sind die für den Anfall und die Bemessung dieser Leistung wesentlichen Voraussetzungen festzustellen (10 ObS 204/93 = SSV-NF 7/97). Nur dann, wenn ein Leistungsanspruch nicht besteht, kommt eine Feststellungsentscheidung iSd § 82 Abs 5 ASGG in Betracht.Die Fassung des Klagebegehrens ist daher mit dem Kläger zu erörtern und klar zu stellen. Wenn der Kläger - wie sein Begehren nahe legt - nicht auf eine Feststellung, sondern auf die Gewährung einer Versehrtenrente abzielt, sind die für den Anfall und die Bemessung dieser Leistung wesentlichen Voraussetzungen festzustellen (10 ObS 204/93 = SSV-NF 7/97). Nur dann, wenn ein Leistungsanspruch nicht besteht, kommt eine Feststellungsentscheidung iSd Paragraph 82, Absatz 5, ASGG in Betracht.
Da es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, sind die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben; die Sozialrechtssache ist an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.Der Kostenvorbehalt beruht auf Paragraph 52, Absatz eins, ZPO.
Anmerkung
E81420 10ObS45.06zSchlagworte
Kennung XPUBL Diese Entscheidung wurde veröffentlicht in infas 2006,216/S45 - infas 2006 S45 = ZAS-Judikatur 2006/176 = DRdA 2006,496 XPUBLENDEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2006:010OBS00045.06Z.0627.000Dokumentnummer
JJT_20060627_OGH0002_010OBS00045_06Z0000_000