Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AlVG 1977 §10 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde der U F in P, vertreten durch Dr. Werner Posch, Rechtsanwalt in 2640 Gloggnitz, Hauptstraße 37, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Niederösterreich vom 30. November 2006, Zl. LGS NÖ/RAG/05661/2006, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Im Akt befindet sich ein Schreiben der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom 4. September 2006, mit dem der im Leistungsbezug der Notstandshilfe stehenden Beschwerdeführerin der Auftrag erteilt wurde, an der Maßnahme "Berufsorientierung für Wiedereinsteigerinnen" bei "BCP" in N teilzunehmen, wobei als Informationstag der 7. September 2006 und als Kursbeginn der 11. September 2006 festgesetzte wurde. Dazu wurde festgehalten, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten der Beschwerdeführerin im Bereich der aktiven Arbeitssuche nicht ausreichten, um eine zumutbare Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes zu erlangen. Der Besuch der Wiedereingliederungsmaßnahme werde ihre Arbeitsmarktchancen durch Erlangung der fehlenden Kenntnisse deutlich verbessern. Als Inhalte dieser Maßnahme wurden "aktive Arbeitssuche" und "Bewerbungstraining" genannt. Aus Sicht des Arbeitsmarktservice sei die Erlangung einer Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ohne Teilnahme an dieser Wiedereingliederungsmaßnahme nicht möglich. Zudem wurde die Beschwerdeführerein über die Folgen der Weigerung der Teilnahme an dieser Maßnahme nach § 10 AlVG aufgeklärt.
Am 7. September 2006 wurde mit der Beschwerdeführerin vor der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eine Niederschrift zum Gegenstand "Weigerung, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung teilzunehmen" aufgenommen. Darin wird festgehalten, die Beschwerdeführerin habe im Wesentlichen erklärt, dass sie nicht bereit sei, an der Wiedereingliederungsmaßnahme teilzunehmen, da es in Puchberg keine Tagesmutter gebe und somit die Versorgung ihrer Tochter gefährdet sei. Weiters besitze sie kein eigenes Fahrzeug und der erste öffentliche Bus ab Losenheim fahre um 11:05 Uhr. Die Beschwerdeführerin verweigerte die Unterschrift unter dieser Niederschrift.
Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom 13. September 2006 wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 AlVG des Anspruches auf Notstandshilfe für den Zeitraum 11. September 2006 bis 22. Oktober 2006 verlustig erklärt und eine Nachsicht nicht gewährt. Begründend wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe sich geweigert, an der Maßnahme Berufsorientierung für Wiedereinsteigerinnen zur Erleichterung der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht lägen nicht vor und seien auch nicht geltend gemacht worden.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerein im Wesentlichen vor, dass sie am 7. September 2006 um 9 Uhr bei der Informationsveranstaltung "Berufsorientierung für Wiedereinsteigerinnen" anwesend gewesen sei und ihre Beraterin sowie die Kursleitung darüber in Kenntnis gesetzt habe, dass sie die Veranstaltung vorzeitig verlassen müsse, da an diesem Tag kein Schulbus fahre und somit die Versorgung ihrer Tochter gefährdet sei. Ihre Beraterin habe Kenntnis davon gehabt, dass es in Puchberg keine Tagesmutter oder öffentliche Betreuungsstellen für Kinder nach der Schule gebe. Des Weiteren besitze die Beschwerdeführerin kein eigenes Fahrzeug. Es sei ihr nicht möglich, die öffentlichen Verkehrsmittel mit den Kurszeiten zu "vereinbaren". Ihr Wohnort liege 4,5 km von Puchberg entfernt. Zudem sei die Teilnahme an der gegenständlichen Kursmaßnahme mit der Beschwerdeführerin nicht "vereinbart" worden. Ihre Betreuerin habe trotz Ersuchens am 7. September 2006 keinen neuen Betreuungsplan erstellt. Die letzte Vereinbarung habe bis längstens 25. August 2006 gegolten. Eine Verweigerung der Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung sei nicht gegeben. Ergänzend führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie die Unterschrift auf der Niederschrift vom 7. September 2006 deshalb nicht geleistet habe, weil der angeführte Gegenstand nicht den Tatsachen entsprochen habe und ihre Betreuerin ihr mitgeteilt habe, dass es sich um ein vorgegebenes Formular handle und sie den Gegenstand ("Weigerung") nicht ändern könne.
Nach weiteren Ermittlungen und Parteiengehör hiezu wurde der Berufung mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid keine Folge gegeben. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, laut telefonischer Auskunft der Gemeinde Puchberg vom 24. Oktober 2006 seien an der Adresse der Beschwerdeführerin auch deren Tochter und deren Mutter aufrecht gemeldet. Auch eine ergänzende Abfrage aus dem zentralen Melderegister habe ergeben, dass die Mutter der Beschwerdeführerin an dieser Adresse wohnhaft sei. Im Betreuungsplan vom 12. Mai 2006 sei festgehalten worden, dass die gewünschte Arbeitszeit der Beschwerdeführerin von 8 Uhr bis 14 Uhr sei. Im neuen Betreuungsplan vom 23. Oktober 2006 habe die Beschwerdeführerin diese Angabe nochmals bestätigt. Am 24. Oktober 2006 habe die Beschwerdeführerein bekannt gegeben, dass die gewünschte Arbeitszeit nun auf die Zeit von 8 Uhr bis 12 Uhr abgeändert werde. Eine Anfrage beim Verkehrsreferat der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen habe ergeben, dass auf die an derselben Adresse gemeldete Mutter der Beschwerdeführerin ein Kfz zugelassen sei. Die Entfernung vom Wohnort der Beschwerdeführerin zum Kursort betrage 25,4 km und sei in einer durchschnittlichen Fahrzeit von 35 Minuten zurückzulegen, weshalb die Entfernung und die Fahrtdauer zumutbar seien. Aufgrund der mit der Beschwerdeführerin vereinbarten Arbeitszeit von 8 Uhr bis 14 Uhr laut Betreuungsplan vom 12. Mai 2006 stehe fest, dass die Betreuungspflichten geregelt seien. Die gegenständliche Teilzeitmaßnahme jeweils von 9 Uhr bis 15 Uhr am Montag und von 9 Uhr bis 14 Uhr am Dienstag sei so gestaltet, dass die Beschwerdeführerin ihren Betreuungspflichten, sofern sie diese entsprechend organisiere, nachkommen könne. Dies Maßnahme sei daher in jeder Hinsicht zumutbar.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 9 Abs. 1 AlVG in der hier zeitraumbezogen maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 77/2004 hat folgenden Wortlaut:
"Arbeitswilligkeit
§ 9. (1) Arbeitswillig ist, wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist."
§ 10 AlVG in der hier zeitraumbezogen maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 77/2004 lautet auszugsweise:
"§ 10. (1) Wenn die arbeitslose Person
...
3. ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, oder
...
so verliert sie für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. ...
...
(3) Der Verlust des Anspruches gemäß Abs. 1 ist in berücksichtigungswürdigen Fällen wie zB bei Aufnahme einer anderen Beschäftigung nach Anhörung des Regionalbeirates ganz oder teilweise nachzusehen."
Die genannten Bestimmungen gelten gemäß § 38 AlVG für die Notstandshilfe sinngemäß.
Nach der Rechtsprechung setzt die Zulässigkeit einer Zuweisung zu einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt voraus, dass das Arbeitsmarktservice davor seiner Verpflichtung nachgekommen ist, dem Arbeitslosen die Gründe, aus denen das Arbeitsmarktservice eine solche Maßnahme für erforderlich erachtet, zu eröffnen, ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und den Arbeitslosen über die Rechtsfolgen einer Weigerung, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, zu belehren. Von einer ungerechtfertigten Weigerung des Arbeitslosen, an Maßnahmen teilzunehmen, kann nur dann gesprochen werden, wenn sich die Zuweisung auf eine zulässige Maßnahme bezieht und die Weigerung in objektiver Kenntnis des Inhaltes, der Zumutbarkeit und der Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme erfolgt. Dazu muss die Behörde die Voraussetzungen für eine solche Zuweisung in tatsächlicher Hinsicht ermittelt und das Ergebnis ihres Ermittlungsverfahrens dem Arbeitslosen - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung - zur Kenntnis gebracht haben. Ein Arbeitsloser, dem Maßnahmen im Sinne des § 9 Abs. 1 AlVG ohne nähere Spezifikation und ohne Vorhalt jener Umstände zugewiesen werden, aus denen sich das Arbeitsmarktservice zur Zuweisung berechtigt erachtet, kann im Falle der Weigerung, einer solchen Zuweisung Folge zu leisten, nicht vom Bezug der Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG ausgeschlossen werden. Diesbezügliche Versäumnisse anlässlich der Zuweisung des Arbeitslosen zur Schulungsmaßnahme können im Rechtsmittelverfahren nicht nachgeholt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. April 2007, Zl. 2006/08/0328, mwN).
Schon vor diesem rechtlichen Hintergrund war die Zuweisung der Beschwerdeführerin zur Wiedereingliederungsmaßnahme unzulässig, weshalb ihre Weigerung zur Teilnahme an der Maßnahme nicht zum Verlust der Notstandshilfe hätte führen dürfen. Der Beschwerdeführerin wurden nämlich vor der Zuweisung weder ihre konkreten Defizite, die behoben werden sollten, noch der genaue Inhalt der Maßnahme mitgeteilt. Die allgemeinen Ausführungen ohne nähere Konkretisierung, dass der Beschwerdeführerin Kenntnisse und Fähigkeiten "im Bereich der aktiven Arbeitssuche" fehlen und dass die Maßnahme "aktive Arbeitssuche" und "Bewerbungstraining" umfasst, reichen zur Erfüllung der genannten Anforderungen nicht aus (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom heutigen Tag, Zlen. 2006/08/0006, 2006/08/0094, 2006/08/0159 und 2007/08/0026).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben, wobei es sich erübrigte, auf das weitere Beschwerdevorbringen näher einzugehen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 19. September 2007
Schlagworte
Sachverhalt SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2007080007.X00Im RIS seit
29.10.2007Zuletzt aktualisiert am
05.11.2008