TE Vfgh Erkenntnis 2002/12/11 B872/01 - B1467/01, B1597/01, B936/02

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Veröffentlicht am 11.12.2002
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
AsylG 1997 §8
AsylG 1997 §44 Abs1
AsylG 1997 §44 Abs7

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Verweigerung einer non-refoulement-Prüfung bei Abweisung eines Asylantrags infolge fälschlicher Anwendung einer Übergangsbestimmung

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit 1.962,-- Euro bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin, eine irakische Staatsangehörige, reiste am 3. April 1997 gemeinsam mit ihren fünf Kindern illegal in das Bundesgebiet ein und beantragte im wesentlichen mit der Begründung Asyl, daß ihr Ehemann als syrischer Staatsangehöriger und Regimekritiker vom Staatssicherheitsdienst gesucht und nun die gesamte Familie bedroht werde.

2. Dieser Antrag wurde vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 21. April 1997 gemäß §3 Asylgesetz 1991, BGBl. 8/1992 (im folgenden: AsylG 1991), abgewiesen, der dagegen erhobenen Berufung mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. Dezember 1997 keine Folge gegeben. Nachdem mit 1. Jänner 1998 das Asylgesetz 1997, BGBl. 76 (im folgenden: AsylG 1997), in Kraft getreten war, wies der angerufene Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde gemäß §44 Abs3 AsylG 1997 zurück und leitete die Akten an den nunmehr zuständigen Unabhängigen Bundesasylsenat (im folgenden bloß: Bundesasylsenat) weiter.

Mit dem in der Verhandlung vom 14. Mai 2001 mündlich verkündeten Bescheid des Bundesasylsenates wurde die Berufung gemäß §7 AsylG 1997 abgewiesen. In der schriftlichen Ausfertigung dieses Bescheides wird nach einer Zusammenfassung des bisherigen Verfahrensganges folgendes ausgeführt:

"1. Zur Situation im Irak:

Allgemeine politische Lage, Menschenrechtssituation:

Der Irak ist eine Diktatur. Eine Gewaltenteilung existiert nicht. Der Revolutionäre Kommandorat vereinigt in sich legislative und exekutive Vollmachten. Das Parlament ist politisch machtlos und dient allein legitimatorischen Zwecken. Das irakische Kabinett ist in allen wesentlichen Entscheidungen von Saddam Hussein und dessen Präsidialamt abhängig. Politische Veränderungen und Machtverschiebungen im Irak sind zurzeit nicht erkennbar.

Formal ist der Menschenrechtsschutz in der irakischen Verfassung umfassend geregelt. Alle klassischen Freiheitsrechte sowie Justizschutzrechte werden angeführt. Daneben werden soziale Grundrechte gewährt und der Zusammenhang von 'Grundrechten und Grundpflichten' betont. Der Irak hat die wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen ratifiziert.

Faktisch jedoch ist die Menschenrechtslage im Irak alarmierend. Nach wie vor werden im Irak willkürliche Verhaftungen und extralegale Exekutionen und Verschwindenlassen von Menschen in großem Ausmaß praktiziert. Die irakischen Sicherheitsdienste agieren häufig außerhalb polizeirechtlicher Vorschriften und gehen willkürlich mit äußerster Brutalität vor.

Politische Grundrechte können weder in Anspruch genommen noch eingeklagt werden. Personen oder Gruppen, die Saddam Hussein, sein Clan oder die enge Führungsriege des Regimes als reale oder vermeintliche Bedrohung ihrer Machtstellung ansehen oder die nach Überzeugung der irakischen Sicherheitsdienste dem Regime gegenüber kritisch eingestellt sind, müssen mit staatlichen Repressionen rechnen. Die Zentralregierung geht brutal und unterschiedslos gegen Einzelpersonen und Gruppen, die auch religiöse und/oder ethnische Gruppen oder Stämme sein können, vor, sofern sie in ihnen eine Gefährdung ihrer Machtbasis, der Effektivität des Zentralstaates, separatistische Aktivitäten oder ausländische Einflussnahme zu erkennen glaubt. Diesem Personenkreis droht also nicht nur eine Beschränkung der persönlichen Freiheit, sondern auch Gefahr für Leib und Leben.

Rechtsstaatliche Prinzipien werden grob missachtet. Das Recht auf rechtliches Gehör und Rechtsbeistand vor Gericht (obwohl in der Verfassung verbrieft) ist nicht gewährleistet.

Die Strafzumessungsmaßstäbe unterscheiden sich deutlich von europäischen. Auf viele Delikte stehen auch nach den Maßstäben des arabisch/islamischen Raumes unverhältnismäßig harte Strafen (Körperstrafen für Diebe und Deserteure, viele mit der Todesstrafe bedrohte Straftatbestände).

Im Irak wird die Todesstrafe vollzogen. Das irakische StGB sieht die Todesstrafe für eine Fülle von Delikten vor. Neben Mord (unter bestimmten Voraussetzungen) steht die Todesstrafe auf Straftaten, die das irakische StGB in seinem 2. Buch ('Verbrechen gegen das Allgemeinwohl') auflistet. Hierbei handelt es sich um Delikte, die die 'innere und äußere Sicherheit Iraks beeinträchtigen'. Dazu zählen u.a.: Handlungen gegen die Unabhängigkeit und Einheit des Landes, Zusammenarbeit mit feindlichen Staaten, Beeinträchtigung der Wehrfähigkeit im Kriegsfalle, Verrat militärischer Geheimnisse, gewaltsamer Angriff auf das Verfassungssystem, Zerstörung wirtschaftlicher Infrastruktur, Verbreitung des Zionismus oder des Freimaurertums, Ermordung des Präsidenten.

Im Irak wird systematisch gefoltert. Bei Festnahmen durch die irakischen Sicherheitskräfte ist regelmäßig mit Misshandlungen und mit der Anwendung von Folter zur Einschüchterung und zum Erpressen von Geständnissen zu rechnen.

Die allgemeinen Haftbedingungen (Unterbringung, Verpflegung, gesundheitliche Betreuung) im Irak sind sehr schlecht. Die Gefängnisse befinden sich in einem heruntergekommenen Zustand. Besonders berüchtigt sind Untersuchungsgefängnisse sowie das Gefängnis Abu Ghraib bei Bagdad. Die Gefängnisse sind bevorzugte Tatorte für die in diesem Bericht genannten Menschenrechtsverletzungen. Immer wieder gibt es Berichte über extralegale Massenhinrichtungen in Gefängnissen.

Asylantragstellung, Illegale Ausreise

Das irakische StGB und andere Rechtsvorschriften stellen darüber hinaus das 'Verbreiten von Falschnachrichten' über den Irak im Ausland sowie Kritik und Beleidigung der Staatsorgane unter schwere Strafe.

Der Irak setzt alles daran, seine wirtschaftliche und intellektuelle Elite im Land zu halten.

Das illegale Verlassen des Landes (d.h. ohne Ausreisegenehmigung durch Bagdad unterstehende Behörden) ist ein Delikt, das nach dem irakischen Strafgesetzbuch mit einer mehrjährigen Haftstrafe bedroht wird. Das Bagdader Regime hält dabei an der Einheit des Landes einschließlich Nordiraks fest, sodass die Strafdrohung auch aus- und wiedereinreisende Kurden im Nordirak betrifft, sofern sie in den Machtbereich Bagdads gelangen. Das durchschnittliche Strafmaß für illegale Grenzüberschreitungen nach Irak lag in früheren Jahren bei ca. 8 Jahren Gefängnis.

Mit Dekret Nr. 110 vom 28. Juni 1999 hat der Irakische Revolutionsrat einen Verzicht auf Strafverfolgung und Bestrafung von 'Landesflüchtlingen' erklärt.

...

Zum Jahrestag des Amnestieerlasses verkündete das irak. Außenministerium dessen Fortgeltung ohne zeitliche Begrenzung.

2. Zur Person der Asylwerberin:

Die Asylwerberin ist irakische Staatsangehörige.

Die Asylwerberin selbst hat sich niemals politisch betätigt. Sie war im Irak Hausfrau. Sie verließ den Irak wegen der Probleme ihres Gatten.

Ihr Gatte war Mitglied der Baath-Partei. Wie die Asylwerberin später erfuhr, hatte ihr Gatte Probleme in oder mit der Partei, wobei die Asylwerberin nichts Genaueres über diese Probleme wusste.

Eines Tages kam der Gatte der Asylwerberin nicht mehr nach Hause. Es verging eine Woche, ohne dass die Asylwerberin von ihrem Mann Nachricht erhielt. Nach dieser Woche kamen plötzlich Sicherheitskräfte zur Asylwerberin nach Hause und fragten sie nach ihrem Mann. Die Asylwerberin erklärte diesen, dass sie selber nicht wisse, wo er sich befinde und sie sich auch große Sorgen um ihn mache. Der Gatte war bereits 20 Jahre Mitglied der Baath-Partei. Die Sicherheitskräfte kündigten an, eine Woche später wiederkommen zu wollen. Als sie kamen, bemerkte die Asylwerberin bereits auf Grund der Art des Klopfens, dass irgendetwas nicht in Ordnung sei. Sie bekam es mit der Angst zu tun, und als sie die Tür nicht gleich öffnete, brachen die Sicherheitskräfte die Tür auf, richteten die Waffen auf die Asylwerberin und forderten sie auf, ihnen mitzuteilen, wo sich ihr Gatte befinde. Sie drohten ihr, sie einzusperren, ihr etwas anzutun, ihr die Kinder wegzunehmen, auch diese einzusperren, und durchsuchten das ganze Haus. Es waren vier Männer, die das Haus auf den Kopf stellten. Sie warfen der Asylwerberin anlässlich dieser Hausdurchsuchung vor, dass ja auch ihr Bruder bereits geflüchtet sei, obwohl er Pilot sei. Der Bruder der Asylwerberin war Pilot der Zivilluftfahrt und flüchtete kurz vor Beginn des zweiten Golfkrieges.

Die Asylwerberin hatte aber wegen der Flucht des Bruders keine Probleme und kann nicht festgestellt werden, dass ihr wegen der seinerzeitigen Flucht des Bruders im Falle ihrer Rückkehr irgendwelche Probleme von Seiten irakischer Sicherheitsbehörden erwachsen. Der Asylwerberin wird von Seiten irakischer Sicherheitsbehörden keine negative politische Gesinnung unterstellt. Ziel der irakischen Sicherheitsbehörden war ausschließlich der Gatte. Ziel der Sicherheitsbehörden wäre es gewesen, auf die Asylwerberin Druck auszuüben, um den Aufenthaltsort des Gatten in Erfahrung zu bringen, bzw. sie festzuhalten und damit den Gatten zu einer etwaigen Rückkehr zu zwingen.

Ca. 2 bis 3 Tage nach diesem Vorfall begab sich die Asylwerberin mit ihren Kindern zu ihrer Tante mütterlicherseits nach Bagdad. Ihr Onkel mütterlicherseits kam wenige Tage später zu ihrer Tante mütterlicherseits und erklärte ihr, dass ihr Mann mit ihm Kontakt aufgenommen hätte und ihn ersucht habe, die Asylwerberin und die Kinder außer Landes zu schaffen. Die Asylwerberin hielt sich ca. 10 Tage bei der Tante auf. Der Onkel mütterlicherseits nahm dann die Asylwerberin nach Kirkuk mit, wo sie sich ca. 1 Monat bei ihm zu Hause aufhielten. Teilweise hielt sie sich bei ihrem Onkel auf, teilweise bei anderen Leuten, die die Asylwerberin kannte, wie z.B. Nachbarn. Danach begaben sie sich nach Arbil wo sie sich ca. 1 Monat bis zu ihrer endgültigen Flucht aufhielten.

Die Asylwerberin verließ den Irak illegal. Es kann aber nicht festgestellt werden, ob die Asylwerberin wegen illegaler Ausreise und Asylantragstellung bestraft wird und ob auf die Asylwerberin der Tatbestand der Verbreitung unwahrer Nachrichten angewendet wird.

Der Vater der Asylwerberin fährt zwischen Irak und Österreich hin und her. Er war eine Zeit lang in Österreich, ging dann in den Irak zurück. Vor 2 Jahren hielt er sich ca. 5 bis 6 Monate in Österreich auf. Er hatte ein Visum, das er über die Schwester der Asylwerberin bekommen hat. Der Vater der Asylwerberin ist legal aus dem Irak ausgereist. Das letzte Mal hielt er sich vor ca. 1 1/2 Jahren in Österreich auf. Derzeit lebt er in Kirkuk.

...

Würdigung der Entscheidungsgrundlagen:

Allgemeine politische Lage, Menschenrechtssituation:

Die Sachverhaltsfeststellungen zur Situation im Allgemeinen und zur Menschenrechtssituation im Besonderen basieren auf den in den Entscheidungsgrundlagen angeführten übereinstimmenden Länderberichten.

Der VN-Sonderberichterstatter schätzte in seinem Bericht vom 26.2.1999 die Zahl der summarischen, willkürlichen oder extralegalen Hinrichtungen aus politischen Gründen von Herbst 1997 bis Ende 1998 auf über 2.500.

Asylantragstellung

Nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtiges Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Irak liegen jedoch keine Erkenntnisse über Repressionen gegenüber aus Deutschland zurückgekehrten Asylantragstellern und der Frage, inwieweit den irakischen Behörden das Stellen eines Asylantrages überhaupt bekannt würde, vor. Daneben gehen irakische Sicherheitsdienste offensichtlich willkürlich und unsystematisch vor - eine generelle Einschätzung des Umgangs mit ehemaligen Asylbewerbern im Irak ist somit kaum zu treffen.

In diesem Sinne aber aufschlussreich das Deutsche Orient-Institut in seinen Stellungnahmen vom 31.10.2000 an das Niedersächsische Verwaltungsgericht und vom 5.9.2000 an das Verwaltungsgericht Osnabrück:

'Jeder im Irak weiß, dass in Westeuropa Aufenthaltstitel nur im Wege der Asylbeantragung zu erlangen sind. Es ist unserer Einschätzung nach nicht realitätsgerecht, anzunehmen, das irakische Regime wisse dies nicht. Die Stellung des Asylantrages als solches ist gleichsam normale Realität, jeder geht bei jedem davon aus, dass dieser einen Asylantrag gestellt hat. Allerdings sind Iraker nach unserer Erfahrung im 'Innenverhältnis' zueinander darum bemüht, äußerst sparsam mit Informationen zum Inhalt des Asylverfahrens umzugehen. Man erzählt sich gegenseitig nicht, 'was man gesagt hat', man hält auch sonstige Informationen, die irgendeinen inhaltlichen Rückschluss zulassen könnten, zurück. Dieses Misstrauen hat man zu Hause gründlich gelernt, und dieses Misstrauen hat im Irak auch seinen guten Grund, daran hält man im Verkehr mit anderen Irakern auch in Europa fest. Man will dadurch vermeiden, dass ungünstige Informationen über die eigene Person auf Wegen, die man nicht einschätzen, aber auch nicht beeinflussen kann, nach Hause gelangen und dort, nicht nur der verbliebenen Familie und ihren Angehörigen, sondern auch dem Betreffenden selbst bei einer etwaigen Rückkehr nach Irak schaden können.

Das Augenmerk sollte unserer Einschätzung nach eher darauf liegen, dass ein langjähriger Auslandsaufenthalt im westlichen, d.h., eigentlich im verfeindeten Ausland, bei Rückkehr Erklärungsnöte schafft. Man muss sagen, wo man war, was man dort gemacht hat, wovon man gelebt hat, mit wem man umgegangen ist, jedenfalls ist davon auszugehen, dass man über diese Dinge befragt wird. Im Irak herrscht ein Willkürregime, jeder noch so kleine Amtswalter versucht, aus irgendwelchen Dingen einen Vorteil für sich herauszuschlagen, und Leute, die viele Jahre ohne Erlaubnis und ohne einen offiziellen Grund dafür im westlichen Ausland gelebt haben, werden sich bei Rückkehr darauf einzurichten haben, dass irgendein 'Geheimdienstfritze' vorbeischaut und dies oder jenes wissen möchte, und dann aus dem, was er erfahren, aber auch aus dem, was er nicht erfahren hat, das ihm Genehme macht. Vielleicht geht es nur um ein bisschen Schmiergeld, vielleicht aber geht es auch um mehr, vielleicht ist auch die Existenz einer Familie bedroht. Das kann man von hier nicht einschätzen, realistischerweise muss man aber wissen, dass die Tatsache langjährigen Auslandsaufenthaltes im Irak zu einer Erklärungsschwierigkeit führt, wie diese behoben wird und ob sie ggf. behoben werden kann, hängt von den Verbindungen der Betreffenden im Irak ab und dem, was hier geboten werden kann, um etwaige Neider zu befriedigen.

Der Irak hat keine Auswanderungstradition, wohl hat es immer irakische Gastarbeiter in anderen arabischen Ländern gegeben, aber eine massenweise Ausreise einer nach Hunderttausend zählenden Gruppe Iraker ins westliche Ausland, wie wir es in diesen Jahren erleben, gab es im Irak noch nie. Das Land war noch bis nach dem ersten Golfkrieg ein durchaus sehr reiches arabisches Land.

Deshalb steht man gewisserweise mit einem gewissen Unverständnis der Tatsache gegenüber, dass die Heimat und naturgemäß auch die gloriose Führung einfach so verlassen werden, obwohl naturgemäß die Gründe für eine solche Ausreise heute auf der Hand liegen, da das Land infolge der unseligen Sanktionen in die Knie gegangen ist.

Man sollte aber unserer Einschätzung nach nicht allzu sehr auf die Tatsache des Asylantrages, die, es wurde gesagt, als selbstverständlich zu unterstellen ist, und zwar auch gerade nach dortigem Verständnis, abstellen, sondern vielmehr auf die Frage, dass die Leute gezwungen sind, eine lange Zeit ohne Rückversicherung und ohne Absprache mit den Heimatbehörden im westlichen Ausland zu leben.

Weiter ist zu berücksichtigen, dass es im Irak eine ganze Reihe von Menschen gibt, die überhaupt nicht ohne offizielle Genehmigung ausreisen dürfen, ganz unabhängig von der Frage, ob man einen Pass bekommt oder eine Ausreisegenehmigung. Staatsangestellten, Militärangehörigen, Offizieren, Mitgliedern der Baath-Partei ist die Ausreise verboten, und der Kreis derer, die nach Maßgabe dortiger Verhältnisse dem Staat zur Loyalität verpflichtet sind, ist dort wesentlich größer als in anderen Ländern, die kein so 'verkrampftes' Verhältnis zwischen Staat und Volk kennen.'

...

Aus den vorliegenden Entscheidungsgrundlagen kann also nicht abgeleitet werden, dass ein im Ausland um Asyl ansuchender irakischer Staatsbürger wegen des Asylantrages bestraft wird.

Illegale Ausreise

Ob und inwiefern jemand wegen illegaler Ausreise im Irak als politischer Gegner eingestuft wird, kann nach dem Dokumentationsmaterial nicht einheitlich beantwortet werden:

Über die Anwendung der Strafe wegen illegaler Ausreise in jüngerer Zeit sind dem Auswärtigen Amt keine Belegfälle bekannt. Nach seiner Auffassung erscheint aber Zurückhaltung gegenüber diesem Dekret angebracht. Zufolge des Themenfokus Irak Bedrohungssituation von Rückkehrern nach illegaler Ausreise und Asylantragstellung im Ausland geht das Deutsche Auswärtige Amt davon aus, dass sich die irakische Regierung der schwierigen wirtschaftlichen Situation im Land bewusst ist und deshalb für Leute, die das Land aus materieller Not verlassen, durchaus Verständnis aufbringt. Das Auswärtige Amt hält aus diesem Grund die Verfolgung von Personen, die das Land ausschließlich aus wirtschaftlichen Zwängen verlassen haben, bei ihrer Rückkehr für unwahrscheinlich.

Nach Bekanntwerden des Dekrets mahnte UNHCR Aufnahmeländer von irakischen Staatsangehörigen zur Vorsicht gegenüber diesem Dekret, das keinen Anlass zur Änderung der Asylpolitik gegenüber Irak gebe. Nach Auffassung von UNHCR ist der Text des Dekrets zu offen und zu vage gehalten, um eine Implementierung zu ermöglichen.

Nach ersten Erfahrungen des UNHCR im Irak zur praktischen Umsetzung des Dekrets Nr. 110 sind bislang rund 3.500 irakische Flüchtlinge aus dem Iran in den Machtbereich Bagdads zurückgekehrt. Dem UNHCR im Irak liegen über diese im Zeitraum von Juli 1999 bis März 2000 erfolgte Rückkehr von rd. 3.500 Flüchtlingen in den Machtbereich Bagdads keine negativen Erkenntnisse über die Behandlung nach ihrer Rückkehr vor, wobei nach Ansicht des Auswärtigen Amtes trotz des Fehlens eines Monitoringabkommens davon auszugehen ist, dass den UNHCR negative Informationen erreichen würden und vor allem die Rückkehr aus dem Iran schlagartig zum Erliegen käme.

Auch die täglich stattfindenden Abschiebungen irakischer Staatsbürger aus Jordanien, die teils wegen Überschreitung der Aufenthaltsdauer, teils wegen illegalen Grenzübertritts erfolgen, werden nach Erkenntnissen des UNHCR von den irakischen Behörden unter Zugrundelegung von Dekret Nr. 110 abgewickelt, d.h. die Abgeschobenen würden nach kurzem Verhör freigelassen, der illegale Grenzübertritt habe somit keine negativen Folgen.

Nach Einschätzung von UNHCR ist aber jeweils der Einzelfall für mögliche Konsequenzen entscheidend.

Auch dem IKRK liegen keine Hinweise für systematische Repressionen gegenüber Rückkehrern vor. Das IKRK ruft demgegenüber im Iran unter Verweis auf das Dekret zur Rückkehr in den Irak auf. Das IKRK misst dem Dekret hohe Glaubwürdigkeit bei.

Amnesty International vermutet, dass jeder Iraker, der im Ausland um Asyl nachgesucht hat, zumindest damit rechnen muss, bei seiner Rückkehr von den Sicherheitskräften verhört zu werden. Was danach mit ihm geschieht, d.h. ob er verhaftet und verurteilt wird oder ob man ihn allenfalls laufen lässt, hängt stark von seinem politischen und familiären Hintergrund ab.

In diesem Sinne auch das Deutsche Orient Institut, welches ausführt, 'kann davon ausgegangen werden, dass sie überwiegend propagandistische Zwecke verfolgen dürfte und wie bereits bei einigen Amnestien früherer Jahre, in der Praxis nicht eingehalten wird'. Das Deutsche Orient-Institut kommt zufolge des Themenfokus Irak Bedrohungssituation von Rückkehrern nach illegaler Ausreise und Asylantragstellung im Ausland zum Schluss, dass selbst ein Iraker, der keine Probleme mit dem Regime hatte, in Schwierigkeiten kommt, wenn er illegal das Land verlässt. Diesbezüglich ist aber das deutsche Orient-Institut uneinheitlich. Dieses Dekret bezieht sich also seinem Wortlaut nach nur auf die Fälle unbelasteter irakischer Staatsbürger, die allein auf Grund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten ohne legale Dokumente ausgereist sind. Vor dem Hintergrund des authentischen Schreibens der irakischen Botschaft an Österreich kann dem nicht uneingeschränkt zugestimmt werden, beinhaltet diese Fassung auch die Klausel 'unabhängig von der politischen Haltung ihrer Inhaber'.

Auf Grund der Quellenlage ist es also nicht möglich, die Frage nach der Bedrohungssituation nach illegaler Ausreise eindeutig zu klären. Einerseits existieren verschiedene Gesetze betreffend das Vorgehen gegen Personen, die das Land illegal verlassen oder dies versuchen. Andererseits sichern zahlreiche Amnestien Rückkehrern Straffreiheit zu. Diese Amnestien sind - wie die unterschiedliche Wiedergabe in den Sachverhaltsfeststellungen dokumentiert - meist unklar gehalten, sodass sie schon beinahe willkürlich angewendet werden können.

Auf Grund der oben geschilderten Situation ist es also im Einzelfall nicht zweifelsfrei möglich, abzuschätzen, ob eine bestimmte Person bei ihrer Rückkehr in den Irak mit Verfolgung rechnen muss. Bei einer Person, die im Ausland politisch aktiv war, ist dies zufolge des Themenfokus Irak Bedrohungssituation von Rückkehrern nach illegaler Ausreise und Asylantragstellung eher der Fall als bei einer Person, die das Land aus rein wirtschaftlichen Überlegungen verlassen hat, wobei auch letztere unter Umständen mit staatlichen Repressionen und Sanktionen rechnen muss."

Zur Person der Asylwerberin wird unter Wiedergabe einiger Einzelheiten der Vernehmung ausgeführt, daß sie sowohl in Bezug auf die Angaben zu ihren Personalien als auch hinsichtlich der ihren Ehemann betreffenden Geschehnisse glaubwürdig sei. Ihr Nichtwissen hinsichtlich der Verfolgungsgründe ihres Ehemannes sei auch vor dem Hintergrund des Länderdokumentationsmaterials vorstellbar. Sie habe plausibel die Hausdurchsuchung beschrieben, Ziel der Ermittlungen sei aber immer der Ehemann gewesen. Wegen der Flucht ihres Bruders hätten sich zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Probleme ergeben. Die Beschwerdeführerin sei eine gänzlich unpolitische Frau und habe selbst angeführt, sie würde den irakischen Sicherheitsbehörden als lebendes Pfand dienen; das Ziel der Ermittlungstätigkeit sei ausschließlich der Ehemann gewesen, von ihr habe man seinen Aufenthaltsort in Erfahrung bringen wollen.

Weiters könne nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesagt werden, daß die Asylantragstellung den irakischen Sicherheitsbehörden nicht zur Kenntnis kommt und selbst wenn dieser Umstand den irakischen Behörden zur Kenntnis käme, könne daraus nicht der Schluß gezogen werden, daß damit Verfolgung einhergehe. Nach neuerlicher Zitierung der Stellungnahme des "Orient-Institutes" vom 31. Oktober 2000 wird weiters ausgeführt:

"Vor dem Hintergrund der Entscheidungsgrundlagen kann gegenständlich nicht festgestellt werden, ob die Asylwerberin wegen illegaler Ausreise bestraft wird oder ob ihr deswegen asylrelevante Verfolgung droht. Auch wenn die Asylwerberin nicht als Wirtschaftsflüchtling anzusehen ist, so ist doch infolge des Umstandes, dass die Asylwerberin vom irakischen Staat nicht als politischer Gegner angesehen wird, auf Grund der in den Entscheidungsgrundlagen dokumentierten willkürlichen Handhabung der Amnestieregelung die Verfolgung der Asylwerberin wegen dieses Umstandes ungewiss.

Letztlich ist es der Asylwerberin bei all der ihr zugemessenen Glaubwürdigkeit nicht gelungen, politische Verfolgung zu bescheinigen.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß §7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art1 Abschnitt A Z2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Nach Art1 Abschnitt A Z2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Die Verfolgung muss aber im Zusammenhang mit einem der in Art1 Abschnitt A Z2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe stehen.

Gegenständlich hat die Asylwerberin politische Verfolgung behauptet:

Da der Asylwerberin jedoch von Seiten des irakischen Staates keine negative politische Gesinnung unterstellt wird, der Irak in ihr also keine politische Gegnerin sieht, war der Asylantrag wegen Fehlens des Zusammenhanges der der Asylwerberin drohenden Verfolgung mit einem der in Art1 Abschnitt A Z2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe abzuweisen.

Auch der Umstand einer allfälligen Bestrafung wegen illegaler Ausreise würde an dieser Beurteilung nichts ändern, handelt es sich dabei um keine Norm, die sich gegen eine bestimmte politische Gesinnung wendet, sondern nur verhindern will, dass das wirtschaftlich darniederliegende Land ohne weiteres jederzeit verlassen werden kann und damit dem Staat wichtige personelle und wirtschaftliche Ressourcen verloren gehen.

Da die Asylwerberin den Asylantrag vor dem 1.1.1998 stellte, war nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht über die Zulässigkeit der Abschiebung abzusprechen."

II. 1. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (BVG BGBl. 390/1973) geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

2. Aus Anlaß der vorliegenden Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof nach Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des dritten Satzes ("Eine Verpflichtung der Berufungsbehörde in Fällen, in denen die Entscheidung der Behörde erster Instanz vor dem 1. Jänner 1998 erging, eine non-refoulement-Prüfung vorzunehmen, besteht nicht.") im §44 Abs1 AsylG 1997 ein, welches jedoch mit Beschluß vom 8. Oktober 2002, G142/02, eingestellt wurde.

III. Die Beschwerde, deren meritorischer Erledigung Verfahrenshindernisse nicht entgegenstehen, erweist sich als gerechtfertigt.

1. Mit dem eben bezogenen Beschluß vom 8. Oktober 2002 wurde das Gesetzesprüfungsverfahren deshalb eingestellt, weil der Verfassungsgerichtshof an der im Prüfungsbeschluß dargelegten Ansicht nicht festhalten konnte, daß dem ersten Satz des §44 Abs1 AsylG durch den (mit der Novelle BGBl. I 4/1999) diesem Paragraphen angeführten Abs7 materiell derogiert worden sei; dem stehe nämlich entgegen, daß sich der erste Satz im Abs1 auf am 1. Jänner 1998 bei den Asylbehörden anhängige Verfahren, der erste Satz im Abs7 hingegen auf am 1. Jänner 1999 anhängige derartige Verfahren beziehe. Die erwähnte Novellierung des §44 habe jedoch eine Einschränkung des Geltungsbereiches des Abs1 unter zeitlichem Aspekt bewirkt, und zwar dahin, daß sich der erste Satz nur (mehr) auf Verfahren erstrecke, die während des Jahres 1998 (also vor dem im ersten Satz des Abs7 genannten Datum 1. Jänner 1999) anhängig waren.

2. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (z.B. VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (z.B. VfSlg. 10.374/1987, 13.280/1992).

3. Das AsylG 1991 sah im Gegensatz zum AsylG 1997 (s. dessen §8) eine non-refoulement-Prüfung in Verbindung mit der Abweisung des Asylantrages nicht vor. Die belangte Behörde ging in ihrem Bescheid davon aus, daß über die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht abzusprechen gewesen sei, da die Beschwerdeführerin den Asylantrag vor dem 1. Jänner 1998 gestellt habe; sie wendete demnach offensichtlich die Übergangsbestimmung des Absatzes 1 im §44 AsylG 1997 an, die jedoch - wie aus dem hg. Beschluß vom 8. Oktober 2002 hervorgeht - nur mehr für Verfahren gilt, die während des Jahres 1998 (also vor dem im ersten Satz des §44 Abs7 AsylG 1997 genannten Datum 1. Jänner 1999) anhängig waren. Gemäß §44 Abs7 AsylG 1997 sind jedoch am 1. Jänner 1999 bei den Asylbehörden anhängige Verfahren nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen.

Aus den dargetanen Erwägungen ergibt sich im Hinblick auf die zeitliche Lagerung des angefochtenen Bescheides (welcher in einer Verhandlung vor dem Bundesasylsenat am 14. Mai 2001 mündlich verkündet wurde), daß das Asylverfahren nach den Bestimmungen des AsylG 1997 zu Ende zu führen gewesen wäre und daher mit der Abweisung des Asylantrages gemäß §7 AsylG 1997 eine non-refoulement-Prüfung nach §8 AsylG 1997 zu verbinden (also jedenfalls eine in diese Richtung zielende Rechtsmittelentscheidung zu treffen) gewesen wäre.

Der bekämpfte Bescheid war, da er dieser aus §44 Abs7 AsylG 1997 erfließenden Verpflichtung nicht nachkam und damit die Entscheidung in der Sache selbst - nämlich die non-refoulement-Prüfung - verweigerte, zur Gänze aufzuheben.

IV. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 327,-- Euro auf die Umsatzsteuer.

V. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.

Schlagworte

Asylrecht, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Übergangsbestimmung, VfGH / Anlaßfall, VfGH / Anlaßverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B872.2001

Dokumentnummer

JFT_09978789_01B00872_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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