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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AlVG 1977 §10 Abs1 idF 2004/I/077;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde des E E in Wien, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 21. Dezember 2005, Zl. LGSW/Abt.3-AIV/1218/56/2005-8018, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdefüherer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Im Akt befindet sich eine Niederschrift der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom 16. August 2005 zum Gegenstand "Rechtsbelehrung zur Teilnahme an der Maßnahme JobExpress bei WIFI". Demnach wurde dem Beschwerdeführer nach Belehrung über die Rechtsfolgen des § 10 AlVG der Auftrag erteilt, an dieser Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, wobei als Kursbeginn der 12. September 2005 vorgesehen wurde. Dazu wurde ausgeführt, dass Vermittlungsversuche des Arbeitsmarktservice und die Bewerbungsbemühungen des Beschwerdeführers in Eigeninitiative bisher erfolglos geblieben und die aktuellen Fähigkeiten und Kenntnisse des Beschwerdeführers für eine Integration am Arbeitsmarkt aufgrund der eingetretenen Distanz zum Arbeitsmarkt nicht mehr ausreichend seien. Die gegenständliche vermittlungsunterstützende Maßnahme erweitere und festige die Kenntnisse des Beschwerdeführers im Bereich der Bewerbung. Zudem erfolge eine Unterstützung seines Selbsthilfepotentials durch das zur Verfügung Stellen einer Bewerbungsinfrastruktur sowie erfahrener Trainer und eine Anpassung der Bewerbungsunterlagen an die individuelle Bewerbungsstrategie. Oberste Priorität des Kurses sei die rasche Integration in den ersten Arbeitsmarkt, Stabilität am Arbeitsplatz und das Verfolgen einer gezielten beruflichen Karriere unter Berücksichtigung folgender Feinziele: Stärkung der persönlichen, sozialen und organisatorischen Kompetenzen sowie Entwicklung von Bewerbungsstrategien und realistische "Karriereplanung" entsprechend den Qualifikationen und Kenntnissen sowie den arbeitsmarktpolitischen Gegebenheiten.
Am 12. September 2005 wurde mit dem Beschwerdeführer vor der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eine Niederschrift zum Gegenstand "Weigerung, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung teilzunehmen" aufgenommen. Darin wird ausgeführt, da die persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Vermittlung am Arbeitsmarkt nicht ausreichten, sei dem Beschwerdeführer vom Arbeitsmarktservice am 16. August 2005 der Auftrag erteilt worden, an der Maßnahme "Jobexpress" bei "WIFI" teilzunehmen. Beginn der Wiedereingliederungsmaßnahme sei der 12. September 2005 gewesen. Der Beschwerdeführer erklärte laut der Niederschrift im Wesentlichen, dass er nicht bereit sei, an der angebotenen Wiedereingliederungsmaßnahme teilzunehmen, da er gesundheitlich nicht in der Lage sei, fünf Kilometer zu Fuß zu gehen.
Im Akt befinden sich zudem ein Schreiben des Beschwerdeführers vom 12. September 2005 und ein Informationsblatt über die Maßnahme "Jobexpress", das dem Beschwerdeführer offenbar vor diesem Tag zugegangen ist, wobei jedoch nicht nachvollziehbar ist, zu welchem genauen Zeitpunkt er es erhalten hat. Unter dem Punkt "Inhalt" findet sich in dem Informationsblatt folgende Beschreibung:
"Erster Stopp 'Informationsveranstaltung'
Infos zum Kursinhalt und -verlauf
Bedeutung von Berufstätigkeit für Ihre Zukunft
Abklärung von Hinderungsgründen
Zweiter Stopp 'Bewerbungstraining & aktive Bewerbung' Gruppenfindung unterstützt durch Bewegung und Wellness Information um das Thema Arbeit & EDV-Grundlagen Bewerben - gewusst wie!
Zwischenstopp 'Praktikum'
Bei Bedarf kann ein 4-wöchiges Praktikum absolviert werden
Unser Service im 'JOBEXPRESS'
Einzelberatung: Individuelle Begleitung und Unterstützung durch ExpertInnen auf Ihrer Reise ins Erwerbsleben
Vertiefende Infos zu speziellen Problemstellungen und zum Themenkomplex Gesundheit & geistige Fitness
Nachbetreuung: bei Bedarf auch Betreuung und Unterstützung bis 4 Wochen nach Ihrem Kursabschluss"
Als Voraussetzungen zur Teilnahme an der gegenständlichen Maßnahme wird das Aufweisen eines "Handicaps" in den Bereichen Kommunikations-, Lern- oder Sozialverhalten genannt, wobei eine zusätzliche körperliche Einschränkung grundsätzlich nicht den Ausschluss von der Teilnahme zur Folge hat.
Im Schreiben des Beschwerdeführers vom 12. September 2005 führte dieser aus, dass er die Voraussetzungen für die Teilnahme am "Jobexpress" nicht erfülle, da er kein Kommunikations-, Lern- oder Sozialverhalten-"Handicap" habe. Ferner sei er nicht über seine Defizite aufgeklärt worden und könne der Kurs daher seine Defizite auch nicht ausgleichen.
Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom 3. Oktober 2005 wurde der Beschwerdeführer des Anspruches auf Notstandshilfe gemäß § 10 AlVG für den Zeitraum 12. September bis 23. Oktober 2005 verlustig erklärt. Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sich geweigert, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht lägen nicht vor.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er im Wesentlichen ausführte, dass er die Voraussetzungen zur Teilnahme der Maßnahme nicht erfülle, da er kein Kommunikations-Lern- oder Sozialverhalten-"Handicap" habe. Ferner sei er nicht über seine Defizite aufgeklärt worden. Das Landesgericht Wien habe bereits festgestellt, dass für den Beschwerdeführer auf dem derzeitigen Arbeitsmarkt keine Erwerbschancen angenommen werden könnten (Überqualifizierung). Von einer Distanz zum Arbeitsmarkt könne keine Rede sein, aber eine Stellungnahme seinerseits werde bis heute strikt vom Arbeitsmarktservice abgelehnt. Zudem bekomme er in vier Jahren die "Minimum-Pension".
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, es habe festgestellt werden können, dass die persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten des Beschwerdeführers zur Vermittlung am Arbeitsmarkt nicht ausreichten, weshalb dem Beschwerdeführer der Auftrag erteilt worden sei, an der gegenständlichen Maßnahme teilzunehmen. In der Bescheidbegründung wiederholte die belangte Behörde ferner den Inhalt des Informationsblattes und wies auf die seit 1991 bestehende Abwesenheit des Beschwerdeführers vom Arbeitsmarkt hin. Am 16. August 2005 sei mit dem Beschwerdeführer eine Niederschrift erstellt und die Notwendigkeit und Eignung der Maßnahme im Hinblick auf seine bestehenden Defizite festgestellt worden. Der Beschwerdeführer habe ohne wichtigen Grund an der gegenständlichen Maßnahme nicht teilgenommen. Zudem würden keine berücksichtungswürdigen Gründe im Sinn des § 10 Abs. 3 AlVG vorliegen, um von der Verhängung der Sanktion absehen zu können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 9 Abs. 1 AlVG in der hier zeitraumbezogen maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 77/2004 hat folgenden Wortlaut:
"Arbeitswilligkeit
(1) Arbeitswillig ist, wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist."
§ 10 AlVG in der hier zeitraumbezogen maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 77/2004 lautet auszugsweise:
"(1) Wenn die arbeitslose Person
...
3. ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, oder
...
so verliert sie für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 um weitere zwei Wochen auf acht Wochen. Die Erhöhung der Mindestdauer des Anspruchsverlustes gilt jeweils bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde.
...
(3) Der Verlust des Anspruches gemäß Abs. 1 ist in berücksichtigungswürdigen Fällen wie zB bei Aufnahme einer anderen Beschäftigung nach Anhörung des Regionalbeirates ganz oder teilweise nachzusehen."
Die genannten Bestimmungen gelten gemäß § 38 AlVG für die Notstandshilfe sinngemäß.
Nach der Rechtsprechung setzt die Zulässigkeit einer Zuweisung zu einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt voraus, dass das Arbeitsmarktservice davor seiner Verpflichtung nachgekommen ist, dem Arbeitslosen die Gründe, aus denen das Arbeitsmarktservice eine solche Maßnahme für erforderlich erachtet, zu eröffnen, ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und den Arbeitslosen über die Rechtsfolgen einer Weigerung, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, zu belehren. Von einer ungerechtfertigten Weigerung des Arbeitslosen, an Maßnahmen teilzunehmen, kann nur dann gesprochen werden, wenn sich die Zuweisung auf eine zulässige Maßnahme bezieht und die Weigerung in objektiver Kenntnis des Inhaltes, der Zumutbarkeit und der Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme erfolgt. Dazu muss die Behörde die Voraussetzungen für eine solche Zuweisung in tatsächlicher Hinsicht ermittelt und das Ergebnis ihrer Ermittlungen dem Arbeitslosen - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung - zur Kenntnis gebracht haben. Ein Arbeitsloser, dem Maßnahmen im Sinne des § 9 Abs. 1 AlVG ohne nähere Spezifikation und ohne Vorhalt jener Umstände zugewiesen werden, aus denen sich das Arbeitsmarktservice zur Zuweisung berechtigt erachtet, kann im Falle der Weigerung, einer solchen Zuweisung Folge zu leisten, nicht vom Bezug der Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG ausgeschlossen werden. Diesbezügliche Versäumnisse anlässlich der Zuweisung des Arbeitslosen zur Maßnahme können im Rechtsmittelverfahren nicht nachgeholt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. April 2007, Zl. 2006/08/0328, mwN).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund war die Zuweisung des Beschwerdeführers zur Wiedereingliederungsmaßnahme unzulässig, weshalb seine Weigerung zur Teilnahme an der Maßnahme nicht zum Verlust der Notstandshilfe hätte führen dürfen. Dem Beschwerdeführer wurden nämlich vor der Zuweisung seine konkreten Defizite, die durch die Maßnahme behoben werden sollten, nicht mitgeteilt. Darauf hat der Beschwerdeführer im Übrigen im Verwaltungsverfahren bereits in seiner Eingabe vom 12. September 2005 hingewiesen.
Zwar wurde in der Niederschrift vom 16. August 2005 festgehalten, dass Vermittlungsversuche und eigene Bewerbungsbemühungen bisher ergebnislos waren und die aktuellen Fähigkeiten für eine Integration am Arbeitsmarkt nicht mehr ausreichend seien. Damit ist aber nicht gesagt, ob und welche konkreten Fähigkeiten und Kenntnisse gerade dem Beschwerdeführer fehlen, wie z.B. (im Zusammenhang mit der Bewerbung) eventuell bestimmte Sprachkenntnisse, Computerkenntnisse, mündliche oder schriftliche Ausdrucksfähigkeiten, Fähigkeiten der Beherrschung der Gebärden oder zielführenden Auftretens und Benehmens bei persönlichen Bewerbungen, Konzentrationsfähigkeit etc. Auch die Nennung von "Handicaps" im Informationsblatt über den Kurs besagt nicht, dass und welche konkreten Mängel das Arbeitsmarktservice bei der Zuweisung angenommen hat. Es steht nach der Aktenlage im Übrigen nicht fest, ob das Informationsblatt (und damit auch der Kursinhalt) dem Beschwerdeführer schon bei der Zuweisung bekannt war.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG Abstand genommen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 19. September 2007
Schlagworte
Sachverhalt SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006080159.X00Im RIS seit
29.10.2007