Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Dr. Prückner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hedwig M*****, vertreten durch Rechtsanwälte Grassner Lenz Thewanger & Partner in Linz, wider die beklagten Parteien 1.) DI F*****, und 2.) Ing. Karl F***** GmbH, beide *****, beide vertreten durch Mag. Stephan Podiwinsky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 18.073 EUR und Feststellung (Streitwert im Revisionsverfahren 17.520 EUR), infolge Revisionen aller Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 16. Februar 2005, GZ 2 R 12/05f-23, womit infolge Berufungen aller Parteien das Urteil des Landesgerichts Linz vom 19. Oktober 2004, GZ 30 Cg 218/03t-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Beiden Revisionen wird Folge gegeben.
Die angefochtenen Urteile der Vorinstanzen, die in den klagsstattgebenden Teilen Punkt 1. in Ansehung eines Teilbetrags von 553 EUR samt 4 % Zinsen seit 22. September 2003 und Punkt 2. (Feststellung) als unbekämpft in Rechtskraft erwachsen sind, werden im Übrigen, dh in der Entscheidung über das Schmerzengeldbegehren (klagsstattgebend hinsichtlich 9.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 22. September 2003 und klagsabweisend hinsichtlich 8.520 EUR samt 4 % Zinsen seit 22. September 2003) und im Kostenpunkt aufgehoben.
Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Klägerin ist auf Grund eines im Jahr 1994 erlittenen Bruchs des 8. und des 12. Brustwirbels komplett querschnittgelähmt. Es bestehen bei ihr seitdem an den unteren Extremitäten keinerlei motorische oder sensible Funktionen. Sie wohnt gemeinsam mit ihrem Gatten im Haus ihres Sohnes. Um über Treppen gelangen zu können, interessierte sie sich für einen sogenannten Treppensteiger, den sie auf einer Behindertenfachmesse am 25. September 2002 besichtigen wollte.
Sie besuchte diese Behindertenfachmesse gemeinsam mit ihrem Mann und kam auch am Stand der beklagten Parteien vorbei, wo sie ein Mitarbeiter derselben dazu überredete, einen Rollstuhl mit Aufstellmechanismus zu probieren. Unter Mithilfe ihres Ehegatten wurde die Klägerin in diesen Rollstuhl mit Aufstellmechanismus gesetzt, worauf der Mitarbeiter der beklagten Parteien die Klägerin im Bereich ihrer Knie fixierte. Darauf hin nahm er die Hände der Klägerin, führte sie auf die Rückseite des Rollstuhls zu den Hebeln, mit denen man den Aufrichtemechanismus betätigt, und sagte ihr, dass sie nun drücken solle. Die Klägerin, die einen derartigen Rollstuhl vorher noch nie benützt hatte und diesen Aufrichtemechanismus nicht kannte, drückte dieser Anweisung des Mitarbeiters der beklagten Parteien folgend, worauf sich der Rollstuhl aufrichtete. Da der Mitarbeiter der beklagten Parteien jedoch vergessen hatte, die Klägerin wie vorgesehen auch am Oberkörper zu fixieren, kippte die Klägerin im Zuge des sich aufrichtenden Rollstuhls nach vor, konnte allerdings von ihrem etwas abseits stehenden Ehegatten und einem weiteren Mitarbeiter der beklagten Parteien noch aufgefangen werden, sodass sie nicht gänzlich zu Boden stürzte. Anschließend wurde die Klägerin wieder in den Rollstuhl zurück gesetzt, nunmehr wurde auch ihr Oberkörper fixiert, worauf der Mitarbeiter der beklagten Parteien ihr den Aufrichtevorgang erneut zeigte.
Auf Grund ihrer Querschnittlähmung verspürte die Klägerin während des weiteren Messebesuchs keine Schmerzen. Am Abend desselben Tages bekam sie jedoch einen Schüttelfrost und erbrach schließlich in der folgenden Nacht. Am 26. September 2002 war ihr rechtes Kniegelenk auch angeschwollen. Die Klägerin rief allerdings erst am 28. September 2002 ihren Hausarzt, weil sie zunächst keine Erklärung für diese Veränderungen hatte. Nach der Spitalseinweisung wurde über eine Röntgenaufnahme festgestellt, dass die Klägerin durch das Nachvornekippen am 25. September 2002 im Zuge des Probierens des Rollstuhls mit Aufstellmechanismus einen Bruch des inneren Oberschenkelkondyls am rechten Kniegelenk und einen Abriss des inneren Oberschenkelkondyls am linken Kniegelenk erlitten hatte.
Die Klägerin befand sich vom 28. September 2002 bis 21. Oktober 2002 in stationärer Behandlung des Krankenhauses Steyr, wo zunächst eine geschlossene Reposition und Verschraubung des inneren Oberschenkelknorrens rechts erfolgte. Am 8. Oktober 2002 erfolgte die Verschraubung des inneren Oberschenkelknorrens links, anschließend begann eine Physiotherapie. Bei der Entlassung bestand immer noch eine geringe Ergussbildung an beiden Kniegelenken. Am 28. Oktober 2002 und am 11. November 2002 erfolgten Nachuntersuchungen und im Anschluss daran noch mehrmalige Kontrollen. Im Jänner 2003 wurden die Schrauben entfernt.
In den ersten drei Monaten nach dem Unfall bestand ein über den unfallsunabhängig gegebenen Pflegeaufwand hinausgehender Pflegebedarf von einer Stunde pro Tag.
Die Brüche sind in Fehlstellung verheilt, weshalb künftighin mit weiteren Komplikationen zu rechnen ist. Es kann daher auch zu einer vermehrten Abnützung des Gelenks iS einer Arthrose kommen. Auch Verkalkungen im Bereich der Kniegelenke und der Weichteilstruktur sowie weitere operative Maßnahmen im Bereich beider Kniegelenke sind nicht völlig auszuschließen.
Der Klägerin sind im Zuge der Behandlung Pflegegebühren und Spesen erwachsen. Ihr Gatte besuchte sie mehrfach im Spital. Die Klägerin bezahlte Pflegegebühren von 314,40 EUR.
Es kann nicht festgestellt werden, ob vor dem Vorfall vom 25. September 2002 eine Funktionseinschränkung der Kniegelenke der Klägerin bestand. Nur ein sogenanntes Schlottergelenk war rechts unfallunabhängig gegeben.
Auf Grund der kompletten Querschnittlähmung empfindet die Klägerin unterhalb der Lähmung und damit im Bereich ihrer Beine keine Schmerzen, sodass auch die klagsgegenständliche Verletzung für sie nicht schmerzhaft im üblichen Sinn war. Hätte sie ein entsprechendes Schmerzempfinden gleich einer nicht querschnittgelähmten Person gehabt, so hätte sie auf Grund der erlittenen Verletzungen über zehn Tage starke Schmerzen, vier Wochen mittelstarke Schmerzen und drei Monate leichte Schmerzen verspürt, weil insbesondere die Bruchheilung rechts nur verzögert erfolgte und außerdem eine Ausheilung in Fehlstellung besteht.
Die Klägerin begehrte die Zahlung von 18.073 EUR s.A., und zwar 17.520 EUR Schmerzengeld, 138,60 EUR Besuchskosten, 314,40 EUR Pflegegebühren und 100 EUR allgemeine Spesen, sowie die Feststellung, dass die beklagten Parteien ihr für künftig entstehende Schäden resultierend aus dem Vorfall vom 25. September 2002 zur ungeteilten Hand haften.
Die beklagten Parteien wendeten Alleinverschulden der Klägerin ein, die den Aufrichterrollstuhl aus eigenem habe probieren wollen und selbst versucht habe, den Aufrichtemechanismus zu betätigten, obwohl sie hiezu noch nicht angewiesen und auch nicht fixiert gewesen sei.
Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren mit 9.553 EUR s.A. und dem Feststellungsbegehren statt und wies das Mehrbegehren auf Zahlung von weiterem Schmerzengeld von 8.520 EUR s.A. ab.
Das Erstgericht stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und beurteilte ihn rechtlich dahin, die beklagten Parteien seien für den Schadenseintritt allein verantwortlich. Ein Mitverschulden oder gar Alleinverschulden der Klägerin sei nicht erkennbar. Obwohl die Klägerin kein Schmerzempfinden in den verletzten unteren Extremitäten habe, stehe ihr dennoch ein Schmerzengeld für alles erlittene Ungemach im Zusammenhang mit der erlittenen Verletzung zu. Sie habe eine stationäre Spitalsbehandlung, Operationen und weitere ärztliche Behandlungen über sich ergehen lassen, die allesamt als unangenehm einzustufen seien. Das Schmerzengeld solle auch dafür Ausgleich bieten und die entgangene Lebensfreude kompensieren helfen. Im Unterschied zu jenen Fällen, in denen Personen Schmerzengeld auch dann zuerkannt worden sei, die durch eine haftungsbegründende Einwirkung auf ihre Persönlichkeitsstruktur außerstande gesetzt wurden, Schmerz und Leid im Gegensatz zu Wohlempfinden und Freude zu empfinden und damit elementarster menschlicher Empfindungen beraubt wurden, sei hier aber zu beachten, dass die Klägerin schon vor dem haftungsbegründenden Verhalten der beklagten Parteien ihres Schmerzempfindens beraubt gewesen sei. Das Schmerzengeld sei daher nicht wie bei einer nicht querschnittgelähmten Person, sondern mit Rücksicht darauf auszumitteln, dass die Klägerin abseits der sonstigen Beeinträchtigungen zumindest keine körperlichen Schmerzen in den Beinen verspürt habe. Angesichts dieser Sachlage sei ein pauschales Schmerzengeld von 9.000 EUR angemessen.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil infolge Berufungen aller Parteien und sprach aus, der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteige nicht 20.000 EUR, die ordentliche Revision sei aber zulässig, weil der Frage der Bemessung des Schmerzengeldes für eine bereits vor dem haftungsbegründenden Ereignis in ihrem Schmerzempfinden beeinträchtigte Person über diesen Einzelfall hinaus Bedeutung für die Rechtssicherheit und Rechtseinheitlichkeit zukomme.
In rechtlicher Hinsicht führte die zweite Instanz aus, das den erhobenen Umständen angemessene Schmerzengeld nach § 1325 ABGB solle ideellen Schaden abgelten. Es solle Vorteile für Nachteile gewähren und so ein Ausgleich zur Gewährung von Daseinsfreuden sein; zumindest sollten für entzogene Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen verschafft werden. Es sei in diesem Sinn Genugtuung für alles Ungemach, das der Verletzte im ideellen Bereich erdulden musste bzw. müsse. Es solle das Gefühl der Beeinträchtigung bzw. auch das etwaige Gefühl einer Minderwertigkeit nehmen und so das gestörte Gleichgewicht der Persönlichkeit zumindest teilweise wiederherstellen, diene somit der Abgeltung der Schmerzempfindungen körperlicher und seelischer Art.
Wenn auch für die Bemessung des Schmerzengeldes u.a. die Dauer der Schmerzen von Bedeutung sei, so sei es doch nicht nach Tagessätzen und nicht nach Art eines Tarifs für einzelne Tage oder sonstige Zeiteinheiten auf Grund festgestellter Schmerzperioden zu berechnen, sondern nach einem Gesamtbild zu bemessen. Es solle den Gesamtkomplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzung, auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands abgelten, die durch die Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen, um den Verletzten in die Lage zu versetzen, sich als Ersatz für die Leiden und anstelle der ihm entgangenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen.
Das Berufungsgericht billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts zur Bemessung des Schmerzengeldes in diesem Fall, in dem die Einschränkung des Schmerzempfindens bereits vor dem haftungsbegründenden Ereignis bestand. Berücksichtige man die Funktion des Schmerzengeldes als Gewährung von Vorteilen für Nachteile und Genugtuung für alles Ungemach und Abgeltung aller Unlustgefühle, die mit der Beeinträchtigung des Gesundheitszustands verbunden sind, so ergäben die besonderen Umstände im Falle der Klägerin einen Schmerzengeldanspruch, der weder mit Null zu bemessen noch in „objektiver" Weise danach auszurichten sei, welche Schmerzen eine Person „üblicherweise" erleiden würde, die nicht in gleicher Weise beeinträchtigt sei wie die Klägerin. Zwar habe die Klägerin nach den Feststellungen des Erstgerichts während des weiteren Messebesuchs keine Schmerzen verspürt, doch sei die in beiden Beinen eingetretene schwere Verletzung nicht ohne Auswirkung auf den Körper der Klägerin geblieben, was sich darin gezeigt habe, dass sie noch in der Nacht nach dem Messebesuch Schüttelfrost bekommen habe und erbrechen habe müssen. Es entspreche der Lebenserfahrung, dass eine derartige Verletzung das vegetative Nervensystem beeinträchtige und im Körper zu Missempfindungen führe. Aus den Feststellungen zum Pflegeaufwand lasse sich ableiten, dass die vor dem Vorfall bestehende „normale" Lebensführung der Klägerin eine Beeinträchtigung erfahren habe, als mit den verletzten und operativ versorgten Beinen besonders behutsam habe umgegangen werden müssen. Es verstehe sich von selbst, dass dies im seelischen Bereich zu Missempfindungen und Ungemach insofern beigetragen habe, als zu der schon bestehenden körperlichen Behinderung der Klägerin noch ein Umstand hinzutreten sei, der Sorgen und Ängste ausgelöst habe. Mit dem mit 9.000 EUR ausgemittelten Schmerzengeld habe das Erstgericht all diesen Umständen angemessen Rechnung getragen.
Ein sekundärer Verfahrensmangel, weil das Erstgericht nicht festgestellt hätte, dass die Klägerin unter Berücksichtigung ihrer Querschnittslähmung zwei Drittel der Schmerzperioden eines gesunden Menschen erlitten habe, liege nicht vor, weil die Klägerin ihrer Beweispflicht für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachenbehauptungen nicht nachgekommen sei. Sie dürfe sich daher nicht dadurch beschwert erachten, dass das Erstgericht keine Feststellungen in der nunmehr gewünschten Richtung getroffen habe.
Die Revisionen der klagenden Partei und der beklagten Parteien sind zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Klägerin begehrte u.a. Schmerzengeld wegen eines von den beklagten Parteien zugefügten Beinbruchs. Auf Grund der schon vor der schädigenden Handlung bestehenden Querschnittslähmung empfindet die Klägerin im Bereich ihrer Beine keine Schmerzen. Im Revisionsverfahren ist nur mehr die Frage strittig, ob der Klägerin überhaupt, bejahendenfalls in welcher Höhe ungeachtet dessen Schmerzengeld zuzusprechen ist. Die Voraussetzungen für das Bestehen eines Schadenersatzanspruchs sind auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen nicht mehr strittig.
An sich wurde das Problem „Schmerzengeld ohne Schmerzen" in Rsp und Lehre bereits ausführlich behandelt. In der E 6 Ob 535, 1558/92 = EFSlg 69.111 wurde erstmals einem Kläger, der außer Stande war, Schmerzen zu empfinden, Schmerzengeld zugesprochen und festgehalten, die tatsächliche rechtliche Wertung des Schmerzengeldanspruchs liege darin, dass eine haftungsbegründende Einwirkung auf die Persönlichkeitsstruktur einer Person, die diese außerstande setze, Schmerz und Leid im Gegensatz zu Wohlbefinden und Freude zu empfinden und sie damit elementarster menschlicher Empfindungen beraube, für den darin gelegenen immateriellen Nachteil als solchen entschädigungspflichtig mache. Wem die Erlebnisfähigkeit genommen werde, der erleide einen schadenersatzrechtlich zumindest ebenso bedeutenden Nachteil an seiner Person wie durch eine Störung seines Wohlbefindens durch „Schmerz". Dieser Sichtweise hat sich der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 2 Ob 60/92, 2 Ob 66/92 = ZVR 1993/150, 10 Ob 505/95 = RdM 1995, 116 und 2 Ob 192/97t = ZVR 2000/54 angeschlossen.
Diese Rsp wird von einem Teil der Lehre gebilligt (Karner, Der Ersatz ideeller Schäden bei Körperverletzung, 130 ff [141 ff]; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I3 [1997] Rz 11/23; Danzl in Danzl/Gutierrez-Lobos/Müller, Das Schmerzengeld in medizinischer und juristischer Sicht8 [2003] 98 ff; krit hingegen Harrer in Schwimann3 § 1325 ABGB Rz 80, Ch. Huber in ZVR 2000, 218).
Die vorliegende Konstellation unterscheidet sich von den bisher erörterten Fällen dadurch, dass die Einschränkung des Schmerzempfindens bei der geschädigten Klägerin schon vor der Schadenszufügung durch den Schädiger vorgelegen ist und gerade eben nicht durch diesen verursacht wurde. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, ist daher die bisherige Rsp des Obersten Gerichtshofs nicht ohne weiteres auf den vorliegenden Fall übertragbar. Das Argument für den Schmerzengeldanspruch, wonach der Verlust der Erlebnisfähigkeit einen schadenersatzrechtlich zumindest ebenso bedeutenden Nachteil darstellt wie der Schmerz, wird naturgemäß nicht schlagend, wenn das fehlende oder eingeschränkte Schmerzempfinden nicht durch das schädigende Ereignis verursacht wurde.
Soweit ersichtlich beschäftigte sich auch die deutsche Lehre und Rsp im Zusammenhang mit Schmerzengeld ohne Schmerzempfinden bisher nur mit jenen Fällen, in denen der Geschädigte durch das haftungsbegründende Ereignis selbst die Fähigkeit zur Schmerzempfindung verliert.
Grundsätzlich ist zur Bewertung des Schmerzengelds festzuhalten, dass die subjektive Gefühlssphäre eines Menschen nur schwer erfasst werden kann. Die Höhe des Schmerzengelds hat sich daher primär an objektiv feststellbaren Kriterien wie Verletzungsschwere und -art zu orientieren (Karner aaO 85). Das bedeutet aber nicht, dass von den subjektiven Umständen völlig zu abstrahieren ist. Außer Betracht bleiben nur die feststellbaren inneren Verarbeitungsmechanismen, nicht aber die objektiv eruierbaren subjektiven Umstände auf Seiten des Geschädigten (Karner aaO 87). Kann nachgewiesen werden, dass ein Verletzter besonders schmerzempfindend ist oder - wie im vorliegenden Fall - keine Schmerzen empfinden kann, so hat dies bei der Berechnung des Schmerzengelds Beachtung zu finden.
Selbst beim vollständigen Fehlen des Schmerzempfindens kann Schmerzengeld zustehen. Schmerzen und Unlustgefühle sind ein wichtiger, aber nicht allein maßgeblicher Gradmesser dafür, wie schwer der Verletzte in seiner Person getroffen wurde und wie groß daher der ersatzfähige immaterielle Schaden ist (zum deutschen Recht Stoll, Empfiehlt sich eine Neuregelung der Verpflichtung zum Geldersatz für immateriellen Schaden? Verhandlungen des 45. Deutschen Juristentages [1964] Band I [Gutachten] Teil 1 128 f; diesem für das österreichische Recht folgend Karner aaO 135).Selbst beim vollständigen Fehlen des Schmerzempfindens kann Schmerzengeld zustehen. Schmerzen und Unlustgefühle sind ein wichtiger, aber nicht allein maßgeblicher Gradmesser dafür, wie schwer der Verletzte in seiner Person getroffen wurde und wie groß daher der ersatzfähige immaterielle Schaden ist (zum deutschen Recht Stoll, Empfiehlt sich eine Neuregelung der Verpflichtung zum Geldersatz für immateriellen Schaden? Verhandlungen des 45. Deutschen Juristentages [1964] Band römisch eins [Gutachten] Teil 1 128 f; diesem für das österreichische Recht folgend Karner aaO 135).
Karner (aaO 137) bejaht die Möglichkeit einer vollständig objektiv-abstrakten Berechnung des Immaterialschadens, auf Grund der der Verletzte einen Mindestersatz für die Schädigung seiner Persönlichkeit fordern kann: Wer in seiner körperlichen Unversehrtheit verletzt wird, habe daher auch Anspruch auf Ersatz seines objektiv-abstrakt berechneten Immaterialschadens, wenn er schmerzunempfindlich ist (so auch Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 11/23; aA Reischauer in Rummel2 § 1325 ABGB Rz 47). Bei der objektiv-abstrakten Berechnung sei allein auf die objektiv feststellbare äußere Verletzung der Persönlichkeitssphäre abzustellen und unter Abstrahierung von allen persönlichen und individuellen Umständen die dafür typischerweise angemessene Ausgleichssumme festzulegen. Die Sichtweise Karners baut auf der in Österreich herrschenden Lehre auf, wonach ein Schaden immer objektiv-abstrakt berechnet werden kann, also der gemeine Wert einer zerstörten oder beschädigten Sache immer unabhängig von einer subjektiv-konkret bemessenen Minderung des Vermögens des Geschädigten zu ersetzen ist.
Für den vorliegenden Fall bedeutet das Folgendes:
Unabhängig von tatsächlich gespürten Schmerzen hat die Klägerin Anspruch auf einen Sockelbetrag, den sie als Mindestersatz für die Schädigung ihrer Persönlichkeit fordern kann. Die Verletzung hat bei der Klägerin trotz der Lähmung in ihren Beinen Unlustgefühle und Missempfindungen ausgelöst. So hat sie etwa am Tag nach der Schadenszufügung Schüttelfrost bekommen und musste erbrechen; sie musste zwei Operationen über sich ergehen lassen, war in stationärer Behandlung und danach bei mehreren Nachuntersuchungen und Kontrollen. Dies hat bei der Berechnung des Schmerzengelds Berücksichtigung zu finden. Anders als der typisch Verletzte war sie allerdings in ihrer konkreten Situation (Querschnittslähmung) nicht in der Lage, Schmerzen in den Beinen selbst zu empfinden, was sich grundsätzlich anspruchsmindernd auswirken muss. Allerdings stellt für einen Querschnittsgelähmten eine weitere Körperverletzung eine besondere, über den typischen Fall hinausgehende psychische Belastung dar, die sich sowohl in körperlicher als auch vor allem in seelischer Hinsicht manifestiert. Diese objektiv nachvollziehbare Mehrbelastung gegenüber einem nicht querschnittsgelähmten Durchschnittsgeschädigten wirkt sich schmerzengelderhöhend aus. Der immaterielle Nachteil, der mit der Verletzung der körperlichen Integrität verbunden ist, verlangt nach einer Gesamtwürdigung der eingetretenen Nachteile (s etwa Stoll, Gutachten 45. deutscher Juristentag 1/1, 133 f; Reischauer in Rummel2 § 1325 ABGB Rz 45; 2 Ob 27/88 = ZVR 1989/104; 2 Ob 132/88 = ZVR 1989/121; 2 Ob 51/88 = ZVR 1989/135). Dabei sind allfällige körperliche und vor allem seelische Schmerzen einzubeziehen.Unabhängig von tatsächlich gespürten Schmerzen hat die Klägerin Anspruch auf einen Sockelbetrag, den sie als Mindestersatz für die Schädigung ihrer Persönlichkeit fordern kann. Die Verletzung hat bei der Klägerin trotz der Lähmung in ihren Beinen Unlustgefühle und Missempfindungen ausgelöst. So hat sie etwa am Tag nach der Schadenszufügung Schüttelfrost bekommen und musste erbrechen; sie musste zwei Operationen über sich ergehen lassen, war in stationärer Behandlung und danach bei mehreren Nachuntersuchungen und Kontrollen. Dies hat bei der Berechnung des Schmerzengelds Berücksichtigung zu finden. Anders als der typisch Verletzte war sie allerdings in ihrer konkreten Situation (Querschnittslähmung) nicht in der Lage, Schmerzen in den Beinen selbst zu empfinden, was sich grundsätzlich anspruchsmindernd auswirken muss. Allerdings stellt für einen Querschnittsgelähmten eine weitere Körperverletzung eine besondere, über den typischen Fall hinausgehende psychische Belastung dar, die sich sowohl in körperlicher als auch vor allem in seelischer Hinsicht manifestiert. Diese objektiv nachvollziehbare Mehrbelastung gegenüber einem nicht querschnittsgelähmten Durchschnittsgeschädigten wirkt sich schmerzengelderhöhend aus. Der immaterielle Nachteil, der mit der Verletzung der körperlichen Integrität verbunden ist, verlangt nach einer Gesamtwürdigung der eingetretenen Nachteile (s etwa Stoll, Gutachten 45. deutscher Juristentag 1/1, 133 f; Reischauer in Rummel2 Paragraph 1325, ABGB Rz 45; 2 Ob 27/88 = ZVR 1989/104; 2 Ob 132/88 = ZVR 1989/121; 2 Ob 51/88 = ZVR 1989/135). Dabei sind allfällige körperliche und vor allem seelische Schmerzen einzubeziehen.
Eine abschließende Beurteilung ist dem Obersten Gerichtshof jedoch nicht möglich, weil die Vorinstanzen keine ausreichenden Tatsachenfeststellungen getroffen haben, auf deren Grundlage der spezielle Schmerzengeldanspruch der Klägerin, der ja vor allem im psychischen und seelischen Bereich liegt, nach den dargelegten Grundsätzen ermittelt werden kann. Wie bereits ausgeführt kann diese Ermittlung eben nicht unter Außerachtlassung des Umstands erfolgen, dass die Klägerin auf Grund der schon vor der schädigenden Handlung bestehenden Querschnittslähmung im Bereich ihrer Beine keine Schmerzen empfindet.
Entgegen der Rechtsansicht der zweiten Instanz hat die Klägerin zur Begründung ihres Schmerzengeldanspruchs durchaus ausreichendes Vorbringen erstattet. So bedarf die Berücksichtigung seelischer Schmerzen weder konkreter Behauptungen noch Beweiserhebungen (RIS-Justiz RS0030972).
Es sind somit die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben. Das Erstgericht wird die Rechtslage mit den Parteien zu erörtern und diesen erforderlichenfalls ergänzendes Vorbringen zu ermöglichen haben; nach allfälliger Ergänzung des Beweisverfahrens und Nachholung der fehlenden Feststellungen im oben dargelegten Sinn wird das Schmerzengeld abschließend zu bemessen sein.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Textnummer
E81485European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2006:0030OB00116.05P.0726.000Im RIS seit
25.08.2006Zuletzt aktualisiert am
12.10.2010