Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Dr. Prückner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und betreibenden Parteien 1. Walter B*****, Pensionist, und 2. Ilse B*****, Beschäftigung unbekannt, *****, beide vertreten durch Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, wider die beklagte und verpflichtete Partei Erna M*****, Pensionistin, *****, vertreten durch Weh Rechtsanwalt GmbH in Bregenz, wegen Feststellung und Leistung, in der Ablehnungssache infolge Rekurses der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 5. April 2006, GZ 4 Nc 3/06s, 5/06k-2, womit die mit den Rekursen der verpflichteten Partei vom 23. Februar 2006 und vom 21. März 2006 im Exekutionsverfahren AZ 11 E 463/06i des Bezirksgerichts Bregenz verbundene „Ablehnung des Landesgerichts Feldkirch" durch die verpflichtete Partei zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Antrag auf Zuspruch von Rekurskosten wird abgewiesen.
Text
Begründung:
Im Titelverfahren hat das Landesgericht Feldkirch als Berufungsgericht in einem Dienstbarkeitsstreit das klagestattgebende erstinstanzliche Urteil bestätigt. Die beklagte Partei wurde ua zur Beseitigung eines Bretterzauns verurteilt. Aufgrund des Exekutionstitels bewilligte das Bezirksgericht Bregenz, ergänzt durch einen weiteren Beschluss, die Exekution durch Ermächtigung der betreibenden Parteien, auf Kosten der verpflichten Partei den Bretterzaun entfernen zu lassen. Die Verpflichtete brachte dagegen jeweils Rekurse ein, über die das Landesgericht Feldkirch als Rekursgericht zu entscheiden hätte. Nach der Geschäftsverteilung hätte ein anderer Senat als derjenige des Berufungsgerichts im Titelverfahren zu entscheiden. Mit den Rekursen verband die Verpflichtete gleichlautend die „Ablehnung des Landesgerichts Feldkirch" mit der Begründung, das Berufungsurteil sei so aktenwidrig und offenkundig unrichtig, dass die Verpflichtete Amtshaftungsansprüche geltend mache. Das Landesgericht Feldkirch werde daher wegen unmittelbarer Betroffenheit als Rechtsmittelinstanz „en bloc" abgelehnt. Die Verpflichtete beantrage die Bestimmung eines anderen Landesgerichts zur Entscheidung über ihre Rekurse im Wege der Delegation.
Die für die Entscheidung über die Rekurse berufenen Senatsmitglieder des Landesgerichts Feldkirch äußerten sich dahin, nicht befangen zu sein.
Das Oberlandesgericht Innsbruck wies den Ablehnungsantrag zurück. Wenn es um das angekündigte Amtshaftungsverfahren ginge, wäre das Landesgericht Feldkirch gemäß § 9 Abs 4 AHG unmittelbar betroffen. Dies sei hier nicht der Fall. Die Ablehnung eines gesamten Gerichts sei in aller Regel unzulässig. Eine Befangenheit liege dann vor, wenn eine unparteiliche Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive gehemmt werde. Es genüge, die Unbefangenheit des Richters in Zweifel ziehen zu können. Hier müsste also der Schluss erlaubt sein, dass alle Richter des Landesgerichts Feldkirch gleichermaßen nicht objektiv über die Rekurse der Verpflichteten entscheiden könnten, weil die Verpflichtete Amtshaftungsansprüche wegen einer fehlerhaften Entscheidung eines Senats des Landesgerichts in die Wege geleitet habe. Diese Befürchtung sei bei objektiver Betrachtungsweise zu weit hergeholt. Über den Exekutionsantrag sei im Wesentlichen nur nach formalen Gesichtspunkten zu entscheiden.Das Oberlandesgericht Innsbruck wies den Ablehnungsantrag zurück. Wenn es um das angekündigte Amtshaftungsverfahren ginge, wäre das Landesgericht Feldkirch gemäß Paragraph 9, Absatz 4, AHG unmittelbar betroffen. Dies sei hier nicht der Fall. Die Ablehnung eines gesamten Gerichts sei in aller Regel unzulässig. Eine Befangenheit liege dann vor, wenn eine unparteiliche Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive gehemmt werde. Es genüge, die Unbefangenheit des Richters in Zweifel ziehen zu können. Hier müsste also der Schluss erlaubt sein, dass alle Richter des Landesgerichts Feldkirch gleichermaßen nicht objektiv über die Rekurse der Verpflichteten entscheiden könnten, weil die Verpflichtete Amtshaftungsansprüche wegen einer fehlerhaften Entscheidung eines Senats des Landesgerichts in die Wege geleitet habe. Diese Befürchtung sei bei objektiver Betrachtungsweise zu weit hergeholt. Über den Exekutionsantrag sei im Wesentlichen nur nach formalen Gesichtspunkten zu entscheiden.
Mit ihrem Rekurs beantragt die Verpflichtete die Abänderung dahin, dass die Ablehnung des Landesgerichts Feldkirch für berechtigt erkannt und ein anderes Gericht zur Entscheidung über den anhängigen Rekurs bestimmt werde.
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
I. 1. Die Verneinung eines tauglichen Ablehnungsgrundes durch das Rekursgericht entspricht den in der stRsp vertretenen Grundsätzen, dass die pauschale Ablehnung eines ganzen Gerichts unzulässig ist (RIS-Justiz RS0046005). Pauschal und ohne Anführung bestimmter Gründe zu jeweils namentlich nicht genannten Richtern eingebrachte Ablehnungserklärungen sind nicht dem Gesetz entsprechend ausgeführt (6 Ob 192/00d; 6 Ob 198/05v uva). Die (angebliche) Unrichtigkeit einer Gerichtsentscheidung bildet nach stRsp grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund (RIS-Justiz RS0046019).römisch eins. 1. Die Verneinung eines tauglichen Ablehnungsgrundes durch das Rekursgericht entspricht den in der stRsp vertretenen Grundsätzen, dass die pauschale Ablehnung eines ganzen Gerichts unzulässig ist (RIS-Justiz RS0046005). Pauschal und ohne Anführung bestimmter Gründe zu jeweils namentlich nicht genannten Richtern eingebrachte Ablehnungserklärungen sind nicht dem Gesetz entsprechend ausgeführt (6 Ob 192/00d; 6 Ob 198/05v uva). Die (angebliche) Unrichtigkeit einer Gerichtsentscheidung bildet nach stRsp grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund (RIS-Justiz RS0046019).
2. Auch im Rekurs an den Obersten Gerichtshof vermeidet es die Rekurswerberin, konkrete persönliche Ablehnungsgründe gegen namentlich angeführte Richter des Landesgerichts, insbesondere gegen die nach der Geschäftsverteilung des Landesgerichts für die Erledigung ihrer Rekurse zuständigen Senatsmitglieder des Rekurssenats, ins Treffen zu führen. Sie releviert nur neuerlich eine Befangenheit aller Richter des Landesgerichts wegen einer „potentiellen persönlichen Betroffenheit" aufgrund des schon anhängigen Amtshaftungsprozesses, in dem die rechtliche Unhaltbarkeit des vom Landesgericht Feldkirch als Berufungsgericht bestätigten Exekutionstitels Anspruchsgrundlage sei. Den Richtern des Landesgerichts drohe „rechtlich ein Regress".
Zur Stützung ihrer Rechtsansicht zitiert die Verpflichtete aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 22. Juni 1989, Nr 11179/84 (Langborger versus Schweden), in englischer Sprache aus den Entscheidungsgründen Nr 32-36. Mit diesem Zitat versucht die Rekurswerberin einen aus Art 6 MRK ableitbaren Befangenheitsgrund, erkennbar also eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens, zu begründen. Dazu ist Folgendes auszuführen:Zur Stützung ihrer Rechtsansicht zitiert die Verpflichtete aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 22. Juni 1989, Nr 11179/84 (Langborger versus Schweden), in englischer Sprache aus den Entscheidungsgründen Nr 32-36. Mit diesem Zitat versucht die Rekurswerberin einen aus Artikel 6, MRK ableitbaren Befangenheitsgrund, erkennbar also eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens, zu begründen. Dazu ist Folgendes auszuführen:
II. 1. Entgegen den Rekursausführungen könnte eine konkrete Betroffenheit wegen drohenden Regresses im Amtshaftungsverfahren nur bei den Mitgliedern des seinerzeitigen Berufungssenats, nicht aber generell bei den übrigen Richtern des pauschal abgelehnten Landesgerichts vorliegen.römisch II. 1. Entgegen den Rekursausführungen könnte eine konkrete Betroffenheit wegen drohenden Regresses im Amtshaftungsverfahren nur bei den Mitgliedern des seinerzeitigen Berufungssenats, nicht aber generell bei den übrigen Richtern des pauschal abgelehnten Landesgerichts vorliegen.
2. Die Rekursausführungen zu Art 6 MRK sind nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie sich ohne nähere Begründung auf die Behauptung einer „potentiellen persönlichen Betroffenheit" bzw. einer „manifesten Befangenheit der Richter des Landesgerichts" beschränken und dazu nur auszugsweise und in englischer Sprache aus einer Entscheidung des EGMR zitieren. Abgesehen von dem verbesserungsbedürftigen Umstand, dass die Verpflichtete die Entscheidungsbegründung des EGMR zu übersetzen und eine Übersetzung dem Rekurs anzuschließen gehabt hätte, weil die Entscheidung nur in englischer und französischer Sprache im Internet veröffentlicht wurde, ist hier in der gebotenen Kürze der Rekurswerberin entgegenzuhalten, dass aus dem Volltext der Entscheidung des EGMR wegen völlig unterschiedlichen Sachverhalts und der in der Entscheidung gegebenen Begründung für ihren Standpunkt nichts zu gewinnen ist:2. Die Rekursausführungen zu Artikel 6, MRK sind nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie sich ohne nähere Begründung auf die Behauptung einer „potentiellen persönlichen Betroffenheit" bzw. einer „manifesten Befangenheit der Richter des Landesgerichts" beschränken und dazu nur auszugsweise und in englischer Sprache aus einer Entscheidung des EGMR zitieren. Abgesehen von dem verbesserungsbedürftigen Umstand, dass die Verpflichtete die Entscheidungsbegründung des EGMR zu übersetzen und eine Übersetzung dem Rekurs anzuschließen gehabt hätte, weil die Entscheidung nur in englischer und französischer Sprache im Internet veröffentlicht wurde, ist hier in der gebotenen Kürze der Rekurswerberin entgegenzuhalten, dass aus dem Volltext der Entscheidung des EGMR wegen völlig unterschiedlichen Sachverhalts und der in der Entscheidung gegebenen Begründung für ihren Standpunkt nichts zu gewinnen ist:
Der EGMR hatte die Befangenheit von Mitgliedern eines für Bestandrechtssachen (Miete; Pacht) zuständigen schwedischen Gerichts zu beurteilen, das mit zwei professionellen Richtern und zwei Laienrichtern („lay assessors"; „assesseurs-échevins") besetzt war. Einer der Juristen führte den Vorsitz. Die zwei Laienrichter waren auf Vorschlag („nominated"; „recommandés") zweier Gesellschaften (Interessenvertretungen der Vermieter bzw. Mieter) von der Regierung bestellt worden. In der Rechtssache ging es um die Bekämpfung einer Vertragsklausel („negotiation clause"; „clause de négotiation") durch den Antragsteller. Die Vertragsklausel (Allgemeinen Geschäftsbedingungen offenkundig vergleichbar) hatten die beiden Gesellschaften vereinbart. Sie waren an der Weitergeltung interessiert („interest in the continued existence of the negotiations clause"; „intéressées à voir subsister la clause de negociation"). Der EGMR hatte keinen Zweifel an der persönlichen Unparteilichkeit („objektive impartiality"; „impartialité objektive"), maß dem Umstand aber Bedeutung zu, dass die zwei Laienrichter von den beiden Gesellschaften („associations") nominiert worden waren, die an der Sachentscheidung im bestimmten Sinn Interesse hatten, sodass der Antragsteller („applicant"; „requérant") befürchten konnte, die Laienrichter hätten ein seinem Interesse entgegenstehendes gemeinsames Interesse, nämlich dasjenige der sie nominierenden Gesellschaften, sie würden also über das Schicksal ihres eigenen Anspruchs („own claim"; „propre demande") entscheiden. Die Unterschiede zum vorliegenden Fall liegen auf der Hand. Der EGMR erblickte im entscheidungswesentlichen Begründungsteil (Erwägungsgrund Nr 35) den wesentlichen Grund für die Annahme eines objektiven Anscheins einer Befangenheit im Bestellungsvorgang der Laienrichter, die zur Ernennung von den zwei Gesellschaften vorgeschlagen waren, die an der Sachentscheidung in einer bestimmten Richtung Interesse hatten. Im vorliegenden Ablehnungsfall fehlt es sowohl an einem vergleichbaren Bestellungsvorgang des Gerichts als auch an dem Interesse, das zum Anschein führen könnte, die Richter würden in eigener Sache entscheiden. Mangels jeglicher konkreter Rechtsargumente, worin allenfalls doch eine Vergleichbarkeit mit dem hier zu beurteilenden Sachverhalt liegen sollte, ist dem Rekurs ein Erfolg zu versagen.
Eine Kostenersatzpflicht ist - ganz abgesehen vom fehlenden Rechtsmittelerfolg - im Ablehnungsverfahren nicht vorgesehen (3 Ob 176/97x mwN).
Anmerkung
E814873Ob128.06dSchlagworte
Kennung XPUBLDiese Entscheidung wurde veröffentlicht inEFSlg 114.720 = EFSlg 114.728XPUBLENDEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2006:0030OB00128.06D.0726.000Zuletzt aktualisiert am
26.06.2009