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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ABGB §1002;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, in der Beschwerdesache der Disziplinaranwältin für den Bereich der Österreichischen Post AG, Dr. Gerda Huber, in 1010 Wien, Postgasse 8, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 25. August 2005, Zl. 59/8-DOK/05, 1. über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der zu der hg. Zl. 2005/09/0167 protokollierten Beschwerde, den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Antrag wird stattgegeben.
Begründung
In ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung bringt die beschwerdeführende Partei vor, ihr als Disziplinaranwältin für den Bereich der Österreichischen Post AG und Referatsleiterin stehe im Bereich "Personalmanagement" u.a. für die Vorbereitung und Weiterleitung abzufertigender Postsendungen eine namentlich bezeichnete "Assistentin " zur Verfügung. Nach der internen Organisation der Österreichischen Post AG seien sämtliche Poststücke über die Abteilung Office Management der Tochterfirma Post Maintain Management GmbH, in der Folge: PMM, abzufertigen, die somit als zentrale Einlaufstelle für die Österreichische Post AG fungiere. Sie habe die von ihr verfasste Beschwerde gegen den ihr am 18. Oktober 2005 zugestellten angefochtenen Bescheid vom 25. August 2005 am 29. November 2005, um ca. 16. 40 Uhr, an ihre Assistentin mit der Anweisung übergeben, diese unverzüglich zu kuvertieren und in die zentrale Einlaufstelle (PMM) zu überbringen, weil es sich um den letzten Tag der Rechtsmittelfrist handle. Sie habe ihre Assistentin nachdrücklich darauf hingewiesen, dass die Postaufgabe unbedingt noch am selben Tag per Einschreiben zu erfolgen habe. Ihre Assistentin habe sodann die Beschwerde kuvertiert, den Aufgabeschein ausgefüllt und um ca. 16.50 Uhr desselben Tages die Einlaufstelle betreten, wo lediglich ein Mitarbeiter der PMM anwesend gewesen sei, der eigentlich bei PMM als Kraftfahrer beschäftigt sei und nur kurzfristig aus reiner Gefälligkeit die ansonsten zuständige Kollegin, welche sich gerade auf dem WC befunden habe, vertreten und so das Poststück entgegengenommen habe. Auch dieser wurde auf die Dringlichkeit der Abfertigung des Poststückes hingewiesen. Nachdem dieser Mitarbeiter der PMM mit den Worten "ja, danke" o.ä. die Postsendung zu anderen noch abzufertigenden Sendungen gelegt habe, sei die Assistentin der beschwerdeführenden Partei in der Annahme, dass die Abfertigung auftragsgemäß noch am 29. November 2005 erfolgen werde, wieder in ihr Büro gegangen. Kurz darauf sei die zuständige Angestellte der Post-Einlaufstelle zurückgekehrt und darauf aufmerksam gemacht worden, dass zwischenzeitlich eine Postsendung übernommen und zu den anderen noch abzufertigenden Sendungen gelegt worden sei. Für sie sei aufgrund dieser Information nichts weiter zu veranlassen gewesen, da der Post-Auslauf regelmäßig kurz vor 17.00 Uhr das letzte Mal von der namentlich bezeichneten Postbotin der PMM zum Schalter der Postfiliale 1010 Wien zur Aufgabe gebracht werde und die gegenständliche Sendung entsprechend zur Abholung vorbereitet gewesen sei. An diesem Tag jedoch sei die Postbotin bereits "zuvor" mit abzufertigenden Sendungen zur Postfiliale 1010 Wien gegangen, so dass sich die Übergabe der gegenständlichen Verwaltungsgerichtshofbeschwerde an die Einlaufstelle zeitlich damit überschnitten haben müsse. Da sowohl die Bedienstete der Einlaufstelle als auch die Postbotin um 17.00 Uhr Dienstschluss gehabt hätten und sich letztere zudem an diesem Tag bis nach 17.00 Uhr am Post-Aufgabeschalter der Postfiliale 1010 Wien habe anstellen müssen und daher nicht mehr in die Einlaufstelle zurückgekehrt sei, sondern sich gleich auf den Heimweg gemacht habe, sei keiner von beiden aufgefallen, dass - entgegen allen bisherigen Erfahrungen und Arbeitsergebnissen - noch Sendungen liegen geblieben seien. Alle drei genannten Mitarbeiter der PMM hätten bisher die ihnen übertragenen Arbeiten immer äußerst sorgfältig und zuverlässig erledigt. Auch stichprobenweise Kontrollen hätten bisher keinen Grund für Beanstandungen welcher Art auch immer ergeben.
Da die beschwerdeführende Partei in der Folge bis einschließlich 2. Dezember 2005, ca. 12.30 Uhr, auswärtig tätig gewesen sei, habe der Aufgabeschein erst zu diesem Zeitpunkt von ihr kontrolliert werden können. Dabei habe sie festgestellt, dass der Postaufgabestempel das Datum "30.11.05-0" aufweise und somit eine Versäumung der Rechtsmittelfrist vorliege. Die Mitarbeiter der PMM hätten sich bisher als äußerst zuverlässig und sorgfältig in ihrer Arbeitsweise erwiesen. Eine Kontrolle der Arbeitsergebnisse sei ihr lediglich anhand des Aufgabescheines bei eingeschriebenen Postsendungen möglich. Weitergehende Kontrollmöglichkeiten, insbesondere innerhalb des Zuständigkeitsbereiches der PMM stünden ihr nicht offen. Derartige interne Kontrollen würden stichprobenweise von der unmittelbaren Vorgesetzen der betroffenen Mitarbeiter durchgeführt und hätten bisher ebenfalls keinen Grund für Beanstandungen welcher Art auch immer ergeben. Im vorliegenden Fall sei durch die dem Antrag auf Wiedereinsetzung angefügten eidesstattlichen Erklärungen bescheinigt, dass allen Mitarbeitern der PMM die Dringlichkeit der Postaufgabe ausdrücklich mitgeteilt worden sei. Es sei daher davon auszugehen, dass es sich um eine einmalige, für sie nicht vorhersehbare und unabwendbare Fehlleistung innerhalb des Zuständigkeitsbereiches der PMM gehandelt habe, die zudem auf einem minderen Grad des Versehens bzw. einer Verkettung mehrerer unerwarteter und ungünstiger Umstände bzw. einem Missverständnis beruhe.
Nach § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Nach Abs. 3 dieser Gesetzesbestimmung ist der Antrag beim Verwaltungsgerichtshof in den Fällen des Abs. 1 binnen zwei Wochen nach Aufhören des Hindernisses, in den Fällen des Abs. 2 spätestens zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides zu stellen, der das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen hat. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.
Ein Ereignis ist dann unabwendbar, wenn es durch einen Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden konnte. Es ist als unvorhergesehen zu werten, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteinberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte.
Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 2001, Zl. 2001/02/0160).
Die belangte Behörde ist von dem im Antrag auf Wiedereinsetzung geschilderten und oben wiedergegebenen Sachverhalt ausgegangen, wonach die an den Verwaltungsgerichtshof gerichtete Beschwerde am letzten Tag der Einbringungsfrist fertiggestellt und erst weniger als eine halbe Stunde vor Dienstschluss der zentralen Abfertigungsstelle (PMM) zum Versand übergeben wurde. Bekannt war, dass die Dienstzeit der Mitarbeiter der PMM um 17 Uhr endet und die Bediensteten die sich im Postauslauf befindlichen Sendungen üblicherweise schon vor diesem Zeitpunkt zur Post bringen. Die beschwerdeführende Partei gesteht in diesem Zusammenhang selbst zu, dass sich die "Übergabe der gegenständlichen Verwaltungsgerichtshofbeschwerde an die Einlaufstelle zeitlich" mit dem Verlassen der zentralen Einlaufstelle durch die Postbotin zwecks Postaufgabe der abzufertigenden Sendungen am Postamt "überschnitten" haben könnte.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten. Allerdings ist eine andere Betrachtungsweise geboten, wenn es sich bei dem Überbringer der Beschwerde nicht um einen Vertreter, sondern lediglich um einen Boten handelt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat schon im Erkenntnis vom 28. November 1978, Slg. Nr. 9.706/A, und seither in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. September 1999, Zl. 99/02/0157) ausgeführt, dass dann, wenn ein Bote den ihm erteilten Auftrag (im damaligen Fall: eine Bescheidausfertigung zum bevollmächtigten Rechtsanwalt zu bringen) versäumt, darin für die Partei nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis erblickt werden kann, das ohne ihr Verschulden die Einhaltung der Frist verhinderte, wenn sie der zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht nachgekommen ist.
Im vorliegenden Fall kommt also der Frage Bedeutung zu, ob die PMM als Botin oder als Vertreterin der Beschwerdeführerin anzusehen war. Ein Stellvertreter gibt an Stelle des Vertretenen und mit Wirkung für diesen eine eigene Erklärung ab, hingegen überbringt der Bote bloß eine Erklärung des Auftraggebers (Koziol-Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts I10, 181). Allein deshalb, weil eine GmbH - wie im Beschwerdefall - mit der Abfertigung der Beschwerde beauftragt worden ist, kann noch nicht zwingend auf ihre Vertretereigenschaft geschlossen werden. Umstände, die auf das Vorliegen eines Bevollmächtigungsvertrages im Sinne des § 1002 ABGB hätten schließen lassen, lagen nicht vor. Das Verschulden des Boten trifft die Partei jedoch nicht.
Der Partei kann lediglich die Vernachlässigung der zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht zum Vorwurf gemacht werden (hg. Erkenntnisse vom 28. Februar 1992, Zl. 91/10/0208, und vom 4. Oktober 1995, Zl. 94/01/0361). Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass die Partei, die sich eines Boten zur Übermittlung bedient, ihrer Überwachungspflicht nur dann nachkommt, wenn die tatsächliche Ausführung des Auftrages durch entsprechende Nachfrage gesichert ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. April 2001. Zl. 98/05/0083). Die Unterlassung der Nachfrage kann aber dort nicht von Relevanz sein, wo sie - wie hier wegen Ablaufs der Frist - für die Versäumung der Frist zur Einbringung des Wiedereinsetzungsantrages nicht kausal war.
Im Beschwerdefall wurde der Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig binnen der Frist des § 46 Abs. 3 VwGG gestellt, nachdem die Beschwerdeführerin nach Rückkehr von einer auswärtigen Dienstverrichtung durch Kontrolle des Aufgabescheins die Versäumung der Beschwerdefrist bemerkte. Ein leichte Fahrlässigkeit übersteigendes Verschulden kann ihr somit angesichts des gesamten, glaubhaft vorgebrachten Sachverhalts nicht zur Last gelegt werden.
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war somit gemäß § 46 VwGG stattzugeben.
Über die eingebrachte Beschwerde wird gesondert entschieden werden.
Wien, am 20. September 2007
Schlagworte
Vertretungsbefugnis Inhalt Umfang Vertretungsbefugter ZurechnungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2005090173.Y00Im RIS seit
21.01.2008Zuletzt aktualisiert am
19.05.2009