TE OGH 2006/8/17 10Rs77/06a

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Veröffentlicht am 17.08.2006
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr.Dragostinoff als Vorsitzenden, die Richterin des Oberlandesgerichtes Dr.Ciresa und den Richter des Oberlandesgerichtes Mag.Atria sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Rudolf Thron und AR Michael Fuchs in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A***** G*****, *****, 1200 Wien, vertreten durch Dr.Günther Romauch und Dr.Thomas Romauch, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Landesstelle Wien, Webergasse 4, 1203 Wien, wegen Feststellung und Versehrtenrente, infolge der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 22.3.2006, 13 Cgs 192/05b-18, gemäß §§ 2 ASGG, 492 Abs. 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung den BeschlussDas Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr.Dragostinoff als Vorsitzenden, die Richterin des Oberlandesgerichtes Dr.Ciresa und den Richter des Oberlandesgerichtes Mag.Atria sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Rudolf Thron und AR Michael Fuchs in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A***** G*****, *****, 1200 Wien, vertreten durch Dr.Günther Romauch und Dr.Thomas Romauch, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Landesstelle Wien, Webergasse 4, 1203 Wien, wegen Feststellung und Versehrtenrente, infolge der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 22.3.2006, 13 Cgs 192/05b-18, gemäß Paragraphen 2, ASGG, 492 Absatz eins, ZPO in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sozialrechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof ist zulässig.

Text

Begründung:

Der am 21.2.1955 geborene Kläger, der als Fleischhauer beschäftigt ist, hob Anfang September 2004 mit der linken Hand zwei Karrees mit einem Gesamtgewicht von zirka 8 kg an, er verspürte einen stechenden Schmerz in der linken Schulter und bemerkte einen "Schnalzer". Da die Schmerzen im Schultergelenk persistierten, suchte der Kläger am 15.9.2004 das Krankenhaus Wr.Neustadt auf, wo der Verdacht auf eine Supraspinatusläsion links gestellt wurde. Ein MRT am 24.9.2004 erbrachte als Ergebnis eine scheinbar vollständige Ruptur der Ansatzsehne des Musculus supraspinatus wie auch des Musculus infraspinatus, teilweise Ruptur der Ansatzsehne des Musculus teres minor. Es erfolgte eine stationäre Behandlung in der Privatklinik Döbling, wo am 11.10.2004 die offene Rotatorenmanschettenrekonstruktion links durchgeführt wurde. Nach der operativen Rekonstruktion des Sehnenansatzes am Oberarmkopf und Erweiterung des subakromialen Raumes durch Akromioplastik resultieren subjektive Beschwerden, insbesondere eine verminderte Belastbarkeit des Schultergelenkes bei veränderter Gelenkmechanik. Mit Bescheid vom 29.6.2005 hat die beklagte Partei das Ereignis von Anfang September 2004 nicht als Arbeitsunfall anerkannt und einen Anspruch auf Leistungen abgelehnt.

Mit der dagegen erhobenen Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass das Ereignis von Anfang September 2004 einen Arbeitsunfall gemäß §§ 175, 176 ASVG darstelle und ein Anspruch auf Leistungen gemäß § 173 ASVG bestehe sowie die Zuerkennung einer Versehrtenrente ab dem Stichtag im gesetzlichen Ausmaß. Der Kläger brachte dazu vor, dass es sich bei dem Ereignis um eine plötzliche bzw. zeitlich eng begrenzte Einwirkung von außen her schädigend auf den Körper gehandelt habe und damit ein Arbeitsunfall gemäß § 175 Abs. 1 ASVG vorliege. Der objektivierte Riss der Rotatorenmanschette in der linken Schulter stelle keine bloße Gelegenheitsursache dar. Die mit Kraftanstrengung verbundene Tätigkeit des Klägers als Fleischhauer habe unstreitig zu dem aus medizinischer Sicht objektivierten Riss der Rotatorenmanschette in der linken Schulter geführt. Die beklagte Partei beantragte Klageabweisung und brachte dazu vor, dass das geschilderte Unfallereignis nicht geeignet gewesen sei, eine gesunde Rotatorenmanschette zum Reißen zu bringen. Die vom Kläger geschilderte Tätigkeit sei auch für seinen Beruf nicht unüblich und daher zumutbar gewesen. Für den Riss der Rotatorenmanschette müssten unfallfremde, degenerative Veränderungen als Ursache angenommen werden.Mit der dagegen erhobenen Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass das Ereignis von Anfang September 2004 einen Arbeitsunfall gemäß Paragraphen 175,, 176 ASVG darstelle und ein Anspruch auf Leistungen gemäß Paragraph 173, ASVG bestehe sowie die Zuerkennung einer Versehrtenrente ab dem Stichtag im gesetzlichen Ausmaß. Der Kläger brachte dazu vor, dass es sich bei dem Ereignis um eine plötzliche bzw. zeitlich eng begrenzte Einwirkung von außen her schädigend auf den Körper gehandelt habe und damit ein Arbeitsunfall gemäß Paragraph 175, Absatz eins, ASVG vorliege. Der objektivierte Riss der Rotatorenmanschette in der linken Schulter stelle keine bloße Gelegenheitsursache dar. Die mit Kraftanstrengung verbundene Tätigkeit des Klägers als Fleischhauer habe unstreitig zu dem aus medizinischer Sicht objektivierten Riss der Rotatorenmanschette in der linken Schulter geführt. Die beklagte Partei beantragte Klageabweisung und brachte dazu vor, dass das geschilderte Unfallereignis nicht geeignet gewesen sei, eine gesunde Rotatorenmanschette zum Reißen zu bringen. Die vom Kläger geschilderte Tätigkeit sei auch für seinen Beruf nicht unüblich und daher zumutbar gewesen. Für den Riss der Rotatorenmanschette müssten unfallfremde, degenerative Veränderungen als Ursache angenommen werden.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht festgestellt, dass die Gesundheitsstörung des Klägers, nämlich der Riss der Rotatorenmanschette, nicht auf den Arbeitsunfall aus September 2004 zurückzuführen ist, sowie das Klagebegehren auf Zuerkennung einer Versehrtenrente in der gesetzlichen Höhe für die Folgen eines Arbeitsunfalles aus September 2004 abgewiesen. Dabei legte es seiner Entscheidung neben den eingangs wiedergegebenen unstrittigen Tatsachen folgende weitere Feststellungen zugrunde:

"Zur Unfallkausalität ist festzustellen, dass das Heben auch schwerer Gegenstände grundsätzlich keinen Riss einer gesunden Rotatorenmanschette hervorruft, sodass ein degenerativer Vorschaden, der letztlich für den Riss der Rotatorenmanschette kausal war, angenommen werden muss. Unfallchirurgischerseits schätzt der Sachverständige eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 0 % ein. Ein Riss einer degenerativen Rotatorenmanschette hätte auch bei einer anderen alltäglichen Belastung, wie etwa dem Aufheben einer Mineralwasserkiste, erfolgen können. Ein Riss einer gesunden, sohin nicht degenerativ veränderten Rotatorenmanschette wird in Literatur und Wissenschaft nur in Einzelfällen bei extremen körperlichen Beanspruchungen festgestellt. Eine solche lag beim Kläger nicht vor. Für eine degenerative Schädigung der Rotatorenmanschette spricht das Alter des Klägers von über 50 Jahren."

Rechtlich führte das Erstgericht unter Bezugnahme auf die Definition des Arbeitsunfalles in § 175 Abs. 1 ASVG aus, dass der Riss der Supraspinatussehne überwiegend nicht auf das konkrete Unfallereignis, nämlich eine vom Kläger sonst auch regelmäßig verrichtete Hebetätigkeit im Ausmaß von zirka 8 kg, zurückzuführen sei, sondern auf eine zum Unfallzeitpunkt bereits degenerativ vorgeschädigte Supraspinatussehne, wobei auch bei einer alltäglichen Belastung ein Riss auftreten hätte können. Für den medizinischen Kausalitätszusammenhang zwischen dem Riss der Rotatorenmanschette und dem Unfallereignis wäre eine zumindest überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhanges erforderlich gewesen, weshalb gemäß § 82 Abs. 5 ASGG auszusprechen gewesen sei, dass die Gesundheitsstörung des Klägers nicht auf die Folgen des Arbeitsunfalles von Anfang September 2004 zurückzuführen ist. Demgemäß sei auch das Klagebegehren auf Zuerkennung einer Versehrtenrente abzuweisen gewesen.Rechtlich führte das Erstgericht unter Bezugnahme auf die Definition des Arbeitsunfalles in Paragraph 175, Absatz eins, ASVG aus, dass der Riss der Supraspinatussehne überwiegend nicht auf das konkrete Unfallereignis, nämlich eine vom Kläger sonst auch regelmäßig verrichtete Hebetätigkeit im Ausmaß von zirka 8 kg, zurückzuführen sei, sondern auf eine zum Unfallzeitpunkt bereits degenerativ vorgeschädigte Supraspinatussehne, wobei auch bei einer alltäglichen Belastung ein Riss auftreten hätte können. Für den medizinischen Kausalitätszusammenhang zwischen dem Riss der Rotatorenmanschette und dem Unfallereignis wäre eine zumindest überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhanges erforderlich gewesen, weshalb gemäß Paragraph 82, Absatz 5, ASGG auszusprechen gewesen sei, dass die Gesundheitsstörung des Klägers nicht auf die Folgen des Arbeitsunfalles von Anfang September 2004 zurückzuführen ist. Demgemäß sei auch das Klagebegehren auf Zuerkennung einer Versehrtenrente abzuweisen gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers aus den Berufungsgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellungen infolge unrichtiger Beweiswürdigung, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt. Die Berufung ist im Ergebnis im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.

Der Berufungswerber bekämpft zunächst unter dem Berufungsgrund der unrichtigen Tatsachenfeststellungen infolge unrichtiger Beweiswürdigung die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zur medizinischen Kausalität des Ereignisses von September 2004 einerseits sowie eines degenerativen Vorschadens andererseits für den Riss der Rotatorenmanschette beim Kläger; insbesondere die Feststellungen, dass das Heben auch schwerer Gegenstände grundsätzlich keinen Riss einer gesunden Rotatorenmanschette hervorruft und ein Riss einer gesunden, nicht degenerativ veränderten Rotatorenmanschette in Literatur und Wissenschaft nur in Einzelfällen bei extremen körperlichen Beanspruchungen festgestellt wird, sowie dass daraus ein degenerativer Vorschaden, der für den Riss der Rotatorenmanschette kausal war, angenommen werden muss, dass ein Riss einer degenerativen (gemeint degenerativ geschädigten) Rotatorenmanschette auch bei einer anderen alltäglichen Belastung, wie etwa dem Anheben einer Mineralwasserkiste, hätte erfolgen können, und für eine degenerative Schädigung der Rotatorenmanschette das Alter des Klägers von über 50 Jahren spricht.

Dagegen begehrt der Berufungswerber unter Verweis auf die vorgelegte gutachterliche Stellungnahme des Dr.K***** S***** vom 16.1.2006 (Beil./B) die Feststellungen, dass die Ruptur der Rotatorenmanschette des Klägers unmittelbar auf ein durch den Vorfall im September 2004 verursachtes sogenanntes Hebetrauma zurückzuführen sei und eine allenfalls bestanden habende degenerative Vorerkrankung des Klägers nicht exakt verifiziert werden könne.

Soweit der Berufungswerber mit diesen Ausführungen tatsächlich nur den festgestellten medizinischen Sachverhalt bekämpft, vermögen diese nicht zu überzeugen.

Ausgehend vom Ablauf und der Gewichtsbelastung des Anhebens der Fleischstücke Anfang September 2004, welche vom Erstgericht in völliger Übereinstimmung mit den diesbezüglichen Angaben in der Klage, den Angaben des Klägers bei der Befundaufnahme durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen sowie den Angaben des Klägers im Rahmen seiner informativen Befragung in der Verhandlung vom 22.3.2006 festgestellt wurden, hat der unfallchirurgische Sachverständige im Rahmen der Gutachtenserörterung in der Verhandlung vom 22.3.2006 überzeugend ausgeführt, ab welchen Gewichtsbelastungen und mit welchen einhergehenden Gewebsverletzungen eine bloße Hebebelastung einen Riss einer nicht vorgeschädigten Rotatorenmanschette herbeiführen kann und dass demgegenüber bei den festgestellten Bedingungen des gegenständlichen Ereignisses (offenbar gezieltes Anheben von zwei Karrees mit einem Gesamtgewicht von zirka 8 kg) ein degenerativer Vorschaden angenommen werden muss (ON 17, Seite 1 ff = AS 43 ff). In der Sache widerspricht auch die Stellungnahme des Dr.Klaus-Dieter Schatz vom 16.1.2006 (Beil./B) diesen gutachterlichen Ausführungen nicht. In dieser Stellungnahme wird vor allem näher ausgeführt, dass es sich beim stattgefundenen Riss der Rotatorenmanschette um eine plötzlich stattgehabte Läsion und somit um eine traumatische Läsion gehandelt hat und der Riss daher nicht als eine "rein degenerative Erkrankung" angesehen werden kann, wobei auch eine - wenn auch nicht exakt verifizierbare - Vorschädigung der Rotatorenmanschette als wahrscheinlich angenommen wird. Die Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen sowie auch des Erstgerichts zum Hebetrauma als Gelegenheitsursache gehen jedoch ohnehin davon aus, dass der Riss der Rotatorenmanschette durch den Vorfall von September 2004 ausgelöst wurde. Der plötzliche Riss im Sinne eines Unfallereignisses sowie die Auslösung durch das festgestellte Anheben wird somit vom gerichtlichen Sachverständigen sowie dem behandelnden Arzt Dr.K***** S***** gleich betrachtet; zur Frage der medizinischen Kausalität spricht auch die vorgelegte Stellungnahme von einer wahrscheinlichen Vorschädigung, sodass daraus die Feststellungen zum Vorliegen eines degenerativen Vorschadens nicht entkräftet werden können.

Daraus erhellt sich auch, dass die Einvernahme des Dr.K***** S***** als Zeuge nicht erforderlich war und der diesbezüglichen Mängelrüge in der Berufung keine Berechtigung zukommt. Die Aussagen in der Stellungnahme des Dr.K***** S***** vom 16.1.2006, wonach es sich bei der Ruptur der Rotatorenmanschette um eine plötzlich stattgehabte Läsion nach einem Hebetrauma mit unmittelbar stark schmerzhafter Bewegungseinschränkung und nicht um eine rein degenerative Erkrankung gehandelt hat, widerspricht nicht den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen. Allein in einer anderen Gewichtung der Wahrscheinlichkeit einer Vorschädigung der Rotatorenmanschette durch den ambulant behandelnden Arzt liegt keinesfalls eine Erweiterung der Sachverhaltsgrundlagen für die gutachterlich zu treffenden Aussagen über diese Vorschädigung.

Das Berufungsgericht übernimmt sohin den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und einer überzeugenden Beweiswürdigung und legt ihn seiner Entscheidung zugrunde (§§ 2 ASGG, 498 Abs. 1 ZPO).Das Berufungsgericht übernimmt sohin den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und einer überzeugenden Beweiswürdigung und legt ihn seiner Entscheidung zugrunde (Paragraphen 2, ASGG, 498 Absatz eins, ZPO).

Im Rahmen seiner Rechtsrüge führt der Berufungswerber aus, dass das festgestellte Anheben der Karrees durch den Kläger mit der Verletzung der Rotatorenmanschette in einem Bedingungszusammenhang stehe, sodass die Arbeitstätigkeit des Klägers den angeblichen Anlageschaden jedenfalls verfrüht habe. Es könne daher nicht von einer bloßen Gelegenheitsursache im Sinne der ständigen Rechtsprechung ausgegangen werden.

Dazu hat das Berufungsgericht erwogen:

Arbeitsunfälle sind Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen (§ 175 Abs. 1 ASVG). Die Leistungspflicht der Unfallversicherung ist mittels einer dreigliedrigen Prüfung zu beurteilen: Zunächst muss geprüft werden, ob ein Unfall vorlag. Als nächstes gilt es festzustellen, ob sich dieser im Schutzbereich der Unfallversicherung ereignet hat. Und schließlich ist zu klären, ob der Unfall der Unfallversicherung zugerechnet werden kann (Tomandl, Grundriss Sozialrecht [2002] Rz 193).Arbeitsunfälle sind Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen (Paragraph 175, Absatz eins, ASVG). Die Leistungspflicht der Unfallversicherung ist mittels einer dreigliedrigen Prüfung zu beurteilen: Zunächst muss geprüft werden, ob ein Unfall vorlag. Als nächstes gilt es festzustellen, ob sich dieser im Schutzbereich der Unfallversicherung ereignet hat. Und schließlich ist zu klären, ob der Unfall der Unfallversicherung zugerechnet werden kann (Tomandl, Grundriss Sozialrecht [2002] Rz 193).

Zunächst ist mit dem Berufungswerber und auch schon dem Erstgericht davon auszugehen, dass es sich bei dem gegenständlichen Anheben der Karreestücke mit einem Gesamtgewicht von zirka 8 kg mit der dadurch ausgelösten Verletzung der Rotatorenmanschette um ein Unfallereignis gehandelt hat. Während die frühere Rechtsprechung noch verlangte, das Ereignis müsse von außen einwirken oder zumindest im Rahmen der üblichen beruflichen Tätigkeit ein abweichendes Verhalten oder eine außergewöhnliche Belastung darstellen, ist nach der neueren höchstgerichtlichen Rechtsprechung allein das zeitlich begrenzte Auftreten das entscheidende Definitionsmerkmal eines Unfallereignisses. Insbesondere hat der Oberste Gerichtshof in 10 ObS 131/90 ausgeführt, dass auch ein zur gewöhnlichen beruflichen Tätigkeit gehörendes Ereignis ein Unfall sein kann, sofern es nur zeitlich begrenzt ist. Da auch die gewöhnliche Berufstätigkeit eine "typisch beschäftigungsbedingte Gefahr" in sich berge, bestehe kein Grund, Ereignisse, die bei der gewöhnlichen Berufstätigkeit des Versicherten vorkommen, allein aus diesem Grund vom Schutz der Unfallversicherung auszunehmen (10 ObS 131/90).

Völlig unstrittig hat sich das Unfallereignis in der versicherten Tätigkeit des Klägers als Fleischhauer ereignet.

Für den gegenständlichen Fall entscheidend bleibt somit, ob der Unfallschaden der Unfallversicherung zuzurechnen ist. Zur Herstellung dieser Zurechnung muss das Unfallereignis für den Schadenseintritt kausal gewesen sein, in einem inneren (zeitlichen, örtlichen und ursächlichen) Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung gestanden haben und muss das Unfallereignis unter allenfalls festgestellten mehreren Unfallursachen eine "wesentliche Bedingung" für den Schadenseintritt gewesen sein (Tomandl, aaO, Rz 208 ff mwN).

Auf Grundlage des festgestellten Sachverhaltes, insbesondere auch der im Rahmen der rechtlichen Beurteilung dislozierten Feststellung, wonach der Riss der Supraspinatussehne eine Unfallfolge gewesen ist, ist davon auszugehen, dass das Unfallereignis den Riss der Supraspinatussehne (Rotatorenmanschette) jedenfalls ausgelöst hat und in diesem Sinne für die Unfallfolge kausal war. Ebenso eindeutig ist der innere Zusammenhang des Unfallereignisses mit der versicherten Tätigkeit zu bejahen.

Sind für den Schadenseintritt mehrere Bedingungen ursächlich, von denen mindestens eine aus dem geschützten Lebensbereich und mindestens eine aus der Privatsphäre des Verletzten stammen, dann kann es infolge des "Alles oder Nichts-Prinzips" der gesetzlichen Unfallversicherung nur entweder zur vollen Leistung der Unfallversicherung oder zum gänzlichen Leistungsentfall kommen. Nach der in der Rechtsprechung angewandten sogenannten "Theorie der wesentlichen Bedingung" wird in solchen Fällen der Unfallversicherung nur zugerechnet, wenn mindestens eine aus dem geschützten Lebensbereich stammende Bedingung für den Schadenseintritt "wesentlich" war (Tomandl, aaO, Rz 212 mwN). Als wesentlich gilt eine Bedingung, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat, die also nicht im Hinblick auf Mitursachen so erheblich in den Hintergrund tritt, dass sie als unwesentlich erscheint. Sind zwei oder mehrere Ereignisse im gleichen Maß wesentlich für den Erfolg, dann sind sie alle wesentliche Bedingungen. Die nicht wesentlichen anderen Bedingungen werden auch als "Gelegenheitsursachen" bezeichnet. Bei einer Körperschädigung, die nur zum Teil durch einen Arbeitsunfall, im Übrigen aber auch durch eine Schadensanlage (Krankheitsanlage) verursacht wurde, besteht kein Anspruch auf Leistung, wenn der Schadensanlage gegenüber dem Unfall die überragende Bedeutung zukommt, wenn also wegen der Veranlagung jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zur selben Zeit die Schädigung ausgelöst hätte (RIS-Justiz RS0084290, RS0084318, RS0084345). Zu dieser Prüfung sind zunächst die einzelnen Kausalreihen in ihren tatsächlichen Grundlagen festzustellen. Erst danach ist in Abwägung der Bedeutung und Tragweite der einzelnen Kausalreihen an Hand der konkreten Umstände des Einzelfalles rechtlich zu beurteilen, ob eine bestimmte Bedingung zum Erfolg wesentlich beigetragen hat oder nicht.

Zu diesen Kausalreihen hat das Erstgericht festgestellt, dass einerseits das Heben auch schwerer Gegenstände (somit umso mehr eines Gewichts von zirka 8 kg) eine gesunde Rotatorenmanschette nicht zu reißen vermag, andererseits ein degenerativer Vorschaden vorgelegen ist, bei dem die Rotatorenmanschette auch bei einer alltäglichen Belastung, wie etwa dem Aufheben einer Mineralwasserkiste, reißen hätte können. Im Sinne der bisher dargestellten Rechtslage wären diese Feststellungen ausreichend zur Verneinung der Zurechnung des Unfallschadens zur gesetzlichen Unfallversicherung gewesen. Der Oberste Gerichtshof hat jedoch in seiner Entscheidung 10 ObS 45/04x vom 18.5.2004 ausgeführt, dass bei der Abwägung verschiedener festgestellter Kausalreihen zur Prüfung der wesentlichen Bedingung auch zu berücksichtigen sei, dass der Versicherte nach dem Schutzzweck des Unfallversicherungsrechts in dem Zustand geschützt ist, in dem er sich zum Zeitpunkt des Unfallereignisses befunden hat. In den Schutz der Unfallversicherung seien daher auch alle im Unfallzeitpunkt bereits bestehenden Krankheiten, Behinderungen, sonstige Vorschädigungen mit ihren Auswirkungen, aber auch alle Schadensanlagen, also konstitutionell, degenerativ oder durch frühere Erkrankungen oder Unfälle bedingte Krankheitsdispositionen eingebunden. Dies müsse grundsätzlich auch dann gelten, wenn sich der Versicherte bei Eintritt des Arbeitsunfalles bereits in einem fortgeschrittenen Lebensalter befinde, also unterstellt werden könne, dass bei ihm die degenerativen Schadensanlagen schon auf Grund des allgemeinen Altersverschleißes stärker ausgeprägt sind. Der Schutz des Versicherten gegen die Folgen von Arbeitsunfällen dürfe nicht deswegen geringer sein, weil er älter ist. Verletzungen auf Grund altersbedingter, natürlicher Abnützung könnten daher keinesfalls als Anlageschäden angesehen werden. Es sei vielmehr für die Annahme eines Anlageschadens ein - bei genereller Betrachtung der körperlichen Konstitution der Versicherten - deutlich erkennbares Abweichen des Gesundheitszustandes des Versicherten von der "Norm" erforderlich. Dieser Entscheidung kommt außerordentliche Tragweite zu, wurde doch auch in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bis dahin nicht nach der Ursache einer allfälligen Vorschädigung differenziert und wurde jegliche Vorschädigung, insbesondere auch eine altersbedingte Degeneration, in die Abwägung verschiedener Ursachen zur Beurteilung der Wesentlichkeit eines Unfallereignisses einbezogen. Nach der Erfahrung des erkennenden Berufungssenates ist es bei Verletzungen des Bewegungs- und Stützapparates, insbesondere etwa der Rotatorenmanschette, aber auch der Wirbelsäule (Bandscheibenvorfälle) eine geradezu typische medizinische Sachverhaltskonstellation, dass sowohl ein bestimmtes Unfallereignis, als auch eine degenerative, häufig altersbedingte Vorschädigung für die Verletzung ursächlich sind.

Soweit in RIS-Justiz veröffentlicht, hat der Oberste Gerichtshof seither in der Entscheidung 10 ObS 17/05f vom 22.3.2005 wiederholt, dass altersbedingte Abnützungserscheinungen nicht als "Anlageschaden" angesehen werden können. In der letztzitierten Entscheidung überstiegen jedoch die vor dem Unfall vorgelegenen degenerativen Vorschäden (im unteren Lendenwirbelsäulenbereich) des im Unfallszeitpunkt 48 Jahre alten Klägers das altersbedingte Ausmaß. Im gegenständlichen Fall sind die Feststellungen des Erstgerichts zur vorzunehmenden Abgrenzung zwischen einer altersgemäßen degenerativen Abnützung und einer darüber hinausgehenden degenerativen Vorschädigung noch nicht ausreichend. Das Erstgericht hat - der diesbezüglichen Aussage des unfallchirurgischen Sachverständigen (ON 17, Seite 2 = AS 44) folgend - festgestellt, dass beim Kläger ein für den Riss der Rotatorenmanschette kausaler degenerativer Vorschaden vorgelegen ist, wobei das Alter des Klägers für eine degenerative Schädigung der Rotatorenmanschette spricht. Im Sinne der dargestellten neueren oberstgerichtlichen Rechtsprechung wird das Erstgericht die schriftliche oder mündliche Ergänzung des unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens dahingehend zu veranlassen haben, dass konkret anzugeben ist, ob bei dem im Unfallszeitpunkt 49 Jahre alten Kläger nur eine altersbedingte Abnützung der Rotatorenmanschette oder eine darüber hinausgehende Vorschädigung vorgelegen ist. Insbesondere werden im Rahmen dieser Gutachtensergänzung auch der Operationsbericht vom 11.10.2004 (Aktenstück 25 des Anstaltsaktes) sowie der MR-Befund vom 24.9.2004 (Aktenstück 7 des Anstaltsaktes) zu berücksichtigen sein. Schließlich vertritt der erkennende Berufungssenat die Rechtsauffassung, dass für die vorzunehmende Abgrenzung zwischen altersgemäßer Abnützung und darüber hinausgehendem Vorschaden nicht auf einen gleichaltrigen Versicherten mit vergleichbarer Berufslaufbahn (so Reissner in seiner Entscheidungsbesprechung zu 10 ObS 45/04x in DRdA 2005/23), sondern auf den durchschnittlichen Gesundheitszustand eines gleichaltrigen Versicherten abzustellen ist. Dies lässt sich nicht nur aus den Ausführungen in 10 ObS 45/04x ableiten ("bei genereller Betrachtung der körperlichen Konstitution der Versicherten"), sondern würde die Berücksichtigung einer überdurchschnittlichen Abnützung durch bestimmte Berufstätigkeiten auch dem Grundsatz der gesetzlichen Unfallversicherung widersprechen, wonach diese als allgemeine Unfallversicherung ohne Berufsschutz konzipiert ist (siehe dazu vor allem die objektiv-abstrakt festzustellende Minderung der Erwerbsfähigkeit durch einen Arbeitsunfall, SSV-NF 14/148 uva.).

Das Erstgericht wird die ergänzend zu treffenden Feststellungen in Anknüpfung an die bereits aufgenommenen Beweise treffen können, wohingegen das Berufungsgericht zu einer aufwendigeren Beweisergänzung gezwungen gewesen wäre. Die Sozialrechtssache war daher gemäß § 496 Abs. 3 ZPO an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen. Der Kostenvorbehalt bezüglich des Berufungsverfahrens gründet sich auf die §§ 2 ASGG, 40 und 52 ZPO.Das Erstgericht wird die ergänzend zu treffenden Feststellungen in Anknüpfung an die bereits aufgenommenen Beweise treffen können, wohingegen das Berufungsgericht zu einer aufwendigeren Beweisergänzung gezwungen gewesen wäre. Die Sozialrechtssache war daher gemäß Paragraph 496, Absatz 3, ZPO an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen. Der Kostenvorbehalt bezüglich des Berufungsverfahrens gründet sich auf die Paragraphen 2, ASGG, 40 und 52 ZPO.

Die Frage der vorzunehmenden Abgrenzung zwischen altersbedingter Abnützung und darüber hinausgehendem Vorschaden und insbesondere der dabei heranzuziehende Vergleichsmaßstab ist durch die dargestellte neuerste höchstgerichtliche Rechtsprechung noch nicht derart geklärt, dass von einer gesicherten Rechtsprechung ausgegangen werden kann. Es handelt sich dabei um eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs. 1 ZPO. Der Rekurs gegen den aufhebenden Beschluss des Berufungsgerichtes war daher gemäß § 519 Abs. 2 ZPO zuzulassen.Die Frage der vorzunehmenden Abgrenzung zwischen altersbedingter Abnützung und darüber hinausgehendem Vorschaden und insbesondere der dabei heranzuziehende Vergleichsmaßstab ist durch die dargestellte neuerste höchstgerichtliche Rechtsprechung noch nicht derart geklärt, dass von einer gesicherten Rechtsprechung ausgegangen werden kann. Es handelt sich dabei um eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO. Der Rekurs gegen den aufhebenden Beschluss des Berufungsgerichtes war daher gemäß Paragraph 519, Absatz 2, ZPO zuzulassen.

Oberlandesgericht Wien

1016 Wien, Schmerlingplatz 11

Anmerkung

EW00588 10Rs77.06a

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2006:0100RS00077.06A.0817.000

Dokumentnummer

JJT_20060817_OLG0009_0100RS00077_06A0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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