Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr.Manica als Vorsitzenden, den Richter des Oberlandesgerichtes Mag.Atria und die Richterin des Oberlandesgerichtes Mag.Smutny in der Sozialrechtssache der klagenden Partei ***** E***** P*****, *****, vertreten durch Mag.Johannes Trenkwalder, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*****, *****, wegen Unzulässigkeit einer Aufrechnung, hier: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 7.4.2005, 32 Cgs 69/05d-3, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert, sodass er zu lauten hat:
"Der Antrag der Klägerin vom 25.1.2005 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Klage gegen den Bescheid der beklagten Partei vom 6.10.2004 wird zurückgewiesen."
Dem Erstgericht wird aufgetragen, der beklagten Partei gemäß § 85 Abs.1 ASGG die Klagebeantwortung aufzutragen.Dem Erstgericht wird aufgetragen, der beklagten Partei gemäß Paragraph 85, Absatz , ASGG die Klagebeantwortung aufzutragen.
Die Kosten des Rekurses der klagenden Partei sind weitere
Verfahrenskosten erster Instanz.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist zulässig.
Begründung:
Text
Mit Bescheid vom 6.10.2004 hat die beklagte Partei die offene Forderung der SVA der gewerblichen Wirtschaft an Beiträgen zur Sozialversicherung in der Höhe von EUR 3.789,97 zuzüglich Verzugszinsen ab 1.10.2004 auf den Leistungsanspruch der Klägerin aufgerechnet (Beilage ./C).
Am 2.11.2004 gab die Klägerin beim Erstgericht zu Protokoll, dass der im Bescheid vom 6.10.2004 ausgesprochene Abzug zu Unrecht erfolgt sei, ihre Pensionshöhe mit dem Abzug unter dem Existenzminiumum liege und daher eine Pfändung nicht möglich sei. Aufgrund ihres niedrigen Einkommens beantragte die Klägerin Verfahrenshilfe, ohne formell ein Klagebegehren zu stellen (Beilage ./B).
Mit Beschluss vom 22.11.2004 wies das Erstgericht diesen Verfahrenshilfeantrag ab (32 Cgs 230/04d; die erste Seite dieses Beschlusses in Kopie als Beilage ./A zu 32 Cgs 69/05d aufliegend). Dieser Beschluss wurde der Klägerin am 26.11.2004 durch Hinterlegung zugestellt (ON 3, S 2 = AS 10; ON 12, S 2 = AS 49). Am 25.1.2005 gab die Klägerin beim Erstgericht einen Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Klagefrist gegen den Bescheid vom 6.10.2004 verbunden mit einer Feststellungsklage gegen diesen Bescheid zu Protokoll (ON 1).
Mit dem nun angefochtenen Beschluss vom 7.4.2005 wies das Erstgericht diesen Wiedereinsetzungsantrag mit der wesentlichen Begründung ab, dass die Klägerin im Beschluss vom 22.11.2004 darauf hingewiesen bzw ihr empfohlen worden sei, selbst gegen den Bescheid eine Klage zu erheben und im Verstreichenlassen eines Zeitraumes von etwa zwei Monaten nach der Hinterlegung dieses Beschlusses bis zum Wiedereinsetzungsantrag ein grobes Verschulden der Klägerin an der Fristversäumung zu sehen sei.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Klägerin aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinne einer Bewilligung der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzuändern; hilfsweise den angefochtenen Beschluss im Sinne einer Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages mangels abgelaufener Klagefrist abzuändern.
Die beklagte Partei hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt. Der Rekurs ist im Sinne der beantragten Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages mangels abgelaufener Klagefrist berechtigt.
Die Klägerin bringt in ihrem Rekurs vor, dass ihr im Beschluss vom 22.11.2004 nicht mitgeteilt worden sei, bis wann sie die Klage zu erheben habe. Die Klägerin habe die Rechtsansicht vertreten und vertrete diese noch immer, dass durch den Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe die dreimonatige Klagefrist unterbrochen werde und nach Abweisung dieses Antrages neu zu laufen beginne. Die Fristversäumung der Klägerin beruhe demnach auf einem Rechtsirrtum. Die Klägerin sei dabei jedenfalls einer vertretbaren Rechtsansicht gewesen und könne ihr wenn überhaupt nur ein minderer Grad an Versehen vorgeworfen werden.
Die Rechtsansicht der Klägerin sei auch zutreffend. Die Klagefrist des § 67 Abs.2 ASGG sei eine verfahrensrechtliche Frist, auf welche die Bestimmung des § 73 Abs.2 ZPO analog anzuwenden sei. Mit dem Beschluss über die Abweisung des Antrages auf Verfahrenshilfe (richtig wohl: mit dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe) sei die dreimonatige Klagefrist unterbrochen worden und habe mit dem Beschluss über die Abweisung des Antrages auf Verfahrenshilfe am 22.11.2004 (gemeint wohl mit dessen Zustellung am 26.11.2004) neu zu laufen begonnen, weshalb die Frist am 25.1.2005 noch nicht abgelaufen gewesen sei.Die Rechtsansicht der Klägerin sei auch zutreffend. Die Klagefrist des Paragraph 67, Absatz , ASGG sei eine verfahrensrechtliche Frist, auf welche die Bestimmung des Paragraph 73, Absatz , ZPO analog anzuwenden sei. Mit dem Beschluss über die Abweisung des Antrages auf Verfahrenshilfe (richtig wohl: mit dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe) sei die dreimonatige Klagefrist unterbrochen worden und habe mit dem Beschluss über die Abweisung des Antrages auf Verfahrenshilfe am 22.11.2004 (gemeint wohl mit dessen Zustellung am 26.11.2004) neu zu laufen begonnen, weshalb die Frist am 25.1.2005 noch nicht abgelaufen gewesen sei.
Dazu hat das Rekursgericht erwogen:
Der Einfluss der Verfahrenshilfeanträge auf Fristen des Prozessrechts (Unterbrechung mit Antragstellung, Neubeginn des Fristlaufes mit Bestellung des Verfahrenshilfeanwaltes bzw mit Rechtskraft der Abweisung des Verfahrenshilfeantrages) muss als allgemeines Schutzprinzip über § 73 Abs.2 sowie zahlreiche inhaltlich gleichlautende Bestimmungen in Rechtsmittelverfahren (§ 464 Abs.3, § 468 Abs.3, § 505 Abs.2, § 507a Abs.5, § 521 Abs.3, § 521a Abs.1 ZPO) hinaus im Wege einer Rechtsanalogie auf alle Prozesshandlungen ausgedehnt werden, die einer Notfrist unterliegen (Fucik in Rechberger² § 73 ZPO Rz 2, Bydlinski in Fasching/Konecny² II/1 § 73 ZPO, Rz 6 mwN). Diese Auffassung wurde insbesondere auch in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur Zivilverfahrens-Novelle 2002 ausdrücklich vertreten (962 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates 21.Gesetzgebungsperiode, 22: "Die Aufnahme der weiteren Streiteinlassungsfristen des Verfahrens erster Instanz (Einwendungen im Mandats- und Bestandverfahren) folgt der ständigen Rechtsprechung, die zu Recht in der fristunterbrechenden Wirkung des Verfahrenshilfeantrages ein allgemeines verfahrensrechtliches Schutzprinzip erkennt. Auch weiterhin sollen sämtliche verfahrensrechtliche Notfristen (des Verfahrens erster Instanz ebenso wie des Rechtsmittelverfahrens) der fristunterbrechenden Wirkung des innerhalb der Frist gestellten Verfahrenshilfeantrags unterliegen.").Der Einfluss der Verfahrenshilfeanträge auf Fristen des Prozessrechts (Unterbrechung mit Antragstellung, Neubeginn des Fristlaufes mit Bestellung des Verfahrenshilfeanwaltes bzw mit Rechtskraft der Abweisung des Verfahrenshilfeantrages) muss als allgemeines Schutzprinzip über Paragraph 73, Absatz , sowie zahlreiche inhaltlich gleichlautende Bestimmungen in Rechtsmittelverfahren (Paragraph 464, Absatz ,, Paragraph 468, Absatz ,, Paragraph 505, Absatz ,, Paragraph 507 a, Absatz ,, Paragraph 521, Absatz ,, Paragraph 521 a, Absatz , ZPO) hinaus im Wege einer Rechtsanalogie auf alle Prozesshandlungen ausgedehnt werden, die einer Notfrist unterliegen (Fucik in Rechberger² Paragraph 73, ZPO Rz 2, Bydlinski in Fasching/Konecny² II/1 Paragraph 73, ZPO, Rz 6 mwN). Diese Auffassung wurde insbesondere auch in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur Zivilverfahrens-Novelle 2002 ausdrücklich vertreten (962 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates 21.Gesetzgebungsperiode, 22: "Die Aufnahme der weiteren Streiteinlassungsfristen des Verfahrens erster Instanz (Einwendungen im Mandats- und Bestandverfahren) folgt der ständigen Rechtsprechung, die zu Recht in der fristunterbrechenden Wirkung des Verfahrenshilfeantrages ein allgemeines verfahrensrechtliches Schutzprinzip erkennt. Auch weiterhin sollen sämtliche verfahrensrechtliche Notfristen (des Verfahrens erster Instanz ebenso wie des Rechtsmittelverfahrens) der fristunterbrechenden Wirkung des innerhalb der Frist gestellten Verfahrenshilfeantrags unterliegen.").
Die Unterbrechungswirkung eines Verfahrenshilfeantrages gilt insbesondere auch für die Fristen, die zur Erhebung einer Wiederaufnahms- oder Nichtigkeitsklage offenstehen (Fasching, LB² Rz 499; Bydlinski aaO; Fucik aaO).
Vor diesem Hintergrund teilt das Rekursgericht die Rechtsauffassung der Rekurswerberin, wonach die Unterbrechungswirkung eines Verfahrenshilfeantrages nach § 73 Abs.2 ZPO in analoger Anwendung auch für die in § 67 ASGG normierten Klagefristen in Sozialrechtssachen (zu deren Charakter als verfahrensrechtliche Frist siehe RIS-Justiz RS0036524, RS0085647) gilt.Vor diesem Hintergrund teilt das Rekursgericht die Rechtsauffassung der Rekurswerberin, wonach die Unterbrechungswirkung eines Verfahrenshilfeantrages nach Paragraph 73, Absatz , ZPO in analoger Anwendung auch für die in Paragraph 67, ASGG normierten Klagefristen in Sozialrechtssachen (zu deren Charakter als verfahrensrechtliche Frist siehe RIS-Justiz RS0036524, RS0085647) gilt.
Infolge des am 2.11.2004 und somit jedenfalls rechtzeitig gestellten Verfahrenshilfeantrages wurde die Klagefrist gegen den Bescheid vom 6.10.2004 unterbrochen und begann mit dem Eintritt der Rechtskraft des die Beigebung eines Rechtsanwalts versagenden Beschlusses, konkret nach Zustellung des Beschlusses am 26.11.2004 mit dem 10.12.2004, neu zu laufen. Zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage am 25.1.2005 war demnach die Klagefrist noch offen.
Ausgehend von dieser Rechtsansicht ist auf das Vorbringen der Rekurswerberin zu ihrem mangelnden Verschulden an der Säumnis nicht näher einzugehen und kommt dem Hauptbegehren der Rekurswerberin auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mangels Säumnis jedenfalls keine Berechtigung zu.
Da die Prozesshandlung, konkret die Klageerhebung, zum Zeitpunkt der Stellung des Wiedereinsetzungsantrages nachgeholt werden konnte und auch tatsächlich in Einem nachgeholt wurde, war in Stattgebung des Eventualbegehrens des Rekurses der angefochtene Beschluss im Sinne der Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages abzuändern. Da § 77 ASGG eine umfassende Regelung der Kostenersatzpflicht im sozialgerichtlichen Verfahren enthält, kommt die Bestimmung des § 154 ZPO über die Kostenersatzpflicht (und damit auch die Pflicht der Tragung der eigenen Kosten) jener Partei, welche die Wiedereinsetzung beantragt hat, nicht zur Anwendung (Kuderna, ASGG², 448; Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen, 297). Die Entscheidung über die Kosten des erfolgreichen Rekurses der Klägerin (die beklagte Partei hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt) war der Endentscheidung vorzubehalten, da über die Kostenersatzansprüche im sozialgerichtlichen Verfahren gemäß § 77 Abs.1 und 2 ASGG erst mit der Endentscheidung abzusprechen ist. Da sich die Parteien in der Frage der begehrten Wiedereinsetzung auch nicht mit widerstreitenden Anträgen gegenüberstanden, liegt auch kein Zwischenstreit mit einer vorweg vorzunehmenden Kostenentscheidung vor (zur grundsätzlichen Anwendbarkeit der Bestimmung des § 48 ZPO unter Bedachtnahme auf § 77 Abs.3 ASGG, Kuderna aaO S 498). Da zur Frage der analogen Anwendung des § 73 Abs.2 ZPO auf die Klagefristen nach § 67 ASGG soweit überblickbar eine höchstgerichtliche Rechtsprechung nicht vorhanden ist, war der ordentliche Revisionsrekurs gemäß §§ 2 ASGG, 528 Abs.1 ZPO zuzulassen.Da die Prozesshandlung, konkret die Klageerhebung, zum Zeitpunkt der Stellung des Wiedereinsetzungsantrages nachgeholt werden konnte und auch tatsächlich in Einem nachgeholt wurde, war in Stattgebung des Eventualbegehrens des Rekurses der angefochtene Beschluss im Sinne der Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages abzuändern. Da Paragraph 77, ASGG eine umfassende Regelung der Kostenersatzpflicht im sozialgerichtlichen Verfahren enthält, kommt die Bestimmung des Paragraph 154, ZPO über die Kostenersatzpflicht (und damit auch die Pflicht der Tragung der eigenen Kosten) jener Partei, welche die Wiedereinsetzung beantragt hat, nicht zur Anwendung (Kuderna, ASGG², 448; Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen, 297). Die Entscheidung über die Kosten des erfolgreichen Rekurses der Klägerin (die beklagte Partei hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt) war der Endentscheidung vorzubehalten, da über die Kostenersatzansprüche im sozialgerichtlichen Verfahren gemäß Paragraph 77, Absatz und 2 ASGG erst mit der Endentscheidung abzusprechen ist. Da sich die Parteien in der Frage der begehrten Wiedereinsetzung auch nicht mit widerstreitenden Anträgen gegenüberstanden, liegt auch kein Zwischenstreit mit einer vorweg vorzunehmenden Kostenentscheidung vor (zur grundsätzlichen Anwendbarkeit der Bestimmung des Paragraph 48, ZPO unter Bedachtnahme auf Paragraph 77, Absatz , ASGG, Kuderna aaO S 498). Da zur Frage der analogen Anwendung des Paragraph 73, Absatz , ZPO auf die Klagefristen nach Paragraph 67, ASGG soweit überblickbar eine höchstgerichtliche Rechtsprechung nicht vorhanden ist, war der ordentliche Revisionsrekurs gemäß Paragraphen 2, ASGG, 528 Absatz , ZPO zuzulassen.
Oberlandesgericht Wien
1016 Wien, Schmerlingplatz 11
Anmerkung
EW00583 8Rs96.06fEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OLG0009:2006:0080RS00096.06F.0823.000Dokumentnummer
JJT_20060823_OLG0009_0080RS00096_06F0000_000