TE Vwgh Erkenntnis 2007/9/21 2005/05/0128

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Veröffentlicht am 21.09.2007
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Index

L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Wien;
L80009 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Wien;
L80409 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Wien;
L82000 Bauordnung;
L82009 Bauordnung Wien;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §52;
BauO Wr §129;
BauO Wr §71b Abs3 idF 1998/046;
BauO Wr §71b Abs4 idF 1998/046;
BauO Wr §71b idF 1998/046;
BauO Wr §85;
BauRallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fritz, über die Beschwerde des Dr. Klemens Dallinger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schulerstraße 18, als Masseverwalter im Konkurs des K O in W, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 23. Februar 2005, Zl. BOB-656 und 684/04, betreffend eine Bauangelegenheit (mitbeteiligte Partei: F B KEG in Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

K.O. ist Miteigentümer der Liegenschaft EZ 1643, KG X (Wien, K-Gasse 15). Über sein Vermögen wurde mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 6. Oktober 1999 das Konkursverfahren eröffnet; der Beschwerdeführer ist Masseverwalter, das Konkursverfahren ist nach wie vor offen.

Mit Schreiben vom 21. Dezember 1998 suchte K.O. um die Erteilung einer Sonderbaubewilligung gemäß § 71b Abs. 3 der BauO für Wien bezüglich zweier auf der genannten Liegenschaft bestehenden Gebäudeteile an und legte Einreichpläne vor. Die mit Bescheid des Bauausschusses der Bezirksvertretung vom 26. Mai 2000 erfolgte Versagung dieses Ansuchens wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 13. Dezember 2000 aufgehoben. In weiterer Folge holte der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung (MA) 37, verschiedene Stellungnahmen ein.

In einem Schreiben vom 7. September 2001 stellte die MA 21B die Rechtslage bezüglich des seit 27. Mai 1994 geltenden Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes, PD 6320, dar. An der Straßenfront K-Gasse 15 bestehe die Widmung Bauland/gemischtes Baugebiet, Bauklasse II, geschlossene Bauweise, mit einer Trakttiefe von 15 m. Im hinteren Liegenschaftsbereich (Bereich zur Trasse der Badnerbahn) sei Bauland/gemischtes Baugebiet, Bauklasse I, höhenbeschränkt auf 5,50 m in geschlossener Bauweise festgesetzt. Im Hinblick auf den Gebäudebestand an der Straßenfront zur K-Gasse und unter Berücksichtigung der Verminderung von Emissionen der Badnerbahn in Richtung des westlich anschließenden Siedlungsgebietes werde seitens der Stadtplanung die Schaffung einer geschlossenen Häuserzeile entlang der K-Gasse angestrebt. In den hinteren Liegenschaftsbereichen solle eine ein- bis zweigeschoßige Bebauung in geschlossener Bauweise ermöglicht werden. Grundsätzlich sei auf Grund der verkehrlich bedingten Emissionen die Ansiedlung von Kleingewerbebetrieben im Rahmen der gemischten Nutzung anzustreben. Die Errichtung von ausschließlich der Wohnnutzung dienenden Baulichkeiten sei durch die seit Mitte der 70er Jahre festgesetzte Widmung Betriebsbaugebiet bzw. gemischtes Baugebiet grundsätzlich nicht als sinnvoll und zweckmäßig anzusehen. Die widmungsmäßige Berücksichtigung der konsenslosen Baulichkeiten auf der Liegenschaft K-Gasse 15 sei nicht zweckmäßig. Die eklatante Abweichung von der Rechtslage durch Zu-, Um- bzw. Neubau - der Altbestand (an der K-Gasse) habe grundsätzlich den alten, wie auch aktuellen Bebauungsbestimmungen entsprochen - als auch die rechtlich bedenkliche Vorgangsweise einer nachträglichen Sanktionierung wissentlich nicht konsensfähig errichteter Baulichkeiten könne seitens der MA 21B nicht mitgetragen werden. Eine Änderung dieser Rechtslage werde im Zuge der aktuellen Überarbeitung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes Entwurf Nr. 7400 nicht vorgeschlagen.

Nach einem Aktenvermerk vom 9. März 2002 hat die MA 19 auf Grund eines Ortsaugenscheins vom 8. März 2002 auf ihre früheren (negativen) Stellungnahmen verwiesen. In einer Stellungnahme vom 14. Oktober 1996 wurde ausgeführt:

"Die vorliegende Wohnhausbebauung ist seitlich durch bebaute Grundstücke und an der Hinterseite durch die Bahntrasse der Süd- und Wr. Lokalbahn begrenzt.

Die Unverbautheit der Trassenführung bringt eine permanente Einsehbarkeit der Rückfront des Wohnhauses.

Der frequente Personenverkehr der Bahnlinien rückt die Hinterseiten der anrainenden Liegenschaften in öffentliches Interesse.

...

Die bereits ausgeführte Bebauung im hinteren Teil der Liegenschaft weist eine Gebäudehöhe von ca. 10,70 m auf. Diese traufparallele Gebäudehöhe wird an der seitlichen Grundstücksgrenze zu K-Gasse 13 als auch am betreffenden Grundstück erreicht. Die Feuermauernseite zur Bahntrasse wird durch ein entsprechendes Giebelfeld (Firsthöhe ca. 14,50 m), die südseitige Traufseite durch massiven Gaupenausbau überhöht.

Der Einschränkung der Gebäudehöhe auf 5,50 m im hinteren Grundstücksteil, liegt die städtebaulich-gestalterische Intention zu Grunde, die Verbauung gegen die offene Bahntrasse abzuzonen, um eine schluchtartige Korridorwirkung für die Bahnführung zu vermeiden. Aus gestalterischer Sicht ist weiters zu beachten, dass die Fassaden entlang der betreffenden Verkehrslinie fensterlos, entsprechend einer Feuermauer auszuführen sind. Die räumlichgestalterischen Qualitäten von öffnungslosen Feuermauern sind in den meisten Fällen als abweisend, gesichtslos und trist zu bezeichnen. Die Bedeutung und das Aussehen ist jedenfalls mit negativ gewichteten Begriffen besetzt. Grundsätzlich wird daher im Zuge der Bebauungsplanung auf die Einschränkung derartiger ungestalteter Flächen im Stadtbild geachtet.

Das vorliegende und bereits ausgeführte Projekt widerspricht den Festlegungen des Bebauungsplanes, das Ausmaß der Abweichungen ist mächtig, sodass eine massive Beeinträchtigung des beabsichtigten örtlichen Stadtbild zu erkennen ist."

Der mitbeteiligten Nachbarin gehört die Liegenschaft A-Gasse 1, die dem hinteren Teil der Bauliegenschaft westseitig benachbart ist (diese Nachbarliegenschaft befindet sich hinter der Eckparzelle K-Gasse 13). Die Nachbarin erklärte im Schreiben vom 20. Mai 2004, dass sie schon früher erhobene Einwände bezüglich der Überschreitung der höchstzulässigen Gebäudehöhe, der Immissionen bedingt durch das zu ihrer Liegenschaft errichtete Satteldach mit Dachflächenfenster, bezüglich verursachter Wasserschäden und der Nichtgewährleistung des Schallschutzes wiederhole. In der Zwischenzeit hätte sich keine wie immer geartete positive Veränderung der Mängel ergeben.

Bei einer Verhandlung an Ort und Stelle am 22. August 2003 wurde eine Reihe von Baugebrechen festgestellt. Am 1. Juni 2004 fand eine weitere Verhandlung statt.

Mit Bescheid des Bauausschusses der Bezirksvertretung für den

23. Bezirk vom 22. Oktober 2004 wurde die begehrte Sonderbaubewilligung für die Zubauten hofseitig (zwei Seitentrakte und die baulichen Änderungen im bewilligten Vordertrakt) auf der gegenständlichen Liegenschaft versagt. In der Begründung wurde der Einwendung hinsichtlich der Gebäudehöhenüberschreitung "stattgegeben", da die zulässige Gebäudehöhe im Bereich des linken Flügeltraktes, welcher an der gemeinsamen Grundgrenze zum Mitbeteiligten errichtet wurde, mit 5,50 m Höhe beschränkt sei, die ausgewiesene und vorhandene Gebäudehöhe jedoch 10,70 m betrage. Die Immissionseinwände wurden "ab- bzw. zurückgewiesen".

In Abwägung der Voraussetzungen für eine Sonderbaubewilligung gemäß § 71b BO führte der Bauausschuss aus, dass die Erhaltung bereits geschaffenen Wohnraumes für die Bevölkerung und die vorhandene Versorgung mit gesundheitlich einwandfreiem Trinkwasser für die Erteilung der Baubewilligung spräche. Gegen die Erteilung der Baubewilligung spräche hingegen, dass die Zubauten ausschließlich als Wohnungen gewidmet seien, und damit den Planungszielen nicht entsprechen. Unter Bezugnahme auf die Stellungnahmen der MA 19 wurde ausgeführt, dass das bereits ausgeführte Projekt den Festlegungen des Bebauungsplanes widerspreche und das Ausmaß der Abweichungen mächtig sei, sodass eine massive Beeinträchtigung des beabsichtigten örtlichen Stadtbildes zu erkennen sei. Die Zubauten stellten hinsichtlich des Verwendungszweckes, der Lage oder der Größe keinen Ersatz für ein Bauwerk dar, das früher rechtmäßig bestanden habe. Auf der linken (westseitigen) Liegenschaftsgrenze habe zwar bereits ein Seitentrakt mit Substandardwohnungen bestanden, jedoch auf lediglich 5,20 m Breite und in nur zweistöckiger Ausführung mit Trockenboden. Der gegenständliche Zubau weise nunmehr eine Breite von 7,50 m auf und umfasse vier Geschoße inklusive des ausgebauten Dachgeschoßes.

Auf Grund des im Zeitpunkt der Errichtung geltenden PD 5404 habe für die (gesamte) gegenständliche Liegenschaft die Widmung Betriebsbaugebiet, Bauklasse II, gegolten. Die Bauarbeiten seien am 20. September 1993 begonnen worden. Der Zubau im vorliegenden Ausmaß mit der Schaffung von zusätzlichen Wohneinheiten habe dem seinerzeitigen Flächenwidmungs- und Bebauungsplan PD 5404 hinsichtlich der Widmung Betriebsbaugebiet nicht entsprochen, weil vier weitere Wohneinheiten im linken Seitentrakt geschaffen worden seien.

Die Trittsicherheit der Stiegen sei bedingt durch die teilweise extremen Unterschiede im Steigungsverhältnis der Stufen nicht gegeben. Es werde gegen § 106 Abs. 10 BauO für Wien verstoßen, weil nicht nur die zulässige Stufenhöhe von 18 cm um bis zu 4 cm bei diversen Stufen sämtlicher Stiegenläufe überschritten werde, sondern auch innerhalb desselben Stiegenlaufes um bis zu 6,5 cm unterschiedliche Stufenhöhen bzw. Auftrittsbreiten ausgeführt worden seien. Bei der Kanalanlage bestehe eine Fehleinleitung, das Trennsystem werde nicht eingehalten, sodass Regenwässer mit den Schmutzwässern in das öffentliche Schmutzwasserkanalnetz gelangten.

Zusammenfassend gelangte der Bauausschuss zum Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen an der Beseitigung der Baulichkeit gegenüber den Interessen, die für ein Weiterbestehen sprächen, überwiegen.

In seiner Berufung verwies der Beschwerdeführer auf die besondere Härte, die die Versagung der Baubewilligung gegenüber den "unschuldigen" Wohnungseigentümern bedeuten würde. Eine Baubewilligung (gemeint offenbar: nach § 70 BauO für Wien) habe deshalb nicht erteilt werden können, weil der Gemeinschuldner erst am 28. April 1994 - also nach der für das Vorhaben (bezüglich der Bauklasse im hinteren Teil der Liegenschaft) ungünstigen Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes - um Baubewilligung angesucht habe. Nunmehr könnten keine wie immer gearteten Ansprüche gegen den Gemeinschuldner sinnvoll verfolgt werden.

Die eingeholten Stellungnahmen der Magistratsabteilungen 19 und 21B seien unzureichend und hätten nicht berücksichtigt, dass es sich hier um ein Verfahren um eine Sonderbaubewilligung handle. Die MA 19 habe keinerlei Bezug zu den Gebäuden der Umgebung vorgenommen. Die vom Bauausschuss vorgenommene Interessensabwägung habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass ein dem heutigen Wohnkomfort entsprechender Wohnraum geschaffen worden sei, an Stelle der bisher bestandenen Substandardwohnungen. Bezüglich der Baumängel werde zugesagt, dass nach Erteilung der Sonderbaubewilligung die Fehleinleitung beim Kanal behoben werde. Die Stiegenanlage im bewilligten Altbestand entspräche dem seinerzeitigen Konsens.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Die mit Bescheid vom 11. November 1992 bekannt gegebenen Bebauungsbestimmungen beruhten auf dem damals gültigen Flächenwidmungs- und Bebauungsplan PD 5404, mit welchem für die gesamte Fläche der Liegenschaft die Widmung gemischtes Baugebiet/Betriebsbaugebiet, Bauklasse II, und die geschlossene Bauweise festgesetzt gewesen sei. Im Zeitpunkt des Baubeginns wie auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei auf dieser Liegenschaft kein Betrieb angesiedelt gewesen und es seien Zubauten errichtet und bauliche Änderungen durchgeführt worden, die alleine Wohnzwecken dienten. Es seien nicht nur Substandardwohnungen durch Wohnungen mit zeitgemäßem Standard ersetzt worden, sondern zusätzliche Wohnungen errichtet und der Hoftrakt an der linken Grundgrenze sowohl in seiner Breite als auch in seiner Höhe vergrößert worden, sodass eine neu errichtete Baulichkeit vorliege. Zum Zeitpunkt des Baubeginns am 20. September 1993 wären die gegenständlichen Zubauten und baulichen Änderungen nach § 70 BauO für Wien nicht bewilligungsfähig gewesen.

Zum Zeitpunkt des am 23. Dezember 1998 eingereichten Ansuchens um Sonderbaubewilligung galt das PD Nr. 6320, welches für die gegenständliche Liegenschaft an der Baulinie auf eine Trakttiefe von 15 m die Widmung gemischtes Baugebiet, Bauklasse II, und die geschlossene Bauweise festsetzte; für die übrige Fläche, in der auch der gegenständliche Hoftrakt situiert sei, laute die Widmung gemischtes Baugebiet, Bauklasse I, geschlossene Bauweise mit einer Höhenbeschränkung von 5,50 m. Diese Rechtslage sei mit dem vom Gemeinderat am 14. Dezember 2001 beschlossenen PD 7400 fortgeschrieben worden. Die Abweichung bei der Gebäudehöhe mit nunmehr 10,70 m könne nicht als geringfügig angesehen werden. Es dürften auch die subjektiv öffentlichen Nachbarrechte nicht außer Acht gelassen werden; sehr wohl sei zu prüfen, ob durch die Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe eine Beeinträchtigung der Bebaubarkeit der Nachbarliegenschaft eintrete. Zulässig wäre eine solche Überschreitung nur dann, wenn der betroffene Nachbar seine Zustimmung erteilte; dies sei hier aber nicht der Fall gewesen, vielmehr habe der betroffene westseitige Nachbar (die Mitbeteiligte) Einwendungen bezüglich der Gebäudehöhe erhoben. Durch die Errichtung des Hoftraktes direkt an der westseitigen Grundgrenze sei eine Einschränkung der Bebaubarkeit der Nachbarliegenschaft der Mitbeteiligten gegeben. Jedenfalls sei weder nach der Rechtslage zum Zeitpunkt der Errichtung noch dem Zeitpunkt der Fertigstellung oder zu einem späteren Zeitpunkt Bewilligungsfähigkeit gegeben. Damit liege einer der in § 71b Abs. 3 BauO für Wien angeführten, für die Interessensabwägung maßgeblichen Gründe, nicht vor. Im eingeholten Gutachten betreffend die Fragen der Stadtentwicklung und Stadtplanung komme deutlich zum Ausdruck, dass das gegenständliche Bauwerk sowohl den im Zeitpunkt der Errichtung geltenden als auch den in der Folge festgesetzten und für die in weiterer Zukunft geltenden Flächenwidmungs- und Bebauungsbestimmungen und damit den zukünftigen Planungsabsichten gröblichst widerspreche. Desgleichen habe der Amtssachverständige für Architektur und Stadtgestaltung deutlich ausgeführt, inwiefern das gegenständliche Bauwerk den stadtgestalterischen Intentionen widerspreche. Die vom Bauausschuss erfolgte Interessenabwägung stelle sich als richtig und nachvollziehbar dar. Keineswegs könne der Ansicht des Beschwerdeführers gefolgt werden, dass das Entsprechen des Bauwerkes in einem der in Abs. 3 des § 71b BauO für Wien angeführten beispielhaft aufgezählten Punkte ausreichen würde, dieses zu genehmigen. Es komme vielmehr darauf an, ob eine Mehrzahl von Aspekten oder gewichtigeren Punkten gegen die Erteilung der Sonderbaubewilligung spreche. Lediglich der geschaffene Wohnraum stelle den einzigen Punkt dar, der für die Erteilung der Sonderbaubewilligung sprechen könnte; alle übrigen im Gesetz genannten Gründe sprächen eindeutig gegen die Erteilung der begehrten Bewilligung.

Die im Altbestand vorgenommenen baulichen Änderungen seien vom Ansuchen um Erteilung der Sonderbaubewilligung mitumfasst. In dem zwingend vorzulegenden Bestandsplan seien die in der Natur bestehenden unterschiedlichen Steigungsverhältnisse einzelner Stufen innerhalb eines Stiegenlaufes nicht richtig dargestellt. Undenkbar sei, dass ungleichmäßige Steigungsverhältnisse konsentiert sein können, da schon frühere, zum Zeitpunkt der Errichtung des Altbestandes gültige Fassungen der BauO für Wien von einem gleich bleibenden Steigungsverhältnis innerhalb eines Treppenlaufes ausgegangen seien. Auf Grund der von den unterschiedlichen Steigungsverhältnissen ausgehenden Erhöhung der Sturzgefahr sei eine sichere Benützung des Bauwerks nicht gewährleistet. Auch die Abwasserbeseitigung entspreche nicht den Vorschriften. Die diesbezüglichen Voraussetzungen müssten vor Erteilung der Sonderbaubewilligung vorliegen.

In seiner dagegen erhobenen Beschwerde erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht darauf verletzt, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen die begehrte Sonderbaubewilligung zu erhalten. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt vor, im Rahmen der Interessensabwägung spreche gegen sein Begehren lediglich die Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe, wobei aber der Nachbar dadurch nicht beeinträchtigt werde, da auch die seinerzeitig konsensgemäß vorhandene Feuermauer die idente Höhe aufgewiesen habe. Für das Vorhaben spreche hingegen, dass bereits geschaffener Wohnraum für die Bevölkerung erhalten bleibe, dass das Gebäude mit den Zielen der örtlichen Raumordnung, insbesondere mit vergleichbaren Nutzungen von Nachbarliegenschaften vereinbar sei, dass das Gebäude im Zeitpunkt der Errichtung baurechtlich hätte bewilligt werden können, dass es hinsichtlich Verwendungszweck, Lage und Größe als Ersatz für ein früher rechtmäßig bestandenes Gebäude bestehe und dass die Miteigentümer durch den Abriss des nicht von ihnen verursachten und hergestellten konsenslosen Zustandes schwerstens finanziell belastet würden und gegebenenfalls sogar der Obdachlosigkeit preisgegeben wären. Diese Interessenabwägung ergebe eindeutig, dass die öffentlichen Interessen an einem Bestehen der Baulichkeit bei weitem überwiegen.

Der mit "Sonderbaubewilligungen" überschriebene § 71b der BauO für Wien (in der Fassung LGBl. Nr. 46/1998; BO) lautet:

"§ 71b. (1) Für bestehende Gebäude, Gebäudeteile oder bauliche Anlagen, die vor dem 1. Mai 1997 errichtet worden sind, eine erforderliche Baubewilligung nicht haben und auch nach §§ 70, 70a, 71 oder 71a nicht bewilligt werden können, ist auf Antrag eine Sonderbaubewilligung mit schriftlichem Bescheid nach Maßgabe der folgenden Absätze zu erteilen.

(2) Dem Antrag sind vollständige Bestandspläne im Sinne des § 63 Abs. 1 lit. a und des § 64 anzuschließen.

(3) Die Sonderbaubewilligung ist zu erteilen, wenn öffentliche Interessen an dem weiteren Bestehen des Gebäudes, des Gebäudeteiles oder der baulichen Anlage öffentliche Interessen oder Interessen der Nachbarn an der Beseitigung überwiegen. Öffentliche Interessen, die für das weitere Bestehen sprechen, liegen insbesondere vor, wenn

1. bereits geschaffener Wohnraum für die Bevölkerung erhalten werden soll,

2. für die Bevölkerung notwendige Betriebe oder sonstige Einrichtungen erhalten werden sollen,

3. das Gebäude, der Gebäudeteil oder die bauliche Anlage mit den Zielen der örtlichen Raumordnung, insbesondere mit vergleichbaren Nutzungen, für vereinbar angesehen werden kann,

4. eine für eine baurechtliche Bewilligung erforderliche Umwidmung der betroffenen Grundfläche hinsichtlich des Verwendungszwecks, der Lage und der Größe des Gebäudes, des Gebäudeteiles oder der baulichen Anlage sachlich zu rechtfertigen wäre,

5. das Gebäude, der Gebäudeteil oder die bauliche Anlage nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Errichtung, der Fertigstellung oder im Laufe des Bestehens baurechtlich hätte bewilligt werden können, oder

6. das Gebäude, der Gebäudeteil oder die bauliche Anlage hinsichtlich des Verwendungszwecks, der Lage und der Größe den Ersatz für ein Bauwerk darstellt, das früher rechtmäßig bestanden hat.

(4) Die Behörde hat die öffentlichen Interessen, die für das weitere Bestehen des Gebäudes, des Gebäudeteiles oder der baulichen Anlage sprechen, mit jenen, die dagegen sprechen (wie zum Beispiel das Fehlen einer Versorgung mit gesundheitlich einwandfreiem Trinkwasser, der Abwasserbeseitigung oder der sicheren Benützbarkeit) abzuwägen.

(5) Die Sonderbaubewilligung gilt als Baubewilligung im Sinne des § 71, jedoch höchstens für zehn Jahre.

(6) Über den Antrag auf Sonderbaubewilligung entscheidet der Bauausschuss der örtlich zuständigen Bezirksvertretung (§ 133). Das Ermittlungsverfahren führt der Magistrat, bei dem auch der Antrag einzubringen ist. Nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens hat der Magistrat den Antrag an den zuständigen Bauausschuss weiterzuleiten."

Zu dieser Bestimmung hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27. April 2004, Zl. 2003/05/0032, grundsätzlich festgehalten, dass ein Anspruch auf die Erteilung einer solchen Sonderbaubewilligung nur besteht, wenn die vorzunehmende Interessenabwägung überwiegende öffentliche Interessen am Weiterbestand der Baulichkeit ergibt.

Im Abs. 3 dieser Bestimmung werden alternativ (dies ergeben schon die ersten beiden Punkte, die einander ausschließen können; siehe auch Geuder/Hauer, Wiener Bauvorschriften5, 556) öffentliche Interessen aufgezählt, die "für das weitere Bestehen sprechen". Damit wird klargelegt, dass diese Umstände jedenfalls in die Abwägung einzubeziehen sind; keineswegs wird damit festgelegt, dass bei Vorliegen von einem oder mehreren der dort genannten Kriterien zwingend die Bewilligung zu erteilen wäre.

Unstrittig steht fest, dass das erste Kriterium, "bereits geschaffener Wohnraum für die Bevölkerung erhalten werden soll", hier gegeben ist; der Verwaltungsgerichtshof schließt sich allerdings der Auffassung der belangten Behörde an, dass keines der dort weiters genannten Interessen hier vorliegt:

Dass die hier errichteten Zubauten mit den Zielen der örtlichen Raumordnung nicht vereinbar sind, ergibt sich aus dem Gutachten der MA 21B, dem der Beschwerdeführer nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen getreten ist. Aus dem dort formulierten Planungsziel, dass im Hinblick auf die Emissionen von der Verkehrsfläche der Badner Bahn die Ansiedlung von (Klein-)Gewerbebetrieben angestrebt werde, erschiene auch eine Umwidmung hinsichtlich der Größe des errichteten Gebäudeteils nicht sachgerecht.

Im Errichtungszeitpunkt wären diese Zubauten nicht konsensfähig gewesen, weil die Widmung "gemischtes Baugebiet-Betriebsbaugebiet" nur Wohnungen für den Bedarf der Betriebsleitung und der Betriebsaufsicht zugelassen hätte (§ 6 Abs. 13 BO). Nach der Umwidmung widersprach die Errichtung der zulässigen Gebäudehöhe.

Nach dem vorliegenden Bestandsplan bestand der ostseitige Zubau ursprünglich überhaupt nicht, an Stelle des Zubaus auf der Westseite bestand eine 10,70 m hohe Mauer. Die nunmehrige Wohnbebauung ist kein Ersatz für ein Bauwerk, das früher rechtmäßig bestanden hat.

Es ist somit der belangten Behörde durchaus darin zu folgen, dass hier nur eines der in § 71b Abs. 3 BO genannten Kriterien (Wohnraumschaffung) vorliegt; daraus folgt aber keineswegs, dass die in diesem Absatz definierten Interessen gegeneinander abzuwägen sind. Die in Abs. 3 aufgezählten Interessen sind ausschließlich als positive Kriterien definiert; negative Kriterien nennt allein der Abs. 4, der auch - ganz andere - Beispiele aufzählt. Da der Wortlaut des § 71b Abs. 4 BO die Abwägung der in Abs. 3 aufgezählten (positiven) Interessen mit den in Abs. 4 genannten (negativen) Interessen fordert, wobei auch im letzteren Fall (drei) Beispiele genannt werden, hat die Abwägung mit dem hier unstrittig vorliegenden Interesse an der Wohnraumerhaltung daher ausschließlich mit in § 71b Abs. 3 BO nicht aufgezählten Interessen, insbesondere mit den in Abs. 4 genannten Interessen zu erfolgen. Die in der Gegenschrift postulierte Abwägung der in § 71b Abs. 3 BO definierten positiven Interessen untereinander ist hingegen mit dem klaren Gesetzeswortlaut nicht vereinbar.

Daraus folgt zunächst, dass eine begehrte Sonderbaubewilligung nicht allein deswegen versagt werden kann, weil nur ein einziges der in § 71b Abs. 3 BO definierten Kriterien vorliegt, andere Kriterien aber nicht vorliegen.

Die in § 71b Abs. 4 BO genannte "sichere Benützbarkeit" ist nach Auffassung der belangten Behörde wegen der tatsächlich vorgefundenen unterschiedlichen Stufenhöhen und Auftrittsbreiten der Stiegenanlage, die sich im Altbestand befindet, nicht gegeben. Dabei ging die belangte Behörde davon aus, dass das Bauansuchen auch den Altbestand erfasste. Dafür spräche zwar der Umstand, dass ein Bestandsplan vorzulegen ist; allerdings sieht das Gesetz ausdrücklich auch die Genehmigung von "Gebäudeteilen" vor. Das Ansuchen bezieht sich tatsächlich auf "Gebäudeteile". Die mit dem Ansuchen vorgelegten Pläne, die in der Folge gegen den Bestandsplan ausgetauscht wurden, hatten, wie sich aus einem Vorlagebericht vom 23. Februar 1999 ergibt, die dem § 3 Abs. 2 Bauplanverordnung entsprechenden Färbelungen enthalten. Daraus ergibt sich, dass das Ansuchen jedenfalls nicht den unverändert gebliebenen Altbestand betroffen hat.

Die von der belangten Behörde dargestellte "Verklammerung" des Altbestandes mit dem Neubestand gerade durch die Stiegenanlage macht die Stiege aber nicht zum Gegenstand der begehrten Baubewilligung. Entspricht die Stiege nicht dem Konsens, ist nach § 129 BO unabhängig davon vorzugehen, ob Zubauten errichtet wurden und Gegenstand eines Bewilligungsverfahrens sind.

Abweichungen der Ausführung der Stiegenanlage vom Konsens können daher bei der Beurteilung des im Antrag umschriebenen Vorhabens keine Rolle spielen, weil die Stiegenanlage nicht vom Ansuchen erfasst ist.

§ 71b Abs. 4 BO nennt als negativen Abwägungsgrund das "Fehlen" der Abwasserbeseitigung. Dieses wie die beiden anderen an dieser Stelle angeführten Beispiele machen deutlich, dass der Gesetzgeber nur ganz gravierende Mängel im Auge hatte, die in die Interessenabwägung einfließen sollen. Der hier bestehende Mangel, dass das Regenwasser zwar beseitigt wird aber nur, indem es in den Schmutzwasserkanal eingeleitet wird, hat jedenfalls nicht die Intensität, die der Gesetzgeber an dieser Stelle im Auge hat. Die Behörden können andere gesetzlich gebotene Möglichkeiten zur Herstellung des gesetzeskonformen Zustandes heranziehen; bemerkt wird in diesem Zusammenhang aus der Verhandlungsschrift vom 1. Juni 2004, dass der Vertreter der MA 30 erklärte, es sei bezüglich der erfolgten Fehleinleitung eine gesonderte Antragstellung an diese Behörde zu richten. Eine ausschlaggebende Bedachtnahme auf diese Fehleinleitung kommt im Zusammenhang mit der hier begehrten Sonderbaubewilligung jedenfalls nicht in Betracht.

Da auch die Aufzählung der Gründe, die gegen eine Bewilligung sprechen, in § 71b Abs. 4 BO nicht vollständig ist, könnte ein Widerspruch zu § 85 BO (äußere Gestaltung von Gebäuden und baulichen Anlagen) durchaus in Betracht kommen. Auch dafür gilt allerdings, dass, wie der Gesetzgeber durch die drei Beispiele zum Ausdruck gebracht hat, eine gravierende Verletzung des Stadtbildes vorliegen muss. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer den Ausführungen des Gutachters, das Ausmaß der Abweichungen sei "mächtig" und es sei eine massive Beeinträchtigung des beabsichtigten örtlichen Stadtbildes zu erkennen, nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen getreten ist.

Der Einleitungssatz des § 71b Abs. 3 BO fordert auch eine Bedachtnahme auf die Interessen der Nachbarn an der Beseitigung des errichteten Gebäudes oder Gebäudeteiles. Dieses "Interesse an der Beseitigung" (ein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht auf Beseitigung kennt die BO nicht) muss im Zusammenhang mit den ausdrücklich genannten Versagungskomponenten wohl so verstanden werden, dass für den Nachbarn einschneidende Rechtsverletzungen durch den Bau eingetreten sind. Die belangte Behörde hat ohne nähere Begründung ausgeführt, die Bebaubarkeit auf der Liegenschaft der Mitbeteiligten werde eingeschränkt. Dies ist aber nicht ohne weiteres nachvollziehbar, zumal sich aus dem Bestandsplan ergibt, dass schon bisher in Höhe des aufsteigenden Mauerwerkes des neu errichteten Seitentrakts eine Mauer an der Grundgrenze vorhanden war. Feststellungen, ob diese Mauer bestehen blieb und konsentiert ist, wurden nicht getroffen; sollte dies der Fall sein, dann bedürfte es einer nachvollziehbaren Begründung durch einen Sachverständigen, ob und inwieweit die Bebaubarkeit des Nachbargrundstückes in diesem Zusammenhang beeinträchtigt ist. Erst dann kann ein Interesse des Nachbarn an der Beseitigung in die vorzunehmende Interessenabwägung Eingang finden.

Indem die belangte Behörde die Beurteilungskriterien anders gewichtet hat bzw. Kriterien herangezogen hat, für die das Gesetz keine Handhabe bietet, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Der angefochtene Bescheid war daher in Anwendung des § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 21. September 2007

Schlagworte

Besondere RechtsgebieteBaubewilligung BauRallg6Anforderung an ein GutachtenIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2005050128.X00

Im RIS seit

23.10.2007

Zuletzt aktualisiert am

31.03.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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