TE Vfgh Beschluss 2002/12/11 V94/00

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Veröffentlicht am 11.12.2002
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
VfGG §57 Abs1
RAO §37 Z2
RL-BA 1977 §9b

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Die Antragsteller sind Rechtsanwälte mit Kanzleisitz in Wien. Sie begehren gemäß Art139 B-VG die Punkte 1.1., 1.2., 1.2.1.,

4.1. und 4.2. der Bestimmungen über die Abwicklung von Treuhandschaften im Rahmen des elektronischen anwaltlichen Treuhandbuches (eATHB) der Rechtsanwaltskammer Wien, beschlossen vom Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien am 13. Juni 2000, kundgemacht mit der Juni-Ausgabe der Kammernachrichten 2/2000, welche am 30. Juni 2000 an die Wiener Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte versandt wurde, sowie Pkt. 1. der Durchführungsbestimmungen gemäß §9b Abs2 RL-BA, beschlossen vom Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien am 30. Mai 2000, kundgemacht im Amtsblatt der Wiener Zeitung vom 13. Juni 2000 und mit der Juni-Ausgabe der Kammernachrichten 2/2000, welche am 30. Juni 2000 an die Wiener Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte versandt wurde, kostenpflichtig als gesetzwidrig aufzuheben.

2. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:

§37 Rechtsanwaltsordnung (RAO) idF BG BGBl. I 71/1999 lautet:

"Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag kann Richtlinien erlassen

1. zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs;

2., 2a. ...

2b. für die Festlegung von Pflichten im Zusammenhang mit der Übernahme und Durchführung von Treuhandschaften, insbesondere von Melde-, Auskunfts- und Versicherungspflichten, sowie für die Schaffung und Führung von verbindlichen Einrichtungen, die der Sicherung und Überwachung der Erfüllung dieser Pflichten dienen und die auch mittels automationsunterstütztem Datenverkehr geführt werden können;

3. - 6. ..."

Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) hat gemäß §37 Z2b RAO den Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977) mit Beschluß vom 17. September 1999, kundgemacht im Amtsblatt der Wiener Zeitung vom 28. September 1999 sowie im Anwaltsblatt 1999, 620, §9b mit folgendem Wortlaut eingefügt:

"(1) Die Rechtsanwaltskammern haben bis 30. Juni 2000 Einrichtungen zu schaffen, die der Sicherung und Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes, insbesondere von Melde-, Auskunfts- und Versicherungspflichten im Zusammenhang mit der Übernahme und Durchführung von vertraglich übernommenen Treuhandschaften, in deren Rahmen der Rechtsanwalt den Auftrag zur Verwahrung und späteren Ausfolgung eines bei ihm hinterlegten Geldbetrages für den Fall des Eintrittes einer oder mehrerer Bedingungen an einen oder mehrere, ihm als Begünstigte genannte Dritte übernimmt und durchführt, dienen.

Von dem vorstehend definierten Begriff jedenfalls nicht umfaßt sind

a) Treuhanderläge, die den Betrag von 500.000 S nicht überschreiten,

b) Treuhanderläge, die für die Entrichtung von Gerichtsgebühren oder von Steuern oder Abgaben gewidmet sind, sowie

c) die Entgegennahme von Geldbeträgen im Rahmen einer Forderungsbetreibung oder Prozeßführung und

d) die Verwaltung von Vermögen und die Tätigkeit als Ausgleichs- oder Masseverwalter.

(2) Diese Einrichtungen können auch mittels automationsunterstütztem Datenverkehr geführt werden und haben jedenfalls vorzusehen, daß

a) der Rechtsanwalt eine übernommene Treuhandschaft selbständig ausüben können muß,

b) dem Rechtsanwalt die Übernahme von Bürgschaften, Darlehens- und Kreditgewährungen in diesem Zusammenhang untersagt ist,

c) der Treuhandvertrag schriftlich abzuschließen ist,

d) der Rechtsanwalt Beginn und Beendigung der Treuhandschaft der Einrichtungen zu melden hat,

e) der Rechtsanwalt das treuhandanderkontoführende Kreditinstitut zu ermächtigen und zu beauftragen hat, Duplikate der Kontoauszüge und der Überweisungsträger an den/die Treugeber zu übermitteln,

f) der Rechtsanwalt sich anteilig an der Prämie einer von seiner Rechtsanwaltskammer abgeschlossenen Vertrauensschadenversicherung zu beteiligen hat und

g) der Rechtsanwalt verpflichtet ist, der Einrichtung die Überprüfung der ordnungsgemäßen Abwicklung der von ihm übernommenen Treuhandschaft zu ermöglichen, daran mitzuwirken und sich von seinem Auftraggeber in diesem Umfang von seiner Verschwiegenheitsverpflichtung entbinden zu lassen.

Darüber hinaus können diese Einrichtungen vorsehen, daß

h) der in Abs1 lita) festgesetzte Höchstbetrag jener Treuhanderläge, die nicht von dem in Abs1 definierten Begriff umfaßt sind, in geringerer Höhe festgesetzt wird;

i) der Rechtsanwalt auch laufende Verfügungen über den Treuhanderlag der Einrichtung zu melden hat;

j) der Rechtsanwalt das treuhandanderkontoführende Kreditinstitut zu ermächtigen und zu beauftragen hat, Duplikate der Kontoauszüge und der Überweisungsträger auch an Begünstigte und an die Einrichtung zu übermitteln und

k) der Rechtsanwalt verpflichtet ist, seinem Klienten bzw. dem Treugeber die Statuten bzw. Bestimmungen der Einrichtungen nachweislich zur Kenntnis zu bringen.

(3) Ein Rechtsanwalt, der Treuhandschaften im Sinne des Abs1 übernimmt und durchführt, hat diese ausschließlich nach Maßgabe der Bestimmungen der von seiner Rechtsanwaltskammer geschaffenen Einrichtung zu übernehmen und durchzuführen.

(4) Diese Verpflichtung des Rechtsanwaltes gemäß Abs3 entfällt dann, wenn der Treugeber des Rechtsanwaltes diesem gegenüber die Abwicklung der Treuhandschaft im Rahmen der geschaffenen Einrichtung ausdrücklich und schriftlich ablehnt, obwohl ihm nachweislich zur Kenntnis gebracht wurde, daß sohin die Kontrolle der Abwicklung der Treuhandschaft durch die Einrichtung sowie ein allenfalls bestehender Versicherungsschutz entfällt."

Mit Beschluß des ÖRAK vom 21. September 2001, kundgemacht im Amtsblatt der Wiener Zeitung vom 27. September 2001 sowie im Anwaltsblatt 2001, 597, wurde in §9b Abs1 lita RL-BA 1977 der Betrag von "S 500.000,-" durch den Betrag von "Euro 40.000,-" mit Wirkung ab dem 1. Jänner 2002 ersetzt.

2.1. Aufgrund §9b RL-BA 1977 hat der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien (im folgenden RAK Wien) die Bestimmungen über die Abwicklung von Treuhandschaften im Rahmen des Anwaltlichen Treuhandbuches (eATHB) der Rechtsanwaltskammer Wien (im folgenden "Bestimmungen") am 13. Juni 2000 beschlossen und den Wiener Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten mit der Juni-Ausgabe der Kammernachrichten (KN 2/00), welche am 30. Juni 2000 versandt wurde, zur Kenntnis gebracht.

Die "Bestimmungen" in der Fassung vom 13. Juni 2000 lauten (die angefochtenen Teile sind hervorgehoben):

"0. PRÄAMBEL

0.1. Auf Grundlage des §37 Zif. 2 b RAO i.d.F. BGBl. I 1999/71 und in Umsetzung der Bestimmung des §9b der Richtlinien für die Berufsausübung (RL-BA 1977) hat die Rechtsanwaltskammer Wien eine Einrichtung für die Sicherung und Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes im Zusammenhang mit der Übernahme und Durchführung von vertraglich übernommenen Treuhandschaften, das elektronische Anwaltliche Treuhandbuch (eATHB), geschaffen.

0.2. Jeder Rechtsanwalt ist verpflichtet, die für die Abwicklung von Treuhandschaften im Sinne der vorstehenden Bestimmungen erforderlichen technischen Vorkehrungen bis 30.6.2000 zu schaffen.

0.3. Ab 1.7.2000 ist die Abwicklung von Treuhandschaften durch Rechtsanwälte nur mehr auf elektronischem Wege zulässig.

0.4. Der Rechtsanwalt hat jenes Kreditinstitut/jene Kreditinstitute (Lizenzbanken), bei dem/denen er das für den jeweiligen Treuhanderlag gesondert geführte elektronisch gesicherte Rechtsanwaltsanderkonto eröffnet, nachweislich zu beauftragen, ihm nach jeder Buchung auf elektronischem Weg einen Kontoauszug zu übermitteln.

1. DEFINITIONEN

1.1. Unter 'vertraglich übernommenen Treuhandschaften', in der Folge nur 'Treuhandschaften' genannt, sind alle entgeltlichen oder unentgeltlichen Mandatsverträge, in deren Rahmen der Rechtsanwalt den ausdrücklichen schriftlichen Auftrag zur Verwahrung und späteren Ausfolgung eines bei ihm hinterlegten Geldbetrages für den Fall des Eintritts ein oder mehrerer vorher bestimmter Bedingungen an einen oder mehrere jeweils begünstigte genannte Dritte übernimmt, zu verstehen.

1.2. Von dem vorstehend definierten Begriff jedenfalls nicht umfaßt sind:

1.2.1. Treuhanderläge, die den Betrag von € 15.000,-

(ATS 206.400,-) nicht überschreiten,

1.2.2. die Verwaltung von Vermögen und die Tätigkeit als Ausgleichs- und Masseverwalter,

1.2.3. Treuhanderläge, die für die Entrichtung von Gerichtsgebühren, Grunderwerbsteuer oder Honorar gewidmet sind,

1.2.4. die Entgegennahme von Geldbeträgen im Rahmen einer Forderungsbetreibung oder einer Prozeßführung.

1.3. Elektronisch gesicherte Rechtsanwaltsanderkonten, in der Folge kurz 'Anderkonten' genannt, sind solche Konten, die bei den Lizenzbanken ausschließlich für die Abwicklung von Treuhandschaften im Rahmen des eATHB geführt werden und die einen besonderen Sicherheitsstandard (Verfügungen werden nur bei Vorhandensein eines elektronischen Sigels und zugunsten eines auf Namen lautenden Girokontos durchgeführt) aufweisen.

1.4. Lizenzbanken sind jene inländischen Kreditinstitute, die mit dem Lizenzgeber des eATHB, der Creditanstalt AG, einen Lizenzvertrag abgeschlossen und die technischen Möglichkeiten für die Abwicklung von Überweisungen im Rahmen des eATHB geschaffen haben.

1.5. Die mit Beilagenbezeichnungen versehenen Formulare befinden sich im Anhang zu diesen Bestimmungen.

2. TECHNISCHE VORAUSSETZUNGEN

2.1. Die Erfordernisse für die Hardware entsprechen den durch - per 31.1.1999 in Kraft getretenen - §42a der RL-BA 1977 festgelegten Einrichtungen.

2.2. An Software ist ein Elektronic-Banking-Software-Paket eines österreichischen Kreditinstitutes sowie das Treuhandmodul des eATHB erforderlich. Das Treuhandmodul hat eine Schnittstelle zu sämtlichen Elektronic-Banking-Systemen der Lizenzbanken und wird dem Rechtsanwalt von der Rechtsanwaltskammer Wien kostenlos in Form einer CD-Rom (zuzüglich eines Handbuches) zur Verfügung gestellt.

3. TECHNISCHE ABWICKLUNG

3.1. Der Rechtsanwalt hat bei den Linzenzbanken, derer er sich für die Abwicklung von Treuhandschaften bedient, Anderkonten zu reservieren und diese Banken zu beauftragen, dem eATHB eine Liste dieser Konten zu übermitteln.

3.2. Das eATHB bestätigt anläßlich der erstmaligen Meldung dieser Konten unverzüglich die Aktivierung des Rechtsanwaltes im System des eATHB und teilt dem Rechtsanwalt die - forlaufend vergebene - Mitgliedsnummer mit. Die Zustellung dieser schriftlichen Bestätigung an den Rechtsanwalt hat nachweislich zu erfolgen.

3.3. Die Übernahme einer Treuhandschaft ist dem eATHB elektronisch und mit dem Formular./1 zu melden. Das eATHB bestätigt unverzüglich dem Rechtsanwalt, dem/den Treugeber/Treugebern und dem/den in der Meldung genannten begünstigten Vertragspartner/Vertragspartnern den Erhalt dieser Meldung und die darin genannten Daten mit den Formularen ./2 bis ./5.

3.4. Für jeden Treuhanderlag ist ein gesondertes Anderkonto zu führen.

3.5. Anläßlich der Unterfertigung des im Zusammenhang mit der Treuhandschaft stehenden Vertrages ist das Formular ./1 von dem/den begünstigten Vertragspartner/Vertragspartnern zu unterfertigen und letzteres vom Rechtsanwalt dem eATHB nachweislich auf dem Postwege zu übermitteln. Nach Erhalt dieser Bestätigung wird die Verfügung über das Anderkonto freigegeben.

3.6. Verfügungen über das vorgenannte Anderkonto sind ab diesem Zeitpunkt nach vorheriger Prüfung durch das eATHB und ausschließlich zugunsten eines auf Namen lautenden Girokontos des/der Begünstigten möglich.

4. AUSNAHMEN

4.1. Untersagen/untersagt die/der Auftraggeber dem Rechtsanwalt die Abwicklung der Treuhandschaft im Rahmen des eATHB ('anonymisierte' Treuhandschaft), hat er eine Untersagungserklärung zu unterfertigen. Für diese Untersagung ist ausschließlich das Formular ./7 zu verwenden.

4.2. In diesem Fall hat der Rechtsanwalt lediglich die Übernahme der Treuhandschaft unter Beschränkung der bekannt gegebenen Daten auf das Datum der Übernahme und die Erledigungsfrist auf elektronischem Wege zu melden und die Untersagungserklärung ./7 dem eATHB unter Verwendung des Formulars ./6 auf dem Postwege nachweislich und unverzüglich zu übermitteln. Die Erledigung der Treuhandschaft ist unverzüglich auf schriftlichem Wege dem eATHB zu melden.

5. VERSICHERUNG

5.1. Die RAK Wien hat eine gesonderte Vertrauensschadensversicherung mit einer Deckungssumme von ATS 100 Millionen (€ 7.267.283,41), dreimal pro Versicherungsjahr zur Verfügung stehend, für alle (nicht 'anonymisierten') im Rahmen des eATHB abgewickelten Treuhandschaften abgeschlossen. Die Versicherungsdeckung beginnt mit der Gutschrift des Treuhandbetrages auf dem Anderkonto.

6. HONORAR

...

7. SCHLUSSKLAUSEL

..."

2.2. Die Durchführungsbestimmungen gemäß §9b Abs2 RL-BA (im folgenden Durchführungsbestimmungen), beschlossen vom Ausschuß der RAK Wien in seiner Sitzung vom 30. Mai 2000, kundgemacht im Amtsblatt der Wiener Zeitung vom 13. Juni 2000 und mit der Juni-Ausgabe der Kammernachrichten 2/2000, lauten (der angefochtene Teil ist hervorgehoben):

"1. Der Höchstbetrag jener Treuhanderläge, die nicht von dem in Absatz 1 definierten Begriff umfaßt sind, wird von der Rechtsanwaltskammer Wien mit € 15.000,- (ATS 206.400,-) festgesetzt.

2. Der Rechtsanwalt hat der Einrichtung (elektronisches Anwaltliches Treuhandbuch) auch laufende Verfügungen über den Treuhanderlag zu melden, sofern die Übernahme des Treuhandauftrages nach dem 1. Juli 2000 erfolgt ist.

3. Der Rechtsanwalt hat das Treuhand-Anderkonto-führende Kreditinstitut zu ermächtigen und zu beauftragen, ihm elektronische Kontoauszüge zu übermitteln, welche er über das Treuhandmodul an die Einrichtung (eATHB) weiterzuleiten hat.

4. Auf die Bestimmung des §1 a Abs6 RAO wird verwiesen."

2.3. Am 10. Oktober 2000 beschloß der Ausschuß der RAK Wien in Punkt 4.2. der "Bestimmungen" den ersatzlosen Entfall des zweiten Halbsatzes.

"und die Untersagungserklärung ./7 dem eATHB unter Verwendung des Formulars ./6 auf dem Postwege nachweislich und unverzüglich zu übermitteln"

Weiters wurde im ersten Halbsatz dieser Bestimmung das Wort "elektronischem" durch "schriftlichem" ersetzt.

Pkt. 4.2. in der novellierten Fassung lautet:

"In diesem Fall hat der Rechtsanwalt lediglich die Übernahme der Treuhandschaft unter Beschränkung der bekanntgegebenen Daten auf das Datum der Übernahme und die Erledigungsfrist auf schriftlichem Wege zu melden.

Die Erledigung der Treuhandschaft ist unverzüglich auf schriftlichem Wege dem eATHB zu melden."

Die Verlautbarung des Beschlusses und der "Bestimmungen" in dieser novellierten Fassung erfolgte mit der November-Ausgabe der Kammernachrichten (KN 3/00), die am 28. November 2000 an die Wiener Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte versandt wurde. Die "Bestimmungen" werden nunmehr als "Fassung 10.10.2000" bezeichnet.

3. Die Antragsteller verweisen zu ihrer Antragslegitimation darauf, daß sie in der Liste der Rechtsanwaltskammer Wien eingetragene Rechtsanwälte sind. Durch die angefochtenen Bestimmungen würden ihnen Rechtspflichten auferlegt, die unmittelbar und aktuell in ihre Rechtssphäre eingriffen, ohne daß es hiefür einer behördlichen Entscheidung bedürfe. Für den Fall eines Zuwiderhandelns müßten sie mit der Verhängung von Verwaltungs- und Disziplinarstrafen rechnen. Es stehe ihnen auch kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, um sich gegen diese als rechtswidrig anzusehenden Bestimmungen zur Wehr setzen zu können.

3.1. Gegen die angefochtenen Verordnungen hegen sie im wesentlichen das Bedenken, daß sie von einer unzuständigen Behörde - nämlich der RAK Wien - erlassen wurden.

Die RAK sei zwar befugt, im Einzelfall Weisungen an ihre Mitglieder zu erteilen. Zur Erlassung genereller Rechtsakte, wie der gegenständlichen Verordnungen, sei sie jedoch nicht befugt und somit keine zur Verordnungserlassung befugte Behörde im Sinne des §37 RAO. Aus denselben Gründen sei der Ausschuß der RAK Wien ebensowenig berechtigt, eine Verordnung zu erlassen.

Der an sich zur Verordnungserlassung gemäß §37 RAO kompetente ÖRAK sei hingegen nicht befugt, die Verordnungserlassung an ein unbefugtes Organ zu delegieren.

Die Richtlinienkompetenz des ÖRAK sei zwar gesetzlich in §37 Z2b RAO auf die Festlegung von Pflichten im Zusammenhang mit der Übernahme und Durchführung von Treuhandschaften sowie für die Schaffung und Führung von verbindlichen Einrichtungen, die der Sicherung und Überwachung der Erfüllung dieser Pflichten dienten und die auch mittels automationsunterstütztem Datenverkehr geführt werden könnten, durch Art1 Z20 BG BGBl. I 71/1999 erweitert worden; die dazu notwendige Kompetenzzuweisung an die Plenarversammlung der Rechtsanwaltskammer, um diese Richtlinie des österreichischen Kammertages umzusetzen, sei jedoch in §27 RAO ebenso unterblieben wie die Zuweisung der zum Vollzug notwendigen Maßnahmen (Führung des elektronischen anwaltlichen Treuhandbuches eATHB beispielsweise) an den Ausschuß in §28 RAO. Die unmittelbare Umsetzung der vom ÖRAK auf der Grundlage des §37 Z2b RAO erlassenen Bestimmung des §9b RL-BA 1977 durch die einzelnen Rechtsanwaltskammern sei demnach ohne Änderung der RAO in den genannten Kompetenznormen für die Plenarversammlung (§27) und für den Ausschuß (§28) nicht möglich. Demnach seien die bisher in der RAK Wien herausgegebenen "Bestimmungen" ohne Zuständigkeitsgrundlage erlassen worden und deshalb nichtig.

3.2. Weiters wird kurz zusammengefaßt vorgebracht, die angefochtenen Bestimmungen würden die Bestimmungen des §9b RL-BA 1977 verschärfen.

Pkt. 1.2.1. der "Bestimmungen" sowie Pkt. 1. des kundgemachten Beschlusses der RAK Wien vom 30. Mai 2000 würden beispielsweise vorsehen, daß Treuhanderläge unter S 206.400,- nicht gemeldet werden müßten. Damit werde jedoch die als Verordnung anzusehende Bestimmung des §9b Abs1 RL-BA 1977 geändert. Obwohl eine solche Änderung in §9b Abs2 lith RL-BA 1977 vorgesehen sei, könne eine Verordnung rechtswirksam nur durch die zur Verordnungserlassung zuständige Behörde, nämlich den ÖRAK, modifiziert werden.

Die Übertragung einer Änderungsbefugnis an einen nicht zuständigen Dritten sei rechtswidrig.

Pkt. 4.1. der "Bestimmungen" sehe für das Abgehen von einer Meldung einer Treuhandschaft nur die Möglichkeit einer unterfertigten Untersagungserklärung vor, für welche ausschließlich das Formular ./7 zu verwenden sei. Gemäß Pkt. 4.2. der "Bestimmungen" sei diese Untersagungserklärung samt Unterschrift des Treugebers und der weiteren im Formular ./6 anzugebenden Daten ebenfalls dem elektronischen anwaltlichen Treuhandbuch zu übermitteln. Hingegen sehe §9b Abs4 RL-BA 1977 lediglich eine "Ablehnung" vor.

Durch die angefochtenen Bestimmungen werde das Recht des Mandanten auf Geheimhaltung der seinem Anwalt überlassenen Informationen sowie das Recht auf Schutz seiner eigenen personenbezogenen Daten beeinträchtigt. Es werde durch die angefochtenen Regelungen auch übermäßig in die verfassungsrechtlich gewährleistete Erwerbsfreiheit durch die völlig undifferenzierte Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht eingegriffen.

3.3. Im übrigen rügen die Antragsteller, die angefochtenen Verordnungsstellen verstießen auch gegen das Gleichheitsgebot.

4. Die RAK Wien als verordnungserlassende Behörde hat eine Äußerung erstattet und den auf die angefochtenen Verordnungen bezughabenden Akt in Auszügen vorgelegt.

Die RAK Wien zieht die Antragslegitimation der Antragsteller unter Hinweis auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 9430; richtig 9470/1980) und den Umstand, daß den Antragstellern die Einholung einer Weisung zumutbar gewesen wäre - ohne dies näher auszuführen -, in Zweifel. Im übrigen weist sie darauf hin, daß die zum Zeitpunkt der Antragstellung vorliegende "Fassung 10. Oktober 2000" der "Bestimmungen" bei "anonymen Treuhandschaften" eine Verpflichtung zur Bekanntgabe des Namens des Treugebers durch den Rechtsanwalt nicht vorsehe, verteidigt die angefochtenen Verordnungsbestimmungen und beantragt die Abweisung des Antrages.

II. Die Anträge sind unzulässig.

1. Gemäß §57 Abs1 VGG sind in einem Antrag auf Aufhebung von Verordnungsbestimmungen als gesetzwidrig die gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnungsstelle sprechenden Bedenken im einzelnen darzulegen. Wird ein solcher Antrag von einer Person gestellt, die unmittelbar durch die Gesetzwidrigkeit einer Verordnungsbestimmung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, so ist auch darzutun, inwieweit die Verordnungsbestimmung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für sie wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist sohin, daß die Verordnung in die Rechtssphäre der betreffenden Person aktuell eingreift und diese im Falle einer Gesetzwidrigkeit verletzt und dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht.

Die Antragsteller fechten ausdrücklich nur die Pkte. 1.1., 1.2., 1.2.1., 4.1. und 4.2. der "Bestimmungen" idF vom 13. Juni 2000 sowie Pkt. 1. der Durchführungsbestimmungen an. Ihr Antrag enthält aber überhaupt keine Darlegungen, warum gerade die angefochtenen Bestimmungen - und nur diese - sie in ihrer Rechtssphäre aktuell belasten.

Der Antrag war daher allein schon aus diesem Grunde als unzulässig zurückzuweisen.

Im übrigen weist der Verfassungsgerichtshof darauf hin, daß Pkt. 4.2. der "Bestimmungen" in der bekämpften Fassung vom 13. Juni 2000 nicht mehr dem Rechtsbestand angehört (s. Pkt. I.2.3.).

2. Bei diesem Ergebnis war nicht mehr darauf einzugehen, ob - wie von der belangten Behörde angedeutet - für die Antragsteller allenfalls ein zumutbarer Umweg zur Verfügung steht, um die Bedenken gegen die angefochtenen Verordnungsstellen an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

3. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Berufsrecht, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Individualantrag, VfGH / Bedenken

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:V94.2000

Dokumentnummer

JFT_09978789_00V00094_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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