TE OGH 2006/10/10 14Os97/06f

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Veröffentlicht am 10.10.2006
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Oktober 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Roland als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Brigitte Elisabeth S***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft und die Berufungen der Angeklagten sowie des Privatbeteiligten Peter S***** gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Salzburg vom 28. März 2006, GZ 38 Hv 48/05a-96, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiss, der Angeklagten und ihres Verteidigers Dr. Lechenauer zu Recht erkannt:Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Oktober 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Roland als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Brigitte Elisabeth S***** wegen des Verbrechens des Mordes nach Paragraph 75, StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft und die Berufungen der Angeklagten sowie des Privatbeteiligten Peter S***** gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Salzburg vom 28. März 2006, GZ 38 Hv 48/05a-96, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiss, der Angeklagten und ihres Verteidigers Dr. Lechenauer zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht Salzburg verwiesen. Mit ihren Berufungen werden die Angeklagte und der Privatbeteiligte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Brigitte Elisabeth S***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen - abweichend von der wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB erhobenen Anklage - des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB schuldig erkannt. Danach hat sie sich am 11. Oktober 2004 in Saalfelden in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, ihre am 13. November 1998 geborene Tochter Sarah S***** (dadurch zu töten), dass sie diese zunächst mittels einer um den Hals gelegten Sprungschnur zu erdrosseln versuchte, anschließend in das Bad schleppte, in die zuvor mit Wasser befüllte Badewanne legte und ihren Kopf bis zum Eintritt des Ertrinkungstodes unter das Wasser hielt.Mit dem angefochtenen Urteil wurde Brigitte Elisabeth S***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen - abweichend von der wegen des Verbrechens des Mordes nach Paragraph 75, StGB erhobenen Anklage - des Verbrechens des Totschlags nach Paragraph 76, StGB schuldig erkannt. Danach hat sie sich am 11. Oktober 2004 in Saalfelden in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, ihre am 13. November 1998 geborene Tochter Sarah S***** (dadurch zu töten), dass sie diese zunächst mittels einer um den Hals gelegten Sprungschnur zu erdrosseln versuchte, anschließend in das Bad schleppte, in die zuvor mit Wasser befüllte Badewanne legte und ihren Kopf bis zum Eintritt des Ertrinkungstodes unter das Wasser hielt.

Die Staatsanwaltschaft bekämpft dieses Urteil mit einer auf die Gründe der Z 6 und 12 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.Die Staatsanwaltschaft bekämpft dieses Urteil mit einer auf die Gründe der Ziffer 6 und 12 des Paragraph 345, Absatz eins, StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Die Fragenrüge (Z 6), welche sich gegen die Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags nach § 76 StGB richtet, ist berechtigt.Die Fragenrüge (Ziffer 6,), welche sich gegen die Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags nach Paragraph 76, StGB richtet, ist berechtigt.

Voraussetzung für Eventualfragen (§ 314 Abs 1 StPO) ist das Vorbringen von Tatsachen in der Hauptverhandlung, welche einen gegenüber der Anklage geänderten Sachverhalt und im Fall ihrer Bejahung die Basis für einen Schuldspruch wegen einer - anklagedifformen - gerichtlich strafbaren Handlung in den näheren Bereich der Möglichkeit rücken (Schindler, WK-StPO § 314 Rz 1). Essentielle Prämisse der gerügten Fragestellung wäre somit das Vorbringen von Tatsachen in der Hauptverhandlung gewesen, die das Vorliegen eines aus rechtlicher Sicht tiefgreifenden Affekts indizieren und diesen darüber hinaus als „allgemein begreiflich" erscheinen ließen. Denn unter einer heftigen Gemütsbewegung im Sinne des § 76 StGB ist ein vor allem durch äußere Gegebenheiten hervorgerufener, impulsiver und intensiver Erregungszustand der Gefühle von kurzer Dauer mit starken Handlungstendenzen und spürbaren körperlichen Begleiterscheinungen, die nicht der Willenskontrolle unterliegen, zu verstehen, der so mächtig ist, dass er die normale Motivationsfähigkeit der Gesamtpersönlichkeit und sogar starke sittliche Hemmungen gegen eine vorsätzliche Tötung ausschaltet (11 Os 22/05b, 15 Os 76/05y, Moos in WK2 § 76 Rz 12 ff; Kienapfel/Schroll BT I5 § 76 Rz 16 f). Nach dem Gesetzeswortlaut sind überdies nur Spontanreaktionen privilegiert, sodass sowohl Tatentschluss als auch Angriffshandlung wegen und während des Affekts erfolgen müssen (vgl Kienapfel/Schroll BT I5 § 76 Rz 18).Voraussetzung für Eventualfragen (Paragraph 314, Absatz eins, StPO) ist das Vorbringen von Tatsachen in der Hauptverhandlung, welche einen gegenüber der Anklage geänderten Sachverhalt und im Fall ihrer Bejahung die Basis für einen Schuldspruch wegen einer - anklagedifformen - gerichtlich strafbaren Handlung in den näheren Bereich der Möglichkeit rücken (Schindler, WK-StPO Paragraph 314, Rz 1). Essentielle Prämisse der gerügten Fragestellung wäre somit das Vorbringen von Tatsachen in der Hauptverhandlung gewesen, die das Vorliegen eines aus rechtlicher Sicht tiefgreifenden Affekts indizieren und diesen darüber hinaus als „allgemein begreiflich" erscheinen ließen. Denn unter einer heftigen Gemütsbewegung im Sinne des Paragraph 76, StGB ist ein vor allem durch äußere Gegebenheiten hervorgerufener, impulsiver und intensiver Erregungszustand der Gefühle von kurzer Dauer mit starken Handlungstendenzen und spürbaren körperlichen Begleiterscheinungen, die nicht der Willenskontrolle unterliegen, zu verstehen, der so mächtig ist, dass er die normale Motivationsfähigkeit der Gesamtpersönlichkeit und sogar starke sittliche Hemmungen gegen eine vorsätzliche Tötung ausschaltet (11 Os 22/05b, 15 Os 76/05y, Moos in WK2 Paragraph 76, Rz 12 ff; Kienapfel/Schroll BT I5 Paragraph 76, Rz 16 f). Nach dem Gesetzeswortlaut sind überdies nur Spontanreaktionen privilegiert, sodass sowohl Tatentschluss als auch Angriffshandlung wegen und während des Affekts erfolgen müssen vergleiche Kienapfel/Schroll BT I5 Paragraph 76, Rz 18).

Allgemein begreiflich ist ein derartiger Affektzustand nur dann, wenn ein mit den rechtlich geschützten Werten verbundener Mensch in der Lage des Täters beim gegebenen Anlass samt seiner Vorgeschichte in eine derartig heftige Gemütsbewegung geraten könnte (vgl Kienapfel/Schroll BT I5 § 76 Rz 26; Moos in WK2 § 76 Rz 26 ff), also dem Täter kein sittlicher Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er in diesen Erregungszustand geriet (Moos in WK2 § 76 Rz 31). Tatsachen, die auf den Ablauf eines solchen Affektsturmes hingewiesen hätten, hat die Angeklagte in der Hauptverhandlung jedoch nicht vorgebracht und haben sich auch nicht im Beweisverfahren ergeben. Der psychiatrische Sachverständige Univ. Prof. Dr. Reinhard H***** - der bei seinem Gutachten von der Verantwortung der Angeklagten ausging - gestand dieser zwar heftige Affekte in Form von Gekränktsein, Enttäuschung, Verzweiflung und Depressivität zu, nicht aber eine die Kontrollfunktionen ausschaltende Affektexplosion. Denn die Affekte - so der Gutachter - waren mehr von vorbestehenden als von unmittelbaren Regungen getragen, wobei der psychischen Unterminierung und Labilisierung ein höherer Stellenwert als einen momentanen Außer-sich-Geraten zukam. Dazu kommt, dass sich die Tat in mehreren Etappen über einen längeren Zeitraum erstreckte und Anforderungen an psychische Präsenz sowie an das Denk- und Urteilsvermögen stellte (S 489/I, S 486/II).Allgemein begreiflich ist ein derartiger Affektzustand nur dann, wenn ein mit den rechtlich geschützten Werten verbundener Mensch in der Lage des Täters beim gegebenen Anlass samt seiner Vorgeschichte in eine derartig heftige Gemütsbewegung geraten könnte vergleiche Kienapfel/Schroll BT I5 Paragraph 76, Rz 26; Moos in WK2 Paragraph 76, Rz 26 ff), also dem Täter kein sittlicher Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er in diesen Erregungszustand geriet (Moos in WK2 Paragraph 76, Rz 31). Tatsachen, die auf den Ablauf eines solchen Affektsturmes hingewiesen hätten, hat die Angeklagte in der Hauptverhandlung jedoch nicht vorgebracht und haben sich auch nicht im Beweisverfahren ergeben. Der psychiatrische Sachverständige Univ. Prof. Dr. Reinhard H***** - der bei seinem Gutachten von der Verantwortung der Angeklagten ausging - gestand dieser zwar heftige Affekte in Form von Gekränktsein, Enttäuschung, Verzweiflung und Depressivität zu, nicht aber eine die Kontrollfunktionen ausschaltende Affektexplosion. Denn die Affekte - so der Gutachter - waren mehr von vorbestehenden als von unmittelbaren Regungen getragen, wobei der psychischen Unterminierung und Labilisierung ein höherer Stellenwert als einen momentanen Außer-sich-Geraten zukam. Dazu kommt, dass sich die Tat in mehreren Etappen über einen längeren Zeitraum erstreckte und Anforderungen an psychische Präsenz sowie an das Denk- und Urteilsvermögen stellte (S 489/I, S 486/II).

Die Voraussetzungen für die Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags waren somit nicht gegeben, sodass der Schwurgerichtshof gegen die Vorschrift des § 314 Abs 1 StPO verstoßen hat. Da sich die Staatsanwaltschaft der Formverletzung widersetzt und sich die Nichtigkeitsbeschwerde vorbehalten hat (§ 345 Abs 4 StPO), sind die formellen Voraussetzungen für die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes nach § 345 Abs 1 Z 6 StPO zum Nachteil der Angeklagten gegeben.Die Voraussetzungen für die Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags waren somit nicht gegeben, sodass der Schwurgerichtshof gegen die Vorschrift des Paragraph 314, Absatz eins, StPO verstoßen hat. Da sich die Staatsanwaltschaft der Formverletzung widersetzt und sich die Nichtigkeitsbeschwerde vorbehalten hat (Paragraph 345, Absatz 4, StPO), sind die formellen Voraussetzungen für die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes nach Paragraph 345, Absatz eins, Ziffer 6, StPO zum Nachteil der Angeklagten gegeben.

Es erübrigt sich daher ein Eingehen auf die Subsumtionsrüge (Z 12). Demnach war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil aufzuheben und die Neudurchführung des Verfahrens anzuordnen.Es erübrigt sich daher ein Eingehen auf die Subsumtionsrüge (Ziffer 12,). Demnach war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil aufzuheben und die Neudurchführung des Verfahrens anzuordnen.

Mit ihren Berufungen waren die Angeklagte und der Privatbeteiligte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Anmerkung

E82362 14Os97.06f

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2006:0140OS00097.06F.1010.000

Dokumentnummer

JJT_20061010_OGH0002_0140OS00097_06F0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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