Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Oktober 2006 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. Solé als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bussek als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ilhan H***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2001/130 sowie weiterer strafbarer Handlungen, AZ 20 Vr 926/96 (nunmehr 20 Hv 12/04g) des Landesgerichtes Feldkirch, über den Antrag des Generalprokurators auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Betroffenen in nichtöffentlicher Sitzung denDer Oberste Gerichtshof hat am 24. Oktober 2006 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. Solé als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bussek als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ilhan H***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach Paragraph 201, Absatz eins, StGB in der Fassung vor BGBl römisch eins 2001/130 sowie weiterer strafbarer Handlungen, AZ 20 römisch fünf r 926/96 (nunmehr 20 Hv 12/04g) des Landesgerichtes Feldkirch, über den Antrag des Generalprokurators auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß Paragraph 363 a, StPO nach Anhörung der Betroffenen in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Antrag des Generalprokurators auf Erneuerung des Strafverfahrens wird Folge gegeben, das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 23. Mai 1997, GZ 20 Vr 926/96-31, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch I sowie demzufolge auch in den Strafaussprüchen aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur Erneuerung des Verfahrens an das Landesgericht Feldkirch verwiesen.Dem Antrag des Generalprokurators auf Erneuerung des Strafverfahrens wird Folge gegeben, das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 23. Mai 1997, GZ 20 römisch fünf r 926/96-31, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch römisch eins sowie demzufolge auch in den Strafaussprüchen aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur Erneuerung des Verfahrens an das Landesgericht Feldkirch verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem am 11. Februar 1998 in Rechtskraft erwachsenen (ON 43), auch weitere Schuldsprüche sowie einen (Teil-)Freispruch enthaltenden Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 23. Mai 1997 (ON 31) wurden die Angeklagten Ilhan H*****, Mevlüt H*****, Rahime H***** und Mustafa H***** - soweit für das Erneuerungsverfahren von Bedeutung - des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2001/130 schuldig erkannt (I).Mit dem am 11. Februar 1998 in Rechtskraft erwachsenen (ON 43), auch weitere Schuldsprüche sowie einen (Teil-)Freispruch enthaltenden Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 23. Mai 1997 (ON 31) wurden die Angeklagten Ilhan H*****, Mevlüt H*****, Rahime H***** und Mustafa H***** - soweit für das Erneuerungsverfahren von Bedeutung - des Verbrechens der Vergewaltigung nach Paragraph 201, Absatz eins, StGB in der Fassung vor BGBl römisch eins 2001/130 schuldig erkannt (römisch eins).
Danach haben sie am 22. Juli 1996 in Vorarlberg im einverständlichen Zusammenwirken Fadime D***** auf im Urteilstenor detailliert angeführte Art und Weise mit schwerer, gegen sie gerichteter Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit sowie durch gegen sie gerichtete Drohungen mit gegenwärtiger schwerer Gefahr für Leib oder Leben zur Vornahme des Beischlafs mit Ilhan H***** genötigt.
Rechtliche Beurteilung
Der diesem Schuldspruch zugrunde liegende Anklagevorwurf war auf das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB idF vor BGBl I 2001/130 gerichtet gewesen (ON 20), eine Anhörung der Parteien zu dem insoweit geänderten rechtlichen Gesichtspunkt (§ 262 erster Satz StPO) hat nicht stattgefunden (ON 30).Der diesem Schuldspruch zugrunde liegende Anklagevorwurf war auf das Verbrechen der Vergewaltigung nach Paragraph 201, Absatz 2, StGB in der Fassung vor BGBl römisch eins 2001/130 gerichtet gewesen (ON 20), eine Anhörung der Parteien zu dem insoweit geänderten rechtlichen Gesichtspunkt (Paragraph 262, erster Satz StPO) hat nicht stattgefunden (ON 30).
Mit Erkenntnis vom 20. April 2006 (Application no. 42780/98) stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine durch die Vorgangsweise des Landesgerichtes Feldkirch im Verfahren AZ 20 Vr 926/96 erfolgte Verletzung des Art 6 Abs 3 lit a und lit b MRK iVm Art 6 Abs 1 MRK fest, weil das Gericht bei der Ausübung seines Rechts auf Umqualifizierung der inkriminierten Handlungen seiner Verpflichtung, den Angeklagten die Möglichkeit zur Wahrnehmung ihres Rechts auf diesbezügliche Verteidigung in einer praktikablen und wirksamen Weise sowie in angemessener Zeit zu gewähren, nicht nachgekommen ist. Aufgrund des Fehlens einer realen Möglichkeit, diesen Mangel zu einem späteren Verfahrenszeitpunkt zu beseitigen, seien die Angeklagten an der wirksamen Ausübung ihrer Verteidigungsrechte behindert worden.Mit Erkenntnis vom 20. April 2006 (Application no. 42780/98) stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine durch die Vorgangsweise des Landesgerichtes Feldkirch im Verfahren AZ 20 römisch fünf r 926/96 erfolgte Verletzung des Artikel 6, Absatz 3, Litera a und Litera b, MRK in Verbindung mit Artikel 6, Absatz eins, MRK fest, weil das Gericht bei der Ausübung seines Rechts auf Umqualifizierung der inkriminierten Handlungen seiner Verpflichtung, den Angeklagten die Möglichkeit zur Wahrnehmung ihres Rechts auf diesbezügliche Verteidigung in einer praktikablen und wirksamen Weise sowie in angemessener Zeit zu gewähren, nicht nachgekommen ist. Aufgrund des Fehlens einer realen Möglichkeit, diesen Mangel zu einem späteren Verfahrenszeitpunkt zu beseitigen, seien die Angeklagten an der wirksamen Ausübung ihrer Verteidigungsrechte behindert worden.
Der Gerichtshof wies insbesondere darauf hin, dass Art 6 Abs 3 lit a MRK dem Angeklagten das Recht zusichert, nicht nur über die ihm angelasteten Taten, sondern auch über deren rechtliche Charakteristik in Kenntnis gesetzt zu werden. Dies sei eine wesentliche Voraussetzung für die Gewährleistung eines fairen Verfahrens. Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen dieser Informationspflicht und dem Recht des Angeklagten auf Vorbereitung seiner Verteidigung (Art 6 Abs 3 lit b MRK) müssen die erforderlichen Informationen entweder in der Anklageschrift oder zumindest im Zuge des Erkenntnisverfahrens konkret erteilt werden. Der bloße Hinweis auf die abstrakte Möglichkeit einer von der Anklage abweichenden rechtlichen Qualifikation durch das erkennende Gericht sei nicht ausreichend.Der Gerichtshof wies insbesondere darauf hin, dass Artikel 6, Absatz 3, Litera a, MRK dem Angeklagten das Recht zusichert, nicht nur über die ihm angelasteten Taten, sondern auch über deren rechtliche Charakteristik in Kenntnis gesetzt zu werden. Dies sei eine wesentliche Voraussetzung für die Gewährleistung eines fairen Verfahrens. Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen dieser Informationspflicht und dem Recht des Angeklagten auf Vorbereitung seiner Verteidigung (Artikel 6, Absatz 3, Litera b, MRK) müssen die erforderlichen Informationen entweder in der Anklageschrift oder zumindest im Zuge des Erkenntnisverfahrens konkret erteilt werden. Der bloße Hinweis auf die abstrakte Möglichkeit einer von der Anklage abweichenden rechtlichen Qualifikation durch das erkennende Gericht sei nicht ausreichend.
Aufgrund dieses Erkenntnisses beantragte der Generalprokurator die Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO.Aufgrund dieses Erkenntnisses beantragte der Generalprokurator die Erneuerung des Strafverfahrens gemäß Paragraph 363 a, StPO.
Ausgehend von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind die Voraussetzungen für die Erneuerung des Strafverfahrens gegeben, weil nicht auszuschließen ist, dass die darin als konventionswidrig erachtete Vorgangsweise, die Parteien nicht über die geänderten rechtlichen Gesichtspunkte zu hören, einen für die Angeklagten nachteiligen Einfluss auf den Inhalt der sie betreffenden strafgerichtlichen Entscheidung ausüben konnte (§ 363a Abs 1 StPO).Ausgehend von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind die Voraussetzungen für die Erneuerung des Strafverfahrens gegeben, weil nicht auszuschließen ist, dass die darin als konventionswidrig erachtete Vorgangsweise, die Parteien nicht über die geänderten rechtlichen Gesichtspunkte zu hören, einen für die Angeklagten nachteiligen Einfluss auf den Inhalt der sie betreffenden strafgerichtlichen Entscheidung ausüben konnte (Paragraph 363 a, Absatz eins, StPO).
Wenngleich das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 23. Mai 1997 (ON 31) von den Rechtsmittelgerichten bestätigt worden ist (ON 38, 43), war die Sache gemäß § 363c Abs 2 StPO an das Erstgericht zu verweisen, weil die Grundrechtsverletzung ursprünglich vor diesem aufgetreten ist (Reindl, WK-StPO § 363c Rz 8).Wenngleich das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 23. Mai 1997 (ON 31) von den Rechtsmittelgerichten bestätigt worden ist (ON 38, 43), war die Sache gemäß Paragraph 363 c, Absatz 2, StPO an das Erstgericht zu verweisen, weil die Grundrechtsverletzung ursprünglich vor diesem aufgetreten ist (Reindl, WK-StPO Paragraph 363 c, Rz 8).
Durch die Aufhebung des Schuldspruchs I des Ersturteils sowie der Strafaussprüche und die darauf bezogene Anordnung der Verfahrenserneuerung ist auch allen darauf basierenden Verfahrensschritten, insbesonders der Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 11. Februar 1998 (ON 43) und dem jenen Schuldspruch betreffenden Teil des Erkenntnisses des Obersten Gerichtshofes vom 2. Dezember 1997 (ON 38) der Boden entzogen (vgl 14 Os 82/05y, 15 Os 109/05a).Durch die Aufhebung des Schuldspruchs römisch eins des Ersturteils sowie der Strafaussprüche und die darauf bezogene Anordnung der Verfahrenserneuerung ist auch allen darauf basierenden Verfahrensschritten, insbesonders der Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 11. Februar 1998 (ON 43) und dem jenen Schuldspruch betreffenden Teil des Erkenntnisses des Obersten Gerichtshofes vom 2. Dezember 1997 (ON 38) der Boden entzogen vergleiche 14 Os 82/05y, 15 Os 109/05a).
Das Begehren der Verurteilten, das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch zur Gänze aufzuheben, geht fehl, weil dieses nur hinsichtlich des Schuldspruchs I vom Erneuerungsantrag umfasst und solcherart auch lediglich in diesem Umfang Gegenstand der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes ist.Das Begehren der Verurteilten, das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch zur Gänze aufzuheben, geht fehl, weil dieses nur hinsichtlich des Schuldspruchs römisch eins vom Erneuerungsantrag umfasst und solcherart auch lediglich in diesem Umfang Gegenstand der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes ist.
Mit ihrem weiteren Vorbringen sind die Verurteilten auf das erneuerte Verfahren zu verweisen, wobei zur Problematik der Bindung an die Anträge des Anklägers auf § 262 StPO hingewiesen und in Bezug auf den Verjährungseinwand festgehalten wird, dass nach ständiger Judikatur ab Rechtskraft eines über die Tat gefällten verurteilenden Erkenntnisses für die Dauer dessen Bestandes der Fortlauf der Verfolgungs-Verjährungsfrist (schon begrifflich) ausgeschlossen ist (RIS-Justiz RS0091817 und RS0091834); dies gilt auch im Fall der Erneuerung des Strafverfahrens nach §§ 363a ff StPO. Im erneuerten Verfahren wird die mit dem StRÄG 2004, BGBl I 2004/15 erfolgte Neufassung des § 201 StGB zu beachten und iSd §§ 1, 61 StGB vorzugehen sein (Art VII StRÄG 2004); gegebenenfalls ist § 262 StPO Rechnung zu tragen. Allenfalls zu verhängende Strafen dürfen nicht strenger ausgemessen werden, als das frühere Urteil ausgesprochen hat (§ 363b Abs 3 letzter Satz StPO), wobei die Probezeit einer im erneuerten Verfahren bedingt nachgesehenen Sanktion gegebenenfalls nicht von neuem zu laufen beginnt (13 Os 106/03; Ratz, WK-StPO § 290 Rz 55).Mit ihrem weiteren Vorbringen sind die Verurteilten auf das erneuerte Verfahren zu verweisen, wobei zur Problematik der Bindung an die Anträge des Anklägers auf Paragraph 262, StPO hingewiesen und in Bezug auf den Verjährungseinwand festgehalten wird, dass nach ständiger Judikatur ab Rechtskraft eines über die Tat gefällten verurteilenden Erkenntnisses für die Dauer dessen Bestandes der Fortlauf der Verfolgungs-Verjährungsfrist (schon begrifflich) ausgeschlossen ist (RIS-Justiz RS0091817 und RS0091834); dies gilt auch im Fall der Erneuerung des Strafverfahrens nach Paragraphen 363 a, ff StPO. Im erneuerten Verfahren wird die mit dem StRÄG 2004, BGBl römisch eins 2004/15 erfolgte Neufassung des Paragraph 201, StGB zu beachten und iSd Paragraphen eins,, 61 StGB vorzugehen sein (Art römisch VII StRÄG 2004); gegebenenfalls ist Paragraph 262, StPO Rechnung zu tragen. Allenfalls zu verhängende Strafen dürfen nicht strenger ausgemessen werden, als das frühere Urteil ausgesprochen hat (Paragraph 363 b, Absatz 3, letzter Satz StPO), wobei die Probezeit einer im erneuerten Verfahren bedingt nachgesehenen Sanktion gegebenenfalls nicht von neuem zu laufen beginnt (13 Os 106/03; Ratz, WK-StPO Paragraph 290, Rz 55).
Anmerkung
E82571 11Os78.06iEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2006:0110OS00078.06I.1024.000Dokumentnummer
JJT_20061024_OGH0002_0110OS00078_06I0000_000