TE Vwgh Erkenntnis 2007/9/25 2007/18/0673

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Veröffentlicht am 25.09.2007
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des S I, (geboren 1979), in Wien, vertreten durch Edward W. Daigneault, Solicitor in 1070 Wien, Hernalser Gürtel 47/4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 25. Juli 2007, Zl. E1/288.285/2007, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 25. Juli 2007 wurde der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, aus Österreich ausgewiesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete - seine Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrende - Beschwerde erwogen:

1. Unstrittig ist, dass sich der Beschwerdeführer seit dem 18. Jänner 2002 (nach illegaler Einreise) in Österreich befindet und einen Asylantrag gestellt hat, und dass die erstinstanzliche Abweisung dieses Antrags nach Zurückziehung der Berufung am 28. Juni 2006 in Rechtskraft erwuchs. Im Übrigen tritt die Beschwerde den Ausführungen im angefochtenen Bescheid nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels für Österreich sei. Auf dem Boden des Gesagten begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass vorliegend die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt seien, keinem Einwand.

2.1. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu. Dieses maßgebliche öffentliche Interesse hat der Beschwerdeführer durch seinen rechtswidrigen Aufenthalt, der - ab Rechtskraft der Abweisung seines Asylantrags - etwa 13 Monate beträgt, maßgeblich beeinträchtigt. Dazu kommt, dass die aus seinem inländischen Aufenthalt ableitbare Integration - einschließlich der geltend gemachten familiären Bindung zu seiner Ehefrau, die er am 11. Oktober 2005 (unstrittig) heiratete - entscheidend dadurch relativiert wird, dass diesem Aufenthalt ein Asylantrag zugrunde liegt, der sich als erfolglos erwiesen hat. Mit seinem Hinweis, dass er sich in strafrechtlicher Hinsicht immer wohlverhalten habe und einer regelmäßigen Beschäftigung nachgehe, macht der Beschwerdeführer keine Umstände geltend, die seine persönlichen Interessen am Verbleib in Österreich maßgeblich verstärken würden. Vor diesem Hintergrund kann nicht gesagt werden, dass die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich das besagte maßgebliche öffentliche Interesse an der Erlassung der vorliegenden fremdenpolizeilichen Maßnahme überwiegen würden, weshalb die Beurteilung, dass diese Maßnahme im Grund des § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten sei, nicht als rechtswidrig angesehen werden kann.

2.2. Mit dem im gegebenen Zusammenhang stehenden Hinweis der Beschwerde auf den Fall im Fall Sisojeva u.a. gegen Lettland (Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 16. Juni 2006, Beschwerdenummer 60654/00) ist für den Beschwerdeführer schon im Hinblick darauf nichts gewonnen, dass in diesem Fall die privaten und familiären Interessen der betroffenen Fremden ungleich stärker ausgeprägt waren als in seinem Fall (Aufenthalt der erst- und zweitbeschwerdeführenden Partei in Lettland über einen Zeitraum von etwa 30 Jahren, Aufenthalt der dort geborenen drittbeschwerdeführenden Partei in Lettland über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren, vgl. Rz 12 f dieses Urteils). Abgesehen davon ist dieses Urteil nicht rechtskräftig geworden, vielmehr hat der EGMR in einer Großen Kammer mit Urteil vom 15. Jänner 2007 ausgesprochen, dass die Beschwerde, soweit sie Art. 8 EMRK betrifft, aus der Liste der Fälle des EGMR gestrichen wird (vgl. Rz 89 ff dieses Urteils). Auch der Hinweis des Beschwerdeführers auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Oktober 2003, VfSlg. Nr. 17013, geht fehl. Fallbezogen kommt nämlich ein aus Art. 8 EMRK ableitbarer Anspruch auf Familiennachzug - auf den der Verfassungsgerichtshof in dem besagten Erkenntnis abstellt - schon deshalb nicht in Betracht, weil sich der Beschwerdeführer nicht seit längerem in Österreich befindet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Mai 2005, Zl. 2003/18/0201, unter Hinweis auf den vom EGMR mit Urteil vom 21. Dezember 2001, Beschwerdenummer 31465/96, entschiedenen Fall Sen gegen die Niederlande).

3.1. In der Beschwerde wird ferner auf "die Stellungnahme des Menschenrechtsbeirates im BMI, Nr. 2007/07" hingewiesen und daraus folgende Textstelle zitiert:

"Die Abwägung läuft fehl, wenn das private Interesse des Aufenthaltswerbers gegen die öffentlichen Interessen an einem Eingriff in seine Rechte abgewogen wird. Das öffentliche Interesse an der Gewährleistung grundrechtlichen Schutzes braucht nicht bewiesen zu werden und es steht höher als das öffentliche Interesse an einem Eingriff in Form einer Aufenthaltsbeendigung als Ganzes und in einzelnen Facetten. Sprechen keine zwingenden Gründe für einen Grundrechtseingriff, dann kommt die Schutzpflicht des Staates zum Tragen. Aus diesen Erwägungen ergibt sich für die Praxis ein anderes als das üblicherweise herangezogene Abwägungsparadigma. Es sind nicht die Interessen des Einzelnen am Aufenthalt gegen die Interessen der Allgemeinheit an einer Aufenthaltsbeendigung abzuwägen. Vielmehr sind dem Gewicht der nicht legitimationsbedürftigen grundrechtlichen Garantie zwingende und starke Gründe für einen Eingriff entgegenzusetzen, die diese Garantie für den Einzelfall 'aufwiegen' können. Die Beweislast trägt die Behörde. Im Zweifel überwiegt das öffentliche Interesse an der Unterlassung des Eingriffes."

Mit diesem Hinweis vermag der Beschwerdeführer nichts zu gewinnen.

3.2.1. § 66 FPG samt Überschrift lautet:

"Schutz des Privat- und Familienlebens

§ 66. (1) Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Eine Ausweisung gemäß § 54 Abs. 1, 3 und 4 darf jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:

1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;

2. die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen."

3.2.2. Art. 8 EMRK lautet (samt Überschrift):

"Artikel 8 - Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist."

3.3. Weder dem Abs. 1 noch dem Abs. 2 der zum Schutz des Privat- und Familienlebens getroffenen Regelung des § 66 FPG kann entnommen werden, dass die Interessen des Fremden am Verbleib in Österreich nicht gegen das öffentliche Interesse an der Erlassung der fremdenpolizeilichen Maßnahme abzuwägen wäre, vielmehr verlangt der Wortlaut des § 66 Abs. 2 FPG ausdrücklich eine derartige Abwägung. Auch die Beurteilung nach § 66 Abs. 1 leg.cit, ob eine Ausweisung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist, verlangt - wie sich aus der Anknüpfung an Art. 8 Abs. 2 EMRK ergibt, der auf ein faires Gleichgewicht der öffentlichen und der persönlichen Interessen abstellt (vgl. dazu unten 3.4.) - eine abwägende Gegenüberstellung der persönlichen Interessen des Fremden am Verbleib in Österreich mit den öffentlichen Interessen an der Erlassung der fremdenpolizeilichen Maßnahme, und nicht, wie der Menschenrechtsbeirat meint, eine Abwägung von öffentlichen gegenüber (anderen) öffentlichen Interessen.

3.4. Für die Beurteilung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK für die Zulässigkeit des Eingriffs einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens geforderten Voraussetzung, dass ein solcher Eingriff in die dort genannten öffentlichen Interessen in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, hat der EGMR etwa in seinem ein Aufenthaltsverbot betreffenden Urteil im Fall Yildiz gegen Österreich vom 31. Oktober 2002, Beschwerdenummer 37295/97, ausdrücklich darauf abgestellt, "ob die Erlassung eines Aufenthaltsverbots ... nach den gegebenen Umständen einem fairen Gleichgewicht zwischen den maßgeblichen Interessen entsprach, nämlich dem Recht der Beschwerdeführer auf Achtung ihres Familienlebens auf der einen Seite und der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung auf der anderen. Der Gerichtshof ist somit aufgerufen, eine Reihe von Kriterien einer Beurteilung zu unterziehen... " (vgl. Rz 42, zitiert nach ÖJZ 2003, S 159). Solche, auf ein derartiges faires Gleichgewicht abstellende Ausführungen finden sich etwa auch in den Österreich betreffenden Fällen Jakupovic (Urteil vom 6. Februar 2003, Nr 36757/97, Rz 26) und Maslov (Urteil vom 22. März 2007, Beschwerdenummer 1638/03, Rz 35; dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig). In seinem Urteil im Fall Sezen gegen die Niederlande vom 31. Jänner 2006, Beschwerdenummer 50252/99, Rz 41, hat der EGMR zum Fall der Versagung einer Aufenthaltsverlängerung -

ebenfalls in vergleichbarer Weise - u.a. folgendes ausgesprochen:

Therefore, the Court's task consists in ascertaining, whether in the circumstances of the present case the refusal struck a fair balance between the relevant interests of namely the applicants' right to respect for their family life, on the one hand, and the interests of public safety and the prevention of disorder and crime, on the other." (Hervorhebung im Original.)

Eine von derselben Überlegung getragene Beurteilung findet sich (beispielsweise) auch in dem vom Beschwerdeführer für seinen Standpunkt ins Treffen geführten (nicht rechtskräftig gewordenen) Urteil des EGMR im Fall Sisojeva u.a. gegen Lettland vom 16. Juni 2006, Rz 110: "Accordingly, taking all the circumstances into account, and in particular the long period of insecurity and legal uncertainty which the applicants have undergone in Latvia, the Court considers that the Latvian authorities exceeded the margin of appreciation enjoyed by the Contracting States in this sphere, and did not strike a fair balance between the legitimate aim of preventing disorder and the applicants' interest in having their rights under Article 8 protected. It is therefore unable to find that the interference complained of was 'necessary in a democratic society'."

Diese Beispiele zeigen, dass Art. 8 Abs.2 EMRK nach der gefestigten Rechtsprechung des EGMR eine Abwägung der genannten gegenläufigen Interessen verlangt, Art. 8 EMRK gebietet von daher keine von dem in 3.3 dargestellten Verständnis des § 66 FPG abweichende Auffassung.

4. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

5. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein Abspruch über den mit der Beschwerde verbundenen Antrag, dieser aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am 25. September 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2007180673.X00

Im RIS seit

07.11.2007

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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