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21 Handels- und WertpapierrechtNorm
B-VG Art140 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
Zurückweisung eines Antrags auf Aufhebung einer handelsrechtlichen Bestimmung über die Verantwortlichkeit des Abschlußprüfers und eine allfällige Schadenersatzpflicht mangels aktueller Betroffenheit der antragstellenden Gläubigerin der geprüften Gesellschaft; Wirksamkeit der Vorschrift erst durch gerichtliche Entscheidung feststellbarSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1. Die Antragstellerin - eine britische Gesellschaft mit Sitz in London - bringt vor, namhafte Beträge in eine österreichische Firmengruppe investiert zu haben. Die Investitionen seien insbesondere auf Grund der geprüften und bestätigten Jahresabschlüsse getätigt worden. Über das Vermögen der wesentlichsten dieser Firmengruppe angehörigen Unternehmen sei in der Folge der Konkurs eröffnet worden, weshalb die Antragstellerin ihr gesamtes Investment verloren habe. Der Schaden für die Antragstellerin belaufe sich auf ca. S 800 Mio. (ca. € 58 Mio.).
Die Antragstellerin erwäge nun rechtliche Schritte gegen die Abschlußprüfer, die eine mangelhafte Prüfung zu verantworten hätten, wobei zwei Zivilprozesse bereits anhängig seien; in beiden Fällen seien jedoch nicht mehr als die in §275 Abs2 HGB, idF BGBl. 475/1990, gesetzlich vorgesehenen Haftungsobergrenzen iHv S 5 Mio. geltend gemacht worden.
2. Die Antragstellerin begehrt - gestützt auf Art140 Abs1 B-VG -, der Verfassungsgerichtshof möge unter Zuspruch der Verfahrenskosten §275 Abs2 HGB, idF BGBl. 475/1990, zur Gänze als verfassungswidrig aufheben, in eventu feststellen, daß §275 Abs2 HGB, idF BGBl. 475/1990, zur Gänze verfassungswidrig war, und überdies aussprechen, daß §275 Abs2 leg.cit. in allen Fällen der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen durch die Antragstellerin gegen Abschlußprüfer der betreffenden Firmengruppe nicht mehr anzuwenden ist.
3. Zur Rechtslage:
Der mit "Verantwortlichkeit des Abschlußprüfers" überschriebene §275 HGB hatte in der für den vorliegenden Fall maßgebenden Fassung BGBl. 475/1990 folgenden Wortlaut:
"(1) Der Abschlußprüfer, seine Gehilfen und die bei der Prüfung mitwirkenden gesetzlichen Vertreter einer Prüfungsgesellschaft sind zur gewissenhaften und unparteiischen Prüfung und zur Verschwiegenheit verpflichtet. Sie dürfen nicht unbefugt Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse verwerten, die sie bei ihrer Tätigkeit erfahren haben. Wer vorsätzlich oder fahrlässig seine Pflichten verletzt, ist der Gesellschaft und, wenn ein verbundenes Unternehmen geschädigt worden ist, auch diesem zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Mehrere Personen haften als Gesamtschuldner.
(2) Die Ersatzpflicht von Personen, die fahrlässig gehandelt haben, beschränkt sich auf fünf Millionen Schilling für eine Prüfung. Dies gilt auch, wenn an der Prüfung mehrere Personen beteiligt gewesen oder mehrere zum Ersatz verpflichtende Handlungen begangen worden sind, und ohne Rücksicht darauf, ob andere Beteiligte vorsätzlich gehandelt haben.
(3) Die Verpflichtung zur Verschwiegenheit besteht, wenn eine Prüfungsgesellschaft Abschlußprüfer ist, auch gegenüber dem Aufsichtsrat der Prüfungsgesellschaft und dessen Mitgliedern.
(4) Die Ersatzpflicht nach diesen Vorschriften kann durch Vertrag weder ausgeschlossen noch beschränkt werden.
(5) Die Ansprüche aus diesen Vorschriften verjähren in fünf Jahren."
Durch das Finanzmarktaufsichtsgesetz - FMAG, BGBl. I 97/2001, erhielten die Abs1 und 2 des §275 HGB eine neue Fassung und lauten nunmehr wie folgt:
"(1) Der Abschlussprüfer, seine Gehilfen und die bei der Prüfung mitwirkenden gesetzlichen Vertreter einer Prüfungsgesellschaft sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Sie dürfen nicht unbefugt Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse verwerten, die sie bei ihrer Tätigkeit erfahren haben. Wer vorsätzlich oder fahrlässig seine Pflichten verletzt, ist der Gesellschaft und, wenn ein verbundenes Unternehmen geschädigt worden ist, auch diesem zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Mehrere Personen haften als Gesamtschuldner.
(2) Der Abschlussprüfer ist zur gewissenhaften und unparteiischen Prüfung verpflichtet. Verletzt er vorsätzlich oder fahrlässig diese Pflicht, so ist er der Gesellschaft und, wenn ein verbundenes Unternehmen geschädigt worden ist, auch diesem zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Mehrere Abschlussprüfer haften als Gesamtschuldner. Die Ersatzpflicht beschränkt sich bei leichter Fahrlässigkeit auf zwei Millionen Euro für eine Prüfung; bei Prüfung einer Aktiengesellschaft, deren Aktien an einem geregelten Markt im Sinn des §2 Z37 BWG oder an einem anerkannten, für das Publikum offenen, ordnungsgemäß funktionierenden Wertpapiermarkt in einem Vollmitgliedstaat der OECD zugelassen sind, beschränkt sich diese Ersatzpflicht auf vier Millionen Euro für eine Prüfung. Bei grober Fahrlässigkeit ist die Ersatzpflicht mit dem jeweils Fünffachen dieser Beträge beschränkt. Diese Beschränkungen gelten auch, wenn an der Prüfung mehrere Abschlussprüfer beteiligt gewesen oder mehrere zum Ersatz verpflichtende Handlungen begangen worden sind, und ohne Rücksicht darauf, ob einen der Abschlussprüfer ein schwereres Verschulden trifft."
Gemäß §906 Abs6 HGB, idF des FMAG, treten §275 Abs1 und 2 in der Fassung dieses Gesetzes am 1. Jänner 2002 in Kraft und sind auf Prüfungen von Geschäftsjahren, die nach dem 31. Dezember 2001 beginnen, anzuwenden.
4.1. Zur Zulässigkeit des Antrages führt die Antragstellerin aus, daß die angefochtene Norm unmittelbar und aktuell in ihre Rechtssphäre eingreife. Sie sei zwar nicht Normadressat, doch habe der Oberste Gerichtshof bereits die Anwendbarkeit dieser Bestimmung auch auf das Verhältnis zwischen Abschlußprüfer und geschädigtem Dritten bejaht. Das Vorliegen einer aktuellen und nicht bloß potentiellen Betroffenheit ergebe sich daraus, daß sich ein die Haftungsbegrenzung relevant machender Schaden bereits ereignet habe. Der Schadenersatzanspruch werde durch das Gesetz direkt und unmittelbar beschränkt; dieses greife somit unmittelbar und aktuell in die Rechtssphäre der Antragstellerin ein. Die in der angefochtenen Fassung bereits außer Kraft getretene Bestimmung sei jedenfalls auf die Antragstellerin weiter anzuwenden, da die haftungsauslösenden Prüfungshandlungen vor dem 1. Jänner 2002 vorgenommen worden seien.
Die Antragstellerin sieht im vorliegenden Zusammenhang in der Beschreitung des Zivilrechtsweges einen möglichen Weg, die Normbedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Jedoch sei dieser Weg in ihrem Fall nicht zumutbar. Klage sie nämlich den S 5 Mio. übersteigenden Schaden ein, so ergebe sich für sie ein Prozeßkostenrisiko von ca. S 70 Mio. (€ 5 Mio.), was wirtschaftlich nicht tragbar sei. Eine derartige risikoreiche Prozeßführung anzustrengen, würde überdies für die Geschäftsführer der antragstellenden Gesellschaft eine Pflichtwidrigkeit bedeuten und wäre nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes in Einklang zu bringen.
Nach Ansicht der Antragstellerin sei ihr jedoch auch nicht die Möglichkeit eröffnet, zunächst nur geringfügig über der Haftungsgrenze zu klagen, um das Gericht zweiter oder dritter Instanz zu einer Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof zu bewegen und - im Falle der Aufhebung der angefochtenen Bestimmung - in der Folge die Klage auf den vollen Schadensbetrag auszuweiten. Dieser Weg scheitere schon daran, daß eine Klagserweiterung gemäß §483 Abs4 ZPO im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich nicht zulässig sei und - selbst wenn man die Zulässigkeit annehme - die fehlende Zustimmung des Gegners oder Bewilligung des Gerichtes sie gemäß §235 Abs2 und 3 ZPO verhindern könne. Überdies drohe wegen der (kurzen) dreijährigen Verjährungsfrist die Verjährung der nicht (von Anfang an) geltend gemachten Restforderung. Schließlich sei zweifelhaft, ob die Klägerin nach Klagsänderung noch in den Genuß der Anlaßfallwirkung komme; bei Verneinung der Anlaßfallwirkung wären die erheblichen Kostenfolgen nicht zu umgehen.
Die Antragstellerin verweist auch auf die ständige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, wonach im Fall außergewöhnlicher Härten - zu denen auch wirtschaftliche Konsequenzen zu rechnen seien - Unzumutbarkeit gegeben sei, wobei die Antragstellerin insbesondere auf die Rechtsprechung zur Anfechtbarkeit von Flächenwidmungsplänen hinweist. Schließlich bringt sie noch vor, daß sie - im Falle der Zurückweisung des Individualantrages - "aufgrund des Kostenrisikos in verfassungsrechtlicher Beziehung de facto rechtsschutzlos gestellt" wäre.
4.2. In der Sache selbst macht die Antragstellerin mit detaillierter Begründung die Verfassungswidrigkeit (insbesondere die Unsachlichkeit) der angefochtenen Haftungsbegrenzung geltend.
5. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Zurückweisung des Antrages, in eventu den Ausspruch, daß §275 Abs2 HGB, idF BGBl. 475/1990, nicht verfassungswidrig war, beantragt.
Zur Zulässigkeit bringt sie vor, daß es nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes grundsätzlich zumutbar sei, den Klagsweg zu beschreiten. Wollte man wegen des Prozeßrisikos und der damit verbundenen Kostenfolgen davon ausgehen, daß die Beschreitung des Gerichtsweges unzumutbar sei, so verlöre die in Art140 Abs1 letzter Satz B-VG enthaltene Einschränkung "sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung ... für diese Person wirksam geworden ist" ihren hauptsächlichen Anwendungsbereich. Auch unterscheide sich der vorliegende Fall von Fällen, in denen eine Antragstellung die Anfertigung umfangreicher und kostenintensiver Beilagen erfordere. In solchen Fällen handle es sich um Kostenfaktoren, die nicht typischerweise mit einem Verfahren verbunden seien. Das Prozeßkostenrisiko sei jedoch typischerweise mit Zivilgerichtsverfahren verbunden.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit des Antrages erwogen:
1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 B-VG setze voraus, daß durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen.
2. Eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Entscheidung über einen Individualantrag ist daher jedenfalls dann nicht gegeben, wenn nach den Umständen des Falles nur durch die Entscheidung eines Gerichtes festgestellt werden kann, ob die angegriffene Norm eine Beeinträchtigung des Antragstellers bewirkt.
Dies trifft im vorliegenden Fall zu:
§275 Abs1 HGB (idF vor BGBl. I 97/2001) verpflichtet den Abschlußprüfer zur gewissenhaften und unparteiischen Prüfung und zur Verschwiegenheit und sieht vor, daß er bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Verletzung dieser Pflicht der Gesellschaft (bzw. allenfalls einem geschädigten verbundenen Unternehmen) zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet ist. §275 Abs2 leg.cit. begrenzt diese Ersatzpflicht bei Fahrlässigkeit auf S 5 Mio. für eine Prüfung. Eine solche Norm wird für die von ihr betroffenen Ersatzberechtigten - zu denen nach Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (Beschluß vom 27. November 2001, 5 Ob 262/01t) auch (potentielle) Gläubiger der geprüften Gesellschaft gehören können - erst durch eine gerichtliche Entscheidung, in der über die Kausalität und Schuldhaftigkeit des Handelns des Abschlußprüfers abgesprochen wird, wirksam. Erst wenn feststeht, daß die Ersatzpflicht dem Grunde nach besteht und S 5 Mio. übersteigt, ist von einer aktuellen Betroffenheit zu sprechen.
Da die angegriffene Vorschrift somit für die Antragstellerin ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung, in der über den Anspruch dem Grunde und der Höhe nach abgesprochen wird, gar nicht wirksam werden kann, war auf die von ihr aufgeworfene Frage, ob der Weg einer zivilgerichtlichen Klage angesichts des geltend gemachten Prozeßkostenrisikos im konkreten Fall zumutbar ist, gar nicht mehr einzugehen.
3. Der Antrag war daher mangels Legitimation des Antragstellers gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Schlagworte
Handelsrecht, VfGH / IndividualantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:G216.2002Dokumentnummer
JFT_09978789_02G00216_00