TE Vwgh Erkenntnis 2007/9/25 2006/06/0154

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Veröffentlicht am 25.09.2007
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Index

L82307 Abwasser Kanalisation Tirol;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §68 Abs1;
KanalisationsG Tir 2000 §7 Abs1;
KanalisationsG Tir 2000 §7 Abs2;
KanalisationsG Tir 2000 §7 Abs3;
KanalisationsG Tir 2000 §9 Abs1;
KanalisationsG Tir 2000 §9 Abs3 litb;
VwRallg;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2006/06/0155

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fritz, über die Beschwerden des JS in I, vertreten durch Dr. Peter Bibiza, Rechtsanwalt in Wien 1, Graben 12, gegen die Bescheide der Tiroler Landesregierung 1. vom 13. April 2006, Zl. IIIa1-W-75.015/2, betreffend Befreiung von der Kanalanschlusspflicht und 2. vom 19. April 2006, Zl. IIIa1-W- 75.015/3, betreffend Kanalanschlusspflicht (mitbeteiligte Partei: Gemeinde I, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 763,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Eigentümer eines bebauten Grundstückes im Gebiet der mitbeteiligten Gemeinde. Sein Haus soll an die öffentliche Kanalisation der Gemeinde angeschlossen werden.

Mit Antrag vom 29. Juli 2003 kamen der Beschwerdeführer und neun weitere Personen, die Eigentümer anderer Grundstücke sind, beim Bürgermeister der Gemeinde als Behörde erster Instanz um Befreiung von der Anschlusspflicht gemäß § 7 Abs. 2 des Tiroler Kanalisationsgesetzes 2000 (TiKG 2000) ein. Sie brachten darin vor, sie hätten gleichzeitig bei der Bezirkshauptmannschaft Lienz (kurz: BH) die Bewilligung für die Errichtung einer Einzelabwasseranlage (Pflanzenkläranlage) zur Entsorgung der auf ihren Grundstücken anfallenden häuslichen Abwässer beantragt. Durch die Befreiung von der Anschlusspflicht werde die Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Kanalisation in keiner Weise gefährdet.

Im Hinblick auf diesen Antrag kam es zu einer wasserfachlichen Begutachtung durch einen Amtssachverständigen. In diesem Gutachten vom 23. Oktober 2003 wird unter anderem festgestellt, dass derzeit bei allen Objekten der Antragsteller noch mechanisch gereinigte häusliche Abwässer entweder versickert oder in einen Vorfluter eingeleitet würden. Durch die Herstellung des Anschlusses an die öffentliche Kanalisation bestehe die Möglichkeit, dass die Abwässer in der Verbandsanlage des Abwasserverbandes O biologisch gereinigt und mit deutlich geringeren Abwasserinhaltsstoffen an den natürlichen Wasserkreislauf zurückgegeben werden könnten.

Die Erhebung habe ergeben, dass der Anschlussschacht bei den (jeweiligen) Anschlussobjekten unmittelbar bei den derzeit bestehenden Abwasseranlagen (Dreikammer-Faulanlagen) situiert worden sei. Im Gutachten verwies der Amtssachverständige auch darauf, dass Dreikammer-Faulanlagen mit anschließender Versickerung oder Einleitung in einen Vorfluter keine dem Stand der Technik entsprechende Abwasseranlagen seien (sinngemäße Wiedergabe). Zum Zeitpunkt der Gutachtenserstellung verfüge noch keiner der Antragsteller über eine dem Stand der Technik entsprechende Abwasseranlage bzw. betreibe eine solche (vier Befreiungswerber hätten eine entsprechende wasserrechtliche Bewilligung erwirkt, zwei davon seien im Begriff, eine entsprechende Anlage zu errichten, welche aber noch nicht fertig gestellt sei). Bei einer Befreiung der Objekte gemäß dem "Sammelantrag" werde die Wirtschaftlichkeit der Abwasseranlage der Gemeinde nachhaltig beeinträchtigt.

Die Behörde gewährte hiezu den Antragstellern Parteiengehör, die sich ablehnend äußerten. Bei vier namentlich genannten Antragstellern (Anmerkung: der Beschwerdeführer zählt nicht dazu) liege eine dem Stand der Technik entsprechende Anlage vor. Bis auf zwei weitere Personen (andere Personen als der Beschwerdeführer) hätten alle übrigen Antragsteller eine wasserrechtliche Bewilligung beantragt und es werde diese auch erteilt werden. Durch die Befreiung würde auch die Wirtschaftlichkeit der Anlage der Gemeinde nicht gefährdet werden.

Der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde wies mit Bescheid vom 18. Februar 2004 den Befreiungsantrag des Beschwerdeführers ab und stützte sich dabei in der Begründung des Bescheides auf das eingeholte Amtssachverständigengutachten (das zusammengefasst und verkürzt wiedergegeben wird). Eine Befreiung von der Anschlusspflicht könne nur erteilt werden, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung oder zumindest zum Zeitpunkt der Entscheidung eine dem Stand der Technik entsprechende eigene Abwasserbeseitigungsanlage bereits bestehe und diese auch ordnungsgemäß betrieben werde oder wenn bestimmte wirtschaftliche Erwägungen dafür sprächen. Der Beschwerdeführer habe zum Zeitpunkt der Antragstellung über keine eigene Abwasserbeseitigungsanlage verfügt, die dem Stand der Technik entsprochen habe und die ordnungsgemäß in Betrieb gewesen sei. Aus den Erhebungen des Sachverständigen ergebe sich eindeutig, dass er zum Zeitpunkt der Erhebungen Ende Oktober 2003 noch über keine dem Stand der Technik entsprechende Abwasserbeseitigung verfügt habe. Auch sei sein Ansuchen um wasserrechtliche Bewilligung einer geplanten Abwasseranlage für sein Wohnhaus mit Bescheid der BH vom 3. Juli 2003 zurückgewiesen worden. Auch zur Frage der Wirtschaftlichkeit sei das Gutachten des Sachverständigen schlüssig: schon durch den Wegfall eines einzelnen anzuschließenden Objektes wäre die Wirtschaftlichkeit der Kanalisation der Gemeinde gemindert. Demgegenüber entstünden aber für den Anzuschließenden nur geringe Kosten für die Herstellung der Anschlussleistung.

Dieser Bescheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

Mit Erledigung vom 13. Juli 2004 forderte der Bürgermeister (offenbar versehentlich) eine Person mit gleichem Familiennamen wie der Beschwerdeführer, aber mit anderem Vornamen (wie es in den Akten heißt, ist das der Vater des Beschwerdeführers) zum Abschluss eines Anschlussvertrages auf und verpflichtete den Beschwerdeführer sodann am 29. Oktober 2004, sein Wohn- und Wirtschaftsgebäude auf seinem Grundstück an den öffentlichen Kanal anzuschließen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er vorbrachte, Voraussetzung für den bescheidmäßigen Ausspruch einer Anschlussverpflichtung sei die vorangegangene Aufforderung zum Abschluss eines Anschlussvertrages, die aber bislang unterblieben sei.

Mit Bescheid vom 1. Dezember 2004 wurde der Berufung Folge gegeben und der bekämpfte erstinstanzliche Bescheid gemäß § 68 Abs. 2 AVG behoben, weil es zutreffe, dass der Beschwerdeführer nicht zum Abschluss eines Anschlussvertrages aufgefordert worden sei (die Aufforderung sei nämlich an seinen Vater, den Vorbesitzer, ergangen).

Zwischenzeitig hatte der Bürgermeister mit Erledigung vom 16. November 2004 den Beschwerdeführer zum Abschluss eines Anschlussvertrages (und zwar längstens innerhalb von drei Monaten, gerechnet ab Zustellung der Erledigung) aufgefordert.

Da der Beschwerdeführer dem nicht nachkam, wurde er mit Bescheid des Bürgermeisters vom 21. Februar 2005 verpflichtet, sein Wohn- und Wirtschaftsgebäude auf seinem Grundstück an die öffentliche Kanalisationsanlage der Gemeinde anzuschließen (der Spruch des Bescheides enthält auch die Situierung der Trennstelle, wie auch den Auftrag, die vorhandene Dreikammer-Klärgrube aufzulassen, und weiters Aufträge in diesem Zusammenhang).

Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 23. Februar 2005 Berufung, bestritt seine Anschlussverpflichtung und beantragte die Aussetzung des Verfahrens, weil er mit Antrag vom 23. Februar 2005 die Befreiung von der Anschlusspflicht begehrt habe.

Mit dem genannten weiteren Schriftsatz vom 23. Februar 2005 begehrte der Beschwerdeführer die Befreiung von der Anschlusspflicht und brachte vor, er werde keinen Anschlussvertrag abschließen, er verfüge nämlich über eine dem Stand der Technik entsprechende, nach den wasserrechtlichen Vorschriften rechtmäßige Kanalisation in Form einer biologischen Pflanzenkläranlage, die mit Bescheid der BH vom 15. November 2004 rechtskräftig bewilligt worden sei. Weiters habe sich mittlerweile herausgestellt, dass die begehrte Befreiung von der Anschlusspflicht die Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Kanalisation in keiner Weise gefährde (wurde näher ausgeführt). Darüber hinaus wäre die Herstellung des Anschlusses an die öffentliche Kanalisation nur mit einem im Verhältnis zum erzielbaren Erfolg unvertretbaren Aufwand verbunden.

Der Bürgermeister wies mit Bescheid vom 7. April 2005 den Befreiungsantrag wegen entschiedener Sache zurück, weil das Befreiungsbegehren nur die Aufrollung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezwecke und sich der zu Grunde liegende Sachverhalt nicht geändert habe.

Der Beschwerdeführer berief auch gegen diesen Bescheid.

Im Zuge der Berufungsverfahren kam es zu einer Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch Einholung einer weiteren wasserfachlichen gutachtlichen Stellungnahme. Der Amtssachverständige führt in diesem Gutachten vom 9. Mai 2005 unter anderem aus, im Zuge eines Lokalaugenscheines am 26. April 2005 sei festgestellt worden, dass mit den Baumaßnahmen für die Errichtung der wasserrechtlich bewilligten Pflanzenkläranlage noch nicht begonnen worden sei. Die häuslichen Abwässer und die Abwässer von der Schlachthalle seien noch über die bestehende Abwasseranlage entsorgt worden (Dreikammer-Faulanlage). Es könne daher eindeutig festgestellt werden, dass zum Zeitpunkt der Erhebung keine dem Stand der Technik entsprechende Abwasseranlage für das Wohnobjekt des Beschwerdeführers bestanden habe.

Der Beschwerdeführer äußerte sich ablehnend. Der Gutachter übersehe, dass die bestehende Dreikammer-Faulanlage ebenfalls eine dem Stand der Technik entsprechende, nach den wasserrechtlichen Vorschriften rechtmäßige "Kanalisation" darstelle. Die bestehende Anlage funktioniere perfekt und entspreche den gesetzlichen Bestimmungen, sodass der Befreiungstatbestand gegeben sei.

Der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde wies mit zwei gesonderten Bescheiden vom 24. Oktober 2005 die Berufungen des Beschwerdeführers als unbegründet ab.

Hinsichtlich des Befreiungsansuchens teilte die Berufungsbehörde die Auffassung der Behörde erster Instanz, dass keine wesentliche Änderung des Sachverhaltes gegeben sei. Vielmehr werde in der wasserfachlichen Stellungnahme des Amtssachverständigen vom 9. Mai 2005 ausdrücklich festgehalten, dass zum Zeitpunkt seiner Erhebung nach wie vor keine dem Stand der Technik entsprechende Abwasseranlage bestanden habe.

Im Verfahren hinsichtlich des Ausspruches der Anschlussverpflichtung erachtete die Berufungsbehörde, gestützt auf das Gutachten des Amtssachverständigen, die verschiedenen Einwände des Beschwerdeführers für unberechtigt und führte auch dort aus, dass er auch noch zum Zeitpunkt der Erhebung am 26. April 2005 über keine dem Stand der Technik entsprechende Abwasserbeseitigungsanlage verfügt habe. Der Betrieb eines Dreikammernsystems allein entspreche nach der Aussage des wasserfachlichen Sachverständigen nicht "den gesetzlichen Mindesterfordernissen für eine ordnungsgemäße Abwasserbeseitigung".

Der Beschwerdeführer erhob gegen die Berufungsbescheide Vorstellungen.

Mit dem erstangefochtenen Bescheid (Beschwerdeverfahren Zl. 2006/06/0154) hat die belangte Behörde der Vorstellung im Verfahren betreffend die Befreiung von der Kanalanschlusspflicht keine Folge gegeben. Zur Begründung wird zusammengefasst ausgeführt, der Beschwerdeführer verfüge gemäß dem schlüssigen wasserfachlichen Gutachten vom 9. Mai 2005 nach wie vor über keine dem Stand der Technik entsprechende Wasserbeseitigungsanlage.

§ 7 Abs. 2 TiKG 2000 setze das Bestehen einer rechtmäßigen nichtöffentlichen Kanalisation voraus. Die Erteilung einer wasserrechtlichen Bewilligung hiefür reiche noch nicht aus, weil die bewilligte Anlage noch nicht errichtet worden sei. Das Begehren des Beschwerdeführers sei zutreffend wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden. Im Gesetz sei nicht vorgesehen, trotz rechtskräftiger Versagung der Befreiung einen neuerlichen Befreiungsantrag zu stellen.

Dagegen richtet sich die zur Zl. 2006/06/0154 protokollierte Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Mit dem zweitangefochtenen Bescheid (Beschwerdeverfahren Zl. 2006/06/0155) hat die belangte Behörde der Vorstellung im Verfahren betreffend den Ausspruch der Anschlussverpflichtung keine Folge gegeben. Auch hier erachtete die belangte Behörde das Vorbringen in der Vorstellung als unbegründet, was vor allem unter Hinweis auf das Gutachten des Amtssachverständigen vom 9. Mai 2005 näher ausgeführt wurde (wobei sich die belangte Behörde auch im zweitangefochtenen Bescheid mit Fragen der Befreiung von der Anschlusspflicht auseinander setzte, die der Beschwerdeführer in der Vorstellung angesprochen hatte).

Dagegen richtet sich die zur Zl. 2006/06/0155 protokollierte Beschwerde ebenfalls wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat ihre Akten im Beschwerdeverfahren gegen den erstangefochtenen Bescheid vorgelegt (gemeinsame Aktenvorlage), und beantragt, die Beschwerde gegen den zweitangefochtenen Bescheid kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat beschlossen, beide Beschwerdeverfahren wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung zu verbinden, und hat erwogen:

In den Beschwerdefällen ist das Tiroler Kanalisationsgesetz 2000 - TiKG 2000, LGBl. Nr. 1/2001, anzuwenden. In den Beschwerdefällen sind insbesondere folgende Bestimmungen von Bedeutung:

Gemäß § 2 Abs. 4 ist eine "Kanalisation" eine Anlage zur Sammlung, Ableitung und erforderlichenfalls Reinigung von Abwässern, Niederschlagswässern oder Mischwässern einschließlich der Sonderbauwerke (Pumpwerke, Regenüberläufe, Regenrückhaltebecken, Düker und dergleichen) und der Anschlusskanäle, jedoch ohne die Grundleitungen.

§ 5 Abs. 1 TiKG 2000 lautet:

"(1) Gebäude, sonstige bauliche Anlagen und Sammelkanäle nichtöffentlicher Kanalisationen auf Grundstücken, die ganz oder teilweise im Anschlussbereich liegen, sind an die öffentliche Kanalisation anzuschließen, sofern Wässer anfallen, für die aufgrund der Kanalordnung Anschlusspflicht besteht."

§ 7 TiKG 2000 lautet:

"§ 7

Befreiung von der Anschlusspflicht

(1) Die Behörde hat

a) anschlusspflichtige Anlagen, deren Anschluss an die öffentliche Kanalisation nur mit einem im Verhältnis zum erzielbaren Erfolg unvertretbaren Aufwand hergestellt werden könnte, sowie

b) anschlusspflichtige Anlagen, für deren Anschluss die Inanspruchnahme fremder Grundstücke oder die Mitbenützung einer fremden nichtöffentlichen Kanalisation oder Entwässerungsanlage erforderlich wäre, nach rechtskräftiger Abweisung eines Antrages auf Enteignung nach § 12 Abs. 6

von der Anschlusspflicht zu befreien, wenn eine dem Stand der Technik entsprechende anderweitige geordnete Entsorgung der bei der betreffenden Anlage anfallenden Abwässer und Niederschlagswässer sichergestellt ist. Liegen die Voraussetzungen für die Erteilung der Befreiung nur hinsichtlich der Abwässer oder der Niederschlagswässer vor, so ist die Befreiung nur insoweit zu erteilen.

(2) Die Behörde hat weiters anschlusspflichtige Anlagen, die über eine dem Stand der Technik entsprechende, nach den wasserrechtlichen Vorschriften rechtmäßige Kanalisation verfügen, von der Anschlusspflicht hinsichtlich der Abwässer zu befreien, wenn durch die Befreiung die Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Kanalisation nicht gefährdet wird.

(3) Die Behörde hat ferner anschlusspflichtige Anlagen, die über eine dem Stand der Technik entsprechende, nach den wasserrechtlichen Vorschriften rechtmäßige Anlage zur Entsorgung der Niederschlagswässer verfügen, von der Anschlusspflicht hinsichtlich der Niederschlagswässer zu befreien.

(4) Eine Befreiung im Sinne der Abs. 1 lit. a und 2 darf nicht erteilt werden, wenn ein Anschlussvertrag nach § 8 Abs. 1 oder ein rechtskräftiger Anschlussbescheid nach § 10 Abs. 1 vorliegt. Eine Befreiung im Sinne des Abs. 3 darf nicht erteilt werden, wenn ein Anschlussvertrag vorliegt.

(5) Um die Erteilung der Befreiung hat der Eigentümer der anschlusspflichtigen Anlage bei der Behörde schriftlich anzusuchen. Die Behörde hat über Anträge auf Erteilung der Befreiung mit schriftlichem Bescheid zu entscheiden.

(6) Die Befreiung ist zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen dafür nachträglich weggefallen sind."

§ 8 Abs. 1 TiKG 2000 lautet auszugsweise:

"(1) Der Eigentümer einer anschlusspflichtigen Anlage hat mit dem Betreiber der öffentlichen Kanalisation einen schriftlichen Vertrag über den Anschluss der Anlage an die öffentliche Kanalisation abzuschließen. (...)"

§ 9 Abs. 1 und 3 TiKG 2000 lautet:

"§ 9

Kanalanschlussverfahren

(1) Erlangt die Behörde innerhalb eines Monats nach dem im § 8 Abs. 2 genannten Zeitpunkt nicht Kenntnis vom Abschluss eines Anschlussvertrages, so hat sie den Eigentümer einer Anlage, die nach § 5 Abs. 1 anschlusspflichtig ist oder für die die Anschlusspflicht nach § 5 Abs. 3 festgelegt werden soll, nachweislich zum Abschluss eines Anschlussvertrages längstens innerhalb von drei Monaten aufzufordern. In dieser Aufforderung ist darauf hinzuweisen, dass im Falle des Nichtzustandekommens eines Anschlussvertrages ein Anschlussbescheid (§ 10 Abs. 1) erlassen wird. Weiters ist auf die Möglichkeit der Befreiung von der Anschlusspflicht nach § 7 hinzuweisen.

(2) ...

(3) Das Kanalanschlussverfahren ist auszusetzen:

a) bis zur rechtskräftigen Entscheidung über einen Antrag auf Befreiung von der Anschlusspflicht;

b) bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Gerichtes über eine Klage des Eigentümers einer anschlusspflichtigen Anlage, mit der die Verpflichtung zum Abschluss eines Anschlussvertrages geltend gemacht wird.

Wird im Falle der lit. a die Befreiung rechtskräftig versagt, so ist das Kanalanschlussverfahren mit einer neuerlichen Aufforderung zum Abschluss eines Anschlussvertrages längstens innerhalb von drei Monaten fortzusetzen. Die Aufforderung hat nachweislich zu erfolgen und einen Hinweis nach Abs. 1 zweiter Satz zu enthalten."

§ 10 Abs. 1 TiKG 2000 lautet auszugsweise:

"(1) Im Falle, dass

a) im Zuge des Kanalanschlussverfahrens ein Anschlussvertrag nicht zustande kommt oder

b) für die Herstellung des Anschlusses fremder Grund in Anspruch genommen oder eine fremde nichtöffentliche Kanalisation oder eine fremde Entwässerungsanlage mitbenützt werden muss und der Eigentümer des betreffenden Grundstückes bzw. der betreffenden Anlage die Zustimmung hiezu verweigert,

hat die Behörde von Amts wegen bei Anlagen, die nach § 5 Abs. 1 anschlusspflichtig sind, die Anschlusspflicht festzustellen, und bei Anlagen, für die die Voraussetzungen nach § 5 Abs. 3 vorliegen, die Anschlusspflicht festzulegen sowie in beiden Fällen die genaue Lage der Trennstelle oder der Anschlussstelle des Sammelkanals einer nichtöffentlichen Kanalisation zu bestimmen. Die Feststellung oder Festlegung der Anschlusspflicht sowie die Bestimmung der Trennstelle oder Anschlussstelle haben mit schriftlichem Bescheid zu erfolgen, aus dem hervorgeht, hinsichtlich welcher im Hinblick auf ihre Herkunft näher zu bestimmenden Wässer Anschlusspflicht besteht (Anschlussbescheid). (...)"

In den Beschwerdefällen geht es um zwei verschiedene Verfahren, nämlich um die Befreiung von der Anschlusspflicht einerseits und um die Feststellung der Anschlusspflicht andererseits. Das ist deshalb hervorzuheben, weil beide Beschwerden nahezu wortgleich sind.

Die Behörde erster Instanz hat den Befreiungsantrag vom 23. Februar 2005 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Entschiedene Sache im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben. Identität der Sache liegt selbst dann vor, wenn sich das neue Parteienbegehren von dem mit rechtskräftigen Bescheid bereits abgewiesenen nur dadurch unterscheidet, dass eine bisher von der Partei nicht ins Treffen geführte Rechtsfrage aufgegriffen wird oder die Behörde in dem bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren die Rechtsfrage auf Grund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens oder einer unvollständigen oder unrichtigen rechtlichen Beurteilung entschieden hat (siehe dazu beispielsweise die in Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, in E 5 zu § 68 Abs. 1 AVG angeführte hg. Judikatur).

Der erste Befreiungsantrag des Beschwerdeführers wurde mit dem Bescheid des Bürgermeisters vom 18. Februar 2004 mit der wesentlichen Begründung abgewiesen, dass keine dem Stand der Technik entsprechende Kanalisation gegeben sei und die Befreiung überdies die Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Kanalisation gefährden würde. Der Beschwerdeführer argumentiert nun dahin, dass er über eine solche dem Stand der Technik entsprechende Kanalisation verfüge, was die Behörden verkannt bzw. nicht gehörig überprüft hätten, und auch durch die Befreiung die Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Kanalisation nicht gefährdet wäre, was die Behörden überhaupt ungeprüft gelassen hätten.

Zu Ersterem bringt er vor, der Bescheid vom 18. Februar enthalte "in seinem rechtlichen Substrat nicht", dass auf seiner Liegenschaft eine Dreikammer-Faulanlage bestehe, wodurch die Abwasserentsorgung in einer den Verpflichtungen des TiKG entsprechenden Weise gewährleistet sei. Die entsprechende Prüfung wäre jetzt nachzuholen gewesen.

Dem ist zu entgegnen, dass das Bestehen dieser Anlage schon dem ersten Befreiungsverfahren zugrundegelegt wurde, ist doch der Amtssachverständige in seinem Gutachten vom 23. Oktober 2003 darauf eingegangen. Seine Ausführungen lassen sich dahin zusammenfassen, dass die Abwässer bei Verwendung der öffentlichen Kanalisationsanlage biologisch gereinigt und mit deutlich geringeren Abwasserinhaltsstoffen dem natürlichen Wasserkreislauf zurückgegeben werden können, also besser gereinigt werden, als in den bestehenden Abwasseranlagen, und somit die bestehenden Anlagen, daher auch die Dreikammer-Faulanlage des Beschwerdeführers, nicht dem Stand der Technik entsprechen (nämlich: bei gegebener Möglichkeit des Anschlusses an die öffentliche Kanalisationsanlage angesichts der damit bewirkten besseren Reinigung der Abwässer; die Frage nach dem Wirkungsgrad der Anlage des Beschwerdeführers stellte sich vor diesem Hintergrund nicht, ebenso wenig wie es sich verhielte, gäbe es nicht die Alternative des Anschlusses an die öffentliche Kanalisation). Dieses Gutachten wurde dem Bescheid vom 18. Februar 2004 zugrundegelegt (der Umstand, dass es im Bescheid vom 18. Februar 2004 zusammengefasst und verkürzt wiedergegeben und auf die zentrale Schlussfolgerung abgestellt wurde, der Beschwerdeführer verfüge über keine dem Stand der Technik entsprechende Kanalisation, vermag daran nichts zu ändern). Eine seither eingetretene, wesentliche Sachverhaltsänderung hinsichtlich dieser Dreikammer-Faulanlage behauptet der Beschwerdeführer nicht. Er hat im Übrigen im ersten Befreiungsverfahren auch nicht behauptet, im Hinblick auf seine bestehende Anlage bereits über eine dem Stand der Technik entsprechende Kanalisation zu verfügen. Wenn er jetzt meint, dies sei doch der Fall, wäre es an ihm gelegen gewesen, dieses Argument bereits im ersten Befreiungsverfahren ins Treffen zu führen. Mangels Sachverhaltsänderung kann nunmehr darauf nicht Bedacht genommen werden.

Auch der Umstand, dass dem Beschwerdeführer die wasserrechtliche Bewilligung zur Errichtung einer vollbiologischen Pflanzenkläranlage zwischenzeitig erteilt wurde, stellt keine wesentliche Sachverhaltsänderung im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG dar, weil eine solche Anlage noch nicht errichtet wurde. Die Gemeindebehörden waren nicht verhalten, bis zur Errichtung zuzuwarten oder auch, den Beschwerdeführer aufzufordern, diese Pflanzenkläranlage binnen einer bestimmten Frist in Betrieb zu nehmen, wie er nun vorbringt, weil beides im Gesetz nicht vorgesehen ist.

Damit wurde der zweite Befreiungsantrag jedenfalls zu Recht zurückgewiesen (sodass die von der belangten Behörde im erstangefochtenen Bescheid angeschnittene Frage nicht zu lösen ist, ob die Fertigstellung und die Inbetriebnahme einer solchen Anlage nach Abweisung eines Befreiungsantrages den Beschwerdeführer berechtigte, einen neuerlichen Befreiungsantrag zu stellen).

Die Beschwerde gegen den zweitangefochtenen Bescheid (betreffend die Feststellung der Anschlusspflicht) ist, worauf bereits eingangs hingewiesen wurde, weitgehend wortgleich mit der Beschwerde gegen den erstangefochtenen Bescheid. Da der zweite Befreiungsantrag des Beschwerdeführers zu Recht zurückgewiesen wurde, ist auf das Vorbringen betreffend die Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung im Verfahren betreffend den zweitangefochtenen Bescheid nicht weiter einzugehen. Hinsichtlich der Feststellung der Anschlusspflicht macht der Beschwerdeführer hier nur mehr geltend, dass die Gemeindebehörden im Anschlussverfahren gegen die in § 9 Abs. 3 TiKG 2000 normierte Dreimonatsfrist verstoßen hätten. Das erste Befreiungsansuchen sei mit Bescheid vom 18. Februar 2004 abgewiesen worden, der "sogleich" in Rechtskraft erwachsen sei (gemeint: nach Ablauf der Rechtsmittelfrist). Der Beschwerdeführer sei jedoch erst mit Erledigung vom 16. November 2004 zum Anschluss eines Kanalanschlussvertrages aufgefordert worden, also weit außerhalb der Dreimonatsfrist. Diese Aufforderung vom 16. November 2004 sei verspätet und demnach unwirksam. Eine Fortsetzung des Kanalanschlussverfahrens sei somit entgegen der Auffassung der belangten Behörde jedenfalls unzulässig.

Dem ist zu entgegnen, dass sich die Dreimonatsfrist in § 9 Abs. 3 lit. b zweiter Unterabsatz, wie sich auch aus einem Vergleich mit § 9 Abs. 1 erster Satz leg. cit. ergibt, auf die Frist bezieht, innerhalb derer der Eigentümer der Anlage längstens den Anschlussvertrag abzuschließen hat. § 9 Abs. 3 lit. b zweiter Unterabsatz normiert somit entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers keine Fallfrist für die Behörde, innerhalb der das Anschlussverfahren fortzusetzen wäre, widrigenfalls es (so möglicherweise die Tendenz der Beschwerde) überhaupt nicht mehr fortgesetzt werden dürfte, ein Ergebnis, das auch mit dem öffentlichen Interesse an einer schadlosen Beseitigung der Abwässer nicht in Einklang zu bringen wäre.

Beide Beschwerden waren daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 25. September 2007

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5 Zurückweisung wegen entschiedener Sache

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006060154.X00

Im RIS seit

07.11.2007

Zuletzt aktualisiert am

27.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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