TE Vfgh Erkenntnis 2002/12/12 B519/00

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Veröffentlicht am 12.12.2002
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6800 Ausländergrunderwerb, Grundverkehr

Norm

EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art6 Abs1 / Gesetz
AVG §70 Abs3

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Zurückweisung einer Berufung gegen die Wiederaufnahme eines bereits abgeschlossenen grundverkehrsbehördlichen Genehmigungsverfahrens; kein Verstoß des Ausschlusses einer abgesonderten Berufung gegen die Wiederaufnahme nach dem AVG gegen die EMRK

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Antrag der Beschwerdeführer auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Kaufvertrag vom 29. September 1987 verkaufte S B einen Teil der Liegenschaft EZ 137 GB Reith bei Kitzbühel an den Erstbeschwerdeführer. Mit Kaufvertrag vom 23. Juni/12. Juli 1993 verkaufte S B den Restbestand der Liegenschaft EZ 137 an JPJ. Beide Kaufverträge wurden grundverkehrsbehördlich genehmigt. Am 23. Juni/13. Juli 1993 wurde zwischen dem Erstbeschwerdeführer und JPJ eine Dienstbarkeitsvereinbarung getroffen. Diese Vereinbarung wurde der Grundverkehrsbehörde nicht vorgelegt. Mit Bescheid der Höfekommission Reith bei Kitzbühel vom 3. Oktober 1994 wurde das mit Bescheid vom 15. Dezember 1987 abgeschlossene grundverkehrsbehördliche Genehmigungsverfahren gemäß §69 Abs1 Z1, Abs3 und 4 AVG wiederaufgenommen.

2. Die von den nunmehrigen Beschwerdeführern erhobene Berufung wurde von der Landes-Grundverkehrskommission beim Amt der Tiroler Landesregierung mit Bescheid vom 15. November 1999 gemäß §66 Abs4 AVG als unzulässig zurückgewiesen.

Dies im wesentlichen mit folgender Begründung: Gegen die Verfügung der Wiederaufnahme sei gemäß §70 Abs3 AVG eine abgesonderte Berufung nicht zulässig. Die Berufung gegen diesen Bescheid sei erst zusammen mit dem - in dem wiederaufgenommenen Verfahren ergehenden - Bescheid möglich. Zwar enthalte der angefochtene Bescheid fälschlicherweise eine Rechtsmittelbelehrung, wonach eine Berufung zulässig sei. Dies ändere jedoch nichts daran, daß den Berufungswerbern nach dem Wortlaut des §70 Abs3 AVG kein (abgesondertes) Berufungsrecht gegen den die Wiederaufnahme verfügenden Bescheid vom 3. Oktober 1994 eingeräumt sei.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK), auf Unverletzlichkeit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

In derselben Beschwerde wird auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist gegen den Bescheid der Höfekommission Reith bei Kitzbühel vom 3. Oktober 1994 beantragt sowie begehrt, diesen Bescheid wegen Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte als verfassungswidrig aufzuheben. Insoweit wies der Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie die Beschwerde mit Beschluß vom 13. Juni 2000, B2089/99, zurück.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. §70 Abs3 zweiter Satz AVG idF BG BGBl. 471/1995 lautet:

"Gegen die Bewilligung oder die Verfügung der Wiederaufnahme ist eine abgesonderte Berufung nicht zulässig".

1.1. Die Beschwerde behauptet die Verfassungswidrigkeit des §70 Abs3 zweiter Satz AVG. Die Verletzung des Art6 EMRK ergebe sich daraus, daß es für die Beschwerdeführer keine Möglichkeit gebe, sich gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens entsprechend zur Wehr zu setzen. Da der die Wiederaufnahme verfügende Bescheid unmittelbar auf privatrechtliche Rechtsverhältnisse wirke, indem die erforderliche grundverkehrsbehördliche Genehmigung wegfalle und rückwirkend privatrechtliche Rechte verloren gingen, müsse es möglich sein, das Rechtsmittel der Berufung auch gegen die Verfügung der Wiederaufnahme "allein" zu erheben.

1.2. Diese Auffassung ist unzutreffend. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, ist Art6 Abs1 EMRK auf ein Verfahren, in dem über die Wiederaufnahme eines bereits abgeschlossenen Verfahrens entschieden wird, nicht anwendbar (VfGH 29.6.2001, G108/01). In einem Wiederaufnahmeverfahren wird nämlich nicht über die bereits entschiedene "Sache" geurteilt, sondern nur darüber entschieden, ob das schon beendete Verfahren neu durchzuführen ist. Die im abgeschlossenen Verfahren behandelte Sache wird durch die Bewilligung der Wiederaufnahme nur insofern berührt, als die angefochtene Entscheidung außer Kraft tritt und das Verfahren neu durchgeführt wird. Über die "Sache" des Verfahrens - das ist in diesem Fall die Erteilung einer grundverkehrsbehördlichen Genehmigung - wird im Verfahren über die Wiederaufnahme nicht entschieden; die Lösung dieser "Hauptfrage" bleibt vielmehr völlig offen. Die Europäische Menschenrechtskommission hat wiederholt ausgesprochen, daß Art6 EMRK auf Wiederaufnahmeverfahren nicht anwendbar ist (ÖJZ 1990/6 EMRK 216 mwN; vgl. auch VfSlg. 14076/1995). Der Ausschluß einer abgesonderten Berufung gegen die Wiederaufnahme verfügende Bescheide widerspricht daher nicht den Anforderungen des Art6 EMRK.

Die Beschwerdeführer wurden sohin nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt.

2. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß die Beschwerdeführer in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurden.

3. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. etwa VfSlg. 13419/1993, 14408/1996).

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Die von den Beschwerdeführern für den Fall der Abweisung oder Zurückweisung ihrer Beschwerde beantragte Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof kommt nicht in Frage. Die Landes-Grundverkehrskommission ist gemäß §28 Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996 als Kollegialbehörde gemäß Art133 Z4 B-VG eingerichtet. Die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes ist im Gesetz nur gegen Bescheide der Landes-Grundverkehrskommission, die Rechtserwerbe an Baugrundstücken betreffen, vorgesehen. Im gegenständlichen Beschwerdefall sind jedoch ausschließlich land- oder forstwirtschaftliche Grundstücke betroffen. Der Abtretungsantrag war daher abzuweisen.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Grundverkehrsrecht, Verwaltungsverfahren, Berufung, Wiederaufnahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B519.2000

Dokumentnummer

JFT_09978788_00B00519_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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