Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes DDr. Huberger als Vorsitzenden und die Richter des Oberlandesgerichtes Dr. Bibulowicz und Mag. Häckel in der Rechtssache der klagenden Partei G***** C**********vertreten durch Dr. Reinhard Kohlhofer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Stadt W*****, ***** vertreten durch Dr. Christian Gamauf, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 10.509,35 s.A. und Feststellung (Streitwert EUR 2.000,--), infolge Berufungen der klagenden Partei (Berufungsinteresse EUR 7.000,-- s.A.) und der beklagten Partei (Berufungsinteresse EUR 5.509,35 s.A.) gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 25.4.2006, GZ 2 Cg 84/05w-37, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Beiden Berufungen wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten (§ 52 Abs 1 ZPO).Die Kosten des Berufungsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten (Paragraph 52, Absatz eins, ZPO).
Text
Begründung:
An beiden Augen des Klägers wurde vor dessen 20. Lebensjahr ein Keratokonus diagnostiziert, welcher zu einer Verdünnung im Zentrum der Hornhaut führte. 1986/1987 wurde an der Universitätsklinik Innsbruck eine Hornhauttransplantation auf beiden Augen durchgeführt, die zu einer Stabilisierung des Krankheitsbildes führte. Am linken Auge trat später eine Verschlechterung ein, die zu einem stark ausgeprägten Astigmatismus (Hornhautkrümmung) führte, sodass die Zylinderwerte des Klägers ab 1999 zwischen -8 und -9,5 schwankten und die Sehleistung mit einer Brille nicht mehr korrigierbar war. Der Kläger wandte sich mit dem Anliegen, den Astigmatismus zu reduzieren, an Dr. S***** K*****, Arzt an der Augenklinik des AKH Wien, dessen Rechtsträger die beklagte Partei ist. Dieser empfahl ihm als Behandlung die Lasikmethode als einzig sinnvolle Methode zur Reduzierung des Astigmatismus.
Am 19.3.2002 wurde die Hornhaut am linken Auge des Klägers eingeschnitten (Flap). Am 2.4.2002 folgte der zweite Teil der Operation durch Lasern. Die Operation führte zu keiner Besserung der Sehleistung des Klägers.
Der Kläger ließ danach an der Augenklinik Graz eine astigmatische Keratotomie (AK-bogenförmige Schnitte) durchführen (unstrittiger Sachverhalt).
Der Kläger begehrt - nach Klagsausdehnung (ON 7) - EUR 10.509,35 s.A. und die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für sämtliche zukünftig entstehenden Schäden, welche auf den vom 2.4.2002 erfolgten augenärztlichen Eingriff nach Lasik und der damit verbundenen Hornhautverdünnung zurückzuführen seien, zum Grund des Zahlungsanspruches im Wesentlichen mit dem Vorbringen, der Eingriff am 2.4.2002 habe zu einer erheblichen Verschlechterung seines linken Auges geführt; der Refraktionswert bei einer Sphäre von 7,5 Dioptrien habe 12 Zylinder aufgewiesen. Vor dem Eingriff habe der Zylinderwert -8 bei einer Sphäre von 4,25 Dioptrien betragen. Am 4.6.2002 habe das linke Auge bei einer Sphäre von +3 Dioptrien einen Zylinderwert von -12,5 aufgewiesen.
Die Lasikmethode sei nur bei Fehlsichtigkeiten von 1-3 Dioptrien anzuwenden, im Fall des Klägers sohin eine Falschbehandlung. Überdies habe die beklagte Partei zur Zeit des Eingriffes nur ein überholtes Lasergerät gehabt, bei dem um cirka 30-40 % mehr Hornhautepithel abgetragen werde, als dies bei modernsten Geräten der Fall sei.
Gerade weil der Kläger an einem Keratokonus leide, hätte der operierende Arzt eine Methode anzuwenden gehabt, die keine Verstärkung der Instabilität der Hornhaut verursache. Tatsächlich hätte sich Dr. K***** zur Durchführung einer astigmatischen Keratomie (AK) zu entschließen gehabt (Schriftsatz vom 24.2.2005 = ON 7). Zur Höhe des Schmerzengeldbegehrens brachte der Kläger vor, er habe während des Eingriffes am 2.4.2002 sehr starke Schmerzen gehabt, worauf die Augenlidhalterung herausgesprungen sei und der Laservorgang für einige Zeit unterbrochen werden hätte müssen. Die Schmerzen seien offensichtlich auf eine unzureichende Betäubung zurückzuführen gewesen.
Der ständige Druck, in absehbarer Zeit mit völliger Blindheit rechnen zu müssen, habe die Lebensqualität des Klägers beeinträchtigt. Er sei unsicher geworden, traue sich nicht mehr mit dem Auto zu fahren und habe Schwierigkeiten in der Wahrnehmung von Unebenheiten oder Stiegen, Zukunftsängste, die zu Schlafstörungen führen. Er sei nervös und habe Angst wegen seiner Sehbeeinträchtigung in seinem Beruf als Krankenpfleger zu versagen. Zudem sei er um Vieles lichtempfindlicher geworden und habe sein bevorzugtes Hobby „Lesen" aufgeben müssen (Vorbringen Klage ON 1). Er leide auch wegen der Ungewissheit weiterer Behandlungen an psychischen Schmerzen (Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 28.2.2006, AS 229). Er begehre auch Schadenersatz wegen vermehrter ärztlicher Aufwendungen im Gesamtbetrag von EUR 509,35 (aufgeschlüsselt im Schriftsatz ON 7).
Da der Kläger ständig unter Schwankungen seiner Zylinderwerte zu leiden habe, weshalb sich fortlaufend die Stärken seiner Brillengläser ändern und er daher zu deren Austausch veranlasst sei, sowie zur Behebung seines Leidens zukünftig mit einer Transplantation einer Hornhaut zu rechnen habe, habe er auch ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Haftung der beklagten Partei für die genannten Spät- und Dauerfolgen.
Die beklagte Partei wendet gegen den Grund der Klagsansprüche im Wesentlichen ein, die Lasik-Operation sei die einzige Möglichkeit einer operativen Reduktion des Astigmatismus gewesen. Die bogenförmige Keratotomie sei weniger geeignet gewesen, weil sie ihren therapeutischen Effekt in einer Schwächung der Hornhaut zeitige. Da diese beim Kläger auf Grund seiner Erkrankung schon geschwächt gewesen sei, habe sie auch nicht empfohlen werden können. Die Lasik-Operation sei in zwei voneinander getrennt vorgenommenen operativen Eingriffen lege artis durchgeführt worden. Die beim Kläger aufgetretenen Schmerzen seien auf dessen übergroße Ängstlichkeit zurückzuführen gewesen.
Bei der Operation sei lege artis und ohne nachteilige Auswirkung auf den Kläger ein Teil des Stroma - und nicht Hornhautepithel - abgetragen worden.
Auch die Höhe des Schmerzengeldanspruches werde bestritten. Mit dem angefochtenen Urteil
1) verpflichtete das Erstgericht die beklagte Partei zur Zahlung von EUR 3.509,35 s.A.,
Rechtliche Beurteilung
Gegen den
2) Weiteres Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Augenheilkunde:
Auf diesen in der Berufung der beklagten Partei geltend gemachten Verfahrensmangel, nach dem sie im Schriftsatz vom 8.2.2006 (= ON 31) den Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Augenheilkunde gestellt habe, ist im Berufungsverfahren des ersten Rechtsganges nicht einzugehen, weil das angefochtene Urteil ohnedies wegen der Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes aufzuheben war und die Notwendigkeit der Einholung eines weiteren Gutachtens aus dem Fachgebiet der Augenheilkunde erst nach der mündlichen Gutachtenserörterung des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. F*****D***** vor dem erkennenden Gericht beurteilt werden kann.
Da das Erstgericht dem von der beklagten Partei in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 28.2.2006 gestellten Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens aus dem Fachgebiet der Augenheilkunde nicht wegen sachlicher Unerheblichkeit (§ 275 Abs 1 ZPO), sondern wegen „Verschleppung gemäß §§ 179 und 275 Abs 2 ZPO" zurückgewiesen hat, ist vom Berufungsgericht zu klären, ob diese Zurückweisung unberechtigt war und folglich der Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens im fortzusetzenden Verfahren des zweiten Rechtsganges meritorisch zu behandeln ist oder nicht. Vorab ist klarzustellen, dass die beklagte Partei dieses Gutachten nicht zu in der Tagsatzung vom 28.2.2006 erstmals erstattetem Tatsachenvorbringen („neues Vorbringen"), sondern zur Widerlegung des eingeholten Sachverständigengutachtens, ohne das Tatsachenvorbringen zu erweitern, beantragt hat. § 179 ZPO idF Art II Z 11 ZVN 2002, BGBl I 2002/76, der die Möglichkeit eröffnet, das Vorbringen tatsächlicher Behauptungen und Beweismittel zurückzuweisen, wenn es grob schuldhaft nicht früher vorgebracht wurde, ist daher insoweit nicht anzuwenden, als in der letzten Tagsatzung kein „neues Vorbringen" erstattet wurde.Da das Erstgericht dem von der beklagten Partei in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 28.2.2006 gestellten Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens aus dem Fachgebiet der Augenheilkunde nicht wegen sachlicher Unerheblichkeit (Paragraph 275, Absatz eins, ZPO), sondern wegen „Verschleppung gemäß Paragraphen 179 und 275 Absatz 2, ZPO" zurückgewiesen hat, ist vom Berufungsgericht zu klären, ob diese Zurückweisung unberechtigt war und folglich der Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens im fortzusetzenden Verfahren des zweiten Rechtsganges meritorisch zu behandeln ist oder nicht. Vorab ist klarzustellen, dass die beklagte Partei dieses Gutachten nicht zu in der Tagsatzung vom 28.2.2006 erstmals erstattetem Tatsachenvorbringen („neues Vorbringen"), sondern zur Widerlegung des eingeholten Sachverständigengutachtens, ohne das Tatsachenvorbringen zu erweitern, beantragt hat. Paragraph 179, ZPO in der Fassung Art römisch II Ziffer 11, ZVN 2002, BGBl römisch eins 2002/76, der die Möglichkeit eröffnet, das Vorbringen tatsächlicher Behauptungen und Beweismittel zurückzuweisen, wenn es grob schuldhaft nicht früher vorgebracht wurde, ist daher insoweit nicht anzuwenden, als in der letzten Tagsatzung kein „neues Vorbringen" erstattet wurde.
In Lehre und Rechtsprechung herrscht Uneinigkeit über die Frage, ob die Kriterien des § 179 ZPO für die Zurückweisung von verspätetem Tatsachenvorbringen (objektiv grob schuldhafte Verspätung des Vorbringens) auch auf die - primär nach § 275 Abs 2 ZPO zu beurteilende - Zurückweisung angebotener Beweise für „altes Vorbringen" angewendet werden sollen. § 275 Abs 2 ZPO wurde durch die Zivilverfahrensnovelle 2002 nicht geändert, weshalb nach dem Wortlaut der Bestimmung für die Zurückweisung eines Antrages auf Aufnahme eines Beweismittels für ein bereits bekanntes Beweisthema Verschleppungsabsicht der beweisantragstellenden Partei - und nicht bloß deren objektives grobes Verschulden an der Verspätung - gefordert wird (dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung folgend: Rechberger in Fasching III² Rz 7 zu § 275 ZPO). Andere erkennen in der Ungleichbehandlung der in § 179 und § 275 Abs 2 ZPO geregelten Fälle ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers und legen § 275 Abs 2 ZPO „korrigierend" nach den strengeren Voraussetzungen des § 179 ZPO aus (Beran u.a. (Franz) Klein aber fein, RZ 2002, 270f; M. Bydlinski, ZPO mit Kommentar zur ZVN 2002, 94; OLG Linz 29.3.2004, 2 R 56/04z; offenbar auch LGZ Graz 7.5.2004, 7 R 46/04t; MGA16 E 11 zu § 275In Lehre und Rechtsprechung herrscht Uneinigkeit über die Frage, ob die Kriterien des Paragraph 179, ZPO für die Zurückweisung von verspätetem Tatsachenvorbringen (objektiv grob schuldhafte Verspätung des Vorbringens) auch auf die - primär nach Paragraph 275, Absatz 2, ZPO zu beurteilende - Zurückweisung angebotener Beweise für „altes Vorbringen" angewendet werden sollen. Paragraph 275, Absatz 2, ZPO wurde durch die Zivilverfahrensnovelle 2002 nicht geändert, weshalb nach dem Wortlaut der Bestimmung für die Zurückweisung eines Antrages auf Aufnahme eines Beweismittels für ein bereits bekanntes Beweisthema Verschleppungsabsicht der beweisantragstellenden Partei - und nicht bloß deren objektives grobes Verschulden an der Verspätung - gefordert wird (dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung folgend: Rechberger in Fasching III² Rz 7 zu Paragraph 275, ZPO). Andere erkennen in der Ungleichbehandlung der in Paragraph 179 und Paragraph 275, Absatz 2, ZPO geregelten Fälle ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers und legen Paragraph 275, Absatz 2, ZPO „korrigierend" nach den strengeren Voraussetzungen des Paragraph 179, ZPO aus (Beran u.a. (Franz) Klein aber fein, RZ 2002, 270f; M. Bydlinski, ZPO mit Kommentar zur ZVN 2002, 94; OLG Linz 29.3.2004, 2 R 56/04z; offenbar auch LGZ Graz 7.5.2004, 7 R 46/04t; MGA16 E 11 zu Paragraph 275,
ZPO).
Der erkennende Berufungssenat vertritt jedoch die Auffassung, dass die §§ 179 ZPO und § 275 Abs 2 ZPO verschiedene Präklusionsfälle regeln.Der erkennende Berufungssenat vertritt jedoch die Auffassung, dass die Paragraphen 179, ZPO und Paragraph 275, Absatz 2, ZPO verschiedene Präklusionsfälle regeln.
Verspätung bei Vorbringen und Beweisanträgen:
Nach § 179 ZPO kann das GerichtNach Paragraph 179, ZPO kann das Gericht
Anmerkung
EW00597 13R163.06wEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OLG0009:2006:01300R00163.06W.1229.000Dokumentnummer
JJT_20061229_OLG0009_01300R00163_06W0000_000