Index
19/05 Menschenrechte;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des N, vertreten durch Dr. Lucas Lorenz, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maria Theresien Straße 34/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. Mai 2004, Zl. 241.060/0-VII/43/03, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Georgien, gelangte im April 2003 in das Bundesgebiet und beantragte Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 5. August 2003 begründete er den Asylantrag mit Versuchen georgischer Militärbehörden, ihn rechtswidrig zum Militär einzuziehen. Er sei am 9. April 2003 - trotz des Umstandes, dass er als Einzelkind gesetzlich vom Militärdienst befreit sei - abgeholt und auf dem Militärkommissariat mit einem Gummiknüppel auf den Kopf geschlagen worden. Wenn er sich über das ungesetzliche Vorgehen an höherer Stelle beschwert hätte, so hätte er angesichts der in Georgien herrschenden Korruption noch größere Probleme bekommen können. Für den Fall, dass er hätte einrücken müssen, habe er befürchtet, im "Bürgerkrieg zwischen Georgien und Abchasien" zum Einsatz zu kommen.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 7. August 2003 gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Georgien gemäß § 8 AsylG für zulässig. Es ging im Sachverhalt davon aus, es sei "denkmöglich", dass der Beschwerdeführer seinen "Militärdienst zu leisten" habe, und wertete dies nicht als Verfolgungsgefahr. Der Beschwerdeführer unterliege "der allgemeinen Militärdienstpflicht ... wie jeder andere männliche Staatsangehörige auch". Es weise auch "nichts" darauf hin, dass er in Georgien einer im Sinne des § 8 AsylG relevanten Gefährdung ausgesetzt wäre.
In der Berufung gegen diese Entscheidung machte der Beschwerdeführer u.a. geltend, er sei wie von ihm beschrieben misshandelt worden und hätte befürchtet, in einem Bürgerkrieg zum Einsatz zu kommen. Davon abgesehen habe der Versuch, ihn einzuziehen, dem georgischen Recht widersprochen.
In der Berufungsverhandlung am 22. Jänner 2004 gab der Beschwerdeführer - zusammengefasst - an, er sei 1993 im Zusammenhang mit dem Abchasien-Krieg nach Moskau geflohen, wobei sein Vater damals eine Geldforderung des Militärs erfüllt habe. Nach seiner Rückkehr im Jahr 1995 habe er studiert und sei in dieser Zeit nicht vom Militär behelligt worden. Den Versuch, ihn im April 2003 einzuziehen, erklärte er mit dem Interesse daran, ihn "in Uniform zu stecken, weil das Freikaufen dann teurer gewesen wäre". Der Beschwerdeführer blieb dabei, dass er von Gesetzes wegen nicht zur Wehrdienstleistung verpflichtet sei und für ihn daher nicht die Notwendigkeit bestanden habe, sich mit dem in einem Gesetz vom Juli 2002 dafür vorgesehenen Betrag vom Militärdienst loszukaufen. Um diesen Betrag sei es auch nicht gegangen. Es sei vielmehr beabsichtigt gewesen, von der als vermögend geltenden Familie größere Beträge zu erlangen. Für den Fall des "Abhauens" habe man ihm angedroht, man werde ihn "irgendwann finden und zum Krüppel schlagen". Der Beschwerdeführer legte auch einen Artikel über die katastrophalen, zu Selbstmorden führenden Verhältnisse in der georgischen Armee vor und verwies schließlich darauf, dass in Österreich Hepatitis A, B und C an ihm diagnostiziert worden sei.
Mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Abweisung seines Asylantrages gemäß § 7 AsylG ab. In Spruchpunkt II. erklärte sie die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Georgien gemäß § 8 AsylG für zulässig.
Die belangte Behörde stellte - offenbar ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers - fest, er sei vor seiner Flucht "keiner entscheidungsrelevanten individuellen Verfolgung ausgesetzt" gewesen. In Georgien gebe es aufgrund des Gesetzes vom Juli 2002 die Möglichkeit, sich vom Militärdienst freizukaufen. Davon habe der Beschwerdeführer nicht Gebrauch gemacht. Bürgerkriegsähnliche Verhältnisse oder "kriegerische Handlungen mit abgefallenen Landesteilen" gebe es in Georgien nicht. Die Behandlungsmöglichkeiten in Fällen von Hepatitis seien ausreichend und für die Familie des Beschwerdeführers finanzierbar. Sollte es zutreffen, dass mit Versuchen, den Beschwerdeführer einzuziehen, Geld erpresst werden sollte, so handle es sich dabei um kriminelle Taten ohne Asylrelevanz. Der Beschwerdeführer habe auch nicht dargetan, dass er versucht hätte, staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Im Anschluss an diese im Rahmen der Beweiswürdigung getroffenen Aussagen wiederholte die belangte Behörde auch in der rechtlichen Begründung des ersten Spruchpunktes, der Erpressung durch Kriminelle komme keine Asylrelevanz zu und der Beschwerdeführer habe "überhaupt nicht den Versuch unternommen", staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. "Nicht festgestellt werden" könne, so die belangte Behörde im Zuge der rechtlichen Begründung, "dass es in Georgien gänzlich unmöglich ist, in solchen Fällen Hilfe durch staatliche Organe zu erhalten". "Von seinen Staatsbürgern die Ableistung vom Wehrdienst zu verlangen" sei "in der Regel auch keine Verpflichtung, der Asylrelevanz zukommt". Der Beschwerdeführer wäre überdies in der Lage gewesen, "den verhältnismäßig niedrigen Betrag" für einen Freikauf vom Militärdienst zu leisten.
In der Begründung des zweiten Spruchpunktes ihrer Entscheidung kam die belangte Behörde auf dieses Thema nicht mehr zurück. Zur "Frage des Vorliegens einer Folge im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG" sei "festzuhalten, dass eine solche nicht vorliegt. Der Asylwerber hat insbesondere selbst dargetan, dass er aus einer wohlhabenden Familie kommt, sodass er sich medizinische Betreuung in Georgien leisten kann, die dort auch angeboten wird. Das Vorbringen der berufenden Partei vermag sohin im Lichte der obigen Ausführungen keine Gefahren i.S.d. § 57 FrG bzw. die Unzumutbarkeit der Rückkehr aufgrund der individuellen konkreten Lebensumstände darzutun".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Das Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren enthielt keine hinreichend deutlichen Hinweise darauf, dass sein Wunsch, eine ihm widerrechtlich aufgezwungene Militärdienstleistung zu vermeiden, auf einer politischen oder moralischen Überzeugung beruhe, dass ihm eine solche unterstellt oder dass in anderer Weise an einen der in der Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsgründe angeknüpft werden würde. Der von der belangten Behörde verkannte Umstand, dass es ausgehend von der unüberprüft gebliebenen Behauptung, der Beschwerdeführer sei kraft Gesetzes vom Wehrdienst befreit, nicht um die Erfüllung der Wehrpflicht (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0401), sondern um einen Vorgang illegaler Zwangsrekrutierung gegangen wäre, führt die Beschwerde insoweit, als sie sich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides richtet, daher nicht zum Erfolg (vgl. zu drohender Zwangsrekrutierung - ausgehend von dem Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0531 - etwa das hg. Erkenntnis vom 26. November 2003, Zl. 2000/20/0182).
Für Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gilt dies nicht. Träfe es zu, dass der Beschwerdeführer auf illegale Weise - wobei er bereits durch Schläge mit dem Gummiknüppel auf den Kopf misshandelt wurde - zum Militär eingezogen werden sollte, obwohl er zur Militärdienstleistung gar nicht verpflichtet war, und dass dies dazu dienen sollte, Geld zu erpressen, so läge die Gefahr einer ihm drohenden dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung auch ohne die Hepatitiserkrankung und ohne die unter Beweis gestellten Zustände in der georgischen Armee auf der Hand. Dass dieser von korrupten staatlichen Stellen ausgehenden Gefahr ein staatliches Schutzangebot von ausreichender Effizienz gegenüber stünde, hat die belangte Behörde mit ihrer nicht näher begründeten Feststellung mangelnder Feststellbarkeit eines "gänzlichen" Fehlens der Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Hilfe durch "staatliche Organe" nicht schlüssig dargelegt.
Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war schon deshalb, weil die belangte Behörde das alles verkannt hat, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben. Im Übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren (Einheitssatz und Umsatzsteuer) findet in diesen Vorschriften keine Deckung.
Wien, am 26. September 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006190387.X00Im RIS seit
24.10.2007Zuletzt aktualisiert am
05.11.2008