TE Vwgh Erkenntnis 2007/9/26 2006/19/0512

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Veröffentlicht am 26.09.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §10 Abs5;
AsylG 1997 §24b Abs1;
AsylG 1997 §5;
AsylG 1997 §5a;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2006/19/0514 2006/19/0513

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und die Hofräte Dr. N. Bachler und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde 1. des V, 2. der M, und 3. der X, alle vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof, Mag. Wilfried Embacher, Mag. Dr. Roland Kier und Univ.-Prof. Dr. Richard Soyer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenats jeweils vom 22. November 2005, Zlen. 265.640/0-V/13/05 (ad 1.), 265.641/0-V/13/05 (ad 2.) und 265.642/0-V/13/05 (ad 3.), alle betreffend §§ 5 und 5a Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, hinsichtlich der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer und den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 991,20, zusammen somit EUR 2.973,60, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern der Drittbeschwerdeführerin; sie sind Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen reisten im Juli 2004 in das Gebiet der EU-Mitgliedstaaten ein und stellten am 15. Juli 2004 in Polen Asylanträge. Ihrem Vorbringen zufolge hielten sie sich bis 23. September 2005 im polnischen Flüchtlingslager Lublin auf. Am 24. September 2005 reisten sie in das Bundesgebiet ein und brachten am folgenden Tag (weitere) Asylanträge ein. Der Erstbeschwerdeführer gab dazu an, er habe in beiden Tschetschenien-Kriegen gekämpft und sei verletzt worden. Er sei auf der "Liste der Kämpfer" registriert und werde deshalb von den russischen Behörden verfolgt. Seit dem Jahr 2000 habe er sich versteckt, um den vom russischen Militär durchgeführten Säuberungsaktionen zu entgehen. Die Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen erstatteten kein eigenes Fluchtvorbringen.

Am 12. Oktober 2005 wurde der Erstbeschwerdeführer von Dr. Danler, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, in der Erstaufnahmestelle untersucht. Der darüber erstellte Bericht - zu dem dem Beschwerdeführer nach der Aktenlage kein Parteiengehör gewährt wurde - enthielt Angaben des Beschwerdeführers über seine Kriegsteilnahme im Herkunftsstaat, die dabei erlittenen Verletzungen und über seine "subjektiven Beschwerden" (Schlafstörungen und bedrückende Träume) sowie als "Schlussfolgerung" - durch Ankreuzen eines dafür vorgesehenen Kästchens im Formular - die Verneinung der Frage nach einer "krankheitswerten psychischen Störung" mit dem Zusatz: "... Trotz der langen Kriegsteilnahme derzeit keine Hinweise auf eine Traumatisierung." Die folgenden im Formular vorgegebenen Fragen (nach möglichen Spätfolgen oder einer Retraumatisierung im Fall einer Überstellung des Beschwerdeführers in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union) verneinte der Arzt ebenfalls durch Ankreuzen der dafür vorgesehenen Kästchen. Eine ärztliche Untersuchung der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen fand nach der Aktenlage nicht statt.

Mit Bescheiden vom 25. Oktober 2005 wies das Bundesasylamt die Asylanträge der beschwerdeführenden Parteien - nach Konsultationen mit den zuständigen polnischen Behörden - gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) als unzulässig zurück. Es stellte fest, für die Prüfung der Asylanträge sei "gemäß Artikel 13 iVm 16(1)(e) der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates" (im Folgenden: Dublin-Verordnung) Polen zuständig, und wies die beschwerdeführenden Parteien gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen aus. In der Begründung des den Erstbeschwerdeführer betreffenden Bescheides wurde unter anderem ausgeführt, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer "im Sinne des § 24b AsylG Opfer von Folter oder durch die Geschehnisse im Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert ist." Die ärztliche Untersuchung habe eindeutig ergeben, dass in seinem Fall "aus aktueller Sicht eine krankheitswertige psychische Störung nicht vorliegt" und dass der Beschwerdeführer keine Folterspuren aufweise. Somit sei "im gegenständlichen Verfahren auszuschließen, dass eine medizinisch belegbare Tatsache vorliegt, dass der ASt. Opfer von Folter oder durch die Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein könnte".

In der dagegen erhobenen Berufung wiederholte der Beschwerdeführer sein erstinstanzliches Vorbringen, in Tschetschenien sei er im Rahmen zahlreicher Säuberungsaktionen als Widerstandskämpfer vom russischen Militär gesucht worden. Aufgrund der geschilderten Vorfälle sei er traumatisiert. Im Untersuchungsbericht würden Schlafstörungen und bedrückende Träume festgehalten. Es sei "daher nicht nachvollziehbar, weshalb nicht das Vorliegen von Hyperarousal (ein klassisches Symptom der PTSD: Übererregung wie beispielsweise Schlafstörung)" diagnostiziert würde. Weder die ärztliche Untersuchung noch das Arztschreiben entsprächen den Anforderungen des Sachverständigenbeweises im Sinne des § 52 AVG. Parteiengehör sei ihm dazu auch nicht eingeräumt worden. Die belangte Behörde habe (in anderen Verfahren) bereits mehrfach festgestellt, dass die Untersuchungsergebnisse der in der Erstaufnahmestelle tätigen Ärzte nicht verwertbar seien. Wiederholt sei auch bei Asylwerbern, bei denen sich im Untersuchungsbericht der ÄrztInnnen der Betreuungsstelle Traiskirchen die Schlussfolgerung finde, es liege keine Traumatisierung vor, später von psychiatrischer oder psychotherapeutischer Seite eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden. Das Nichtvorliegen einer PTSD stehe somit nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest, weshalb der Beschwerdeführer den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens stelle. Er werde sich auch selbst um einen Termin bei einem Psychotherapeuten bemühen und eine Stellungnahme nachreichen. In den Berufungen der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen wurde lediglich auf dieses Vorbringen verwiesen.

Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen des Beschwerdeführers und der Beschwerdeführerinnen ohne weitere Ermittlungen "gemäß §§ 5 Abs. 1, 5a Abs. 1 AsylG" ab. Sie ging zunächst - von der Beschwerde insoweit unbestritten - davon aus, dass für die Prüfung der Asylanträge nach den Kriterien der Dublin-Verordnung Polen zuständig wäre. Zur Frage einer möglichen Traumatisierung des Erstbeschwerdeführers führte die belangte Behörde in ihrem Bescheid lediglich Folgendes aus:

"Soweit der Asylwerber in seiner Berufung erstmals behauptet, dass er traumatisiert sei, ist ihm entgegenzuhalten, dass er einer psychologischen Untersuchung zugeführt worden ist, die keinerlei Anzeichen für eine krankheitswertige psychische Störung ergeben hat (Aktenseiten 75 und 77). Seine diesbezüglichen Behauptungen sind demgemäß erkennbar bloß der Versuch, die Zulassung zum österreichischen Asylverfahren zu erzwingen." (Hervorhebungen im Original)

Dagegen richtet sich die gemeinsam erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

1. Der Erstbeschwerdeführer wandte sich unter anderem gegen die Auffassung der belangten Behörde, die Voraussetzungen des § 24b Abs. 1 AsylG seien nicht gegeben und legte dazu mit der Beschwerde einen "Psychotherapeutischen Kurzbericht", verfasst von Erwin Klasek, Psychotherapeut, vor, dem zufolge "wesentliche Aspekte einer höhergradigen post-traumatischen Belastungsstörung (ICD10: F43.1)" beim Beschwerdeführer vorlägen. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wurden betreffend den Erstbeschwerdeführer weiters ein Befundbericht von Dr. Franz Memelauer, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 19. Mai 2006 sowie eine Arztbestätigung von Dr. Gerald Ressi, ebenfalls Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 30. Jänner 2007 vorgelegt, in denen aufgrund stattgefundener Untersuchungen jeweils die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung gestellt wird. Die Beschwerde weist darauf hin, dass bereits in der Berufung die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur vorgebrachten Traumatisierung beantragt worden sei und die belangte Behörde diesem Antrag ohne jegliche Begründung nicht entsprochen habe. Damit zeigt die Beschwerde im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

2. Zur Auslegung des § 24b Abs. 1 AsylG hat der Verwaltungsgerichtshof in jüngster Zeit in mehreren Erkenntnissen Stellung genommen. Im Einzelnen kann dazu gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die hg. Erkenntnisse vom 17. April 2007, Zl. 2006/19/0011, Zlen. 2006/19/0163 bis 0166, Zl. 2006/19/0442, Zl. 2006/19/0675, Zlen. 2006/19/0851 bis 0854 und Zl. 2006/19/0919, vom 30, Mai 2007, Zlen. 2006/19/0418 bis 0420 und Zlen. 2006/19/0433 bis 0436, vom 20. Juni 2007, Zl. 2006/19/0018, sowie vom 30. August 2007, Zlen. 2006/19/0020 bis 0024, Zl. 2006/19/0570 und Zl. 2006/19/0571, verwiesen werden.

3. Die Berufung trat unter Hinweis auf die vom Beschwerdeführer bei der Untersuchung in der Erstaufnahmestelle vorgebrachten Symptome (Schlafstörungen, bedrückende Träume), die "klassisch" für eine Traumatisierung sprächen, der ärztlichen Einschätzung vom 12. Oktober 2005 substantiiert entgegen. Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde nicht inhaltlich auseinander gesetzt, sondern es lediglich unter Hinweis auf die psychologische Untersuchung im erstinstanzlichen Verfahren verworfen und begründungslos als "Versuch, die Zulassung zum österreichischen Asylverfahren zu erzwingen", qualifiziert, statt zur Aufklärung der in der Berufung aufgeworfenen Fragen eine fachkundige Beurteilung einzuholen.

4. Dieser Umstand schlägt gemäß § 10 Abs. 5 AsylG auch auf die Verfahren der Familienangehörigen des Erstbeschwerdeführers (also die Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen) durch und belastet die ihnen gegenüber erlassenen Bescheide der belangten Behörde aus den im hg. Erkenntnis vom 20. April 2006, Zlen. 2005/01/0556 bis 0560, dargestellten Gründen (auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird) mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Diese Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

5. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl II Nr. 333.

Wien, am 26. September 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190512.X00

Im RIS seit

14.11.2007

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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