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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrG 1997 §61 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des O, vertreten durch Dr. Hans Kulka, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Spiegelgasse 13, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 18. April 2007, Zl. UVS- 01//7/3178/2007-2, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist laut eigenen Angaben Staatsangehöriger der Republik Elfenbeinküste und am 17. Jänner 2003 in das Bundesgebiet eingereist. Er stellte einen Asylantrag, der mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. Jänner 2004 abgewiesen wurde; zugleich wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Elfenbeinküste gemäß § 8 Asylgesetz 1997 zulässig sei.
In den Jahren 2003 und 2004 wurde der Beschwerdeführer insgesamt dreimal strafgerichtlich verurteilt und (zuletzt) am 17. Februar 2006 bedingt aus der Strafhaft entlassen. Bereits per 1. Februar 2004 war gegen ihn (offenkundig im Hinblick auf seine Verurteilungen) ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot verhängt worden.
Am 29. April 2006 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz - FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG zur Sicherung seiner Abschiebung in Schubhaft genommen. Die die Schubhaft anordnende Bundespolizeidirektion Wien (im Weiteren: BPD) trat in der Folge mit Note vom 3. Mai 2006 an die Konsularabteilung der Botschaft der Republik Elfenbeinküste in Berlin heran und ersuchte unter Bekanntgabe verschiedener persönlicher Daten des Beschwerdeführers um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates. Diese Note blieb zunächst unbeantwortet, weshalb am 30. Juni 2006 ein wiederholtes Ersuchen an die Vertretung der Republik Elfenbeinküste in Berlin erging. Diese antwortete schließlich im Wege über die Österreichische Botschaft Berlin mit Schreiben vom 1. September 2006, in dem sie Folgendes mitteilte:
"Die Ausstellung von Passierscheinen erfordert vorherige Befragungen, die der Botschaft erlauben sollen, die Staatsbürgerschaft der Betroffenen zu überprüfen.
Diese Befragungen finden in der Botschaft in Anwesenheit von Vertretern des Einwanderungsamtes und/oder der Polizei statt; sie werden sanktioniert durch eine Bestätigung der erfolgten Befragung gegen einen Betrag von 100,-- und 250,-- Euro für den Passierschein.
Aufgrund ihrer Bedeutung kann die Botschaft davon nicht abgehen.
Deshalb wäre es wünschenswert, wenn eine Form gefunden werden könnte, die es den Bediensteten der Konsularabteilung der Botschaft ermöglichen würde, sich für die Befragungen nach Österreich an den Ort zu begeben, wo die Personen, die als Staatsbürger der Elfenbeinküste gelten, inhaftiert sind."
Nach Übersetzung dieses Schreibens brachte die BPD dieses dem Bundesministerium für Inneres per 23. November 2006 mit dem Ersuchen um Bekanntgabe der weiteren Vorgangsweise zur Kenntnis.
Mittlerweile war der Beschwerdeführer am 20. Juli 2006 (der Verwaltungsgerichtshof hatte einer gegen die Zurückweisung seines zweiten Asylantrages erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt) enthaftet worden. Mit Bescheid vom 3. Februar 2007 ordnete die BPD gemäß § 76 Abs. 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG neuerlich die Schubhaft des Beschwerdeführers zur Sicherung seiner Abschiebung an (der Verwaltungsgerichtshof hatte mit Beschluss vom 13. Oktober 2006, Zl. 2006/01/0352, die Behandlung der zuvor genannten Beschwerde abgelehnt). In der Folge (5. Februar 2007) rief die BPD dem Bundesministerium für Inneres ihre bis dahin unbeantwortet gebliebene Anfrage vom 23. November 2006 in Erinnerung, woraufhin am 8. Februar 2007 seitens des Bundesministeriums für Inneres die Mitteilung erging, "dass eine Anfrage bzgl. der genauen Vorgangsweise bzgl. Besuches in Wien via. Österr. Botschaft in Berlin ergangen ist. Sobald diesbezüglich weitere Infos einlangen, werden diese umgehend an do. Behörde weitergeleitet". Eine Urgenz der BPD vom 12. März 2007, in der darauf hingewiesen wurde, dass die Schubhaft des Beschwerdeführers "maximal bis 10. Mai 2007" dauern dürfe, blieb vorerst ohne Reaktion. Mit 31. Mai 2007 wurde schließlich eine Note der Österreichischen Botschaft Berlin vom 30. Mai 2007 an das Bundesministerium für Inneres übermittelt, wonach die Botschaft der Republik Elfenbeinküste bis dato auf eine formelle Anfrage vom 12. Februar 2007 nicht reagiert habe.
In der Zwischenzeit - einlangend beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien, der nunmehr belangten Behörde, am 13. April 2007 - hatte der Beschwerdeführer eine Schubhaftbeschwerde eingebracht, in der er insbesondere auf das oben wiedergegebene Schreiben der Botschaft der Republik Elfenbeinküste vom 1. September 2006 hinwies; da bis dato der dort angesprochene Befragungsmodus nicht geklärt worden sei, sei davon auszugehen, dass - mangels Ausstellung eines Heimreisezertifikates - eine Abschiebung in absehbarer Zeit nicht möglich sein werde; mangels Reiseberechtigung nach Deutschland könne der Beschwerdeführer auch nicht persönlich bei der Botschaft der Republik Elfenbeinküste vorsprechen.
Mit dem bekämpften Bescheid vom 18. April 2007 wies die belangte Behörde die erhobene Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 Abs. 1 und 2 FPG als unbegründet ab und erklärte die Fortsetzung der Schubhaft für rechtmäßig. Bezogen auf das oben dargestellte Vorbringen in der Schubhaftbeschwerde replizierte sie, dass der über kein Reisedokument verfügende Beschwerdeführer bislang keine Veranlassungen getroffen habe, sich ein solches zu beschaffen. Dass die Beschaffung eines Heimreisezertifikates durch die Fremdenbehörde unmöglich sei, stehe nicht fest.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde hat zur in der Schubhaftbeschwerde aufgeworfenen Problematik der (faktischen) Abschiebbarkeit des Beschwerdeführers wie eben wiedergegeben nur ausgeführt, es stehe nicht fest, dass die Beschaffung eines Heimreisezertifikates durch die Fremdenbehörde unmöglich sei. Das mag für sich betrachtet zwar zutreffend sein, greift aber aus nachstehenden Erwägungen zu kurz.
Auszugehen ist von § 80 FPG. Diese Bestimmung lautet - auszugsweise - wie folgt:
"Dauer der Schubhaft
§ 80. (1) Die Behörde ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert.
(2) Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann. Sie darf außer in den Fällen des Abs. 3 und 4 insgesamt nicht länger als zwei Monate dauern.
(3) ...
(4) Kann oder darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden,
1.
...
2.
weil die für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt oder
3. ...
kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren nicht länger als sechs Monate aufrechterhalten werden, es sei denn, die Nichtvornahme der Abschiebung ist dem Verhalten des Fremden zuzurechnen. In diesen Fällen darf der Fremde wegen desselben Sachverhalts innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren nicht länger als zehn Monate in Schubhaft angehalten werden. ...
(5) ...
(6) ...
(7) Die Behörde hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen."
Beim Beschwerdeführer lag der Tatbestand des Abs. 4 Z 2 der eben zitierten Vorschrift vor; ihrer Verpflichtung nach Abs. 7 ist die BPD nachgekommen. Der Beschwerdeführer durfte daher zwar länger als zwei Monate, jedoch "innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren nicht länger als sechs Monate" in Schubhaft gehalten werden. Unter Berücksichtigung der schon 2006 verbüßten Schubhaft (vom 29. April bis 20. Juli) durfte der Beschwerdeführer mithin zum Zeitpunkt seiner hier zu beurteilenden zweiten Schubhaftnahme am 3. Februar 2007 maximal nur mehr etwas mehr als drei Monate angehalten werden. Zum Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde am 18. April 2007 (erlassen am 19. April 2007), mit der die Fortsetzung der Schubhaft für rechtmäßig erklärt wurde, verblieb überhaupt nur mehr eine Frist von rund drei Wochen. Unter Bedachtnahme auf die Überlegungen im hg. Erkenntnis vom 17. November 2005, Zl. 2005/21/0019, auf die des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird und die unverändert auch auf die Rechtslage nach dem FPG zu übertragen sind, hätte sich daher nicht bloß abstrakt die Frage nach der Möglichkeit der Beschaffung eines Heimreisezertifikates gestellt, sondern es wäre darauf einzugehen gewesen, ob innerhalb der je zur Verfügung stehenden restlichen Zeiträume die eine Abschiebung ermöglichende Erlangung eines Heimreisezertifikates zu erwarten sei. Der oben dargestellte Ablauf hätte ungeachtet dessen, dass die konkrete zukünftige Entwicklung jeweils nicht vorhersehbar war, insbesondere zum Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde und bezogen auf ihren Abspruch über die Rechtmäßigkeit der Fortsetzung der Schubhaft Erwägungen in diese Richtung erforderlich gemacht, die dem bekämpften Bescheid indes nicht zu entnehmen sind. Ebenso wenig wird darin etwa damit argumentiert, es käme beim Beschwerdeführer ausnahmsweise eine Schubhaft in der Dauer von zehn Monaten in Betracht. Dazu sei überdies angemerkt, dass nach der Aktenlage nicht erkennbar ist, dass die hiefür notwendige Voraussetzung - die Nichtvornahme der Abschiebung sei seinem Verhalten zuzurechnen - vorliegt. Bezeichnenderweise wurde der Beschwerdeführer auch, wie der Vollständigkeit halber angemerkt sei, bereits wenige Tage nach Erlassung des angefochtenen Bescheides (am 25. April 2007) enthaftet.
Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt, weshalb der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 26. September 2007
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2007210253.X00Im RIS seit
01.11.2007Zuletzt aktualisiert am
24.01.2009