TE Vwgh Erkenntnis 2007/9/26 2007/21/0247

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Veröffentlicht am 26.09.2007
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

MRK Art8;
NAG 2005 §2 Abs1 Z9;
NAG 2005 §46 Abs4;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §73 Abs2;
NAG 2005 §73 Abs4;
NAG 2005 §74;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):2007/21/0248

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde 1. des K S und 2. der K J, beide in Ebergassing und vertreten durch Dr. Rolf Schuhmeister, Rechtsanwalt in 2320 Schwechat, Bruck-Hainburger-Straße 7, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres jeweils vom 27. Februar 2007, 1. Zl. 313.689/5-III/4/05,

2. Zl. 313.689/6-III/4/05, jeweils betreffend Versagung einer Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 25,75 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 29. April 1989 geborene Erstbeschwerdeführer und die am 17. Februar 1991 geborene Zweitbeschwerdeführerin (Geschwister) beantragten am 17. Oktober 2003 durch ihre zum gesetzlichen Vertreter bestellte Großmutter - alle sind serbische Staatsangehörige - bei der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung die Erteilung einer (Erst)Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft, § 20 Abs. 1 FrG" mit ihrer in Österreich niedergelassenen Großmutter.

Diese Anträge wurden mit den Bescheiden der genannten Bezirkshauptmannschaft jeweils vom 11. Oktober 2005 gemäß § 8 Abs. 1 und 3 iVm § 10 Abs. 2 Z 2 und 3 sowie § 20 Abs. 1 des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG abgewiesen.

Die dagegen (von beiden Beschwerdeführern in einem Schriftsatz) erhobene Berufung wurde mit den angefochtenen - im Wesentlichen inhaltsgleichen - Bescheiden des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) jeweils vom 27. Februar 2007 in Anwendung des § 66 Abs. 4 AVG iVm § 2 Abs. 1 Z 9 und § 46 Abs. 4 des (am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen) Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, Verfahren auf Erteilung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen, die bei In-Kraft-Treten des NAG am 1. Jänner 2006 anhängig seien, seien nach den Bestimmungen des NAG zu Ende zu führen. Nach dessen Bestimmungen seien die gegenständlichen Anträge als Erstanträge auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" zu werten. Eine solche Niederlassungsbewilligung sei nach § 46 Abs. 4 NAG Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen bei Erfüllung der in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen zu erteilen. "Familienangehöriger" sei gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 NAG (nur), wer Ehegatte oder unverheiratetes minderjähriges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie). Da die Beschwerdeführer als Enkel der "Zusammenführenden" nicht unter die erwähnte Definition des "Familienangehörigen" fielen, könne - so folgerte die belangte Behörde - der gewünschte Aufenthaltstitel nicht erteilt werden.

In den weiteren Überlegungen prüfte die belangte Behörde, ob den Beschwerdeführern eine "Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit" erteilt werden könne, was die Erfüllung der in § 42 Abs. 1 NAG erwähnten Bedingungen voraussetze. Ausgehend von dem von der Großmutter der Beschwerdeführer bekannt gegebenen Einkommen in Form eines Pensionsvorschusses von täglich EUR 25,37 kam die belangte Behörde nach näheren Berechnungen zu dem Ergebnis, dass diese Einkünfte der Höhe nach nicht dem Zweifachen der Richtsätze des § 293 ASVG entsprächen und somit (schon) die Voraussetzung nach § 42 Abs. 1 Z 3 NAG nicht erfüllt sei.

Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die im vorliegenden Fall für die Prüfung der von der belangten Behörde vorgenommenen Versagung von Niederlassungsbewilligungen maßgeblichen Bestimmungen des NAG lauten:

"Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit

§ 42. (1) Drittstaatsangehörigen kann eine "Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit" erteilt werden, wenn

1.

sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen;

2.

ein Quotenplatz vorhanden ist und

3.

deren feste und regelmäßige monatliche Einkünfte der Höhe nach dem Zweifachen der Richtsätze des § 293 ASVG entsprechen.

Bestimmungen über die Familienzusammenführung

§ 46.

...

(4) Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ist eine "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" zu erteilen, wenn

1.

sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen;

2.

ein Quotenplatz vorhanden ist und

3.

der Zusammenführende

a)

einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" innehat;

b)

eine "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" innehat;

c)

eine Niederlassungsbewilligung außer eine "Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit" nach § 42 innehat und die Integrationsvereinbarung (§ 14) erfüllt hat oder

              d)              Asylberechtigter ist und § 34 Abs. 2 AsylG 2005 nicht gilt.

Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

...

9. Familienangehöriger: wer Ehegatte oder unverheiratetes minderjähriges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie), ... "

Der Beurteilung der belangten Behörde, die Beschwerdeführer seien als Enkel der "Zusammenführenden" keine "Familienangehörigen" im Sinn des Einleitungssatzes des § 46 Abs. 4 iVm § 2 Abs. 1 Z 9 NAG und sie verfügten über keine ausreichenden "Einkünfte" im Sinne des § 42 Abs. 1 Z 3 NAG, und der darauf gegründeten Auffassung, schon deshalb komme die Erteilung von Niederlassungsbewilligungen nach den genannten Bestimmungen nicht in Betracht, tritt die Beschwerde nicht entgegen. Gegen diese Annahme hegt der Verwaltungsgerichtshof vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtslage und auf dem Boden der unbekämpften Feststellungen auch keine Bedenken. Auf die im angefochtenen Bescheid auch angestellten Überlegungen, ob die Versagung von Aufenthaltstiteln für die Beschwerdeführer auch auf das von der belangten Behörde angenommene Nichtvorliegen der allgemeinen Voraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG hätte gestützt werden dürfen, kommt es demnach nicht an und es ist daher darauf auch nicht weiter einzugehen.

In der Beschwerde wird - wie schon in der Berufung - darauf hingewiesen, dass der Erstbeschwerdeführer am 29. April 1989 in Wien geboren und bis 20. Jänner 1997 in Z. bei seiner Großmutter aufhältig gewesen sei. Die Zweitbeschwerdeführerin sei am 17. Februar 1991 zwar im damaligen Jugoslawien geboren worden, aber bereits Ende April 1991 zur Großmutter nach Z. gekommen, wo sie mit ihrem Bruder bis Mitte Jänner 1997 gelebt habe. Die beiden Kinder seien nach einem vorübergehenden Aufenthalt in Jugoslawien am 20. Jänner 2001 bzw. am 9. August 2001 nach Österreich zu ihrer Großmutter, die am 28. November 2002 auch zum Vormund bestellt worden sei, nach Z. zurückgekehrt, wo sie seit den genannten Zeitpunkten lebten. Der nunmehr achtzehnjährige Erstbeschwerdeführer habe somit rund 14 Jahre, die sechzehnjährige Zweitbeschwerdeführerin etwa 12 Jahre in Österreich, davon zumindest auch die letzten sechs Jahre gelebt. Beide Beschwerdeführer hätten hier die Schule besucht und sie seien in Österreich vollkommen integriert; der Erstbeschwerdeführer befinde sich nunmehr im zweiten Ausbildungsjahr zum Einzelhandelskaufmann. In der Berufung war im Zusammenhang mit der Integration der Beschwerdeführer auch darauf hingewiesen worden, dass die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich in ihren Berufungsbescheiden vom 27. Juni 2003 die Ausweisung der Beschwerdeführer als unzulässigen Eingriff in ihr Privat- und Familienleben angesehen hatte. Diesen Bescheiden, die sich in den vorgelegten Verwaltungsakten befinden, ist auch zu entnehmen, dass die Eltern der Beschwerdeführer aus gesundheitlichen und wirtschaftlichen Gründen nicht mehr in der Lage gewesen seien, sich ausreichend um die damals 12- bzw. 10-jährigen Kinder zu kümmern, weshalb sie im Jahre 2001 nach Österreich zu ihrer Großmutter zurückgekehrt seien.

Unter Bezugnahme auf die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführer wird in der Beschwerde bemängelt, die im Verwaltungsverfahren nicht durch einen Rechtsanwalt vertretenen Beschwerdeführer, denen bis zum 14. September 2005 eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei, hätten in der Berufung vom 29. Oktober 2005 "eventualiter" einen Antrag auf Verlängerung dieser Aufenthaltserlaubnis gestellt, den die belangte Behörde nicht behandelt habe. In diesem Zusammenhang wird in der Beschwerde auch eine Verletzung der Manuduktionspflicht geltend gemacht. Der Erstbehörde hätte - so die Beschwerde wörtlich - "bei gehöriger Aufmerksamkeit und bei der gebotenen Sachverhaltsermittlung sofort auffallen müssen, dass aufgrund des Antrages keine positive Aufenthaltsbewilligung erteilt werden kann, da die notwendigen Voraussetzungen für die Familiengemeinschaft nicht gegeben sind." Die Beschwerdeführer hätten daher angeleitet werden müssen, eine Anregung auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen zu stellen.

Der zuletzt angeführte Einwand geht schon deshalb ins Leere, weil die Beschwerdeführer - wie die Beschwerde ohnehin auch ins Treffen führte - gestützt auf ein entsprechendes Vorbringen zu ihrem Aufenthalt in Österreich und unter Darstellung weiterer integrationsbegründender Umstände in ihren Berufungen derartige Anträge gestellt haben. Dass die belangte Behörde über diese - nunmehr als Anregung zur Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen nach den §§ 72 ff NAG zu wertenden - Anträge nicht abgesprochen hat, führt aber jedenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide. Im Übrigen sind dem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen noch die Ausführungen in dem hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2007, Zl. 2007/21/0131, entgegen zu halten, wonach die Stellung eines förmlichen Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen nach den §§ 72 ff NAG nicht zulässig und ein entsprechender Antrag mit Bescheid zurückzuweisen wäre.

Abschließend sind die Beschwerdeführer aber noch auf die Möglichkeit eines Feststellungsantrages nach § 73 Abs. 4 NAG zu verweisen (siehe dazu die näheren Ausführungen in Punkt II. 4. der Entscheidungsgründe des Erkenntnisses vom 15. Mai 2007, Zl. 2006/18/0149, in dem auf das Erkenntnis vom 5. September 2006, Zlen. 2006/18/0243 bis 0246, verwiesen wird). Nach dieser Bestimmung kann der Fremde (auch vom Inland aus) in Verbindung mit einem (weiteren) Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung einen gesonderten Feststellungsantrag zur Klärung der Vorfrage einbringen, ob humanitäre Gründe im Sinne des § 72 NAG, etwa ein aus Art. 8 EMRK ableitbarer Anspruch auf einen Nachzug zu in Österreich niedergelassenen Familienangehörigen oder auf einen Verbleib bei diesen in Österreich, vorliegen. Die genannte Bestimmung sieht einen solchen Feststellungsantrag zwar nur "im Fall einer Familienzusammenführung (§ 46 Abs. 4 NAG)" vor, doch erscheint aus verfassungsrechtlichen Gründen die Auslegung geboten, dass dieser Rechtsbehelf zur Durchsetzung eines aus Art. 8 EMRK ableitbaren Anspruchs auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen auch dann zur Verfügung steht, wenn wie im gegenständlichen Fall zwar nicht die Voraussetzungen des § 46 Abs. 4 NAG vorliegen, aber - legt man das Vorbringen der Beschwerdeführer zugrunde - die Erteilung einer solchen Niederlassungsbewilligung unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK geboten scheint (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Oktober 2003, G 119/03 u.a., VfSlg. 17.013, aus denen sich ergibt, dass im Fall eines am Maßstab der Rechtsprechung des EGMR ausnahmsweise "direkt" aus Art. 8 EMRK ableitbaren Anspruches auf "Familiennachzug" ein durchsetzbarer Rechtsanspruch auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung einzuräumen ist; vgl. auch das Urteil des EGMR vom 31. Jänner 2006 im Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande, Beschwerde Nr. 50435/99, und die u.a. auch dieses Urteil einbeziehende Auseinandersetzung mit der jüngeren Rechtsprechung des EGMR zum Schutz des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK von Thym, Menschenrecht auf Legalisierung des Aufenthalts? EuGRZ 2006, 541 ff; siehe schließlich noch Ecker, Umsetzung der RL 2003/86/EG durch das Fremdenrechtspakt 2005? migralex 2007, 46, Punkt II B 3.). Wie der Verfassungsgerichtshof in dem genannten Erkenntnis bereits angemerkt hat, dürfte es sich hierbei in der Praxis um sehr wenige Fälle handeln, auch wenn davon nicht nur der eigentliche Nachzug von im Ausland befindlichen Angehörigen der Kernfamilie zu einer hier niedergelassenen "Ankerperson" erfasst sind, sondern - wie der vorliegende Fall zeigt - auch durch die Versagung von Erstniederlassungsbewilligungen bewirkte unzulässige Eingriffe in einen aus Art. 8 EMRK ableitbaren Anspruch auf Verbleib bei einem Angehörigen in Österreich. Bei Letzteren kann es sich jedenfalls nur um "Nachzugsfälle" handeln, in denen unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK auch eine Ausweisung unzulässig wäre.

Die vorliegende Beschwerde war aber aus den oben dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG Abstand genommen werden.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 26. September 2007

Schlagworte

Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Parteienrechte und Beschwerdelegitimation Verwaltungsverfahren Rechtsverletzung des Beschwerdeführers Beschwerdelegitimation bejahtIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2007210247.X00

Im RIS seit

26.11.2007

Zuletzt aktualisiert am

17.02.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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