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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
FrPolG 2005 §60 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des T, vertreten durch Dr. Günter Schandor, Rechtsanwalt in 1120 Wien, Arndtstraße 98/I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion Niederösterreich vom 2. März 2006, Zl. Fr-3464/03, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 26. Jänner 2002 nach Österreich ein. Am 1. März 2003 heiratete er vor dem Standesamt Schwertberg die österreichische Staatsangehörige Manuela P. Im Hinblick darauf zog der Beschwerdeführer seinen kurz nach der Einreise eingebrachten, im Berufungsstadium anhängigen Asylantrag zurück und stellte am 17. Juni 2003 bei der Bezirkshauptmannschaft Amstetten einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger - Österreich, § 49 FrG".
Mit Schreiben vom 31. Juli 2003 verständigte die Bezirkshauptmannschaft Amstetten den Beschwerdeführer vom Ergebnis ihrer Ermittlungen (Zeugenbefragungen und Gendarmerieerhebungen), wonach er mit Manuela P. zur Erlangung aufenthaltsrechtlicher Berechtigungen eine "Scheinehe" geschlossen und dafür EUR 10.000,--
geleistet habe. Unter einem wurde dem Beschwerdeführer die Absicht mitgeteilt, deshalb den Niederbewilligungsantrag abzuweisen und ein Aufenthaltsverbot zu erlassen.
Dazu äußerte sich der Beschwerdeführer innerhalb der eingeräumten Frist nicht, sodass die genannte Bezirkshauptmannschaft einerseits den Niederlassungsbewilligungsantrag mit Bescheid vom 10. September 2003 abwies und andererseits mit Bescheid vom 9. September 2003 gegen den Beschwerdeführer ein auf § 48 Abs. 1 iVm § 36 Abs. 1 und 2 Z 6 und 9 des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG gestütztes Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erließ. Der das Aufenthaltsverbot (nach ergänzender Vernehmung des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau) bestätigende Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 26. November 2003 wurde - nachdem der dagegen erhobenen Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt und das verwaltungsgerichtliche Verfahren im Hinblick auf ein (in einem anderen Verfahren gestelltes, eine auch hier präjudizielle Vorfrage betreffendes) Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH vorübergehend ausgesetzt worden war - mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. November 2005, Zl. 2005/21/0236, aufgehoben.
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 8. Oktober 2004 wurde die Ehe zwischen Manuela P. und dem (durch einen Abwesenheitskurator vertretenen) Beschwerdeführer aus dessen alleinigem Verschulden geschieden.
Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz)Bescheid der Sicherheitsdirektion Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 2. März 2006 wurde der Berufung gegen den Bescheid vom 9. September 2003 keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid "mit der Maßgabe bestätigt", dass das Aufenthaltsverbot auf § 60 Abs. 1 und 2 Z 9 des (am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen) Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG gestützt wurde.
Die belangte Behörde ging aufgrund ihrer beweiswürdigenden Überlegungen, die sich insbesondere auf Widersprüche in den Angaben des Beschwerdeführers und von Manuela P. zum Kennenlernen, zu angeblichen gemeinsamen Treffen vor der Hochzeit und bei der Beschreibung der Lebensumstände stützten, davon aus, der Beschwerdeführer habe mit seiner damaligen Ehefrau kein Familienleben iSd Art. 8 EMRK geführt und mit ihr die Ehe nur deswegen geschlossen, um in den Genuss eines Aufenthaltstitels und einer arbeitsmarktrechtlichen Bewilligung zu gelangen. Der Beschwerdeführer sei mit seiner Ehefrau lediglich vorübergehend in einer gemeinsamen Wohnung aufhältig gewesen und habe den Kontakt zu ihr bereits zwei Monate nach der Eheschließung ohne triftigen Grund abgebrochen. Es sei eindeutig vom Vorliegen einer sogenannten "Aufenthaltsehe" auszugehen. Dadurch sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG erfüllt, sodass die Annahme gerechtfertig sei, der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ordnung (das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen), zumal der Beschwerdeführer in Österreich "auf der Basis dieser rechtsmissbräuchlich geschlossenen Heirat" gelebt habe, seit der Eheschließung noch nicht fünf Jahre vergangen seien und er weiter "in diesem Rechtsmissbrauch verharre".
In den weiteren Überlegungen ging die belangte Behörde angesichts des Aufenthalts des Beschwerdeführers seit Ende Jänner 2002 von einem durch das Aufenthaltsverbot bewirkten "gewissen" Eingriff in das Privatleben aus. Jedoch könne die "Aufenthaltszeit" aufgrund der Täuschungs- und Umgehungshandlungen nicht besonders gewichtet werden. Die privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich hätten daher hinter das maßgebliche öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen zurückzutreten. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei daher im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten und nach Abwägung der gegenläufigen Interessen nach § 66 Abs. 2 FPG zulässig. Diese Erwägungen würden auch für das der Behörde eingeräumte - jedoch nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers auszuübende - Ermessen gelten.
Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 27. November 2006, B 832/06-13, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Nach der Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 1 FPG sind Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung, die bei In-Kraft-Treten des FPG (am 1. Jänner 2006) anhängig sind, nach dessen Bestimmungen weiterzuführen. Dem entsprechend hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall zutreffend die Bestimmungen des FPG angewendet.
Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 9 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat. Für die Erfüllung des zitierten Tatbestandes kommt es darauf an, dass eine Scheinehe bzw. Aufenthaltsehe missbräuchlich zur Erlangung von sonst nicht zustehenden Berechtigungen eingegangen wurde, wobei es erforderlich ist, dass diese Missbrauchsabsicht bereits bei der Eheschließung bestanden hat. Die zitierte Norm verwendet zwar die Formulierung "ein gemeinsames Familienleben … nie geführt hat". Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des FPG (952 BlgNR 22. GP 99) führen dazu jedoch aus:
"Die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen Fremde, die eine Ehe nur deshalb abgeschlossen haben, um sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf diese zu berufen, ohne ein Eheleben zu führen (Abs. 2 Z 9) wird dahingehend geändert, dass dies nun auch ohne Leistung des zumindest nur schwer nachweisbaren Vermögensvorteils durch den Fremden möglich ist."
Dem Gesetz liegt somit nicht die Intention zu Grunde, dass ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden dürfte, wenn der Fremde zu irgend einem (früheren) Zeitpunkt mit dem (späteren) Partner ein Familienleben geführt hat. Ein vor der Eheschließung geführtes Familienleben hindert somit nicht die Erfüllung des genannten Tatbestandes (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 27. März 2007, Zl. 2006/21/0391). Andererseits ergibt sich aus den zitierten Gesetzesmaterialien aber auch, dass der Tatbestand jedenfalls dann nicht verwirklicht ist, wenn nach der Eheschließung ein als Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK zu qualifizierendes "Eheleben" geführt wurde.
Dem hat die belangte Behörde nicht ausreichend Rechnung getragen und sich offenbar demzufolge mit dem von ihr angenommenen "Aufhältigsein" des Beschwerdeführers in der Wohnung der Manuela P. nicht ausreichend auseinandergesetzt. Im Rahmen der Beweiswürdigung gibt die belangte Behörde nämlich die Feststellungen aus dem gerichtlichen Scheidungsurteil wieder, wonach der Beschwerdeführer "bereits zwei Monate nach der Hochzeit (also Mai 2003)" ohne Angabe von Gründen "die Wohnung verlassen" habe. Offenbar daran anknüpfend stellte die belangte Behörde (im selben Begründungsteil) fest, der Beschwerdeführer sei "lediglich vorübergehend" in einer gemeinsamen Wohnung "aufhältig" gewesen und habe bereits zwei Monate nach der Eheschließung den Kontakt abgebrochen. Daraus folgt, dass die belangte Behörde von einem zumindest zwei Monate dauernden Zusammenwohnen des Beschwerdeführers mit Manuela P. ausgegangen ist. Dessen Beginn setzte sie - entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers - offenbar (erst) mit der Eheschließung (1. März 2003) an, zumal sie an anderer Stelle auch ausführte, es treffe zwar zu, dass der Beschwerdeführer ab 23. Dezember 2002 an derselben Adresse wie Manuela P. "polizeilich gemeldet" gewesen sei, doch sage das allein über eine tatsächliche Wohnungsnahme und das Führen eines Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK noch nichts aus.
Dazu ist zunächst anzumerken, dass mit der zuletzt wiedergegebenen Überlegung - wie die Beschwerde unter dem Gesichtspunkt einer Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung im Ergebnis zu Recht bemängelt - noch nicht dargetan wird, aus welchen Gründen die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers - Manuela P. wurde dazu nicht befragt - für unglaubwürdig gehalten werden. Entscheidend ist aber am Maßstab der oben dargestellten Rechtslage vor allem, dass sich dem angefochtenen Bescheid keine in sich geschlossene und nachvollziehbare Begründung für die Feststellung entnehmen lässt, der Beschwerdeführer und Manuela P. hätten nach der Eheschließung kein Familienleben geführt, zumal die belangte Behörde einerseits von einem Zusammenwohnen in der Dauer von mindestens zwei Monaten ausging und andererseits auch die Angaben zum Vollzug der Ehe - wie er im Scheidungsurteil auch festgestellt wurde - nicht schlüssig widerlegte. Darüber hinaus finden sich keine beweiswürdigenden Erwägungen zur Aussage von Manuela P., sie hätte mit dem Beschwerdeführer bis Anfang September 2003 ein "normales Eheleben" geführt, wozu im Übrigen auch keine nähere Befragung erfolgte.
Im Hinblick auf diese Verfahrens- und Begründungsmängel war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren findet darin keine Deckung.
Wien, am 26. September 2007
Schlagworte
Begründung BegründungsmangelBesondere RechtsgebieteAuslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2007210003.X00Im RIS seit
26.11.2007Zuletzt aktualisiert am
28.04.2011