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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. November 2005, Zl. 230.120/2-VIII/22/02, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Georgiens, gelangte im Februar 2002 in das Bundesgebiet und beantragte Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 26. Februar 2002 gab er an, er sei seit 1998 Mitglied der georgischen Labour Party. Bei der Parlamentswahl am 31. Oktober 1999 sei er in einem näher bezeichneten Wahllokal in Tiflis als Beobachter für seine Partei zugegen gewesen und in eine Auseinandersetzung mit Polizisten geraten, von denen einer versucht habe, mehrere Stimmzettel in die Wahlurne zu werfen. Die Polizisten hätten Verstärkung geholt und der Beschwerdeführer sei auf die Polizeistation gebracht, "physisch unterdrückt" und bedroht worden. Nach zwei Stunden habe man ihn freigelassen. Die Polizisten, die den Beschwerdeführer und dessen nicht weit vom Wahllokal entferntes Geschäft gekannt hätten, hätten von da an begonnen, den Beschwerdeführer insbesondere mit Geldforderungen zu bedrängen. Er sei in diesem Zusammenhang auch wiederholt von ihnen aufgefordert worden, seine politische Tätigkeit zu beenden. Ein letzter solcher Vorfall habe sich im Mai 2001 ereignet, dabei sei der Beschwerdeführer auch festgenommen und erst am Folgetag gegen Bezahlung eines Geldbetrages wieder freigelassen worden. Danach habe er sich einige Monate lang bei seinen Schwiegereltern versteckt gehalten und im Dezember 2001 das Land verlassen. Seine Parteifreunde hätten ihm das empfohlen.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 26. Juni 2002 gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Georgien gemäß § 8 AsylG für zulässig. Es ging von seinen Angaben aus, sah in der "Bedrohung durch korrupte Polizeibeamte" aber keine asylrelevante Verfolgungsgefahr und führte in der Begründung des Ausspruches gemäß § 8 AsylG u.a. aus, der Beschwerdeführer habe "selbst" angegeben, "niemals konkrete Probleme mit ... der Polizei ... gehabt zu haben".
In seiner Berufung gegen diese Entscheidung beschrieb der Beschwerdeführer noch einmal den Vorfall vom 31. Oktober 1999. Nach der Wahl, bei der seine Partei die Mindestgrenze von 7 % der Stimmen überschritten habe, was aber nicht anerkannt worden sei, sei es häufiger zu Verfolgungen von Parteimitgliedern durch die Behörden gekommen. Abgesehen von den Geldforderungen der Polizisten sei es bei ihm auch vorgekommen, dass die Steuerinspektion sein Geschäft unter Vorwänden geschlossen habe. Einmal sei er zu Gericht zitiert worden und habe auf Rat des Richters Bestechungsgeld gezahlt, wobei der Richter gemeint habe, als Parteimitglied könne er das leicht zahlen. Außerdem habe es drei Raubüberfälle auf sein Geschäft gegeben, die er auf dieselben Ursachen zurückführe. Bei dem Vorfall im Mai 2001 hätten die Polizisten unaufhörlich verlangt, dass er aus seiner Partei austrete, und ihm mit physischer Gewalt gedroht.
In der Berufungsverhandlung am 8. Jänner 2003 wurde der Beschwerdeführer zu seinen bisherigen Angaben - insbesondere auch über die Zusammenhänge zwischen den von ihm beschriebenen Nachstellungen und seiner Parteimitgliedschaft - ergänzend befragt. Er bestätigte, dass der Konflikt seine Ursache in dem Vorfall bei der Parlamentswahl gehabt habe und seine Parteimitgliedschaft bei jedem der weiteren Vorfälle ins Spiel gebracht worden sei. Darüber hinaus wurden dem Beschwerdeführer Georgien betreffende Länderberichte von 1999 und 2002 vorgehalten.
Zu diesen Berichten äußerte sich der Beschwerdeführer - teilweise kritisch - mit Schreiben vom 13. März 2003. In einer weiteren seiner (insgesamt zahlreichen, zum Teil nicht auf den Gegenstand des Verfahrens bezogenen) Eingaben nahm er am 1. Dezember 2003 zu den georgischen Parlamentswahlen im November 2003 und der nachfolgenden "Rosenrevolution" Stellung. Er wies darauf hin, dass der offenbar künftige Präsident Saakaschwili ein Gefolgsmann Schewardnadses gewesen sei, und erwähnte, dass die von ihm geführte Partei im Sommer 2003 in die Zentrale der Partei des Beschwerdeführers eingebrochen und dort großen Schaden angerichtet habe. Es geschähen "viele terroristische Akte" u. a. gegen die Partei des Beschwerdeführers.
Im Jänner 2005 beauftragte die belangte Behörde den Sachverständigen Tetruaschwili mit einem schriftlichen Gutachten über die Plausibilität des Vorbringens des Beschwerdeführers sowie darüber, ob ihm bei einer Rückkehr nach Georgien Verfolgung drohe. Das nicht ganz drei Seiten lange Gutachten langte im August 2005 bei der belangten Behörde ein und wurde von ihr dem Parteiengehör unterzogen.
Der Beschwerdeführer nahm dazu zunächst handschriftlich in einer Eingabe vom 5. September 2005 Stellung, in der er u. a. darauf hinwies, dass die vom Sachverständigen dessen Gutachten angeschlossene Liste der "Parteimitglieder der Labor Partei von Georgien aus 1999", in der der Beschwerdeführer nicht aufscheine, eine Liste der damaligen Kandidaten sei, zu denen er nicht gezählt habe. Darüber hinaus verwies er darauf, dass Saakaschwili damals im selben Wahlkreis für die Partei Schewardnadses kandidiert habe und die Polizisten, mit denen der Beschwerdeführer bei dieser Wahl in Konflikt geraten sei, nunmehr hohe Positionen innehätten.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 26. September 2005 hielt der Beschwerdeführer den Ausführungen des Sachverständigen über die aktuellen Verhältnisse in Georgien Berichte der Schweizer Flüchtlingshilfe, von Amnesty International, des Human Rights Information and Documentation Center (HRIDC) und der International Helsinki Federation for Human Rights (IHF) sowie u.a. eine in englischer Sprache gehaltene Darstellung der Georgian Labour Party entgegen. Die zuletzt genannte Urkunde wandte sich gegen das "Shevardnadze-Saakashvili regime" und beschrieb u.a. den von Beschwerdeführer schon in seiner handschriftlichen Eingabe erwähnten Überfall der "fighters of Mr. Saakashvili" auf die Parteizentrale im August 2003.
In der fortgesetzten mündlichen Berufungsverhandlung am 11. November 2005 bekräftigte der Beschwerdeführer seine Auffassung, dass sich die Lage seiner Partei seit 1999 nicht gebessert habe. Er gab an, der Leiter der Polizeistelle, in der er damals festgehalten worden sei, sei jetzt Polizeichef von Tiflis und auch sein Stellvertreter sei in einer näher genannten hohen Position. Das Innenministerium handle nicht anders als unter Schewardnadse.
Demgegenüber vertrat der Sachverständige die Ansicht, nach dem Machtwechsel habe sich "die Situation in Georgien wesentlich gebessert". Schon im schriftlichen Gutachten hatte er die Auffassung vertreten, die Änderung sei "von der ganzen Welt gesehen und anerkannt" worden und eine "politische Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur georgischen Arbeiterpartei" könne "per heute ausgeschlossen werden". Für eine solche Verfolgung fehle es "an allen gesetzlichen Grundlagen".
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab. Sie folgte dem - in den Feststellungen verkürzt zusammengefassten - Vorbringen des Beschwerdeführers über dessen Erlebnisse vor der Ausreise aus Georgien im Dezember 2001, verneinte aber gestützt auf Feststellungen über die nunmehrige Lage in Georgien und die Meinung des Sachverständigen die Gefahr einer Verfolgung des Beschwerdeführers wegen seines Engagements für die Labour Party "zum gegenwärtigen Zeitpunkt".
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Begründung des angefochtenen Bescheides ist zunächst insofern mangelhaft, als die Feststellungen der belangten Behörde über die von ihr angenommenen Verhältnisse in Georgien sich den von ihr herangezogenen Quellen nicht im Einzelnen zuordnen lassen. Es ist zwar klar, dass sich die belangte Behörde bei der Verneinung einer aktuellen Verfolgungsgefahr auf die schon zitierte (und im Bescheid auch kursiv wiedergegebene) Stelle des schriftlichen Gutachtens stützen will. Zu den allgemeinen Feststellungen über Georgien wird in der Beweiswürdigung - abgesehen von dem Hinweis, sie seien schon in einem anderen Bescheid enthalten gewesen - aber nur zusammenfassend ausgeführt, die belangte Behörde habe sie "den vorgehaltenen Dokumenten entnommen".
Die Beschwerde leitet daraus ab, diese Feststellungen seien veraltet, weil ihnen die in der Verhandlung am 8. Jänner 2003 (somit vor der Änderung der Machtverhältnisse in Georgien) vorgehaltenen Berichte zugrunde lägen. Tatsächlich dürfte die belangte Behörde jedoch - zumindest in Bezug auf einen Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien - jeweils neuere Fassungen der Berichte herangezogen haben, die aber im Verfahren nicht erörtert wurden und den vorgelegten Akten auch nicht beiliegen.
Von größerer Bedeutung für die angefochtene Entscheidung sind jedoch die nachfolgenden Feststellungen der belangten Behörde über die Partei des Beschwerdeführers und die "aktuelle politische Situation" in Georgien. In diesen Feststellungen, die weitgehend dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen folgen, mischt sich Allgemeinwissen - mit einem "Wikipedia"-Artikel über die Partei des Beschwerdeführers teilweise wortgleiche Ausführungen - mit optimistischen Einschätzungen des Sachverständigen, die sich, soweit sie überhaupt nachvollziehbar sind, mehr aus der Rechtslage als aus der sozialen Wirklichkeit in Georgien herzuleiten scheinen. Der schon erwähnte Hinweis auf das Fehlen von "gesetzlichen Grundlagen" für eine politische Verfolgung ist nicht das einzige Anzeichen für eine solche, in der Beschwerde mit Recht kritisierte, Betrachtungsweise.
Einer näheren Auseinandersetzung damit bedarf es nicht, weil diese Feststellungen der belangten Behörde zumindest noch unter zwei weiteren Gesichtspunkten, die in der Beschwerde ebenfalls aufgezeigt werden, nicht ausreichend begründet sind. So hat es die belangte Behörde verabsäumt, die vom Beschwerdeführer mit der Stellungnahme vom 26. September 2005 vorgelegten Berichte in ihre Würdigung einzubeziehen, und sie hat in ihren Erwägungen auch nicht offen gelegt, warum sie dem Sachverständigen, der die behaupteten Erlebnisse des Beschwerdeführers als "unwahrscheinlich" einstufte, in dieser Hinsicht zwar nicht folgte, seine Bezeichnung künftiger Verfolgungen als "unwahrscheinlich" der angefochtenen Entscheidung jedoch zugrunde legte. Damit fehlt, wie die Beschwerde zutreffend anmerkt, eine Verfolgungsprognose des Sachverständigen auf der Grundlage des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalts. Dass seine Qualifikation angesichts des missglückten Arguments zur Widerlegung der Parteimitgliedschaft des Beschwerdeführers (mit der dem Gutachten angeschlossenen "Liste der Parteimitglieder") und anderer Einzelheiten nicht ganz so unzweifelhaft erscheint, wie die belangte Behörde offenbar angenommen hat, sei nur am Rande bemerkt.
Die belangte Behörde hat aber auch in rechtlicher Hinsicht nicht darauf abgestellt, ob der Beschwerdeführer - ausgehend vom angenommenen Sachverhalt - mit der Ausreise aus Georgien im Dezember 2001 Flüchtling wurde, was angesichts der von ihm dafür angegebenen Gründe nicht ausgeschlossen erscheint. Diesfalls wäre die von der belangten Behörde angenommene Änderung der Machtverhältnisse durch die sogenannte "Rosenrevolution" aber unter dem Gesichtspunkt des gemäß § 7 AsylG u.a. anzuwendenden Art. 1 Abschnitt C Z 5 FlKonv zu würdigen gewesen. Im vorliegenden Fall hätte dies insofern von Bedeutung sein können, als sich der Beschwerdeführer darauf gestützt hat, gerade in Bezug auf das gespannte Verhältnis zwischen seiner Partei und der in Georgien jeweils dominierenden politischen Kraft und hinsichtlich der dadurch ausgelösten Gefahren sei durch diesen Machtwechsel keine entscheidende Veränderung eingetreten. Das Gegenteil müsste mit einiger Sicherheit und Nachhaltigkeit feststellbar sein, wenn die zunächst gegebene Flüchtlingseigenschaft wegen der angenommenen Änderung als erloschen angesehen werden sollte. Die belangte Behörde hat auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt aber nicht erkennbar Bedacht genommen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 26. September 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006190567.X00Im RIS seit
24.10.2007Zuletzt aktualisiert am
05.11.2008