Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** GmbH, ***** vertreten durch DDr. Meinhard Ciresa, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei N***** GmbH, ***** vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 33.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 28. September 2006, GZ 1 R 117/06t-11, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 28. April 2006, GZ 39 Cg 24/06g-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
2. Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung unter Einbeziehung ihrer bestätigten Teile insgesamt wie folgt zu lauten hat:
„Einstweilige Verfügung
Die beklagte Partei ist schuldig, es ab sofort und bis zur Rechtskraft des über die Unterlassungsklage ergehenden Urteils im geschäftlichen Verkehr und zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen, für das von ihr vertriebene Arzneimittel EXELON mit der Aussage „die EXCEED-Studie zeigt eine statistisch signifikante Überlegenheit von täglich zwei Kapseln EXELON im Vergleich zu einer Tablette Donepezil bezüglich der Erhaltung der Alltagskompetenz und ein statistisch signifikant besseres Ergebnis im klinischen Gesamturteil" oder sinngleichen Aussagen zu werben, wenn nicht zugleich darauf hingewiesen wird, dass der Einfluss dieser Arzneimittel auf die geistige Leistungsfähigkeit primäres Ziel dieser Studie war und insoweit keines dieser Arzneimittel ein besseres Ergebnis erzielen konnte.
Das darüber hinausgehende Begehren, der Beklagten zu untersagen, für das von ihr vertriebene Arzneimittel EXELON ganz generell mit der Aussage „die EXCEED-Studie zeigt eine statistisch signifikante Überlegenheit von täglich zwei Kapseln EXELON im Vergleich zu einer Tablette Donepezil bezüglich der Erhaltung der Alltagskompetenz und ein statistisch signifikant besseres Ergebnis im klinischen Gesamturteil" oder sinngleichen Aussagen zu werben, und/oder unter Bezugnahme auf Donepezil der klagenden Partei mit der irreführenden Aussage „Zwei wirken besser als eine" oder sinngleichen Aussagen zu werben oder wahrheitswidrig eine Spitzenstellung gegenüber Donezepil der klagenden Partei zu behaupten, wird abgewiesen.
Die klagende Partei hat ein Drittel der Kosten des Sicherungsverfahrens erster Instanz vorläufig und zwei Drittel dieser Kosten endgültig selbst zu tragen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 724,80 EUR (darin 120,80 EUR Umsatzsteuer) bestimmten anteiligen Kosten des Sicherungsverfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen."
3. Die klagende Partei hat ein Drittel der Kosten des Rechtsmittelverfahrens vorläufig und zwei Drittel dieser Kosten endgültig selbst zu tragen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 995,82 EUR (darin 165,97 EUR Umsatzsteuer) bestimmten anteiligen Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Streitteile sind pharmazeutische Unternehmen und vertreiben Arzneimittel zur Behandlung von Alzheimer. Dabei handelt es sich um eine chronische, fortschreitende Erkrankung des Gehirns, bei der Nervenzellen und Nervenzellverbindungen nicht wiederherstellbar zugrunde gehen. Es kommt zu Störungen des Gedächtnisses, der Sprache, des Denkvermögens, des Erkennens und der Handhabung von Gegenständen sowie der örtlichen Orientierung. Das Arzneimittel der Klägerin ARICEPT enthält den Wirkstoff Donepezil, das Arzneimittel der Beklagten EXELON den Wirkstoff Rivastigmin. Die Verabreichung derartiger Antidementiva soll dem fortschreitenden Zellabbau im Gehirn entgegenwirken und die Hauptkriterien „Activities of Daily living", „Behaviour" und „Cognition" (in der medizinischen Literatur „A-B-C-Schema" genannt) solange wie möglich erhalten.
Die Beklagte warb in der Fachzeitschrift „Psychopraxis 1/2006" mit nachstehender Einschaltung:
(Abbildung nur in Originalentscheidung ersichtlich.)
Zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs begehrte die Klägerin, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu untersagen, für das von ihr vertriebene Arzneimittel EXELON
a) unter Bezugnahme auf Donepezil der Klägerin mit der irreführenden Aussage „Zwei wirken besser als eine" oder sinngleichen Aussagen und/oder
b) mit der Aussage „Die EXCEED-Studie zeigt eine statistisch signifikante Überlegenheit von täglich zwei Kapseln EXELON im Vergleich zu einer Tablette Donepezil bezüglich der Erhaltung der Alltagskompetenz und ein statistisch signifikant besseres Ergebnis im klinischen Gesamturteil" oder sinngleichen Aussagen zu werben oder
c) wahrheitswidrig eine Spitzenstellung gegenüber Donepezil der Klägerin zu behaupten.
Die Werbung der Beklagten verstoße gegen §§ 1, 2 UWG und §§ 6, 55 Abs 4 AMG und den Pharmig Verhaltenskodex. Danach sei es verboten, im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen von Arzneimitteln tatsachenwidrige oder zur Irreführung geeignete Angaben zu machen, insbesondere Arzneimitteln eine Wirksamkeit beizumessen, die nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht hinreichend belegt sei. Der blickfangartig herausgehobene Slogan „Zwei wirken besser als eine!" bringe eine Überlegenheit des Arzneimittels der Beklagten gegenüber jenem der Klägerin zum Ausdruck und suggeriere eine Spitzenstellung, die weder durch die im Inserat angeführte Studie noch durch den aktuellen Stand der Wissenschaft hinreichend belegt sei. Die Werbeaussage unterschlage den Umstand, dass das Hauptergebnis der Studie, nämlich die für Alzheimer-Patienten krankheitsbestimmende „geistige Leistungsfähigkeit" keinen Unterschied in der Wirksamkeit der beiden Arzneimittel gezeigt habe. Nur in den Nebenergebnissen „Alltagskompetenz" und „klinisches Gesamturteil" habe sich bei Anwendung der (nur begrenzt aussagekräftigen) ITT-LOCF-Analysemethode ein Vorteil des Wirkstoffs der Beklagten gegenüber jenem der Klägerin ergeben. Die Autoren der Studie selbst hätten diesen Vorteil in Frage gestellt und als unsicher bzw bloß möglich dargestellt. Die Anwendung einer anderen Analysemethode (der OC-Analyse) habe diesen Vorteil nicht verifizieren können. Sie zeige keinen signifikanten Wirksamkeitsunterschied zwischen beiden Wirkstoffen. Anders als die OC-Analyse berücksichtige die ITT-LOCF-Analyse alle Studienpatienten, die mindestens eine Medikamentendosis erhalten hätten. Berücksichtigt würden somit auch Patienten, die die Medikation vor dem planmäßigen Studienende abgebrochen hätten. Die Einbeziehung dieser Studienabbrecher beeinträchtige die Aussagekraft der Studie.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Sicherungsantrags. Die Werbeaussage „Zwei wirken besser als eine!" nehme keinen Bezug auf ein bestimmtes anderes Präparat. Sie sei so zu verstehen, dass die Einnahme von zwei Dosierungen ein und desselben Präparats besser wirke als die einfache Dosis. Der kleiner gedruckte Text nehme zwar auf den Wirkstoff der Klägerin Bezug, bringe aber keine allgemeine oder absolute Spitzenstellung des Präparats der Beklagten zum Ausdruck; er thematisiere nur zwei Vorteile von EXELON gegenüber dem Wirkstoff der Klägerin in Bezug auf die Erhaltung der Alltagskompetenz und im klinischen Gesamturteil. Dass die Exceed-Studie die geistige Leistungsfähigkeit als primären Studienendpunkt vorgesehen habe, bedeute nicht, dass es sich dabei um das wesentliche Kriterium bei der Behandlung der Alzheimer-Erkrankung handle, das durch die Verabreichung von Antidementiva solange wie möglich erhalten werden solle. Den angesprochenen Verkehrskreisen seien die Hauptkriterien bei Behandlung dieser Erkrankung bekannt. Unter diesen Kriterien komme der Alltagskompetenz eine besondere Bedeutung zu. Fehle sie, werde der Patient zum Pflegefall. Aus praktisch medizinischer Sicht genieße daher der primäre Endpunkt der Studie „geistige Leistungsfähigkeit" keine höhere Relevanz als die sekundären Studienendpunkte „Alltagskompetenz" und „Verhalten". Den angesprochenen Fachkreisen sei bewusst, dass es sich bei den beworbenen Eigenschaften des Wirkstoffs nicht um die einzigen entscheidungswesentlichen Kriterien bei der Behandlung der Erkrankung handle und dass das Inserat nicht sämtliche Studienendpunkte miteinander vergleiche. Sie würden daher annehmen, dass der Wirkstoff der Beklagten in anderen Belangen gleiche oder sogar schlechtere Ergebnisse erzielt habe.
Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Es stellte noch fest, den Lesern der Zeitschrift „Psychopraxis", in erster Linie Fachärzten der Neurologie und Psychiatrie, sei das „A-B-C-Schema" sowie die hohe Relevanz der Erhaltung der Alltagskompetenz bekannt. Sie wüssten auch, dass medizinische Studien regelmäßig in primäre und sekundäre Endpunkte untergliedert werden und es sich bei der „Erhaltung der Alltagskompetenz" wie auch beim klinischen Gesamturteil nicht um die einzigen bei Behandlung der Alzheimererkrankung relevanten Kriterien handle. Die von der Beklagten zitierte Studie habe erstmals die Wirksamkeit von Donepezil im direkten Vergleich zu Rivastigmin über einen Zeitraum von zwei Jahren untersucht. Im primären Studienendpunkt habe keiner der beiden Wirkstoffe statistisch signifikante Vorteile bzw eine Überlegenheit gezeigt. Bei den sekundären Studienendpunkten „Alltagskompetenz" und „klinisches Gesamturteil" hätten sich Vorteile für den Wirkstoff der Beklagten ergeben. Für die statistische Auswertung der Studie hätten die Autoren einerseits die OC-Methode („Observed Case"-Methode) verwendet und andererseits - um die Anzahl der auswertbaren Untersuchungsergebnisse möglichst hoch zu halten - die ITT-LOCF-Methode angewendet. Bei Letzterer würden die Daten der letzten Untersuchung der aus der Studie vorzeitig ausgeschiedenen Patienten mitberücksichtigt. Sie komme im Rahmen von Studien über Krankheiten mit unaufhaltsam fortschreitendem Verlauf häufig zum Einsatz und sei bei Studien über Alzheimer (wissenschaftlich) etabliert.
Rechtlich verneinte das Erstgericht einen Wettbewerbsverstoß. Das beanstandete Inserat bringe nach seinem Gesamteindruck keine allgemeine Spitzenstellung des Wirkstoffs der Beklagten zum Ausdruck. Behauptet werde lediglich eine Überlegenheit in Bezug auf die Erhaltung der Alltagskompetenz und auf das klinische Gesamturteil. Wenngleich die zitierte Studie im primären Studienendzweck („geistige Leistungsfähigkeit") keinen Unterschied in der Behandlung mit dem jeweiligen Präparat habe feststellen können, so habe sich doch aus den Ergebnissen der sekundären Zielparameter der Studie eine statistisch relevante Überlegenheit des Wirkstoffs der Beklagten ergeben. Die beanstandete Aussage sei somit nicht unrichtig. Die angewendete Analysemethode sei bei Fachleuten anerkannt. Das Verschweigen des primären Studienzwecks und der im Einzelnen angewendeten Analysemethode begründe keinen Verstoß gegen § 2 UWG.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfragen nicht zulässig sei. Von den Feststellungen des Erstgerichts ausgehend verneinte auch das Rekursgericht einen Wettbewerbsverstoß. Die Beklagte habe die durch die Studie gedeckte Überlegenheit ihres Wirkstoffs hinsichtlich zweier für die Beurteilung und Behandlung der Krankheit wesentlicher Kriterien aufgezeigt. Eine Spitzenstellung habe sie damit nicht behauptet. Nach dem maßgeblichen Gesamtzusammenhang gewinne der Fachmann nicht den Eindruck, ihr Wirkstoff sei jenem der Klägerin generell überlegen. Dem Fachmann sei bekannt, dass die LOCF-Analysemethode bei Alzheimerstudien häufig zum Einsatz komme. Er wisse auch, dass diese Untersuchungsmethode problematisch und damit nicht uneingeschränkt verwendbar sei. Er werde daher durch die Werbung der Beklagten auch nicht in Irrtum geführt.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der Klägerin ist zulässig, weil das Rekursgericht die Irreführungseignung der beanstandeten Arzneimittelwerbung in einem Punkt gravierend unrichtig beurteilt hat; das Rechtsmittel ist daher teilweise berechtigt.
1. Die Beklagte nimmt in ihrem Inserat einen Werbevergleich vor. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist wahrheitsgemäße vergleichende Werbung grundsätzlich zulässig, wenn sie nicht im Sinn des § 2 UWG zur Irreführung geeignet ist oder das Sachlichkeitsgebot verletzt (4 Ob 45/97i = ÖBl 1998, 238 - Zocord ´R´). Irreführend kann nach ständiger Rechtsprechung auch das Verschweigen von Tatsachen sein, wenn und soweit es wesentliche Umstände betrifft und nach der Verkehrsauffassung einen falschen Gesamteindruck hervorrufen kann (4 Ob 305/00g = ÖBl 2003, 133 - Pflanzenschutzmittelvertrieb). Auch in einem solchen Fall ist bei Beurteilung des Gesamteindrucks die Unklarheitenregel anzuwenden. Bei Mehrdeutigkeit muss der Ankündigende die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen, wenn ein nicht unbeträchtlicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise die Werbung tatsächlich in diesem ungünstigen Sinn verstehen kann (4 Ob 20/00w = ecolex 2000/267; 4 Ob 62/05d; RIS-Justiz RS0043590).
2. In Ergänzung zu § 2 UWG enthält § 6 AMG eine eigene Irreführungsbestimmung im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen von Arzneimitteln und - in seinem Abschnitt 5 „Werbebeschränkungen" - Regelungen über zulässige Arzneimittelwerbung.
§ 6 Abs 2 AMG untersagt im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen von Arzneimitteln Angaben, die nicht den Tatsachen entsprechen oder zur Irreführung geeignet sind. Eine Irreführung liegt nach § 6 Abs 3 Z 1 AMG insbesondere dann vor, wenn dem Arzneimittel eine Wirksamkeit beigemessen wird, die nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis oder nach den praktischen Erfahrungen nicht hinreichend belegt ist.
Nach § 50a Abs 3 Z 1 AMG muss Werbung für Arzneimittel die Eigenschaften der Arzneispezialität objektiv und ohne Übertreibung darstellen und darf weder Aussagen noch bildliche Darstellungen enthalten, die dem Arzneimittel eine über seine tatsächliche Wirkung hinausgehende Wirkung beilegen. Informationen, die im Rahmen der Verkaufsförderung an die zur Verschreibung berechtigten Personen abgegeben werden, müssen genau, aktuell, überprüfbar und vollständig genug sein, um dem Empfänger die Möglichkeit zu geben, sich persönlich ein Bild vom therapeutischen Wert des Arzneimittels zu verschaffen (§ 55 Abs 2 AMG). Nimmt diese Information auf Fachliteratur Bezug, so ist nach § 55 Abs 4 AMG deren wesentlicher Inhalt mit Quellenangabe objektiv wiederzugeben.
Nach den „allgemeinen Grundsätzen" des Verhaltenskodex der Pharmig (der Vereinigung pharmazeutischer Unternehmen) Punkt 1.6. müssen wissenschaftliche Arbeiten mit Quellenangabe gewissenhaft und objektiv zitiert werden. Nach Punkt 1.7. ist speziell darauf zu achten, dass die Information und die Angaben über Arzneimittel wahrheitsgetreu und weder durch Verdrehung, unangemessene Betonung, Auslassung oder in anderer Weise irreführend sind.
Die angeführten Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes - sie finden auch im Verhaltenskodex der Pharmig eine Entsprechung - machen deutlich, dass bei Beurteilung der Irreführungseignung einer Arzneimittelwerbung - auch dann, wenn sie an Fachleute gerichtet ist - ein strenger Maßstab anzulegen ist.
3. Das Inserat der Beklagten enthält nach seinem Gesamteindruck einen Werbevergleich. Er befasst sich mit der Wirksamkeit der von den Streitteilen zur Behandlung der Alzheimererkrankung jeweils in Verkehr gebrachten Antidementiva. Dass der Fachmann den im Text angeführten Wirkstoff Donepezil dem Arzneimittel der Klägerin Aricept zuordnet, obgleich dessen Bezeichnung nicht ausdrücklich im Text aufscheint, ist nicht zweifelhaft.
Die Beklagte wirbt mit den Ergebnissen der Studie EXCEED. Die Behauptung, ihr Arzneimittel sei in Bezug auf die Erhaltung der Alltagskompetenz jenem der Klägerin signifikant überlegen und erziele ein statistisch signifikant besseres Ergebnis im klinischen Gesamturteil, findet in den sekundären Endpunkten der Studie Deckung und ist insoweit nicht unrichtig. Allerdings waren die angeführten Kriterien Alltagskompetenz und klinisches Gesamturteil nicht primäres Ziel dieser Studie. Ihr Hauptziel war die Erforschung des Einflusses der beiden Arzneimittel auf die geistige Leistungsfähigkeit des Patienten. Insoweit konnte die Studie keinen Unterschied in den Wirkungen der beiden Arzneimittel erkennen. Das verschweigt die Beklagte. Sie führt weder das primäre Studienziel noch das Hauptergebnis der Studie an und wirbt ausschließlich mit den für sie günstigen Teilergebnissen. Dadurch erweckt sie den irreführenden Eindruck, die in der Werbung angeführten Kriterien seien primäres Ziel der zitierten Studie gewesen und nach deren Hauptergebnis dafür ausschlaggebend, dass ihr Arzneimittel bei Behandlung der Erkrankung signifikant besser als jenes der Klägerin sei. Das Verschweigen des primären Studienziels und dessen Hauptergebnisses ist daher geeignet, die von der Werbung angesprochenen Ärzte über die Wirkung der beiden Arzneimittel in Irrtum zu führen. Der Irreführungseignung kann nur dadurch begegnet werden, dass in sinngemäßer Anwendung des § 55 Abs 4 AMG der wesentliche Inhalt der zitierten Studie, insbesondere das primäre Studienziel und das Hauptergebnis der Studie, objektiv wiedergegeben werden.
Dass medizinische Studien häufig in primäre und sekundäre Endpunkte untergliedert werden und die Erhaltung der Alltagskompetenz nur eines der Kriterien bei der Behandlung von Alzheimer ist, spricht nicht gegen die Eignung der Werbung, eine Irreführung durch unvollständig wiedergegebene Studienergebnisse herbeizuführen. Die Werbeaussage bietet nämlich im vorliegenden Fall keinen Anhaltspunkt dafür, dass die zitierte Studie noch weitere für die Behandlung entscheidende Kriterien untersucht hätte, geschweige denn, dass ein anderes Kriterium Hauptziel der Studie gewesen wäre.
4. Zusammenfassend ist daher davon auszugehen, dass bei Beurteilung der Irreführungseignung einer Arzneimittelwerbung auch dann ein strenger Maßstab anzulegen ist, wenn sie sich an Fachleute richtet.
Die Werbung mit für den Werbenden günstigen Teilergebnissen einer medizinischen Studie kann dann zur Irreführung geeignet sein, wenn sie nicht zugleich deutlich macht, welche primären Ziele die zitierte Studie verfolgte und zu welchen Ergebnissen sie in Bezug auf diese Ziele gelangte.
Das auf Unterlassung der Werbebehauptung gerichtete Sicherungsbegehren ist daher im Umfang seiner lit b mit der nach den dargelegten Grundsätzen vorzunehmenden Einschränkung berechtigt. Insoweit wird die einstweilige Verfügung erlassen.
5. Die darüber hinausgehenden Begehren (lit a und c) sind nicht berechtigt. Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Aussage „Zwei wirken besser als eine" suggeriere eine Spitzenstellung und Überlegenheit des Arzneimittels der Beklagten gegenüber jenem der Klägerin in Bezug auf Wirksamkeit und therapeutischen Wert bei Behandlung von Alzheimer. Diese Überlegenheit sei nicht hinreichend belegt.
Die Vorinstanzen haben zutreffend ausgeführt (§ 78 EO iVm § 528a und § 510 Abs 3 ZPO), dass dieser Slogan auch im Zusammenhang mit der bildlichen Darstellung noch keinen Bezug zu den Arzneimitteln der Streitteile herstellt. Erst der Textteil des Inserats benennt die Arzneimittel. Betrachtet man aber die beanstandete Werbung in ihrem Gesamtzusammenhang, so behauptet die Beklagte zwar eine Überlegenheit ihres Präparats hinsichtlich zweier Behandlungskriterien, sie nimmt aber eine allgemeine Spitzenstellung gegenüber dem Präparat der Klägerin nicht in Anspruch.
Die Sicherungsbegehren lit a und c mussten daher abgewiesen werden.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 1 EO. Die Klägerin hat nur mit rund einem Drittel ihres Begehrens obsiegt, mit zwei Dritteln ist sie unterlegen. Sie hat daher ein Drittel der Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen vorläufig und zwei Drittel dieser Kosten endgültig selbst zu tragen und der Beklagten einen Kostenbeitrag in Höhe von einem Drittel der Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen zu ersetzen.
Textnummer
E83362European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2007:0040OB00233.06B.0213.000Im RIS seit
15.03.2007Zuletzt aktualisiert am
02.11.2010