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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1997 §19 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des B, vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwältin in 1220 Wien, Brachelligasse 16, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 14. März 2006, Zl. Senat-FR-06-0015, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein der tschetschenischen Volksgruppe angehörender russischer Staatsbürger, ist am 21. August 2005 von Polen über die Slowakei in das Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag einen Asylantrag gestellt. Dabei machte er geltend, er sei wegen des Krieges in Tschetschenien geflüchtet, weil das Leben dort gefährlich sei. Er sei am 8. September 2004 von Grosny über Moskau nach Polen gereist und habe dort am 14. September 2004 Asyl beantragt. Er sei in ein Lager gebracht worden, wo er ohne Unterbrechung bis zum 19. August 2005 aufhältig gewesen sei. Nachdem er das Lager habe verlassen müssen, habe er aus Not noch einen weiteren Antrag auf Asyl gestellt, um wieder aufgenommen zu werden. Insgesamt habe er "drei negative Bescheide bekommen, einen davon in 2 - Instanz".
Am 19. August 2005 habe er das Lager verlassen und sich auf den Weg nach Österreich gemacht, weil er an einer chronischen Nierenkrankheit leide und hier die medizinische Versorgung gut sein solle.
Er wolle nicht nach Polen zurückkehren, weil es ihm dort "unmöglich zu leben" sei. Es sei nicht sicher, er bekomme keine Versorgung, außerdem sei sein "Asylverfahren dort ausgeschöpft". Zudem sei es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der polnischen Bevölkerung gekommen, wobei Betrunkene Asylwerber belästigt hätten. Auch habe es Messerstechereien gegeben.
Mit Bescheid vom 3. Februar 2006 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Baden gemäß § 76 Abs. 2 Z. 4 und Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG und § 34b Abs. 1 Asylgesetz 1997 in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung des Beschwerdeführers an. Begründend führte sie aus, der Asylantrag des Beschwerdeführers (vom 21. August 2005) sei mit Bescheid des Bundesasylamtes (vom 20. September 2005) gemäß § 5 Asylgesetz (1997) zurückgewiesen worden, weil auf Grund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 und eines auf Grund dieser Verordnung bereits durchgeführten Konsultationsverfahrens der Staat Polen zur Prüfung zuständig sei. Die (eingangs wiedergegebene) Aussage des Beschwerdeführers hätte dazu geführt, dass gegen ihn, wenn auch nicht rechtskräftig, ein Ausweisungsbescheid erlassen worden sei, der dem Grunde nach die Verhängung der Schubhaft erlaube.
Auf Grund dieses am 6. Februar 2006 in Vollzug gesetzten Bescheides wurde der Beschwerdeführer bis zum 27. März 2006 in Schubhaft angehalten.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 14. März 2006 wies die belangte Behörde eine vom Beschwerdeführer am 8. März 2006 erhobene Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG ab und stellte fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.
Diesen Bescheid begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass im Zeitpunkt der Erlassung des Schubhaftbescheides eine mit Bescheid erster Instanz - wenn auch nicht rechtskräftig - ausgesprochene Zurückweisung des Asylantrages gemäß § 5 Asylgesetz 1997 verbunden mit einer bescheidmäßig verfügten Anordnung der Ausweisung gemäß § 5a Abs. 1 und Abs. 4 leg. cit. vorgelegen sei. "Die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale nach § 76 Abs. 2 Z. 2 und Z. 4 FPG" seien somit erfüllt.
Der Beschwerdeführer verfüge laut eigenen Angaben über keinerlei Barmittel; darüber hinaus sei davon auszugehen, "dass ihm eine Integration am Arbeitsmarktsektor im Bundesgebiet keinesfalls möglich" sei. Er habe weder familiäre noch berufliche Bindungen im Inland. Die Bezirkshauptmannschaft Baden habe daher bei Verfügung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung mit Recht annehmen dürfen, der Beschwerdeführer werde sich dem behördlichen Zugriff entziehen, zumal er durch sein Verhalten bereits gezeigt habe, dass er selbst "beabsichtigt" habe, "sich illegal über EU-Grenzen hinwegzusetzen und diese zu überschreiten". Nach sorgfältiger Gesamtabwägung sämtlicher Lebensumstände des Beschwerdeführers müsse von der (nach wie vor aufrechten) Gefahr seines Untertauchens ausgegangen werden, sodass auch die Aufrechterhaltung der Schubhaft erforderlich sei.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß der Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 1 AsylG 2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen (Asyl-)Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 (AsylG) zu Ende zu führen. Das AsylG sah idF der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101/2003, die Zulässigkeit einer Schubhaft (nur) unter den Voraussetzungen seines § 34b vor. Hingegen fanden gemäß § 21 Abs. 1 AsylG auf Fremde, die faktischen Abschiebeschutz iSd § 19 Abs. 1 leg. cit genießen oder denen als Asylwerber eine Aufenthaltsberechtigungskarte ausgestellt wurde, u.a. die Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997 (FrG) über die Schubhaft keine Anwendung. In diesen asylrechtlichen "Altfällen" kommt die Verweisungsnorm des § 124 Abs. 2 FPG zum Tragen, derzufolge an die Stelle der von der Anwendung auf Asylwerber ausgenommenen Bestimmungen des FrG diejenigen des FPG treten. Somit sind die Bestimmungen des FPG über die Schubhaft auf Asylwerber, deren Verfahren nach dem AsylG idF der AsylG-Novelle 2003 zu Ende zu führen sind, grundsätzlich nicht anwendbar.
Mit diesem Ergebnis im Einklang stehen die in § 76 Abs. 2 FPG normierten Voraussetzungen für die Verhängung von Schubhaft gegen Asylwerber, die inhaltlich mehrfach ausdrücklich auf das AsylG 2005 verweisen und schon vom Begriff "Asylwerber" her (§ 1 Abs. 2 FPG) nur solche nach dem AsylG 2005 ansprechen. Während somit gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 die Bestimmung des § 34b AsylG auf "Altfälle" nach der AsylG-Novelle 2003 weiter anwendbar ist, enthält das FPG keine Norm, die seine Bestimmung über die Schubhaft (§ 76) auch auf Asylwerber, deren Verfahren nach dem AsylG zu Ende zu führen sind, für anwendbar erklärt (vgl. zum Ganzen etwa die hg. Erkenntnisse vom 25. April 2006, Zl. 2006/21/0039, und vom 28. Juni 2007, Zl. 2006/21/0360, mwN).
Nach dem Gesagten - das Verfahren über den vom Beschwerdeführer am 21. August 2005 gestellten Asylantrag war am 31. Dezember 2005 noch im Berufungsstadium anhängig - war der angefochtene Bescheid, der anders als die Erstbehörde, die § 34b AsylG idF der AsylG-Novelle 2003 auch als Rechtsgrundlage ihrer Entscheidung angeführt hat, eine nicht anwendbare Norm zur Prüfung herangezogen hat, schon deshalb, weil er die Schubhaft zu Unrecht auf § 76 Abs. 2 FPG gestützt hat, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 26. September 2007
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006210078.X00Im RIS seit
25.10.2007Zuletzt aktualisiert am
21.04.2010