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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des B, vertreten durch Dr. Eva Maria Barki, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Landhausgasse 4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 2. Mai 2006, Zl. Fr 2893/03, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 86 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 Z. 9 des (am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen) Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
In ihrer Begründung führte sie aus, der Beschwerdeführer habe am 3. August 2001 bei der österreichischen Botschaft in Ankara den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für Studienzwecke gestellt. Am 6. August 2001 sei ihm ein bis zum 6. Dezember 2001 gültiges Visum "D" ausgestellt worden. Er sei am 16. August 2001 nach Österreich eingereist. Am 16. November 2001 sei ihm eine bis zum 30. April 2002 gültige Aufenthaltserlaubnis erteilt worden. Am 21. Dezember 2001 habe er die österreichische Staatsangehörige R. geheiratet. Am 11. Juni 2002 habe er den Antrag auf Erteilung einer befristeten Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit dieser Österreicherin eingebracht. Ihm sei in der Folge eine bis zum 22. Juli 2003 gültige Niederlassungsbewilligung erteilt worden.
Am 1. August 2002 sei im Zuge von Erhebungen über die Vermittlung von Scheinehen R. niederschriftlich einvernommen worden. Dabei habe sie angegeben, dass es sich bei der genannten Heirat "um eine vermittelte Scheinehe" handle, für die sie ein Entgelt von insgesamt S 41.000,-- erhalten habe. Sie hätte mit dem Beschwerdeführer nie einen gemeinsamen Wohnsitz gehabt, schon das Kennenlernen sei durch Vermittler erfolgt (wird näher ausgeführt).
Durch diese schlüssige und glaubwürdige Aussage seien die gegenteiligen Ausführungen des Beschwerdeführers, er hätte R. aus Liebe in festlichem Rahmen geheiratet, es hätte ein gemeinsamer Kinderwunsch bestanden, sie hätten einen gemeinsamen Wohnsitz unterhalten und in ihrer Freizeit gemeinsame Aktivitäten unternommen, widerlegt. Da kein Grund bestehe, die Aussagen von R. anzuzweifeln, könne auch von den vom Beschwerdeführer in der Berufungsschrift beantragten Zeugeneinvernahmen abgesehen werden. Den Behauptungen des Beschwerdeführers, er hätte ohnehin auf Grund seines Studiums eine Aufenthaltserlaubnis gehabt, wobei es ihm gestattet gewesen sei, eine Nebenbeschäftigung in kleinem Umfang auszuführen, sei entgegenzuhalten, dass dieser Aufenthaltstitel einige Monate nach seiner Heirat abgelaufen wäre und er offenbar beabsichtigt habe, eine Vollzeitbeschäftigung in Österreich auszuüben.
Auf Grund dieser Umstände sei "unter Beachtung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung" anzunehmen, dass der Beschwerdeführer mit der österreichischen Staatsangehörigen R. die Ehe eingegangen sei, um in den Genuss einer längerfristigen Aufenthaltsberechtigung zu kommen, wobei von vornherein nicht geplant gewesen sei, ein gemeinsames Familienleben im Sinn von Art. 8 EMRK zu führen. Zudem habe er für die Eheschließung einen Vermögensvorteil von mindestens S 41.000,-- geleistet.
Dadurch sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG erfüllt, der - so sind die diesbezüglichen Ausführungen der belangten Behörde zu verstehen - für die Prognosebeurteilung bei einem Aufenthaltsverbot gegen einen Familienangehörigen eines Österreichers nach § 86 Abs. 1 iVm § 87 FPG als Orientierungsmaßstab heranzuziehen sei. In der weiteren Begründung legte die belangte Behörde dar, dass das Verhalten des Beschwerdeführers die Annahme rechtfertige, sein Aufenthalt im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ordnung (das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen), zumal seit der rechtsmissbräuchlichen Eheschließung noch nicht fünf Jahre vergangen seien, der Beschwerdeführer in Österreich "auf der Basis dieses Rechtsmissbrauches gelebt" habe und weiter in diesem Rechtsmissbrauch verharre, um die damit einhergehenden Begünstigungen nicht aufgeben zu müssen.
In den weiteren Überlegungen ging die belangte Behörde angesichts der starken beruflichen und sozialen Bindungen des Beschwerdeführers in Österreich - durch seinen Aufenthalt "seit über zwei Jahren" und der Anwesenheit eines Onkels im Bundesgebiet - von einem durch das Aufenthaltsverbot bewirkten Eingriff in das Privat- und Familienleben aus. Es müsse allerdings berücksichtigt werden, dass der Beschwerdeführer die ihm erteilten Berechtigungen "überwiegend durch unrichtige Angaben und Vorlage von rechtswidrig zustande gekommenen Dokumenten erlangt" habe. Seine Aufenthaltszeit in Österreich werde auf Grund der Täuschungs- und Umgehungshandlungen in Bezug auf die österreichische Rechtsordnung nicht besonders gewichtet. Seine Integration sei auf Grund dieser Umstände deutlich geschmälert, weil diese die Bereitschaft des Fremden verlange, die Rechtsordnung seines Aufenthaltsstaates, und zwar auch die fremdenrechtlichen Bestimmungen, zu respektieren. Dem großen Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung komme ein hoher Stellenwert zu, sodass das Aufenthaltsverbot im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten sei.
Bei Abwägung der gegenläufigen Interessen nach § 66 Abs. 2 FPG kam die belangte Behörde schließlich zu dem Ergebnis, die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes würden wesentlich schwerer wiegen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers. Diese Überlegungen hätten auch für das der Behörde eingeräumte - jedoch nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers auszuübende - Ermessen zu gelten, zumal keine zu seinen Gunsten anzuwendenden Parameter erblickt werden könnten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Nach der Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 1 FPG sind Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung, die - wie das vorliegende - bei Inkrafttreten des FPG (am 1. Jänner 2006) anhängig sind, nach dessen Bestimmungen weiterzuführen. Dementsprechend hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall zutreffend die Bestimmungen des FPG angewendet.
Auch hatte die belangte Behörde nach der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 Z. 1 FPG über die vorliegende Berufung zu entscheiden, weil das Verfahren keinen Hinweis darauf erbracht hat, dass die österreichische Ehefrau des Beschwerdeführers ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hätte und dieser daher als begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG anzusehen wäre (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Mai 2007, Zl. 2006/18/0445, mit Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Oktober 2006, G 26/06 u.a.).
Der Beschwerdeführer ist als Ehemann Familienangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z. 12 FPG) einer Österreicherin. Gemäß § 87 zweiter Satz FPG gelten für diese Personengruppe die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 85 Abs. 2 und 86 FPG. Diese Bestimmungen sind auch dann auf Angehörige von Österreichern anzuwenden, wenn Letztere ihr (gemeinschaftsrechtlich begründetes) Freizügigkeitsrecht nicht in Anspruch genommen haben. Nach § 86 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
Bei der Beurteilung, ob diese Voraussetzungen gegeben sind, kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden. Gemäß § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat. Für die Erfüllung des zitierten Tatbestandes kommt es darauf an, dass eine Scheinehe bzw. Aufenthaltsehe missbräuchlich zur Erlangung von sonst nicht zustehenden Berechtigungen eingegangen wurde. Darin liegt ein auch nach gemeinschaftsrechtlichen Maßstäben besonders verpöntes Fehlverhalten, sodass die Auffassung der belangten Behörde, dieses sei für die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG ausreichend, nicht als rechtswidrig angesehen werden kann (vgl. zum Ganzen zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2006/21/0246, mwN).
Jedoch bestreitet der Beschwerdeführer das Vorliegen einer Aufenthaltsehe und rügt als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, dass die belangte Behörde zu dieser Frage weder ihn selbst noch die vier in seiner Berufung namhaft gemachten Zeugen einvernommen habe, wodurch die Aussage seiner Ehefrau R. widerlegt worden wäre.
Diese Ausführungen verhelfen der Beschwerde zum Erfolg: Wenn der Beschwerdeführer selbst auch Gelegenheit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme hatte, wodurch sein rechtliches Gehör gewahrt wurde, hat er in der genannten Berufungsschrift doch auch die Einvernahme von drei Angehörigen und eines Lebensmittelhändlers an seinem Wohnort als weiteren Zeugen zum Nachweis dafür beantragt, dass er R. auf seinen täglichen Fahrten mit dem Zug und der U-Bahn kennen gelernt, sie aus Liebe geheiratet und danach sein Studium aufgegeben habe, weil R. in finanziellen Schwierigkeiten gewesen sei und Geld gebraucht habe. Geld habe er ihr erst nach der Eheschließung als Unterhalt und zur Bezahlung ihrer Schulden überlassen. Danach hätten sie "gemeinsam gewohnt und ein normales Eheleben geführt". R. hätte ihn erst im Sommer 2002 grundlos verlassen und sei aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen.
Die belangte Behörde hat von der Befragung der genannten Zeugen in vorgreifender Beweiswürdigung, dass sie die Aussage der R. nicht widerlegen könnten, abgesehen. Da auch nicht ersichtlich ist, dass allfällige Ausführungen dieser Zeugen zu den vorgenannten ausreichend präzisierten Themen jedenfalls und von vornherein ungeeignet wären, zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, stellt die Unterlassung ihrer Vernehmung einen relevanten Verfahrensmangel dar (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 5. September 2006, Zl. 2005/18/0567, mwN).
Schon aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 26. September 2007
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Erheblichkeit des BeweisantragesSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel ZeugenbeweisInstanzenzugBegründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelBegründung Begründungsmangelsachliche ZuständigkeitVerfahrensbestimmungen Beweiswürdigung AntragBeweismittel ZeugenBegründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Behandlung von Parteieinwendungen Ablehnung von Beweisanträgen Abstandnahme von BeweisenBeweismittel ZeugenbeweisEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006210158.X00Im RIS seit
25.10.2007Zuletzt aktualisiert am
01.06.2010