TE Vwgh Erkenntnis 2007/9/26 2006/19/0002

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Veröffentlicht am 26.09.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §24a Abs8;
AsylG 1997 §24b Abs1;
AsylG 1997 §5;
AsylG 1997 §5a;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ZustG §23 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und die Hofräte Dr. N. Bachler und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des G, vertreten durch Dr. Johann Kuzmich, Rechtsanwalt in 7304 Nebersdorf, Lange Gasse 14, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Dezember 2005, Zl. 264.601/0-XII/37/05, betreffend §§ 5 und 5a Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, gelangte am 18. August 2005 in das Bundesgebiet und beantragte Asyl. Nach seiner Einvernahme am 30. August 2005 und am 2. September 2005 wies das Bundesasylamt den Asylantrag mit Bescheid vom 13. September 2005 gemäß § 5 Abs. 1 des Asylgesetzes 1997 in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) als unzulässig zurück. Es stellte fest, für die Prüfung des Asylantrages sei - aus näher dargestellten Gründen - Polen zuständig, und wies den Beschwerdeführer gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG dorthin aus.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß §§ 5 und 5a AsylG ab.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerde führt aus, der Beschwerdeführer habe im Zuge seiner Einvernahme Vorgänge geschildert, die die Annahme rechtfertigten, dass er Opfer von Folter oder durch die Geschehnisse im Zusammenhang mit den fluchtauslösenden Ereignissen traumatisiert worden sei.

Damit bezieht sich die Beschwerde auf § 24b Abs.1 AsylG.

Diese Bestimmung lautet, soweit hier wesentlich:

"Ergeben sich in der Ersteinvernahme oder einer weiteren Einvernahme im Zulassungsverfahren (§ 24a) medizinisch belegbare Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber Opfer von Folter oder durch die Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein könnte, ist das Verfahren zuzulassen und der Asylwerber kann einer Betreuungseinrichtung zugewiesen werden."

Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt den Beschwerdeführer am 9. September 2005 von der Fachärztin Dr. Ilse Hruby untersuchen lassen. Der darüber vorliegende Bericht - zu dem dem Beschwerdeführer kein Gehör gewährt wurde - enthielt Angaben des Beschwerdeführers über seine Flucht und deren Motiv sowie über seine subjektiven Beschwerden (Schlaflosigkeit; am Einschlafen hinderten ihn "Gedanken an Autos mit dunklen Scheiben"), einige Zeilen über seinen "psychopathologischen Status" und als "Schlussfolgerung" - durch Ankreuzen eines dafür vorgesehenen Kästchens im Formular - die Verneinung der Frage nach einer "krankheitswerten psychischen Störung" aus "aktueller Sicht". Darüber hinausgehende (d.h. ausdrückliche) Angaben über allfällige Anzeichen für eine "Traumatisierung" des Beschwerdeführers durch das die Flucht auslösende Ereignis waren in dem Formular - das dies auch nicht vorsah - nicht enthalten.

Im Berufungsverfahren legte der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 14. November 2005 ein - undatiertes - Schreiben des evangelischen Hilfswerks, Ordination AMBER, Ärztliche Leitung Dr. H. D.-R. vor. Der Beschwerdeführer habe die Ambulanz am 21. September, 7. Oktober und 11. November 2005 aufgesucht; er leide an chronischer Schlafstörung.

Mit diesen ihr vorliegenden Beurteilungsgrundlagen setzte sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid wörtlich wie folgt auseinander:

"Die Feststellung, wonach der (Beschwerdeführer) nicht unter einer 'posttraumatischen Belastungsstörung' leidet, gründet sich auf das Gutachten von Dr. Ilse Hruby. Auch aus dem im Rahmen des Schreibens vom 14.11.2005 (OZ 2) vorgelegten Befundbericht ergibt sich nicht, dass der (Beschwerdeführer) an einer 'posttraumatischen Belastungsstörung' leidet. Es wurde lediglich eine chronische Schlafstörung diagnostiziert."

Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass im Zulassungsverfahren nicht zu prüfen ist, ob eine Traumatisierung vorliegt. Es genügt, wenn medizinisch belegbare Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber durch die Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein könnte. Im Einzelnen kann dazu gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das die ständige Rechtsprechung zusammenfassende hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2006/19/0571, verwiesen werden.

Hinzu kommt, dass der von der belangten Behörde zitierte Untersuchungsbericht aus dem erstinstanzlichen Verfahren, in dem das Vorliegen der "krankheitswerten psychischen Störung" verneint wurde, kein Sachverständigengutachten war, auf das sich die Annahme, beim Beschwerdeführer hätten sich keine "medizinisch belegbaren Tatsachen" im oben geschilderten Sinne ergeben, fehlerfrei stützen ließ (vgl. hiezu hg. Erkenntnis vom 17. April 2007, Zl. 2006/19/0919).

Dass es ausgeschlossen sei, aus den durch das Schreiben vom 14. November 2005 medizinisch belegten Tatsachen, deren Vorliegen von der belangten Behörde auch nicht in Zweifel gezogen wird, auf eine mögliche Traumatisierung des Beschwerdeführers zu schließen, konnte die belangte Behörde - anders, als sie offenbar annahm - auf Grund des ihr vorliegenden ärztlichen Berichtes aus dem Zulassungsverfahren nicht als geklärt ansehen. Sie hätte dies unter entsprechender Präzisierung der Fragestellung einer fachkundigen Beurteilung im Berufungsverfahren zuführen müssen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zlen. 2006/19/0020 bis 0024, mwN).

Dem angefochtenen Bescheid ist im Übrigen - wie auch dem des Bundesasylamtes - nicht zu entnehmen, wann das Konsultationsverfahren mit Polen begonnen hatte (vgl. dazu etwa Punkt 3. der Erwägungen in dem hg. Erkenntnis vom 27. September 2005, Zl. 2005/01/0313). Da dies den vorgelegten Akten zufolge am 25. August 2005 der Fall war und die Zustimmungserklärung Polens am 1. September 2005 einlangte, hängt die Einhaltung der Frist des § 24a Abs. 8 AsylG von der Wirksamkeit der Hinterlegung des erstinstanzlichen Bescheides "im Akt gem. § 23 Abs. 2 ZustellG" am 14. September 2005 ab, mit der sich die belangte Behörde unter diesen Umständen ebenfalls zu befassen gehabt hätte (vgl. hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2006/19/0571).

Der angefochtene Bescheid war aber schon aus dem zuvor genannten Grund wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 26. September 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190002.X00

Im RIS seit

21.11.2007

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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