TE OGH 2007/3/15 8ObA66/06y

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Veröffentlicht am 15.03.2007
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Wolfgang Broesigke und Mag. Gabriele Jarosch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. Helmut H*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Georg Grießer ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei W*****, vertreten durch Dr. Michael Mathes und Mag. Laurenz Strebl, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 8.834,22 sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Mai 2006, GZ 9 Ra 143/05y-31, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 21. Februar 2005, GZ 7 Cga 33/03b-27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil einschließlich der darin enthaltenen Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 971,04 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin EUR 161,84 Umsatzsteuer) und die mit EUR 1.726,67 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 110,95 Umsatzsteuer und EUR 1.061,- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

W***** ist eine weltweit tätige Entwicklungshilfeorganisation. Ihre Agenden werden in Österreich durch die als Verein organisierte Beklagte wahrgenommen, die sich mit der Sammlung von Geld- und Sachspenden an Bedürftige sowie mit der Verteilung der Spenden, vornehmlich in Ländern der dritten Welt, beschäftigt. Der Kläger, der das Studium der Wirtschaftswissenschaften mit dem Magisterium abgeschlossen hatte, war bei der Beklagten ab 7. 1. 2002 als leitender Angestellter („Geschäftsführer") beschäftigt. Er hatte für die innere Organisation des Vereins und für die Einbringung von Spenden zu sorgen.

Im Lauf des Jahres 2002 ließ der Kläger von einem Werbeunternehmen ein Schreiben entwerfen, das an Spender versendet wurde. Dieses Schreiben enthielt - angeblich wörtliche - Zitate einer Armenbetreuerin aus einem afrikanischen Land, mit denen in einer „zu Herzen gehenden" Art um Spenden geworben werden sollte. Entgegen entsprechender Behauptungen in der Aussendung war der Kläger nie in diesem afrikanischen Land; die zitierte Betreuerin hatte ihm auch nie persönlich geschrieben.

Dieses Werbeschreiben führte zu Anfragen und Bemängelungen ständiger Spender, was zu heftigen Differenzen zwischen dem Kläger und anderen Angestellten des Vereins und letztlich dazu führte, dass sein Dienstverhältnis am 31. 3. 2002 zum 31. 1. 2003 gekündigt und der Kläger dienstfrei gestellt wurde.

Etwa im November 2002 wurde der Bilanzentwurf der Beklagten für das Geschäftsjahr vom 1. 10. 2000 bis zum 30. 9. 2001 von der dafür zuständigen Angestellten und dem Steuerberater fertiggestellt und einer Wirtschaftstreuhänder-Gesellschaft zur Überprüfung vorgelegt. Bei der Anfang November 2002 stattfindenden Schlussbesprechung mit der Wirtschaftstreuhänder-Gesellschaft wurde auch ausführlich erörtert, ob bzw wie „fremde Sachspenden" in der Bilanz zu berücksichtigen seien.

Dieses Problem stellt sich dann, wenn - wie auch 2000 und 2001 die Beklagte - eine Hilfsorganisation von anderen Hilfsorganisationen beauftragt wird, von den beauftragenden Hilfsorganisationen gesammelte Hilfsgüter („fremde Sachspenden") in Ländern der dritten Welt zu verteilen. Die Beklagte trägt in einem solchen Fall einen erheblichen Teil der Transportkosten; die von ihr verteilten Spenden wurden aber nicht von ihr gesammelt. Bereits seit Jahren wird darüber diskutiert, ob diese „fremden Sachspenden" als Spendeneingang und Spendenausgang in die Bilanzen der Verteilerorganisation aufzunehmen sind. Der Erfolg und die Gemeinnützigkeit einer Hilfsorganisation wird nämlich vorrangig am Verhältnis zwischen dem aufgebrachten Spendenvolumen und den Kosten der eigenen Organisation gemessen. Die Aufnahme der „fremden Sachspenden" in die Bilanz erhöht naturgemäß das Spendenvolumen und verbessert somit das Verhältnis zwischen diesem und dem Verwaltungsaufwand der Organisation. Seit mehreren Jahren hat sich in den W*****Vereinen in den meisten Staaten, insbesondere in den USA und in den großen europäischen Staaten, die im wesentlichen einheitlich geübte Praxis herausgebildet, die „fremden Sachspenden" in die Bilanz aufzunehmen, jedoch durch eine Fußnote darauf hinzuweisen, dass sie von einer anderen Organisation stammen und dass die Verteilung von der bilanzierenden W*****-Organisation finanziert wurde. Diese Praxis ist zwar nicht „ganz unumstritten", wird aber von den führenden Wirtschaftstreuhändern weltweit als zulässig angesehen. In Österreich gibt es dazu keinerlei Regelungen irgendwelcher Art. Bei der erwähnten Schlussbesprechung empfahl die Wirtschaftstreuhänder-Gesellschaft der Beklagten, die „fremden Sachspenden" mit einer entsprechenden Fußnote in die Bilanz aufzunehmen. Dieser Empfehlung ist die Beklagte gefolgt. In der Folge wurde der Kläger zur Unterfertigung der Bilanz aufgefordert. Er schob seine Unterschrift vorerst mit dem Hinweis hinaus, er habe wegen der Deklarierung der „fremden Sachspenden" Bedenken. Noch im November 2002 suchte er einen Angestellten der Arbeiterkammer Wien (in der Folge: AK) auf, den er aus einer Zusammenarbeit bei der Erstellung der Richtlinien für das Spendengütesiegel kannte. Der in der Konsumentenschutz-Abteilung der AK tätige Angestellte verfügt über keine arbeits- und bilanzrechtlichen Kenntnisse, was dem Kläger bekannt war. Der Kläger schilderte ihm seine Bedenken und äußerte seine Meinung, dass die Bilanz durch die Aufnahme der „fremden Sachspenden" hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Spendenvolumen und Verwaltungskosten verfälscht werde. Er bekundete seine Absicht, die Unterfertigung der Bilanz zu verweigern. Der Angestellte der AK, der sich - ohne Fachleute der AK für Arbeitsrecht oder Bilanzrecht zu kontaktieren - der Meinung des Klägers anschloss, verlangte von diesem eine schriftliche Sachverhaltsdarstellung, die der Kläger am 18. 11. 2002 erstellte und die er dem Angestellten der AK mit der ausdrücklichen Erlaubnis ergab, sie der Kammer für Wirtschaftstreuhänder zu übergeben.

In dieser Sachverhaltsdarstellung (Beil ./1), in der der Kläger die oben beschriebene Vorgangsweise schildert, vertritt er die Meinung, dass die Beklagte „ein Vielfaches ihrer Verteilungsfinanzierung als Spendeneingänge" verbucht, dass „die verbuchten Einnahmen ... daher rein fiktiv" seien und „jeder buchhalterischen Grundlage" entbehrten. Es werde eine weitgehend bessere Relation als in Wirklichkeit vorhanden vorgetäuscht. Zusammenfassend führt er aus:

„1. Es wurden Verbuchungen von Einnahmen und Aufwendungen vorgenommen, die in keiner Weise für ..[die Beklagte].. als solche vorhanden waren und damit die Bilanzwahrheit bewusst verletzt.

2. Besonders erschwerend ist der Umstand, dass die vorgenommenen Verbuchungen den Zweck hatten, Spendern ein besseres Bild der Leistungen im Verhältnis zu den Kosten darzustellen."

Der Angestellte der AK leitete die Sachverhaltsdarstellung des Klägers unverkürzt an die Kammer der Wirtschaftstreuhänder weiter, die für die Vergabe des Spendengütesiegels zuständig ist. Die Kammer teilte der Wirtschaftstreuhänder-Gesellschaft mit Schreiben vom 3. 12. 2002 den angeführten Sachverhalt mit, kündigte dessen Prüfung an und gab bekannt, dass die Erteilung des Spendengütesiegels für das Jahr 2003 an die Beklagte vorläufig ausgesetzt sei. Als die Beklagte von der Wirtschaftstreuhänder-Gesellschaft vom Schreiben der Kammer verständigt wurde, sprach der Obmann der Beklagten am 9. 12. 2002 die Entlassung des Klägers aus. Auf Grund einer Stellungnahme der Wirtschaftstreuhänder-Gesellschaft wurde der Beklagten Mitte Februar 2002 das Spendengütesiegel erteilt. Das nach bestimmten Richtlinien verliehene Spendengütesiegel bescheinigt der damit ausgezeichneten Hilfsorganisation eine ordnungsgemäße Gebarung und steigert das Vertrauen der Spender in den Umgang der Hilfsorganisation mit den anvertrauten Spenden. Mit der Behauptung, er sei unberechtigt entlassen worden, begehrt der Kläger mit seiner Klage EUR 8.834,22 sA. Er sei entlassen worden, weil er sich mit dem unreellen Vorgehen der Beklagten bei der Bilanzierung, das gegen die Grundsätze der Bilanzwahrheit und der Bilanzklarheit verstoßen habe, nicht identifizieren habe können. Wesentliche Einnahmequelle der Beklagten seien Patenschaftsbeiträge. Für die Spender sei entscheidend, welcher Prozentsatz ihrer Spende tatsächlich ihrem Patenkind zukomme. Durch ihre Vorgangsweise habe die Beklagte in ihren Publikationen ein wesentlich besseres Verhältnis zwischen dem Aufwand für Projekte und dem Aufwand für Verwaltung ausgewiesen, als tatsächlich gegeben. So habe sie etwa 2001 den Eindruck erweckt, dass nur 77,26 % jeder Spende in die Verwaltung geflossen seien, während dieser Prozentsatz bei Bereinigung der Ertragsrechnung 2000/2001 um die zu Unrecht aufgenommenen „fremden Sachspenden" nur 38,64 % betrage. Als er das unseriöse Vorgehen der Beklagten entdeckt habe, habe er der Beklagten mitgeteilt, damit nicht einverstanden zu sein. Daraufhin sei er gekündigt worden. Als er zur Unterfertigung der Bilanz aufgefordert worden sei, habe er sich mit der Bitte um arbeitsrechtliche Beratung an die AK gewendet, die ihn, weil sie sich keine fundierte Stellungnahme über die für eine „non profit-Organisation" geltenden Bilanzierungsgrundsätze zugetraut habe, an die Kammer für Wirtschaftstreuhänder verwiesen habe. Er habe zugestimmt, dass sich die AK an diese wenden könne, wobei er auf die gesetzlich normierte Verschwiegenheitspflicht der Kammer der Wirtschaftstreuhänder vertraut habe. Nicht einmal die Erstattung einer Strafanzeige verwirkliche einen Entlassungsgrund; der Dienstnehmer sei nicht verpflichtet, strafrechtlich relevantes Verhalten des Dienstgebers zu decken. Die Staatsanwaltschaft habe der Kläger erst nach dem Ausspruch der Entlassung eingeschaltet.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die Kündigung des Klägers sei wegen dessen im „Herz-Schmerzstil" gehaltenen Schreibens mit Spendenaufrufen ausgesprochen worden, von dem sich herausgestellt habe, dass es auf fingierten Fakten beruht habe. Danach habe der Kläger begonnen, unrichtige Darstellungen über die Finanzgebarung der Beklagten zu verbreiten. Dadurch habe er diese in Ruf, Ansehen und Kredit schwerst geschädigt. Die Beklagte sei auf Grund ihrer ordnungsgemäßen Gebarung zur Führung des Spendengütesiegels berechtigt gewesen. Auf Grund der ungeheuerlichen Behauptungen des Beklagten sei ihr dieses Spendengütesiegel für das Jahr 2003 vorläufig entzogen worden. Daraufhin sei der Kläger berechtigt entlassen worden.

Die vom Kläger erhobenen Vorwürfe seien - was er gewusst habe - falsch. Die Beklagte erstelle ihre Bilanzen nach den gesetzlichen Grundlagen. Die „fremden Sachspenden", zu deren Transport und Verteilung die Beklagte erhebliche Kosten getragen habe, seien in der Gewinn- und Verlustrechnung jeweils als Spendeneingänge und gleichzeitig als Projektkosten enthalten. Die Bilanzen seien von Wirtschaftsprüfern geprüft worden. Die entsprechenden Posten seien per Fußnoten ausdrücklich offen gelegt worden. Auch die Kammer der Wirtschaftstreuhänder habe die Bilanz der Beklagten sodann geprüft, was in der Folge zur Wiederverleihung des Spendengütesiegels geführt habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und ging überdies davon aus, dass der Kläger vor und nach der Befassung der AK über die Frage der „fremden Sachspenden" weder ein Gespräch mit den Funktionären der Beklagten noch die Beratung durch Fachleute aus dem Bilanzrecht gesucht habe.

Auf dieser Grundlage vertrat es folgende Rechtsauffassung:

Dem Kläger sei zuzugestehen, dass die Frage der Bilanzierung „fremder Sachspenden" schwierig sei, zumal durch die Aufnahme dieser Spenden in die Bilanz das Verhältnis zwischen Sach- und Betriebsaufwendungen erheblich beeinflusst werden könne. Es sei daher verständlich, dass der Kläger die Unterfertigung der Bilanz hinausgezögert habe. Nicht verständlich sei jedoch die weitere Vorgangsweise des Klägers. Obwohl er keine Spezialkenntnisse im Bilanzwesen habe, habe er der Beklagten ohne Einholung fachlichen Rates - die Vorsprache bei der AK habe keine arbeits- oder bilanzrechtliche Fragen betroffen - Bilanz(ver)fälschung vorgeworfen. Er habe die Beklagte dadurch gegenüber der Kammer der Wirtschaftstreuhänder gezielt verunglimpft. Dem Kläger als teilweise einschlägig ausgebildetem Akademiker wäre es zumutbar gewesen, sich vor der Erhebung von Beschuldigungen über deren Wahrheitsgehalt zu informieren. Dies habe er nicht getan. Da seine Vorwürfe nach der gängigen und zulässigen Praxis der Bilanzierung haltlos seien, sei der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit verwirklicht.

Mit dem angefochtenen Urteil änderte das Berufungsgericht diese Entscheidung im Sinne der Stattgebung des Urteils ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Die vom Kläger bekämpfte Feststellung, dass dieser das Thema der bilanzmäßigen Behandlung „fremder Sachspenden" mit Vertretern der Beklagten vor der Befassung der AK nicht erörtert habe, erachtete es als irrelevant. Im Übrigen legte es seiner Entscheidung den vom Erstgericht festgelegten Sachverhalt zu Grunde und vertrat folgende Rechtsauffassung:

Richtig sei, dass die Verletzung der aus der Treuepflicht entspringenden Verschwiegenheitspflicht des Dienstnehmers den Dienstgeber zur Entlassung nach § 27 Z 1 AngG erster Tatbestand (Untreue) oder § 27 Z 1 AngG dritter Tatbestand (Vertrauensunwürdigkeit) berechtige. Gegenstand der Verschwiegenheit seien Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse; allerdings nur dann, wenn den Dienstgeber an der Geheimhaltung ein schutzwürdiges Interesse treffe. „Illegale Geheimnisse" - wie unlautere Geschäftspraktiken oder gesetzwidriges Verhalten - seien daher nicht durch die Verschwiegenheitspflicht geschützt. Die Verpflichtung des Dienstnehmers gegenüber der Öffentlichkeit, solche Verhaltensweisen des Dienstgebers aufzudecken, sei stärker als die Treuepflicht gegenüber dem Dienstgeber. Daher sei der Dienstnehmer nach der Rechtsprechung im Fall strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen des Dienstgebers berechtigt, gegen diesen Anzeige zu erstatten. Dabei habe der Dienstnehmer allerdings in einer für den Dienstgeber möglichst schonenden Form vorzugehen. Die Information eines von einer solchen Vorgangsweise des Dienstgebers betroffenen Geschäftspartners werde von der Rechtsprechung als schonenderes und gelinderes Mittel als die Strafanzeige angesehen. Diese Grundsätze könnten ganz allgemein auf die Aufdeckung unlauterer Geschäftspraktiken durch Dienstnehmer übertragen werden. Dabei komme es letztlich nicht darauf an, ob sich der vom Dienstnehmer vorgebrachte Verdacht letztlich bestätige. Entscheidend sei immer nur, ob der Dienstnehmer leichtfertig gehandelt, also etwa haltlose und subjektiv unbegründete Anschuldigungen erhoben habe. Gehe der Dienstnehmer nicht leichtfertig vor bzw erhebe er keine haltlosen Anschuldigungen, komme es auf seine genauen Beweggründe nicht an. Dass er nicht aus „edlen Motiven" handle, sondern etwa aus Verärgerung über seinen Dienstgeber, sei ohne Bedeutung.Richtig sei, dass die Verletzung der aus der Treuepflicht entspringenden Verschwiegenheitspflicht des Dienstnehmers den Dienstgeber zur Entlassung nach Paragraph 27, Ziffer eins, AngG erster Tatbestand (Untreue) oder Paragraph 27, Ziffer eins, AngG dritter Tatbestand (Vertrauensunwürdigkeit) berechtige. Gegenstand der Verschwiegenheit seien Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse; allerdings nur dann, wenn den Dienstgeber an der Geheimhaltung ein schutzwürdiges Interesse treffe. „Illegale Geheimnisse" - wie unlautere Geschäftspraktiken oder gesetzwidriges Verhalten - seien daher nicht durch die Verschwiegenheitspflicht geschützt. Die Verpflichtung des Dienstnehmers gegenüber der Öffentlichkeit, solche Verhaltensweisen des Dienstgebers aufzudecken, sei stärker als die Treuepflicht gegenüber dem Dienstgeber. Daher sei der Dienstnehmer nach der Rechtsprechung im Fall strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen des Dienstgebers berechtigt, gegen diesen Anzeige zu erstatten. Dabei habe der Dienstnehmer allerdings in einer für den Dienstgeber möglichst schonenden Form vorzugehen. Die Information eines von einer solchen Vorgangsweise des Dienstgebers betroffenen Geschäftspartners werde von der Rechtsprechung als schonenderes und gelinderes Mittel als die Strafanzeige angesehen. Diese Grundsätze könnten ganz allgemein auf die Aufdeckung unlauterer Geschäftspraktiken durch Dienstnehmer übertragen werden. Dabei komme es letztlich nicht darauf an, ob sich der vom Dienstnehmer vorgebrachte Verdacht letztlich bestätige. Entscheidend sei immer nur, ob der Dienstnehmer leichtfertig gehandelt, also etwa haltlose und subjektiv unbegründete Anschuldigungen erhoben habe. Gehe der Dienstnehmer nicht leichtfertig vor bzw erhebe er keine haltlosen Anschuldigungen, komme es auf seine genauen Beweggründe nicht an. Dass er nicht aus „edlen Motiven" handle, sondern etwa aus Verärgerung über seinen Dienstgeber, sei ohne Bedeutung.

Hier habe der Kläger eine bestimmte Bilanzierungspraxis der Beklagten vorerst der Konsumentenschutzabteilung der AK und schließlich der Kammer der Wirtschaftstreuhänder mitgeteilt. Letztere sei zur Verleihung des Spendengütesiegels zuständig. Diese Vorgangsweise verwirkliche keinen Entlassungsgrund. Die von der Beklagten gewählte Bilanzierung sei „nicht ganz unumstritten" und stelle nicht die einzig mögliche Vorgangsweise dar. Dass sie der auch in anderen europäischen Staaten geübten Praxis entspreche, könne nicht darüber hinweg täuschen, dass sie den sensiblen, öffentlichkeitswirksamen Bereich der Spendenmittelverwendung berühre. Daher erscheine es nicht unverständlich, dass der Kläger gegen die Bilanzierungsweise der Beklagten gewisse Bedenken gehabt und - angesichts der schon erfolgten Kündigung - nicht mehr bereit gewesen sei, die Bilanz zu unterfertigen. Dass er sich in dieser Situation an die AK gewendet habe, sei unbedenklich, zumal die aufgeworfenen Fragen nicht nur bilanzrechtlicher Natur seien, sondern auch aus dem Blickwinkel der gebotenen Transparenz und damit durchaus auch unter dem Aspekt des Konsumentenschutzes betrachtet werden könnten. Die Kontaktaufnahme des Klägers mit der AK sei daher als Anzeige an eine zu weiteren Prüfungsmaßnahmen berechtigte Stelle anzusehen. Dies gelte auch für die Sachverhaltsdarstellung an die Kammer der Wirtschaftstreuhänder, in der der Kläger der Beklagten nicht „Bilanz(ver)fälschung" zur Last gelegt, sondern lediglich das Problem der bilanzmäßigen Behandlung „fremder Sachspenden" zu Sprache gebracht habe. Das Verhalten des Klägers sei daher nicht leichtfertig gewesen, seine Anschuldigung nicht haltlos. Schließlich habe sein Verhalten zu einer Überprüfung der Vorgangsweise der Beklagten und damit zu einer Lösung der Frage der Verpflichtung des Klägers zur Unterfertigung der Bilanz beigetragen. Dass die Bedenken des Klägers letztlich nicht bestätigt worden seien, sei im Sinne der dargestellten Rechtslage ebenso irrelevant, wie die Frage, aus welchen Motiven der Kläger gehandelt habe. Ob der Kläger vor der Befassung der AK mit dem Obmann der Beklagten gesprochen habe, sei ebenfalls nicht entscheidend, weil eine Verpflichtung des Dienstnehmers, den Dienstgeber über eine bevorstehende Anzeige zu informieren, nicht bestehe. Weitere Schritte des Klägers (Strafanzeige, Medienkontakte) seien erst nach seiner Entlassung erfolgt und könnten daher deren Rechtmäßigkeit nicht begründen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben. Die Revision ist zulässig und auch berechtigt, weil das Berufungsgericht die Rechtslage zwar richtig wiedergegeben, ihre Bedeutung für den Anlassfall aber verkannt hat.

Rechtliche Beurteilung

Dass die Vorgangsweise der Beklagten bei der Berücksichtigung der „fremden Sachspenden" in der Bilanz - wie immer man sie bilanzrechtlich beurteilen mag - durchaus auch problematische Aspekte hat, ist aus den vom Erstgericht angeführten Gründen richtig. Dass der Kläger gezögert hat, die ihm vorgelegte Bilanz zu unterfertigen, ist daher - umso mehr, wenn man seiner Darstellung folgt, dass dies nur aus sachlichen Erwägungen und nicht aus Verärgerung wegen seiner Kündigung erfolgt ist - gut nachvollziehbar.

Es steht nicht fest, dass der Kläger nähere Kenntnisse über die Problematik hatte. War ihm das Problem geläufig und wusste er auch davon, dass es sich bei der von der Beklagten gewählten Vorgangsweise um eine von Wirtschaftstreuhändern empfohlene und in vielen Staaten geübte Praxis handelt, ist sein Verhalten, das diesen Umständen in keiner Weise Rechnung trug, von vornherein nicht verständlich. Schließlich kleidete er die Schilderung der Praxis der Beklagten in die Form einer gravierenden Beschuldigung, ohne auf mögliche rechtfertigende Gründe hinzuweisen. Aber selbst dann, wenn ihm näheres Wissen um das Problem bzw um die Existenz solcher rechtfertigenden Umstände fehlte, schlägt vor allem der Umstand zu seinem Nachteil aus, dass er sich an die für die Verleihung des Spendengütesiegels zuständige Kammer für Wirtschaftstreuhänder wendete, ohne vorher die Berechtigung seiner Anschuldigungen durch geeignete Schritte zu prüfen.

Dass - wie der Kläger in seiner Revisionsbeantwortung vorbringt - seine Sachverhaltsdarstellung nicht den Vorwurf der Bilanzverfälschung, sondern nur eine wahrheitsgetreue und objektiv überprüfbare Darstellung des Sachverhaltes enthalte, wird dem Inhalt der Beil ./1 nicht gerecht: Neben der Schilderung des Sachverhalts enthält das Schreiben klare und unmissverständliche Wertungen, die für einen nicht mit dem Problem vertrauten Leser nicht als Schilderung einer „nicht unumstrittenen" Praxis sondern als schwerwiegende Anschuldigung verstanden werden müssen. So wird der Beklagten vorgeworfen, Einnahmen verbucht zu haben, die „rein fiktiv" seien und „jeder buchhalterischer Grundlage" entbehrten. Dies wird als Vortäuschung einer nicht vorhandenen Situation qualifiziert. Schließlich ist von einer bewussten Verletzung der Bilanzwahrheit die Rede. Hingegen wird der Umstand, dass die Herkunft der „fremden Sachspenden" durch Fußnoten offen gelegt wurde, mit keinem Wort erwähnt.

Alle diese Vorwürfe hat der Kläger, der selbst über keine bilanzrechtlichen Kenntnisse verfügt, angesichts der von Wirtschaftsprüfern geprüften Bilanz erhoben, ohne auch nur irgend einen Versuch zu unternehmen, die Stichhaltigkeit seiner Anschuldigungen in geeigneter Weise zu prüfen.

Ob ihm schon die Kontaktaufnahme zu einem ihm bekannten Angestellten der AK vorzuwerfen ist, kann dahingestellt bleiben. Der Hinweis auf nötige arbeitsrechtliche Beratung geht jedenfalls fehl, weil ihm klar sein musste, dass diese von seinem dafür nicht ausgebildeten Kontaktmann nicht zu erwarten war. Auch eine bilanzrechtliche Expertise konnte er aus eben diesen Gründen nicht erwarten. Schließlich erscheint auch der Hinweis auf die Zuständigkeit des Angestellten der AK für Konsumentenschutzfragen konstruiert, weil diese Zuständigkeit nichts an der vorrangigen Notwendigkeit der zumindest einigermaßen verlässlichen Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Vorgangsweise des Dienstgebers ändern konnte. Selbst wenn man aber dem Kläger die Kontaktaufnahme mit der AK nicht anlasten, sondern darin den Versuch einer Überprüfung der Vorwürfe sehen will, so steht jedenfalls fest, dass dieser Versuch keine Bestätigung des Verdachtes einer bewussten Verletzung der Bilanzwahrheit gebracht hat (und auch nicht bringen konnte), weil sich der Kontakt auf den ursprünglichen Ansprechpartner des Klägers beschränkte, der aber mangels jeglicher bilanzrechtlicher Kompetenz zur Überprüfung der Rechtslage nichts beitragen konnte. Dies musste dem Kläger auch klar sein.

In keiner Weise zu rechtfertigen ist aber die (mit Billigung des Klägers erfolgte) Weiterleitung der Sachverhaltsdarstellung des Klägers an die Kammer der Wirtschaftstreuhänder, die im Gegensatz zur Meinung des Berufungsgerichtes nicht im Entferntesten als „gelindes Mittel" oder als „schonende Vorgangsweise" qualifiziert werden kann. Dem Kläger, der sich als Spendenfachmann bezeichnet und der an der Ausarbeitung der Richtlinien für die Zuerkennung des Spendengütesiegels beteiligt war, war naturgemäß klar, welche Folgen die Erhebung derart gravierender Anschuldigungen an die für die Verleihung des Spendengütesiegels zuständige Kammer der Wirtschaftstreuhänder haben kann. Es musste ihm daher klar sein, dass davon nicht nur eine Klärung der Rechtsfrage zu erwarten war, sondern dass der Beklagten der Entzug des Spendengütesiegels drohte. Dies muss umso mehr gelten, als die Sachverhaltsdarstellung für die Beklagte sprechende Umstände nicht enthielt (es fehlt ein Verweis auf die klärenden Fußnoten), dass sie in die Form gravierender Anschuldigungen gekleidet war und dass man ihr das Bemühen um eine Klärung einer nicht eindeutigen Rechtslage in keiner Weise entnehmen kann. Vor diesem Hintergrund kann die Übermittlung eines derartigen Schreibens ausgerechnet an die für die Verleihung und den Entzug des Spendengütesiegels zuständige Stelle nicht als eine für den Dienstgeber schonende Form der Klärung der keineswegs eindeutigen Situation - immerhin war die Bilanz von Wirtschaftsprüfern geprüft und gut geheißen worden - gewertet werden. Dieses Verhalten des Klägers, das darauf hinausläuft, schon bei bloßen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines Dienstgeberverhaltens Schritte zu setzen, die geeignet sind, dem Dienstgeber schweren Schaden zuzufügen, kann mit dem Recht, gesetzwidriges Verhalten des Dienstgebers anzuzeigen, nicht gerechtfertigt werden. Die Entlassung des Klägers war daher gerechtfertigt.

In Stattgebung der Revision war somit das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die Paragraphen 41,, 50 Absatz eins, ZPO.

Anmerkung

E83919 8ObA66.06y

Schlagworte

Kennung XPUBL Diese Entscheidung wurde veröffentlicht in ARD 5792/2/2007 XPUBLEND

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2007:008OBA00066.06Y.0315.000

Dokumentnummer

JJT_20070315_OGH0002_008OBA00066_06Y0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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