TE Vwgh Erkenntnis 2007/9/27 2004/11/0126

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Veröffentlicht am 27.09.2007
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Index

L94059 Ärztekammer Wien;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
82/03 Ärzte Sonstiges Sanitätspersonal;

Norm

ÄrzteG 1998 §113 Abs7;
AVG §56;
AVG §62;
Satzung Wohlfahrtsfonds ÄrzteK Wr 2000 idF doktorinwien 9/2001 §7a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2004/11/0157

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerden des Dr. P in W, vertreten durch Dr. Wulf Kern, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 22, gegen die Bescheide des (im verwaltungsgerichtlichen Verfahren durch Dr. Friedrich Spitzauer und Dr. Georg Backhausen, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Stock-im-Eisen-Platz 3, vertretenen) Beschwerdeausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien 1. vom 12. Mai 2004, Zl. B 20/04 (protokolliert zur hg. Zl. 2004/11/0126), und 2. vom 30. Juni 2004, Zl. B 34/04 (protokolliert zur hg. Zl. 2004/11/0157), jeweils betreffend Festsetzung von Beiträgen zum Wohlfahrtsfonds, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Ärztekammer für Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.171,20 (insgesamt also EUR 2.342,40) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den jeweils im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheiden wurde der Fondsbeitrag des Beschwerdeführers für die Jahre 2001 und 2002 (erstangefochtener Bescheid) bzw. für das Jahr 2003 (zweitangefochtener Bescheid) festgesetzt.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen jeweils Folgendes aus:

Der Beschwerdeführer sei mit Bescheid des Verwaltungsausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien vom 9. April 1990 über seinen Antrag von der Mitgliedschaft zum Wohlfahrtsfonds befreit worden. Mit 1. Juli 2001 sei eine Änderung des § 7a der Satzung dahingehend erfolgt, dass eine vor dem 1. Juli 1990 ausgesprochene Befreiung von der Beitragspflicht mit 1. Juli 2001 unwirksam werde, wenn eine Voraussetzung, unter der die Befreiung habe erfolgen können, nachträglich weggefallen sei. Die erstinstanzliche Behörde habe mit Bescheid vom 22. Oktober 2001 festgestellt, dass der Beschwerdeführer ab 1. Juli 2001 der Beitragspflicht zum Wohlfahrtsfonds unterliege, weil durch die Eröffnung einer Ordination mit 1. April 1990 eine Voraussetzung nachträglich weggefallen sei, die seinerzeit die Befreiung ermöglicht habe. Dieser Bescheid sei von der belangten Behörde aufgehoben worden, weil bei der gegebenen Konstellation ein Feststellungsbescheid nicht zulässig sei, die erstinstanzliche Behörde vielmehr hätte einen Leistungsbescheid erlassen müssen. Dem Rechtsmittelvorbringen des Beschwerdeführers gegen den nunmehrigen Leistungsbescheid der Erstbehörde sei entgegen zu halten, dass auch eine rückwirkende Beitragsvorschreibung zulässig sei. Da die Aufhebung des seinerzeitigen Erstbescheides nur deshalb erfolgt sei, weil ein Feststellungsbescheid unzulässig gewesen sei, habe der Beschwerdeführer auch mit einem neuerlichen Bescheid rechnen müssen und nicht darauf vertrauen dürfen, dass ihm keine Beiträge mehr vorgeschrieben würden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Bescheide erhobenen, zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer macht im Kern seines Vorbringens geltend, die belangte Behörde habe § 7a der Satzung zu Unrecht angewendet. Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmung sei ein nachträglicher Wegfall einer maßgebenden Voraussetzung. § 7a könne aber dann nicht herangezogen werden, wenn der Wegfall der Voraussetzung (etwa die Aufnahme freiberuflicher Tätigkeit) bereits vor der Erlassung des die Befreiung aussprechenden Bescheides eingetreten sei, oder wenn die Voraussetzungen in Wahrheit nie bestanden hätten. Da die Ordination des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Erlassung des Befreiungsbescheides bereits wiedereröffnet gewesen sei und die Voraussetzungen für die Befreiung nicht nachträglich weggefallen seien, habe die belangte Behörde § 7a der Satzung zu Unrecht angewendet.

Bereits dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:

Die belangte Behörde hat die Festsetzung des Fondsbeitrages gegenüber dem Beschwerdeführer für die Jahre 2001, 2002 und 2003 auf den mit 1. Juli 2001 in Kraft getretenen § 7a der Satzung, beschlossen von der Vollversammlung der Ärztekammer für Wien in ihrer Sitzung vom 12. Dezember 2000, gestützt.

Diese Bestimmung lautet:

"Eine Befreiung nach § 7 Abs. 1, die vor dem 1. Juli 1990 ausgesprochen wurde, wird mit 1. Juli 2001 unwirksam, wenn eine Voraussetzung, unter der die Befreiung erfolgen konnte, nachträglich weggefallen ist. Dies gilt jedoch nicht, wenn das Fondsmitglied zum Stichtag 1. Juli 2001 das 60. Lebensjahr bereits vollendet hat."

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis vom 29. April 2003, Zl. 2002/11/0257, klargestellt, dass die Anwendung des § 7a der Satzung voraussetzt, dass eine Voraussetzung, unter der die Befreiung erfolgen konnte, nachträglich weggefallen ist, weshalb § 7a der Satzung dann nicht herangezogen werden kann, wenn der Wegfall der Voraussetzung bereits vor der Erlassung des die Befreiung aussprechenden Bescheides eingetreten ist oder wenn die Voraussetzung für die Befreiung in Wahrheit nie bestanden hat. In diesen Fällen wäre der Befreiungsbescheid rechtswidrig gewesen und hätte unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 und 3 AVG nach Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens, mit dem die Befreiung ausgesprochen wurde, beseitigt werden können.

Davon ausgehend ist für die Beurteilung auch des vorliegenden Beschwerdefalles von entscheidender Bedeutung, ob und allenfalls wann der Beschwerdeführer seine freiberufliche Tätigkeit beendet hat.

Die belangte Behörde hat zu dieser Frage keine (eigenen) Feststellungen getroffen, sondern nur die Feststellung im (von ihr aufgehobenen) Erstbescheid vom 22. Oktober 2001 wiedergegeben, wonach "durch die Eröffnung einer Ordination mit 1.4.1990 eine Voraussetzung nachträglich weggefallen" sei.

Demgegenüber ist aber - unter Hinweis auf das eben zitierte Erkenntnis vom 29. April 2003 - klarzustellen, dass in einer mit 1. April 1990 erfolgten Ordinationseröffnung nicht ein "nachträglicher" Wegfall einer Voraussetzung der mit Bescheid vom 9. April 1990 (also nach Ordinationseröffnung) verfügten Befreiung des Beschwerdeführers von der Beitragspflicht erblickt werden kann.

In den Gegenschriften argumentiert die belangte Behörde jeweils ergänzend damit, der Beschwerdeführer habe zwar mit Schreiben vom 1. April 1990 die Eröffnung seiner Ordination bekannt gegeben, es könne jedoch nicht festgestellt werden, ob dieses Schreiben im Zeitpunkt der schriftlichen Ausfertigung des Befreiungsbescheides bereits bekannt gewesen sei, weil es nur in einer nicht unterfertigten Abschrift und ohne Eingangsstempel vorliege. Im Übrigen sei der entsprechende Beschluss, den Beschwerdeführer von der Beitragspflicht zu befreien, bereits am 26. März 1990, also jedenfalls vor Eröffnung der Ordination, erfolgt; für die Anwendung des § 7a der Satzung könne es aber nur darauf ankommen, wann der dem Bescheid zu Grunde liegende Beschluss gefasst worden sei.

Abgesehen davon, dass Ausführungen in der Gegenschrift eine entsprechende Begründung im angefochtenen Bescheid nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ersetzen können (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E. 140 ff zu § 60 AVG), ist diesem Vorbringen - aus verfahrensökonomischen Gründen schon jetzt - Folgendes zu erwidern:

§ 7a der Satzung setzt für das Unwirksamwerden einer vor dem 1. Juli 1990 ausgesprochenen Befreiung voraus, dass eine Voraussetzung, unter der die Befreiung erfolgen konnte, "nachträglich weggefallen" ist. Das bedeutet, dass die belangte Behörde, die sich zur Begründung der Beitragsvorschreibung gegenüber dem Beschwerdeführer, der zuvor unstrittig von seiner Beitragspflicht befreit war, auf die genannte Bestimmung beruft, auch die Sachvoraussetzungen festzustellen hat, die für den nachträglichen Wegfall der einst ausgesprochenen Befreiung notwendig sind. Kann das dafür notwendige Tatsachensubstrat nicht festgestellt werden, gehen allfällige Unklarheiten hier insofern zu Lasten der belangten Behörde, als ein Unwirksamwerden der Befreiung so lange nicht angenommen werden kann, als ein dafür notwendiges Tatbestandselement (im Beschwerdefall: nachträglicher Wegfall einer Voraussetzung für die Befreiung) nicht erwiesen werden kann.

Unzutreffend ist auch die Auffassung der belangten Behörde, "für die Anwendung des § 7a der Satzung" komme es nur darauf an, wann der dem Bescheid zu Grunde liegende Beschluss gefasst worden sei:

Dahingestellt bleiben kann im Beschwerdefall, ob bei Entscheidung eines Kollegialorgans für die anzuwendende Sach- bzw. Rechtslage der Zeitpunkt der Beschlussfassung oder der Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides maßgeblich ist. Von der Frage, welche Sach- und Rechtslage die maßgebliche für die Überprüfung der Entscheidungen von Kollegialbehörden ist, muss nämlich die Frage unterschieden werden, wann ein Bescheid - einer Kollegialbehörde - als erlassen gilt.

§ 7a der Satzung erfordert im gegebenen Zusammenhang den nachträglichen Wegfall einer vor dem 1. Juli 1990 "ausgesprochenen" Befreiung. Schon im Erkenntnis vom 6. Juli 2004, Zl. 2003/11/0222, hat der Verwaltungsgerichtshof dargelegt, dass der derart maßgebliche Zeitpunkt die "Erlassung" des die Befreiung aussprechenden Bescheides ist. Erst mit der Erlassung wird das Bescheiderzeugungsverfahren abgeschlossen (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, Anm. 2 zu § 56 AVG). Erlassen ist ein Bescheid - im Anwendungsbereich des AVG, das auch im Verfahren vor dem Verwaltungs- und dem Beschwerdeausschuss gilt (§ 79 Abs. 7 ÄrzteG 1984, nunmehr § 113 Abs. 7 ÄrzteG 1998) - regelmäßig mit seiner Zustellung, allenfalls der Verkündung (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, unter E 1ff zu

§ 62 AVG zitierte hg. Judikatur). Dies gilt auch für die Bescheiderlassung durch Kollegialbehörden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. April 1993, Zl. 91/10/0252, mwN). Entgegen der nicht näher begründeten Auffassung der belangten Behörde ist also nicht etwa das Datum der Beschlussfassung des Verwaltungsausschusses der Ärztekammer für Wien, die für sich noch keine Rechtswirkungen nach außen entfaltet, vielmehr als interner Akt nach den Vorschriften über die Willensbildung der betreffenden Behörde abänderbar wäre, maßgebend.

Da es die belangte Behörde - wie oben dargelegt - unterlassen hat, die notwendigen Feststellungen zu treffen, hat sie die angefochtenen Bescheide mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Sie waren deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 27. September 2007

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Verfahrensbestimmungen Allgemein Verfahrensbestimmungen Berufungsbehörde Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der Rechtswirkungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2004110126.X00

Im RIS seit

25.10.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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