TE Vwgh Erkenntnis 2007/9/27 2004/11/0246

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Veröffentlicht am 27.09.2007
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Index

L92703 Jugendwohlfahrt Kinderheim Niederösterreich;

Norm

JWG NÖ 1991 §21 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der E in P, vertreten durch Mag. Georg Morent, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Spiegelgasse 19, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 3. November 2004, Zl. GS6-K-1243/005-2004, betreffend Widerruf einer Pflegebewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 30. September 2002, Zl. 2000/11/0207, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis hob der Verwaltungsgerichtshof einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 10. April 2000, mit dem die der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 9. September 1996 erteilte Bewilligung, die Pflegekinder Ke. (geboren am 6. März 1992), Ka. (geboren am 23. Juni 1994) und C. (geboren am 23. Jänner 1996) in Pflege zu übernehmen, widerrufen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

Im fortgesetzten Verfahren hob zunächst die Niederösterreichische Landesregierung mit Bescheid vom 7. März 2003 gemäß § 66 Abs. 1 und 2 AVG den erstbehördlichen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Horn vom 15. Februar 2000 auf und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung an die Behörde erster Instanz zurück.

Im fortgesetzten Ermittlungsverfahren holte die Bezirkshauptmannschaft Horn ein Gutachten Dris. L., eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie (Kinder- und Jugendneuropsychiatrie) und allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen, ein. In seinem Gutachten vom 30. Jänner 2004 gelangte der Gutachter nach Durchführung von Untersuchungsgesprächen mit den drei Pflegekindern, mit der Beschwerdeführerin, dem leiblichen Vater der Kinder sowie deren leiblichen Mutter zu folgender Beurteilung (anonymisiert):

"1. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass der gefertigte Gutachter die Auffassung, vertrat, dass ein Explorationsgespräch mit den drei minderjährigen Kindern Ke(...) (zum Untersuchungszeitpunkt 11 Jahre und 5 Monate alt), Ka(...) (zum Untersuchungszeitpunkt 9 Jahre und 2 Monate alt) sowie C(...) (zum Untersuchungszeitpunkt 7 Jahre und 7 Monate alt) als zulässig und informationsbringend angesehen wurde und daher auch durchgeführt wurde. Die Ergebnisse der Explorationen sind in Teil II des Gutachtens dargestellt.

2. Zur Frage der Beziehung der Mädchen zu den Pflegeeltern ist festzuhalten, dass eine unmittelbare Interaktionsbeobachtung der drei Mädchen mit Pflegeeltern, Kindesmutter und Kindesvater nicht durchgeführt wurde, da einerseits aufgrund der Angaben der Mädchen, andererseits aufgrund der Angaben der betreffenden erwachsenen Personen und schließlich aufgrund des Studiums der Aktenunterlagen darauf zu schließen war, dass die Mädchen zu keiner der genannten Personen derzeit eine so intensive Beziehung haben, dass daraus tief greifende Schlüsse zu ziehen wären. Allein aufgrund der Lebensgeschichte bzw. den Zeitspannen, in welchen die Kinder bei den unterschiedlichen Personen gelebt haben, lässt sich festhalten, dass C(...) zu beiden Elternteilen gar keine tragfähige Beziehung aufbauen konnte und dass die Minderjährigen Ke(...) und Ka(...) wohl aufgrund der aktenkundigen und für den Gefertigten nachvollziehbaren Beeinträchtigung der Erziehungskapazität der Kindeseltern zu diesen ebenfalls keine langfristig tragfähige Beziehung aufbauen konnten. Hinsichtlich der Beziehung der Kinder zu der Pflegefamilie (...) ist festzuhalten, dass diese ohne Zweifel prinzipiell durch eine gewisse Kontinuität und Verlässlichkeit gekennzeichnet war, jedoch andererseits (und dies scheint aufgrund der Angaben der Kinder dem Gefertigten gegenüber glaubwürdig) durch eine gewisse Härte und negative Erinnerungen geprägt ist.

3. Hinsichtlich der Erziehungskompetenz der Pflegeeltern ist auf die bereits in Punkt 2. getätigten Aussagen zu verweisen, wobei grundsätzlich ausgeführt werden muss, dass ein Gespräch mit dem Pflegevater, Herrn (Ehemann der Beschwerdeführerin), nicht zustande kam, da dieser laut Angaben seiner Gattin verhindert gewesen sei, zur Befundaufnahme zu kommen. Was nun die Erziehungskompetenz von Frau (Beschwerdeführerin) betrifft, gewann der Gefertigte aufgrund des mit ihr geführten Gespräches, aber auch aufgrund der zahlreichen Aktenangaben den Eindruck, dass Frau (Beschwerdeführerin) in ihrem intensiven Bemühen, die Pflegebewilligung zu behalten bzw. wieder zu erhalten in erster Linie um Bearbeitung der ihr durch den Entzug widerfahrenen Kränkung bemüht ist, was grundsätzlich nachvollziehbar erscheint. Wie bereits ausgeführt, ist aufgrund der Äußerungen der Kinder, aber auch aufgrund der Angaben des Berichtes des Niederösterreichischen Heilpädagogischen Zentrums in Hinterbrühl doch davon auszugehen, dass der Erziehungsstil zumindest zeitweise nicht den zu fordernden Erwartungen entsprochen hat. Grundsätzlich muss jedoch angemerkt werden, dass die genaue Einschätzung der Erziehungskompetenz der Pflegeeltern dem Gefertigten im gegenständlichen Fall insgesamt nur unzureichend möglich ist, da dies ohne längerfristige und regelmäßige Interaktionsbeobachtung von Kindern und Bezugspersonen kaum möglich ist.

4. Grundsätzlich sieht der Gefertigte im gegenständlichen Fall bei Rückführung eines der Kinder (insbesondere der minderjährigen C(...)) keine Gefährdung des Kindeswohls, da in diesem Falle die zwei anderen Schwestern in Form eines Zusammenhaltes in der jetzigen Unterbringung verbleiben würden. Der Gefertigte würde insbesondere dann keine Gefährdung sehen, wenn es weiterhin zu gelegentlichen Kontakten der Geschwister untereinander käme. lm übrigen wird die Auffassung vertreten, dass die Erziehungskompetenz der Pflegeeltern grundsätzlich als positiver anzusehen wäre, wenn diese nur eines der drei Kinder zu betreuen hätten.

5. Grundsätzlich entspricht die Unterbringung der Mädchen in der Außenwohngruppe dem Wohl der Mädchen. Eine Gefährdung des Kindeswohls wird für keines der Mädchen im Falle des Weiterverbleibs in der Außenwohngruppe von 'R(...)' gesehen.

6. Wie bereits ausgeführt, wäre die Rückführung der minderjährigen C(...) zur Pflegemutter allenfalls zu überlegen. Dies deshalb, da ohne Zweifel die minderjährige C(...) hinsichtlich der Pflegemutter eine tatsächliche 'Mutterbeziehung' aufgebaut hat, auf die zurückgegriffen werden könnte. Es sei auch festgehalten, dass die Angaben der minderjährigen C(...) in der seitens des Gefertigten geführten Exploration eher unter dem Aspekt einer möglichen Suggestion (zum Beispiel durch die Geschwisterkinder) zu betrachten sind als jene der beiden Schwestern. Eine Rückführung auch nur eines der Kinder zur Kindesmutter scheint aufgrund der Einschätzung deren Erziehungsfähigkeit bzw. aufgrund der Beurteilung der Gesamtanamnese derzeit nicht angezeigt.

Abschließend sei festgehalten, dass der Gefertigte bemüht war, die ihm gestellten Fragen einigermaßen verlässlich zu beantworten. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass eine präzise Einschätzung in dieser durch einen komplizierten Verlauf gekennzeichneten Causa im Rahmen der zur Verfügung stehenden Untersuchungsparameter sicher nur bedingt möglich war. Um jegliche Missverständnisse auszuschließen, sei abschließend festgehalten, dass nach Einschätzung des Gefertigten die drei Mädchen in der derzeitigen Unterbringungsform der Außenwohngruppe (Außenwohngruppe von 'R(...)' in S(...)) den Erfordernissen des Kindeswohls entsprechend gut betreut werden und - abgesehen von allen Rechtsfragen - keinesfalls zwingend einer veränderten Lebenssituation bedürfen. Insbesondere die erforderlichen Fördermaßnahmen scheinen in der jetzt besuchten Wohngemeinschaft absolut ausreichend gegeben. Wie in anderen Fällen von Sachverständigenexpertisen in Obsorge- und Pflegebewilligungsverfahren wäre es für die Zukunft der drei Mädchen in erster Linie wichtig, das bestehende Spannungsfeld, in dem sich die drei Mädchen aufgrund der unterschiedlichen Intentionen der beteiligten Erwachsenen ohne Zweifel befinden, zu reduzieren.

In Gesamteinschätzung der Situation gelangt der Gefertigte, daher zu der Auffassung, dass jenseits der Beantwortung der gestellten Detailfragen (wie sie das Verwaltungsgericht gefordert hat) das Belassen aller drei Mädchen auf 'neutralem Ort' wahrscheinlich deren Wohl am besten entsprechen würde, weil durch die Rückführung auch nur eines Kindes in die frühere Pflegefamilie die Spannungen der beteiligten Erwachsenen untereinander eher zunehmen würden."

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 3. November 2004 widerrief die Niederösterreichische Landesregierung neuerlich die der Beschwerdeführerin mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Horn vom 9. September 1996 erteilte Bewilligung, die genannten Kinder in Pflege zu übernehmen. Begründend führte die Niederösterreichische Landesregierung nach Wiedergabe des Ganges des Verwaltungsverfahrens im Wesentlichen aus, wie den zitierten Gesetzesstellen zu entnehmen sei, sei die Bescheidänderung vor allem dann angezeigt, wenn Maßnahmen der gesundheitlichen Prophylaxe und Therapie, im Bereich der Pflege und Erziehung und zur Verbesserung der äußeren Lebenssituation der Minderjährigen notwendig erschienen. Im vorliegenden Fall hätten aber zumindest zwei der drei Kinder auf Grund ihres genetischorganischen Potenzials laut dem "heilpädagogischen Bericht" (des NÖ Heilpädagogischen Zentrums Hinterbrühl; im Folgenden:

heilpädagogischer Bericht) vom 20. Dezember 1999 einen Entwicklungsrückstand, der durch die unzureichende Förderung (durch die Beschwerdeführerin) in verstärkter Form zum Ausdruck komme. Weiters sei dem heilpädagogischen Bericht zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin von den Kindern sehr streng und disziplinierend erlebt werde, die leibliche Familie der Kinder massiv abwerte und damit die Kinder einem Druck aussetze, der einen enormen Loyalitätskonflikt und innere Spannungen mit Verstellungstendenzen auslöse. Nach Auffassung der Behörde seien diese Vorwürfe nicht mit einzelnen Maßnahmen der gesundheitlichen Prophylaxe bzw. Therapie oder durch eine Verbesserung der äußeren Lebensumstände der Minderjährigen zu beheben, weil es einerseits um die Defizite gehe, die im Bereich der Kinder liegen (genetischorganisches Potenzial), andererseits um die Haltung der Beschwerdeführerin, die als sehr streng, disziplinierend, die leibliche Familie abwertend, Druck ausübend etc. beschrieben sei. Derartige Haltungen bzw. Einstellungen, die in der Persönlichkeit eines Menschen verankert sind, ließen sich erfahrungsgemäß nicht durch eine formale Änderung eines Bescheides bzw. durch die Setzung von Auflagen korrigieren. Dabei sei es nicht nötig, den Vorwurf einer Kindeswohlverletzung oder Ähnliches vorzubringen, weil auch bei bestmöglicher Versorgung von Kindern im Rahmen einer Pflegeplatzunterbringung sich herausstellen könne, dass die Kinder auf Grund ihrer sehr negativen Erlebnisse im Elternhaus einer besonderen Form der Betreuung bedürften. Die Behörde verkenne nicht, dass ein stabiler familiärer Rahmen im Allgemeinen am ehesten als Garantie einer gesunden individuellen Entwicklung und Sozialisation von Kindern angesehen werden könne. Es gebe aber auch Kinder, die in einem solchen Rahmen trotz aller Bemühungen nicht mehr führbar seien und deren Wohl eine professionelle Form der Betreuung erfordere. Nach Auffassung der Behörde reiche es daher zur Sicherung des Kindeswohls nicht aus, den ursprünglichen Bewilligungsbescheid mit oder ohne Auflagen zu verändern, weil die durch die Persönlichkeit der Beschwerdeführerin zum Ausdruck kommende Erziehungshaltung durch "Formalentscheidungen" nicht geändert werden könne und überdies im Hinblick auf den Bedarf der Kinder eine professionelle Form der Betreuung angezeigt sei.

Der Pflegebewilligungsbescheid sei zu widerrufen, wenn es das Wohl eines Minderjährigen erfordere. Die Sicherung des Kindeswohls sei ein absoluter Grundsatz des NÖ JWG 1991 und daher in jeder Lage des Verfahrens zu beachten. Das Wohl des Kindes beinhalte auch die Förderung der Persönlichkeit des Minderjährigen, wobei insbesondere seine Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und seine Entwicklungsmöglichkeiten zu berücksichtigen seien. Seien die Chancen auf eine derartige Entwicklung und Förderung eines Kindes in einer bestimmten Betreuungsform nicht gegeben, was durch Beiziehung eines entsprechenden Sachverständigen auszuloten sei, dann erfordere es das Wohl des Kindes, eine besser geeignete Betreuungsform zu finden, wodurch im konkreten Falle ein Widerruf des Pflegeverhältnisses notwendig geworden sei.

Da es bei der Beurteilung der Kernfrage, nämlich des Wohles der drei Kinder, eines Sachverständigen bedurfte, habe die Behörde erster Instanz einen Sachverständigen bestellt, einerseits zur Auslotung der Frage des Kindeswohls, andererseits um dem Anhörungsrecht der Minderjährigen in altersadäquater Form entsprechen zu können. Der bestellte Sachverständige Dr. L. sei Facharzt für Kinder- und Jugendneuropsychiatrie und allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger in diesem Bereich. Er gehöre zu den namhaftesten Spezialisten im deutschsprachigen Bereich und verfüge über viele Jahre an Berufserfahrung. Der Einwand in der Berufung, dass er nicht die nötige Fachkunde zur Beantwortung derartiger Fragen hätte und zu diesem Themenbereich ein Sachverständiger aus dem Bereich der Kinderpsychologie bzw. Kindererziehung notwendig sei, sei nicht nachvollziehbar.

Die Stellungnahme des Sachverständigen Dr. L. vom 30. Jänner 2004 beinhalte auch das Ergebnis einer ausführlichen Anhörung der drei Kinder, womit der gesetzlichen Bestimmung des § 21 Abs. 3 NÖ JWG 1991 Rechnung getragen worden sei. Aufgabe der Jugendwohlfahrt sei es allerdings, neben der Erfüllung der "formalen Voraussetzungen" auch letztlich Maßnahmen zu treffen, die das Wohl eines Kindes bestmöglich fördern und sichern. So sei der Stellungnahme des Sachverständigen zu entnehmen, dass die älteste der drei Schwestern (Ke.) eindeutig aussage, dass sie froh sei, in der Familienwohngruppe in S. zu sein. Das zweitälteste Mädchen (Ka.) gebe, mit der Frage konfrontiert, ob sie wieder bei der Beschwerdeführerin wohnen wolle, ebenfalls ein klares Nein an. Die gleiche Antwort gebe auch das jüngste der drei Kinder (C.). Die Behörde verkenne nicht, dass die Minderjährigen (noch) keine Möglichkeit der Mitentscheidung über ihren Aufenthalt bzw. darüber hätten, wer ihnen gegenüber die Pflege und Erziehung ausübt. Wenn aber die Beachtung des Wohles und nicht zuletzt des Willens der Kinder im Vordergrund stehe, wie dies auch den Grundsätzen des NÖ JWG 1991 entspreche, so seien die Aussagen der Kinder zumindest wichtige Anhaltspunkte für eine behördliche Entscheidung. Nicht unerheblich sei auch der Umstand, dass in der Pflegefamilie der Beschwerdeführerin offenbar nur sie selbst Interesse am gegenständlichen Verfahren habe. Ihr Ehemann sei in keiner Phase des Verfahrens bereit gewesen mitzuwirken und auch nicht bereit gewesen, an der Befragung durch den Sachverständigen teilzunehmen, wobei den Aktenunterlagen zu entnehmen sei, dass er bereits seit Jahren keinen Kontakt mehr zu den Kindern unterhalte. Dies relativiere allerdings auch den Vergleich zwischen der Familienwohngruppe, in der sich die Kinder jetzt aufhielten, und dem - von der Beschwerdeführerin oft klischeehaft bemühten - Bild einer klassischen Pflegefamilie, die im vorliegenden Fall in Wahrheit nur mehr aus der Beschwerdeführerin selbst bestehe. In den Aussagen der Kinder zu den Fragen des Sachverständigen komme der Ehemann der Beschwerdeführerin kaum vor, und wenn er erwähnt werde, dann im Erleben der Kinder auf eine unangenehm disziplinierende Art (angeblich habe er Ke. einen Wasserkübel übergeschüttet, um sie aufzuwecken). Es sei daher nicht weiters verwunderlich, dass der Sachverständige in seinem Gutachten zum Schluss komme, dass die Beziehung der drei Kinder zur Pflegefamilie der Beschwerdeführerin durch eine gewisse Härte und negative Erinnerung geprägt sei. Auch sei für den Sachverständigen auf Grund der zahlreichen Aktenangaben der Eindruck entstanden, dass die Beschwerdeführerin in ihrem intensiven Bemühen, die Pflegebewilligung zu behalten, in erster Linie "um Bearbeitung" der ihr durch den Entzug widerfahrenen Kränkung bemüht sei. Der Sachverständige komme weiters zum Schluss, dass die Rückführung eines der Kinder (insbesondere C.) keine Gefährdung des Kindeswohls darstellen würde, da die zwei anderen Geschwister (ohnehin) in Form eines Zusammenhaltes in der jetzigen Unterbringung verbleiben würden, dies aber nur unter der Bedingung, dass es weiter zu gelegentlichen Kontakten der Geschwister untereinander käme. Diesbezüglich müsse allerdings seitens der Behörde festgestellt werden, dass es bereits in der Vergangenheit seitens der Beschwerdeführerin nicht gelungen sei, wertfreie Kontakte der Kinder zu deren leiblichen Eltern zu ermöglichen. Dies werde bereits im heilpädagogischen Bericht erwähnt. Das Verhalten der Beschwerdeführerin in dieser Hinsicht habe bereits damals bei den Kindern Loyalitätskonflikte und innere Verspannung mit Verstellungstendenzen ausgelöst. Auch aus dem zwischenzeitigen Verhalten der Beschwerdeführerin sei nicht erkennbar, dass sie nunmehr in dieser Frage eine wirkliche Einsicht zeigen könnte. Zu diesem Schluss komme auch in seiner Zusammenfassung der Sachverständige, wenn er bemerke, dass durch die Rückführung auch nur eines Kindes in die frühere Pflegefamilie die Spannungen der beteiligten Erwachsenen untereinander eher zunehmen würden. Diese Befürchtung sei auch dadurch erhärtet, dass die leibliche Mutter der drei Kinder sehr wohl die Meinung vertrete, dass die Kinder wieder zu ihr kommen sollten. Entgegen den Berufungsausführungen sei es nachvollziehbar, dass der Sachverständige resümierend feststelle, dass das Belassen aller drei Kinder an einem neutralen Ort wahrscheinlich deren Wohl am besten entsprechen würde. Die Behörde schließe sich der Einschätzung des Sachverständigen vollinhaltlich an, weil sie das Wohl der Kinder in den Mittelpunkt stelle. Die Verwendung des Wortes "wahrscheinlich", die die Beschwerdeführerin in der Berufung dazu veranlasse, von bloßen Spekulationen zu sprechen, entspreche in diesem Zusammenhang durchaus der Lebensrealität. Es sei in Fachkreisen unumstritten, dass die Prognose über die Entwicklung von Menschen - insbesondere von Kindern - nicht mit mathematischer Exaktheit angegeben werden könne, sondern vielmehr aus unterschiedlichsten Aussagen und Bausteinen und unter Zugrundelegung langjähriger fachlicher Erfahrung nur annähernd beurteilt werden könne. Für die Behörde handle es sich daher bei der vom Sachverständigen gebrauchten Wortwahl nicht um eine Spekulation, sondern um eine durchaus fundierte Beurteilung, die auf der Grundlage des heutigen Wissens- und Erfahrungsstandes nach menschenmöglichem Ermessen möglich sei. Die Behörde habe daher die Frage, ob es das Wohl der drei Minderjährigen erfordere, die Pflegebewilligung zu widerrufen, zu bejahen, wobei insbesondere die ausführliche Stellungnahme des Sachverständigen entscheidungsrelevant gewesen sei. Eine Abwägung des Stellenwertes der emotionalen Bindung der Kinder an die Pflegefamilie und jenem der Kooperationsfähigkeit bzw. -bereitschaft der Pflegefamilie sei durch die Aussagen der Betroffenen bereits erfolgt. Die Tatsache, dass sowohl die leibliche Mutter als auch die Beschwerdeführerin die Kinder bei sich haben wolle, bringe es mit sich, dass weitere, das Wohl der Kinder in Mitleidenschaft ziehende Spannungen vorprogrammiert seien. Die emotionale Bindung der Kinder an die Pflegefamilie lasse sich dadurch charakterisieren, dass alle drei Mädchen in ihren Aussagen übereinstimmten, nicht mehr zur ehemaligen Pflegemutter, der Beschwerdeführerin, "zurück zu wollen", den ehemaligen Pflegevater kaum erwähnten bzw. mit ihm eher unangenehme Erinnerungen verbänden. Die Tatsache, dass dieser am Verfahren nicht teilgenommen und überdies über Jahre keinen Kontakt mehr zu den Kindern gehabt habe, unterstreiche dies. Dies gelte letztlich auch für C., die seinerzeit nicht in der heilpädagogischen Station untergebracht gewesen sei und daher im heilpädagogischen Bericht auch nicht erwähnt werde. Nach Ansicht des Sachverständigen habe dieses Mädchen am ehesten eine "tatsächliche Mutterbeziehung" aufgebaut, sodass eine allfällige Rückführung zur Beschwerdeführerin zu überlegen wäre. In diesem Falle wäre die Frage der emotionalen Beziehung zur ehemaligen Pflegemutter positiver zu beurteilten als bei den anderen beiden Kindern, was aber nichts daran ändere, dass das Spannungsfeld der beteiligten Erwachsenen (leibliche Mutter, leiblicher Vater samt dessen Mutter, ehemalige Pflegemutter) weiterhin bestehe und durch die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Beschwerdeführerin, aber auch durch die unterschiedlichen Interessen aller Beteiligten eher noch verstärkt werde. Es überrasche daher nicht, dass der Sachverständige in seiner Gesamteinschätzung der Situation letztlich wieder zur Auffassung gelangen müsse, dass das Belassen aller drei Mädchen auf neutralem Ort wahrscheinlich deren Wohl am besten entspreche. Die Behörde schließe sich der in sich schlüssigen Argumentation des Sachverständigen vor allem auch in der nachvollziehbaren Gesamteinschätzung der Situation der drei Mädchen an. Es könne festgestellt werden, dass das Wohl der drei Minderjährigen im Sinne der bestmöglichen Förderung ihrer Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten und nicht zuletzt zur Sicherung ihrer seelischen Gesundheit es erfordert habe, die seinerzeit erteilte Pflegebewilligung zu widerrufen. Diese Einschätzung dürfte auch vom Bezirksgericht Horn geteilt worden sein, das einen Antrag der Beschwerdeführerin auf Übertragung der Obsorge der drei Minderjährigen an sie mit Beschluss vom 21. April 2000 abgewiesen habe. Auch in der Begründung dieses Beschlusses sei ausgeführt worden, dass auf Grund der Vorgeschichte es am ehesten dem Kindeswohl zu entsprechen scheine, wenn die Kinder tatsächlich in einer Außenwohngruppe untergebracht und dort entsprechend intensiv durch Fachkräfte betreut werden könnten. Das Gericht habe weiter festgestellt, dass der nochmalige Milieuwechsel (gemeint die Unterbringung in der Außenwohngruppe) weniger gewichtig erscheine als durch Belassung der drei Kinder bei der Beschwerdeführerin diese Chance zu vergeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Zur maßgebenden Rechtslage genügt es, auf die im erwähnten hg. Erkenntnis vom 30. September 2002 wiedergegebenen Bestimmungen hinzuweisen. Die mittlerweile ergangenen Novellen zum NÖ JWG 1991 haben keine Änderung dieser Bestimmungen bewirkt.

2. Die Beschwerde erweist sich im Ergebnis als unbegründet.

2.1. Was zunächst den Vorwurf anlangt, die belangte Behörde habe eine nach dem Gesetz unzulässige Ermessensentscheidung getroffen, ist der Beschwerdeführerin entgegenzuhalten, dass aus der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht hervorgeht, dass die belangte Behörde Ermessen geübt hätte.

2.2. Das zentrale Beschwerdevorbringen geht dahin, der angefochtene Bescheid sei von einem Missverständnis getragen. Die belangte Behörde hätte von einer aufrechten Pflegebewilligung auszugehen und demnach zu klären gehabt, ob es das Wohl der Kinder erfordere, die erteilte Pflegebewilligung zu widerrufen.

Mit diesem Vorbringen gelingt es der Beschwerdeführerin nicht, eine durch den angefochtenen Bescheid bewirkte Rechtsverletzung aufzuzeigen.

Es trifft zu, dass gemäß § 24 Abs. 1 NÖ JWG die Pflegebewilligung mit Bescheid nur widerrufen werden darf, wenn es das Wohl des Minderjährigen erfordert. Wie die belangte Behörde zutreffend erkannte, handelt es sich bei der Pflegebewilligung nicht um eine "abstrakte" Bewilligung, sondern um eine Bewilligung in Ansehung bestimmter Kinder. Ausschlaggebend ist im vorliegenden Fall daher, ob das Wohl der Kinder, das nach dem Gesetz zweifelsfrei im Vordergrund steht, die Trennung von der Pflegefamilie erfordert.

Die belangte Behörde hat diese Rechtsfrage auf der Basis des oben wiedergegebenen Sachverständigengutachtens bejaht. Dem Sachverständigengutachten lässt sich mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass im Hinblick auf die unstrittig sehr kompliziert gestalteten Beziehungen der Kinder zur Familie der Beschwerdeführerin sowie zu den getrennt lebenden leiblichen Eltern das Wohl der Kinder am Besten gewahrt werden könne, wenn die Kinder (weiterhin) in der Außenwohngruppe in S. lebten. Die Auffassungen des Sachverständigen, denen die Beschwerdeführerin nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten ist, können vom Verwaltungsgerichtshof auch nicht als unschlüssig angesehen werden. Es handelt sich dabei auch nicht etwa um bloße Mutmaßungen, sondern um eine in vorsichtiger Sprache abgefasste, auf Gesprächen mit den in Rede stehenden Beteiligten, somit auf unmittelbarer Wahrnehmung beruhende, Einschätzung dessen, was das Wohl der drei Kinder in Anbetracht des ausführlich geschilderten Beziehungsgeflechts am ehesten erfordere.

Die Beschwerde bestreitet nicht, dass die Kinder in den Gesprächen mit dem Sachverständigen nicht nur keinen Wunsch geäußert hätten, zur Beschwerdeführerin zurückzukehren, sondern sich im Gegenteil, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, dagegen ausgesprochen hätten. In Anbetracht des Alters der Kinder bestehen keine Bedenken, wenn der Sachverständige diese Äußerungen der Kinder in seine Einschätzung einbezogen und die belangte Behörde dieselbe verwertet hat. Die Beschwerde widerspricht auch den von der belangten Behörde aus dem Gutachten des Sachverständigen übernommenen Annahmen, dass ein (neuerlicher) Aufenthalt der Kinder bei der Beschwerdeführerin erhebliche Loyalitätskonflikte der Kinder zu den leiblichen Eltern sowie beträchtliche Spannungen sämtlicher beteiligter Personen untereinander, und zwar in höherem Ausmaß als bei Beibehaltung der derzeitigen Unterbringung der Kinder, bewirken würde, nicht substanziiert. Auch den Ausführungen der belangten Behörde zum mangelnden Interesse des Ehemannes der Beschwerdeführerin am Kontakt mit den Kindern hält die Beschwerde nichts entgegen.

Insgesamt ist daher der Beurteilung der belangten Behörde, das Wohl der Kinder könne durch die (fortgesetzte) Trennung von der Familie der Beschwerdeführerin besser gewahrt werden als durch einen Aufenthalt - auch nur eines der Kinder - bei ihr, nicht zu beanstanden, weshalb der mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Widerruf der Pflegebewilligung für die drei Kinder nicht als rechtswidrig erkannt werden kann.

2.3. Soweit die Beschwerdeführerin der belangten Behörde vorwirft, sie hätte sich nicht ausreichend mit der Frage auseinander gesetzt, ob nicht mit gelinderen Mitteln im Sinne des § 24 Abs. 2 NÖ JWG 1991 das Auslangen hätte gefunden werden können, so ist ihr entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde plausibel dargelegt hat, dass in der vorliegenden Konstellation Erfolg verheißende bescheidmäßig zu verfügende Auflagen nicht ersichtlich wären. Auch die Beschwerde bringt nicht andeutungsweise vor, durch welche gelinderen Mittel im Sinne von Bescheidauflagen die belangte Behörde die Wahrung des vorrangigen Kindeswohls hätte sicherstellen können.

2.4. Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 27. September 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2004110246.X00

Im RIS seit

25.10.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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