Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Bernhard E*****, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der K***** GmbH, gegen die beklagte Partei E***** AG, *****, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Heinz Stöger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Anfechtung, Zahlung von EUR 608.123,26 sA und Rechnungslegung, über die außerordentlichen Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 31. Jänner 2007, GZ 3 R 18/06y-65, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Beide außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Zur außerordentlichen Revision der Beklagten:
Die Beklagte erachtet die Revision entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts aus folgenden Gründen für zulässig:
1. Der Oberste Gerichtshof habe die Frage, ob im Rahmen der Beurteilung der Fortbestehensprognose die Finanzierung durch einen (gesellschaftsfremden) Investor verbindlich und bedingungslos zugesagt werden müsse, noch nicht (einheitlich) beantwortet. Lediglich im Bereich von Forderungsnachlässen, Kapitalerhöhungen und Zuschüssen sei vom Obersten Gerichtshof ausgesprochen worden, dass Rechtsverbindlichkeit der Zusage Voraussetzung für die positive Berücksichtigung bei der Fortbestehensprognose sein müsse. Selbst in diesem Bereich sei die höchstgerichtliche Rechtsprechung jedoch nicht einheitlich und mache in besonders gelagerten Einzelfällen Ausnahmen. Im Hinblick auf die Beteiligung eines finanzkräftigen Investors sei die Frage der Notwendigkeit der Rechtsverbindlichkeit dessen Zusage nicht abschließend entschieden. Für die positive Berücksichtigung der möglichen Beteiligung eines (gesellschaftsfremden) Investors im Rahmen der Fortbestehensprognose dürfe nicht der hohe Konkretisierungsgrund wie bei Finanzhilfen von Gesellschaftern oder Gläubigern verlangt werden. Abzustellen sei vielmehr auf die hohe Wahrscheinlichkeit der Finanzierung und nicht auf eine verbindliche Zusage zur positiven Berücksichtigung im Rahmen der Fortbestehensprognose.
2. Dem Berufungsgericht sei betreffend den Zeitpunkt der Setzung des Buchvermerks eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende rechtliche Fehlbeurteilung unterlaufen. Das Berufungsgericht sei offenbar davon ausgegangen, dass nach dem 29. 8. 2000 (in der kritischen Frist) Buchvermerke in der Buchhaltung des nunmehrigen Gemeinschuldners gesetzt worden seien. Das sei rechtlich unrichtig: Der Buchvermerk sei bereits vor der anfechtungsrelevanten Frist durch „Eingeben" in das EDV-System der Gemeinschuldnerin wirksam gesetzt worden. Lasse man den Buchvermerk für künftige Forderungen durch „Eingeben" in der EDV-Buchhaltung zu, sei der Publizitätsakt Buchvermerk schon dadurch - außerhalb der relevanten Frist - wirksam gesetzt worden. Eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinn des § 31 Abs 1 Z 2 erster Fall KO existiere demnach nicht.
3. Die Beweisthemen im erstinstanzlichen Verfahren hätten sich ausschließlich auf die Überschuldung sowie die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis derselben beschränkt. Andere Anfechtungsvoraussetzungen seien nie Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen. Das Berufungsgericht habe überraschend den Anfechtungstatbestand des § 31 Abs 1 Z 2 erster Fall KO als erfüllt angesehen. Es habe dabei übersehen, dass Grundvoraussetzung aller Anfechtungstatbestände nach der KO die Gläubigerbenachteiligung sei. Diese sei gänzlich ungeprüft geblieben. Dies stelle einen erheblichen Mangel des Verfahrens dar.
Mit diesen Ausführungen wird von der Beklagten kein tauglicher Grund für die Zulassung ihres außerordentlichen Rechtsmittels aufgezeigt.
Rechtliche Beurteilung
Zu 1.: Nach herrschender Ansicht kommt es bei der insolvenzrechtlich relevanten Überschuldung (§ 67 Abs 1 KO) nicht darauf an, ob das Aktivvermögen bei Bedachtnahme auf etwaige stille Reserven und deren Verwertungsmöglichkeit die echten Verbindlichkeiten deckt, sondern es ist in dynamischer Betrachtungsweise der vom Unternehmen voraussichtlich in Zukunft erzielbare Ertrag zu berücksichtigen. Die rein rechnerische Überprüfung der Überschuldung ist daher durch eine Fortbestehensprognose zu ergänzen, bei der mit Hilfe sorgfältiger Analysen der Verlustursachen, eines Finanzierungsplans sowie der Zukunftsaussichten des Unternehmens die wahrscheinliche Zahlungsunfähigkeit zu prüfen ist (RIS-Justiz RS0064962). Geplante Sanierungsmaßnahmen sind in diese Überlegungen einzubeziehen (1 Ob 144/01k, SZ 2002/26). Eine solche zweistufige Überprüfung ist nach ständiger Rechtsprechung allerdings nur dort zulässig, wo - trotz rechnerischer Überschuldung - die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens noch erhalten ist. Andernfalls erführen die in § 67 KO genannten Rechtssubjekte gegenüber jenen, für die nach § 66 KO allein die Zahlungsunfähigkeit maßgeblich ist, eine nicht gerechtfertigte insolvenzrechtliche Besserstellung. Mit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ist daher der insolvenzrechtlich relevante Sachverhalt jedenfalls verwirklicht, ohne dass es dann noch auf eine Fortbestehensprognose ankäme (SZ 2002/26 mwN).
Im vorliegenden Fall wäre nach den betreffenden, vom Berufungsgericht gebilligten Feststellungen des Erstgerichts für ein Fortbestehen der Gemeinschuldnerin nicht nur die Zuführung von Fremdkapital durch einen Investor, sondern darüber hinaus vor allem ein Forderungsnachlass seitens der Gläubiger gewesen, die sich mit lediglich 25 % ihrer Forderungen begnügen hätten müssen, wobei eine diesbezügliche Bereitschaft der Gläubiger gar nicht feststeht. Demnach ist von der Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin auszugehen. Schon mangels des erforderlichen Schuldennachlasses kann nicht angenommen werden, dass die Lebensfähigkeit des Unternehmens mit zumindest überwiegender Wahrscheinlichkeit gesichert gewesen wäre (RIS-Justiz RS0064989). Die von der Revisionswerberin für erheblich erachtete Frage, ob eine positive Fortbestehungsprognose auch daran scheitern müsse, dass es an einer rechtsverbindlichen Zusage eines Investors mangelte, stellt sich daher gar nicht mehr.
Zu 2.: Nach der hier maßgeblichen Bestimmung des § 31 Abs 1 Z 2 erster Fall KO sind nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder nach dem Antrag auf Konkurseröffnung vorgenommene Rechtshandlungen anfechtbar, durch die ein anderer Konkursgläubiger - somit kein naher Angehöriger im Sinne der §§ 31 Abs 1 Z 1 und 32 KO - Sicherstellung oder Befriedigung erlangt, wenn dem anderen Teil die Zahlungsunfähigkeit oder der Eröffnungsantrag bekannt war oder bekannt sein musste. Von der Revisionswerberin wird rechtsirrig nicht erkannt, dass im Sinn dieser Bestimmung die Deckung (Sicherstellung oder Befriedigung) zu dem Zeitpunkt erlangt wird, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten (= Erwerbszeitpunkt; so etwa ausdrücklich § 140 Abs 1 dInsO). Denn erst ab diesem Zeitpunkt ist der Haftungsfonds der Gläubiger tatsächlich beeinträchtigt. Maßgebend ist damit nicht der Zeitpunkt des obligatorischen Verpflichtungsgeschäfts, sondern der Zeitpunkt des Verfügungsgeschäfts (6 Ob 2290/96z, NZ 1998, 137 = ÖBA 1997, 736 = ZIK 1997, 183; Rebernig in Konecny/Schubert, KO § 31 Rz 17). Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin kommt es daher selbstredend nicht auf den Zeitpunkt einer Globalzession, sondern auf jenen der buchmäßigen Erfassung der einzelnen angefochtenen Forderung an. Da die notwendige Publizität einer Sicherungszession im Fall einer mittels EDV geführten Buchhaltung (Speicherbuchhaltung) nur dann gegeben ist, wenn der Vermerk (Buchvermerk) nicht nur bei den Kundenkonten, sondern auch in der Liste der offenen Posten (OP-Liste) aufscheint (RIS-Justiz RS0108639), ist also jener Zeitpunkt maßgebend, in dem die betreffende Forderung in die mit dem Buchvermerk versehene OP-Liste aufgenommen wird. Da dies vom Berufungsgericht zutreffend erkannt wurde, wird auch in diesem Zusammenhang von der Revisionswerberin kein tauglicher Grund für die Zulassung ihres außerordentlichen Rechtsmittels aufgezeigt.
Zu 3.: Dass die Setzung von Rechtshandlungen im Sinn des § 31 Abs 1 Z 2 erster Fall KO die Gläubiger benachteiligt, liegt auf der Hand und musste vom Masseverwalter nicht ausdrücklich behauptet oder nachgewiesen werden. Der Masseverwalter trägt bei diesem Anfechtungstatbestand die Beweislast für die Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung innerhalb der Anfechtungsfrist, für die zu diesem Zeitpunkt bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit (insolvenzrechtlich relevante Überschuldung) und für die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungsunfähigkeit beziehungsweise von jenen Tatsachen, aus denen in rechtlicher Beurteilung auf ein Kennenmüssen des Anfechtungsgegners zu schließen ist (5 Ob 202/67, SZ 40/146; 7 Ob 246/01d, ZIK 2002/134, 19; Rebernig aaO § 31 KO Rz 63). Der behauptete Verfahrensmangel liegt daher nicht vor; von einer „Überraschungsentscheidung" des Berufungsgerichts kann entgegen der Ansicht der Revisionswerberin keine Rede sein.
Da die Beklagte demnach insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist ihr außerordentliches Rechtsmittel zurückzuweisen.
Zur außerordentlichen Revision des Klägers:
Der Kläger wendet sich in seiner Zulassungsbeschwerde gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, weil er für den Zeitraum 29. 8. 2000 bis 1. 2. 2001 festgestelltermaßen bereits alle Kontoauszüge samt den dazugehörigen Belegen erhalten habe, sei das Rechnungslegungsbegehren in diesem Umfang abzuweisen; welche anderen Informationsquellen der Beklagten betreffend die auf den Konten der Gemeinschuldnerin eingegangenen Zahlungen zur Verfügung stehen sollten, sei nicht ersichtlich. Diese Ansicht weiche von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ab, wonach der Rechnungslegungsberechtigte Anspruch auf eine ordnungsgemäß zusammengestellte und formell vollständige, wenn auch nicht inhaltlich richtige Abrechnung habe, die sich nicht in der bloßen Angabe von Endziffern oder in der Überlassung von Belegen erschöpfen dürfe. Jedenfalls liege bislang keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vor, ob eine Bank einer Rechnungslegungsverpflichtung im Zuge eines Anfechtungsverfahrens alleine durch die Übersendung von Kontoauszügen und Belegen entsprechen könne.
Damit wird vom Kläger eine erhebliche Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht aufgezeigt: Nach ständiger Rechtsprechung ist der Umfang der Rechnungslegungspflicht nach der Natur des Geschäfts und den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (3 Ob 176/06p ua; RIS-Justiz RS0019529). Aufgrund dieser Einzelfallbezogenheit lässt sich nicht generalisierend sagen, ob durch die Vorlage aller Kontoauszüge mit allen Bezug habenden Belegen in einem bestimmten Zeitraum der Rechnungslegungspflicht genügt wird. Im vorliegenden Fall vermag der Revisionswerber weitere Unterlagen (Belege, Aufstellungen etc), die zur Bestimmung der Höhe des Anfechtungsanspruchs notwendig wären, selbst nicht zu nennen. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, die Beklagte habe ihrer Rechnungslegungspflicht im fraglichen Zeitraum durch die Vorlage sämtlicher Kontoauszüge und Belege entsprochen, ist daher jedenfalls vertretbar.
Damit gelingt es dem Kläger nicht, einen tauglichen Grund für die Zulassung seiner außerordentlichen Revision aufzuzeigen. Auch sein außerordentlichen Rechtsmittel muss daher zurückgewiesen werden.
Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Textnummer
E84212European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2007:0070OB00084.07I.0509.000Im RIS seit
08.06.2007Zuletzt aktualisiert am
17.11.2010