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19/05 Menschenrechte;Norm
FrPolG 2005 §54 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des EB in W, geboren 1987, vertreten durch Mag. Andreas Fritz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Salztorgasse 1, gegen den Bescheid des Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 23. April 2007, Zl. E1/146834/2007, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 23. April 2007 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Der Beschwerdeführer sei seit 8. August 1991 im Bundesgebiet gemeldet. Er sei hier zur Schule gegangen und habe zuletzt über einen unbefristeten Aufenthaltstitel verfügt.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 7. August 2006 sei der Beschwerdeführer nach den § 143 zweiter Fall, § 142 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren rechtskräftig verurteilt worden. Er habe mit zwei Mitverurteilten am 4. April 2006 einer schwarzafrikanischen Prostituierten die Handtasche samt Geldbörse und EUR 350,-- Bargeld sowie deren Handy geraubt, indem der Beschwerdeführer ihr eine Gaspistole an der rechten Schläfe angesetzt habe. Am 6. April 2006 hätten die drei Täter eine weitere Prostituierte überfallen, wobei ein Mittäter diese an der Jacke festgehalten, sie am Kopf gepackt, ihr mehrere Faustschläge in den Nacken und das Gesicht versetzt sowie ihr mehrfach das Knie in den Magen gerammt habe, um sie zur Übergabe ihrer Wertsachen zu bewegen. Der Beschwerdeführer habe das Opfer an der Schulter ergriffen, ihr eine Gaspistole an den Nacken angesetzt und ihr gedroht, er werde sie umbringen, wenn sie ihm nicht alles geben würde bzw. er würde sie erschießen, wenn sie ihm nicht ihre Tasche geben würde. Darüber hinaus habe das Gericht in seinem Urteil Folgendes festgestellt:
"Als besonders bedenklich und als erschwerend zu werten ist überdies, dass (der Beschwerdeführer) und M., unter führender Beteiligung des (Beschwerdeführers), lediglich um zu Bargeld für den eigenen Suchtgiftankauf zu kommen, weibliche schwarzafrikanische Prostituierte als Tatopfer auswählten, dies ersichtlich, weil sie sich einerseits wenig Gegenwehr erwarteten, andererseits sie davon ausgingen, dass die Tatopfer in der sozialen Hierarchie sehr weit unten situiert sind, sie annahmen, dass die Schwarzafrikanerinnen die Prostitution wahrscheinlich ohne Erlaubnis ausübten und daher anzunehmen sei, dass diese keine Anzeige erstatten würden, um nicht selbst sanktioniert zu werden und weil daher insbesondere in verwerflicher Art und Weise gerade eine der Schwächsten in der sozialen Hierarchie schamlos und ohne Bedenken und brutal ausgenützt wurden. Verwiesen sei auch auf das brutale Vorgehen des (Beschwerdeführers) nach der Tat auf das Raubopfer O. Diese Erwägungen sind schwerwiegend und schlagen sich direkt auch auf die Höhe der verhängten Freiheitsstrafe durch. Dazu kommt, dass die Raubhandlungen ohne jegliche Hemmung innerhalb kürzester Zeit wiederholt wurden, was die erhebliche verbrecherische Energie beider Angeklagten, ein Loslösen von erheblichen sozialen Werten, eine ungehemmte Gefühllosigkeit, signifikante Skrupellosigkeit und seelische Abstumpfung, zusammengefasst, eklatante Unmenschlichkeit der beiden Angeklagten (Beschwerdeführer) und M. dokumentiert. Es muss daher beiden Angeklagten ausreichend Zeit gegeben werden, über ihr bisheriges Leben nachzudenken und um umzudenken, umzukehren und sich im menschlichen Wertgefüge richtig zu positionieren."
Das Urteil erfülle den in § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG normierten Tatbestand. Die in § 60 Abs. 1 FPG normierte Voraussetzung liege vor.
Der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Sorgepflichten. Familiäre Bindungen bestünden zur Mutter, von welcher der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme am 11. April 2006 weder das richtige Geburtsdatum noch deren genaue Wohnanschrift habe angeben können. Weiters bestünden Bindungen zu einem Bruder, mit dem er im gemeinsamen Haushalt lebe, sowie zu einer Großmutter. Es sei von einem erheblichen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familieleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer Straftaten, zum Schutz des Eigentums, des Vermögens, der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit Dritter - dringend geboten sei. Der Beschwerdeführer habe die beschriebenen Straftaten als nicht einmal 19-jähriger begangen. Dies lasse erkennen, dass er nicht Willens oder nicht im Stande sei, maßgebliche in Österreich gültige Rechtsvorschriften einzuhalten. Die für ihn anzustellende Verhaltensprognose falle - auch für den zu erwartenden Zeitpunkt seiner Haftentlassung - zu seinen Ungunsten aus. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei dringend geboten und sohin iSd § 66 Abs. 1 FPG zulässig.
Bei der gemäß § 66 Abs. 2 FPG durchzuführenden Interessenabwägung sei auf die aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers ableitbare Integration Bedacht zu nehmen. Die soziale Komponente dieser Integration sei durch sein wiederholtes und besonders schwerwiegendes strafbare Verhalten erheblich an Gewicht gemindert. Die familiären Bindungen des Beschwerdeführers seien nicht unterzubewerten. Zu berücksichtigen sei jedoch auch hier, dass er weder mit seiner Mutter noch mit seiner Großmutter im gemeinsamen Haushalt lebe und dass sowohl er als auch sein Bruder bereits volljährig seien. Insgesamt erweise sich das dem Beschwerdeführer zuzusprechende Interesse an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet zwar als gewichtig, jedoch nicht als besonders ausgeprägt. Dem stehe das große öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten und am Schutz des Eigentums, Vermögens, der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit Dritter gegenüber. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen nicht schwerer als das in seinem Fehlverhalten gegründete große öffentliche Interesse daran, dass er das Bundesgebiet verlasse und diesem fern bleibe. Der Beschwerdeführer könne den Kontakt zu seinen Familienangehörigen - wenn auch eingeschränkt - vom Ausland aus wahrnehmen. Diese Einschränkung werde er im öffentlichen Interesse zu tragen haben. Allfällige Umstände in seinem Heimatland hätten entgegen außer Betracht zu bleiben. Das Aufenthaltsverbot sei gemäß § 66 Abs. 2 FPG zulässig.
Angesichts der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe sei das Aufenthaltsverbot auch iSd § 61 FPG zulässig. Eine Ermessensübung iSd § 60 Abs. 1 FPG stünde angesichts der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe mit dem Sinn und dem Zweck des Gesetzes nicht in Übereinstimmung.
Im Hinblick auf das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers könne auch unter Bedachtnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers nicht vorhergesehen werden, ob jemals und gegebenenfalls wann die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Auf der Grundlage der unstrittig feststehenden rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers begegnet die - unbekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.
2. Die Auffassung der belangten Behörde, dass im vorliegenden Fall die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, begegnet im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer verübten Raubüberfälle und die daraus abzuleitende besondere Gefährlichkeit des Beschwerdeführers keinem Einwand. Dem Beschwerdevorbringen, das Landesgericht für Strafsachen Wien habe bei der Strafzumessung spezialpräventive Überlegungen angestellt und sei davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer nach Verbüßung seiner vierjährigen Freiheitsstrafe keine weiteren strafbaren Handlungen begehen werde, ist zu erwidern, dass die belangte Behörde ihre Beurteilung unabhängig von den den Strafausspruch begründenden Erwägungen des Strafgerichtes und ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes vorzunehmen hatte (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Mai 2006, Zl. 2006/18/0103).
3.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, er sei "1990, somit im Alter von drei Jahren nach Österreich eingereist und seither rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen". Er habe sein ganzes Leben in Österreich verbracht und sei jedenfalls drei Jahre vor der Begehung der Straftat rechtmäßig niedergelassen gewesen. Es liege daher eine Aufenthaltsverfestigung iSd § 55 Abs. 4 FPG vor. Seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet bzw. das Aufenthaltsverbot sei unzulässig.
3.2. Gemäß § 61 Z. 4 FPG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als einer unbedingten zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden oder er würde einen der in § 60 Abs. 2 Z. 12 bis 14 FPG bezeichneten Tatbestände verwirklichen. In Anbetracht der Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren liegt dieser Aufenthaltsverbot-Verbotsgrund nicht vor.
4. Auf Grund der in Rede stehenden Verurteilung trifft es auch nicht zu, dass iSd § 61 Z. 2 FPG eine Ausweisung gemäß § 54 Abs. 1 FPG wegen des maßgeblichen Sachverhaltes unzulässig wäre (vgl. § 55 Abs. 3 Z. 1 und Abs. 4 iVm § 61 Z. 4 FPG).
5. Schließlich ist das Aufenthaltsverbot auch nicht iSd § 61 Z. 3 FPG unzulässig, weil diese Gesetzesstelle unter anderem dann keine Anwendung findet, wenn der Fremde zu einer einjährigen oder - wie vorliegend - noch höheren unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.
6.1. Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid auch im Grund des § 66 FPG. Die Mutter des Beschwerdeführers sei seit dem 30. Dezember 2004 mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet. Sowohl sein Bruder als auch seine Mutter würden die Voraussetzungen für die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft erfüllen. Sein Stiefvater habe die Absicht, den Beschwerdeführer und dessen Bruder zu adoptieren. Seine Großmutter und seine Tante seien österreichische Staatsbürger. Er spreche perfekt deutsch und beherrsche seine Muttersprache nicht. Er habe keine Wohnmöglichkeit und keine Verwandten in seinem Herkunftsland. Seine Heimat sei Österreich, er wäre in seinem Herkunftsland der Obdachlosigkeit ausgesetzt. Sein Interesse am weiteren Verbleib in Österreich würde das öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes überwiegen.
6.2. Angesichts der Dauer des bisherigen inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers seit August 1991 (bzw. nach dem Beschwerdevorbringen seit 1990), seiner daraus ableitbaren Integration, der Erfüllung der Schulpflicht in Österreich, seiner familiären Bindungen zu seinem mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Bruder sowie zu seiner Mutter und zu seiner Großmutter ist mit dem Aufenthaltsverbot ein relevanter Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden. Die Integration des Beschwerdeführers hat indes in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch die von ihm begangenen Eigentums- und Gewaltdelikte eine ganz erhebliche Beeinträchtigung erfahren.
Den insgesamt dennoch gewichtigen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet steht die aus seinen Straftaten resultierende Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Er hat im April 2006 im Abstand von wenigen Tagen gemeinsam mit zwei Mittätern unter Verwendung einer Waffe schwarzafrikanische Prostituierte überfallen. Dabei haben der Beschwerdeführer und seine Mittäter diese Tatopfer ausgewählt, weil sie sich deren Schwäche und benachteiligte soziale Stellung zu Nutze machen wollten. Dies unter führender Beteiligung des Beschwerdeführers, der auch aus dem Motiv heraus handelte, Bargeld für den Suchtgiftankauf zu erlangen. Dem Beschwerdeführer liegt somit ein im Licht des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Eigentums- und der Gewaltkriminalität besonders verwerfliches Fehlverhalten zur Last (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 19. Oktober 1999, Zl. 99/18/0155, und vom 18. März 2003, Zl. 2000/18/0074).
Bei Abwägung der genannten gegenläufigen Interessen kann die Auffassung der belangten Behörde, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Verhinderung weiterer Straftaten, zum Schutz des Eigentums, des Vermögens, der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit Dritter, somit zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, dringend geboten sei (§ 66 Abs. 1 FPG) und die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dessen Erlassung (§ 66 Abs. 2 FPG), nicht als rechtswidrig angesehen werden. Daran kann auch der Umstand, dass seine Mutter, sein Bruder (und er selbst vor der Begehung seiner Straftat) die Voraussetzungen für die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft erfüllt hätten, nichts ändern. Soweit der Beschwerdeführer darauf verweist, dass er in seinem Herkunftsland keine Wohnmöglichkeit und keine Verwandten habe, ist ihm entgegenzuhalten, dass mit einem Aufenthaltsverbot nicht darüber abgesprochen wird, dass der Fremde in ein bestimmtes Land auszureisen habe oder dass er (allenfalls) abgeschoben werde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Mai 2005, Zl. 2005/18/0054, mwN).
7. Auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers iSd § 55 Abs. 3 FPG wäre eine auf einer Ermessensübung beruhende Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht im Sinn des Gesetzes gelegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Jänner 2007, Zl. 2006/18/0254).
8. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
9. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Wien, am 16. Oktober 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2007180294.X00Im RIS seit
15.11.2007Zuletzt aktualisiert am
25.01.2009