TE Vwgh Erkenntnis 2007/10/17 2006/08/0016

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Veröffentlicht am 17.10.2007
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1 Z1 idF 2004/I/077;
AlVG 1977 §9 Abs2 idF 2004/I/077;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde der D M in Wien, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Favoritenstraße 108/3, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 21. Dezember 2005, Zl. LGSW/Abt.3-AIV/1218/56/2005-8243, betreffend Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Schreiben der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom 30. September 2005 wurde der seit 1. September 2005 im Leistungsbezug stehenden Beschwerdeführerin folgendes Stellenangebot übermittelt:

"2 Fischverkäufer/innen oder Handelsarbeiter/innen JUNGE KRÄFTE, die gerne mit FRISCHFISCH arbeiten, werden von

FISCHFACHGESCHÄFT in 1040 Wien gesucht. Anforderungen: SEHR GUTE DEUTSCHKENNTNISSE sowie UNBEDINGT KUNDENFREUNDLICHES VERHALTEN UND

GEPFLEGTES ÄUSSERES.

Geboten werden VOLLZEIT- ODER TEILZEITSTELLEN im Wechseldienst.

Arbeitszeit: Dienstag, Mittwoch, Donnerstag 10h bis 18h, Freitag 8h bis 18:30h, Samstag 8h bis 17h.

Entlohnung nach Vereinbarung.

Dienstgeber: H G, Wien.

AUSSCHLIESSLICH S C H R I F T L I C H E BEWERBUNG mit

Lebenslauf und Foto zu Handen Herrn G.

VORSPRACHEN O H N E TERMIN WERDEN NICHT BERÜCKSICHTIGT!!"

Am 27. Oktober 2005 wurde mit der Beschwerdeführerin vor der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eine Niederschrift zum Gegenstand "Nichtannahme bzw. Nichtzustandekommen einer zugewiesenen Beschäftigung" aufgenommen. Darin wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführerin vom Arbeitsmarktservice am 30. September 2005 eine Beschäftigung als Fischverkäuferin/Handelsarbeiterin beim Dienstgeber G. mit einer Entlohnung von brutto EUR 1.300,00 zugewiesen worden sei. Möglicher Arbeitsantritt wäre der 13. Oktober 2005 gewesen. Die Beschwerdeführerin erklärte, dass sie sich nicht (in der Weise) beworben habe, wie es im Inserat des Vermittlungsvorschlages vermerkt sei. Sie habe sich am 3. oder 4. Oktober 2005 bei Herrn G. persönlich mit Lebenslauf und Bewerbungsschreiben bewerben wollen. Herr G. habe jedoch ihre Unterlagen nicht angenommen. Die Beschwerdeführerin habe die Bewerbung danach auch nicht per Post an den Dienstgeber geschickt. Laut Stellungnahme des Dienstgebers sei von der Beschwerdeführerin keine schriftliche Bewerbung eingelangt.

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom 31. Oktober 2005 wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 AlVG des Anspruches auf Arbeitslosengeld für den Zeitraum 13. Oktober 2005 bis 23. November 2005 verlustig erklärt. Begründend wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe eine vom Arbeitsmarktservice zugewiesene, zumutbare Beschäftigung ab 13. Oktober 2005 nicht angenommen. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht lägen nicht vor.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in der sie im Wesentlichen ausführte, dass sie "bei ihrem letzten Termin" von der gegenständlichen Stellenbeschreibung, und dass sie sich diesbezüglich bei Herrn G. vorzustellen habe, erfahren habe. Da sie zwar etwas Deutsch verstehe, aber kein Deutsch lesen könne, zumindest nicht gut lesen könne, habe sie nicht verstanden, dass sie sich schriftlich bewerben müsse. So sei sie persönlich mit all ihren Dokumenten hingegangen. Herr G. habe jedoch nicht mit ihr reden wollen, er habe mit der Hand gedeutet, dass sie gehen solle, und ihr den Rücken zugewandt. Sie habe nicht verstanden, was er zu ihr gesagt habe, und auch die Beraterin vom Arbeitsmarktservice habe ihr nichts von einer schriftlichen Bewerbung gesagt. Die Beschwerdeführerin verfasse die Berufung mit Hilfe ihrer Kusine, um zu erklären, dass sie das ganze wirklich nicht verstanden habe, sonst wäre sie nicht direkt hingegangen.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführerin am 30. September 2005 seitens des Arbeitsmarktservice eine Beschäftigung als Fischverkäuferin oder Handelsarbeiterin beim Dienstgeber G. mit einer kollektivvertraglichen Entlohnung und möglichem Arbeitsantritt am 13. Oktober 2005 angeboten worden sei. Laut Stellenangebot hätte die Bewerbung ausschließlich schriftlich erfolgen sollen, und es sei mitgeteilt worden, dass Vorsprachen ohne Termin nicht berücksichtigt würden. Nach den Angaben des potentiellen Dienstgebers sei keine schriftliche Bewerbung der Beschwerdeführerin eingelangt. Diese Angaben des potentiellen Dienstgebers habe die Beschwerdeführerin dahingehend bestätigt, dass sie sich nicht beworben habe, wie es im Inserat des Vermittlungsvorschlages vermerkt sei. Sie habe sich bei Herrn G. persönlich mit Lebenslauf und Bewerbungsschreiben vorstellen wollen. Herr G. habe ihre Bewerbung jedoch nicht angenommen. Die Beschwerdeführerin habe danach ihre Bewerbung auch nicht per Post an den Dienstgeber geschickt. Es wäre ihr bei mangelnden Deutschkenntnissen jedenfalls zumutbar gewesen, einen Dolmetsch um die Übersetzung des Schriftstückes zu ersuchen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 9 AlVG in der hier zeitraumbezogen maßgebenden Fassung

BGBl. I Nr. 77/2004 lautet auszugsweise:

"Arbeitswilligkeit

(1) Arbeitswillig ist, wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.

(2) Eine Beschäftigung ist zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten der arbeitslosen Person angemessen ist, ihre Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist, in einem nicht von Streik oder Aussperrung betroffenen Betrieb erfolgen soll, in angemessener Zeit erreichbar ist oder eine entsprechende Unterkunft am Arbeitsort zur Verfügung steht sowie gesetzliche Betreuungsverpflichtungen eingehalten werden können. Als angemessene Entlohnung gilt grundsätzlich eine zumindest den jeweils anzuwendenden Normen der kollektiven Rechtsgestaltung entsprechende Entlohnung. Die zumutbare Wegzeit für Hin- und Rückweg soll tunlich nicht mehr als ein Viertel der durchschnittlichen täglichen Normalarbeitszeit betragen. ...

..."

§ 10 AlVG in der hier zeitraumbezogen maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 77/2004 lautet auszugsweise:

"(1) Wenn die arbeitslose Person

1. sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, oder

...

so verliert sie für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 um weitere zwei Wochen auf acht Wochen. Die Erhöhung der Mindestdauer des Anspruchsverlustes gilt jeweils bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde.

...

(3) Der Verlust des Anspruches gemäß Abs. 1 ist in berücksichtigungswürdigen Fällen wie zB bei Aufnahme einer anderen Beschäftigung nach Anhörung des Regionalbeirates ganz oder teilweise nachzusehen."

Diese Bestimmungen sind Ausdruck der dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zugrunde liegenden Gesetzeszwecke, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene, ihm zumutbare Beschäftigung auch anzunehmen, das heißt bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 2004, 2000/08/0128, mwN).

Der Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 1 AlVG wird nur verwirklicht, wenn es sich um eine zumutbare und damit für die Zuweisung geeignete Beschäftigung handelt. Grundvoraussetzung für die Zuweisungstauglichkeit einer Beschäftigung an einen Arbeitslosen ist, dass dessen Kenntnisse und Fähigkeiten jenen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechen, die an der zugewiesenen Arbeitsstelle verlangt werden (vgl. Krapf/Keul, AlVG, Praxiskommentar, Rz 209 zu § 9 AlVG). Wenn die arbeitslose Person dem vom Dienstgeber bekannt gegebenen Anforderungsprofil nicht entspricht, ist daher eine Zuweisung unzulässig (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. September 1997, Zl. 97/08/0414).

Die belangte Behörde hält dem Berufungsvorbringen der Beschwerdeführerin, sie habe wegen mangelnder Deutschkenntnisse den Text des Stellenangebotes nicht richtig verstanden, entgegen, es wäre ihr zumutbar gewesen, einen Dolmetsch um Übersetzung des Schriftstücks zu ersuchen. Die belangte Behörde übersieht dabei, dass auf dem Boden dieser Annahme die zugewiesene Beschäftigung nicht zuweisungstauglich gewesen ist, wurden doch in dem Stellenangebot ausdrücklich "sehr gute Deutschkenntnisse" als Einstellungsvoraussetzung verlangt. Das Vorliegen dieser Einstellungsvoraussetzung, bei deren Fehlen der Beschwerdeführerin keine Rechtswidrigkeit vorgeworfen werden könnte, wenn sie sich um die Stelle nicht beworben hat, hat die belangte Behörde durch ihre eigene Bescheidbegründung in Frage gestellt.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da es einerseits in den Pauschalsätzen der genannten Verordnung keine Deckung findet und andererseits die Umsatzsteuer in diesen Pauschalsätzen bereits berücksichtigt ist.

Wien, am 17. Oktober 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006080016.X00

Im RIS seit

16.11.2007

Zuletzt aktualisiert am

25.06.2014
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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